Kraftübertragung [1]

Kraftübertragung [1]

Kraftübertragung, elektrische, die Uebertragung eines Effektes von einem Orte A nach einem Orte B auf elektrischem Wege. Die Elementarkraft (Wasser-, Dampfkraft u.s.w.), die in A zur Verfügung steht, wird zunächst in elektrische Energie verwandelt, indem man durch sie eine Gleich- oder Wechselstromdynamomaschine betreibt und den Strom derselben durch eine Leitung nach B führt, wo er entweder direkt zur Beleuchtung, Heizung, elektrischen Schweißung u.s.w. verwendet oder mittels Elektromotoren wieder in mechanische Energie umgewandelt wird.

Bei Verwendung von Gleichstrom können die Motoren, ebenso wie die Lampen bei der elektrischen Beleuchtung, entweder in Parallel- oder Hintereinanderschaltung verwendet werden. Die Parallelschaltung der Motoren empfiehlt sich besonders dann, wenn eine große Anzahl derselben von A aus in Betrieb gesetzt werden soll, wie es z.B. in Fabrikbetrieben der Fall ist. Hier wird von der Dampfmaschine eine Nebenschluß- oder besser eine Compound-Dynamomaschine angetrieben, deren Spannung möglichst konstant zu halten ist und deren Strom zu Nebenschlußmotoren geleitet wird, die entweder einzelne Gruppen von Arbeitsmaschinen antreiben (Gruppenantrieb), oder es dient ein, Motor nur zum Betriebe einer einzigen Arbeitsmaschine (Einzelantrieb). Die Motoren sind bei dieser Schaltung unabhängig voneinander und es ändert sich bei wechselnder Belastung ihre Tourenzahl nur um wenige Prozente. Soll sie durchaus konstant bleiben, so kann dies durch Einschalten eines Regulierwiderstandes in den Nebenschluß ohne weiteres erreicht werden. Die gebräuchliche Spannung beträgt je nach der Ausdehnung der Anlage in der Regel 110, 220 oder 440 Volt. Will man mit einer niederen Spannung einen Effekt auf größere Entfernungen übertragen, so wird entweder die Leitung sehr teuer oder in einer billigen Leitung der Verlust durch Stromwärme sehr groß. Derselbe ist bestimmt durch die Gleichung Es = i2 w Watt (i die Stromstärke in der Leitung, w deren Widerstand). Der von der primären Dynamo abgegebene Effekt ist aber E = e i Watt (e die Klemmenspannung der Dynamo). Aus dieser Gleichung geht hervor, daß zur Uebertragung eines bestimmten Effektes E die Stromstärke i desto kleiner wird, je größer man die Klemmenspannung e wählt; die Leitung fällt daher bei gleichem prozentualem Effektverlust durch Stromwärme desto billiger aus, je höher man mit der Klemmenspannung e geht. Für hohe Spannungen eignen sich nur Reihen-(Serien-)maschinen, die man gegenwärtig bis zu 3600 Volt baut. Die Uebertragung geschieht dann in der Weise, daß man in A durch die Elementarkraft eine Serienmaschine mit hoher Spannung betreibt und den Strom dieser durch die Fernleitung zu einer zweiten Serienmaschine, die als Motor läuft, schickt. Bei richtiger Konstruktion des Motors kann man es erreichen, daß seine Tourenzahl für jede beliebige Belastung konstant bleibt, wenn nur die primäre Maschine ihre Tourenzahl beibehält [1].

Sollen noch höhere Spannungen bei Gleichstrom zur Anwendung kommen, so müssen mehrere Dynamomaschinen und ebenso Motoren hintereinander geschaltet werden. Nach System Thury [4] hat man auf der Station A dafür zu sorgen, daß die Stromstärke konstant bleibt, gleichgültig, ob Motoren ein- oder ausgeschaltet werden. Durch den Stillstand eines Motors würde ohne Regulierung eine Erhöhung der Stromstärke eintreten, da ja die elektromotorische Gegenkraft des Motors verschwindet, während umgekehrt das Einschalten durch das Auftreten einer elektromotorischen Gegenkraft eine Schwächung bewirkt. Die Regulierung wird nun in der Weise bewerkstelligt, daß bei eintretender Veränderung der Stromstärke, der ja zunächst die Selbstinduktion des ganzen Kreises entgegenwirkt, ein Relais einen kleinen Elektromotor einschaltet, der sich vor- bezw. rückwärts dreht und durch eine Transmission mit der Reguliervorrichtung der Antriebsmaschine (Turbine, Dampfmaschine u.s.w.) in Verbindung steht. Wächst der Strom, so wirkt die Reguliervorrichtung derartig, daß die Antriebsmaschine langsamer läuft; wird der Strom schwächer, so läuft dieselbe schneller. Die Motoren besitzen bei konstanter Stromstärke ein konstantes Drehungsmoment, so daß die Tourenzahl bei wachsender Belastung abnehmen würde. Um sie konstant zu halten, trägt jeder Motor ein Schwungrad, das plötzliche Veränderungen ausgleicht, außerdem aber einen Zentrifugalregulator, der bei Abweichungen von der normalen Tourenzahl einen kleinen Elektromotor einschaltet. Dieser dreht einen Kontakthebel, durch den je nach dem Drehungsinn mehr oder weniger Widerstand parallel zu dem[655] Magnetwiderstande geschaltet wird. Durch die hierdurch eintretende Verstärkung bezw. Schwächung des magnetischen Feldes wird die Tourenzahl verringert bezw. erhöht. Bei der jüngsten derartigen Anlage [7] Moutiers in Lyon, bei der mit einer Spannung von 57000 Volt auf 180 km Länge gearbeitet wird, geschieht die Schwächung des magnetischen Feldes lediglich durch Verschieben der Bürsten im entgegengesetzten Sinne der Drehung des Motors (s.a. Dynamomaschine und Motor, elektrischer). Je weiter nach rückwärts bekanntlich die Bürsten verschoben werden, desto schwächer wird das Feld, desto höher die Tourenzahl. Die Drehung der Bürstenbrücke wird wie die obenbeschriebene Drehung des Kontakthebels durch den kleinen Elektromotor bewirkt.

Die Vorteile der Uebertragung mit Gleichstrom gegenüber dem einphasigen Wechselstrom (s. weiter unten) sind ein geringerer Kupferquerschnitt der Leitung bei gleichem Effektverlust in derselben und eine geringere Beanspruchung der Isolation; denn während die Isolatoren bei 57000 Volt Gleichstrom nur diese Spannung auszuhalten haben, werden sie bei Wechselstrom auf 57000 √2 = 80500 Volt beansprucht. Als Nachteil steht man den Umstand an, daß jede einzelne Maschine aufs sorgfältigste von der Erde isoliert sein muß.

Anstatt des Gleichstromes kann auch zur Kraftübertragung der ein- und mehrphasige Wechselstrom Verwendung finden. Man Stellt in A eine Wechselstrommaschine auf und leitet den Strom derselben nach B in eine genau gleiche Maschine. Wird diese zunächst auf die Tourenzahl der ersten gebracht, so läuft sie, falls der Strom im geeigneten Moment eingeschaltet wird, als Motor synchron mit der primären Maschine. Tritt Ueberlastung ein, so bleibt der Motor plötzlich stehen und muß erst wieder durch eine fremde Kraft in synchronen Gang gebracht werden, ehe der Strom eingeleitet werden darf. Um zu erkennen, ob der synchrone Gang erreicht ist, bedient man sich eines Synchronisators (Phasenindikators), der aus zwei kleinen Transformatoren befiehl. Die primäre Wicklung des einen ist mit der primären Maschine, die des andern mit dem Motor verbunden, die sekundären Wicklungen setzen die hohe Spannung herunter und sind hintereinander geschaltet unter Einfügung zweier Glühlampen, deren Einzelspannung der sekundären Spannung eines Transformators entspricht. Je mehr der Gang des Motors sich dem Synchronismus nähert, desto langsamer fluktuieren die Lampen, um bei Phasengleichheit entweder ruhig zu brennen oder zu erlöschen, je nachdem die sekundären Windungen der Transformatoren hintereinander oder gegeneinander geschaltet waren [2], wobei des besseren Erkennens halber der erste Fall vorgezogen wird.

Die Nachteile dieser Art Uebertragung mit einphasigem Wechselstrom sind demnach erstens das schwierige Ingangsetzen des Motors, wobei die Belastung erst aufgelegt werden darf, wenn der Motor vorher in synchronen Gang gebracht ist; zweitens der Umstand, daß jeder Motor ebenso wie die primäre Maschine eine Gleichstromerregermaschine besitzen muß, was bei kleinen Motoren den Anschaffungspreis erheblich erhöht, so daß eine Teilung des Effektes in einzelne kleinere Motoren nicht gut angängig ist [1]; drittens das Stehenbleiben des Motors bei Ueberlastung (tritt bei gutkonstruierten Motoren erst bei 100% und mehr ein). Als Vorteile kann man die absolut konstante Tourenzahl und die Verwendbarkeit von Transformatoren zur Erhöhung bezw. Erniedrigung der Spannung hervorheben.

Den letztgenannten Vorteil besitzt aber auch der zwei- bezw. dreiphasige Wechselstrom [3]. Bei dem dreiphasigen Wechselstrom (Drehstrom) werden die Leitungen, Transformatoren und Motoren etwas billiger als beim zweiphasigen, so daß man aus diesem Grunde den Drehstrom dem letzteren vorzieht. Die Motoren für Drehstrom gehen unter voller Belastung ebenso wie die Gleichstrommotoren an. Da die kleineren auch keine beweglichen Stromzuführungsteile besitzen, so bedürfen sie durchaus keiner Wartung und unterliegen auch fast keiner Abnutzung. Sie werden mit konstanter Spannung in Parallelschaltung getrieben, wobei ein Motor völlig unabhängig von dem andern ist. Die Tourenzahl ändert sich von Vollbelastung bis Leerlauf bei kleineren Motoren um etwa 5%, bei größeren um höchstens 2–3%. Die erste Anlage dieser Art war die Uebertragung von 300 PS. von Lauffen a. N. nach der Ausstellung zu Frankfurt a.M. im Jahre 1891, d.i. auf eine Entfernung von 170 km [6].

Die Nachteile der Kraftübertragung mit Wechselstrom gegenüber dem Gleichstrom liegen in den größeren Leitungsverlusten, hervorgerufen durch die Phasenverschiebung des Stromes gegen die Spannung. Ist bei Gleichstrom der übertragene Effekt gleich e i, so ist er bei Wechselstrom e i cos φ, wo häufig cos φ = 0,8 ist, d.h. bei gleicher Spannung leisten 80 A. Gleichstrom so viel wie 100 A. Wechselstrom, während bei demselben Leitungswiderstand w die Verluste 802w = 6400w bei Gleichstrom und 1002w = 10000w bei Wechselstrom sind. Bei Drehstrommotoren wird in manchen Fällen als Nachteil empfunden, daß ihre Tourenzahl fast konstant bleibt und es keine einfachen und gleichzeitig ökonomischen Mittel gibt, dieselben zu ändern.

Ueber die Verluste und somit über den Wirkungsgrad der elektrischen Kraftübertragung sei noch folgendes bemerkt. Wenn e1 die Klemmenspannung der primären Maschine und i der in der Leitung fließende Strom, so ist e1 i der Nutzeffekt, den die primäre Maschine abgibt und e1 i : η1 der Gesamteffekt, der von der Antriebsmaschine aufgewendet werden mußte (der Wert von η1 schwankt je nach der Größe der Maschine zwischen 0,8 und 0,95). Ist ferner e2 die Klemmenspannung des Motors, so ist e2 i der auf den Motor übertragene Effekt und e2 i η2 der an der Riemscheibe nützlich zur Verfügung stehende Effekt, so daß der Wirkungsgrad der Anlage η = e2 i η2 η1 : e1 i = e2 η1 η2 : e1 ist (der Wert von η2 liegt zwischen 0,8 und 0,93). Der Wirkungsgrad η betrug bei der Lauffen–Frankfurter Anlage 0,75.

Die Differenz e1e2 gibt den Spannungsverlust in der Leitung. Bezeichnet w den Widerstand derselben, so ist e1e2 = i w. Wenn p der prozentuale Spannungsverlust in der Leitung ist, den man zulassen will, so muß e1e2 = 0,01 · p e1 = i w sein. Da aber w = 0,018 · 2 · l : q ist, wo l die Entfernung von A nach B in Metern und q den Querschnitt des Drahtes in Quadratmillimetern angibt, so folgt: q = 3,6 · l i : p e1.


[656] Literatur: [1] Kapp, Gisbert, Elektrische Kraftübertragung, Berlin 1898. – [2] Holzt, Schule des Elektrotechnikers, Leipzig 1903. – [3] Thompson, Mehrphasige elektrische Ströme, Halle 1904. – [4] Elektrot. Zeitschr., Berlin 1892. – [5] Ebend., Berlin 1896. – [6] Offizieller Bericht über die elektrotechnische Ausstellung in Frankfurt 1891, Bd. 2, Frankfurt 1894. – [7] Elektrot. Zeitschr., Berlin 1906.

Holzt.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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