- Kunstleder [2]
Kunstleder. Die Bemühungen, das in den letzten Jahren so schwer zu beschaffende Sohlenleder durch ein Kunstprodukt zu ersetzen, haben bisher zu günstigen Ergebnissen nicht geführt, es ist nicht ein Sohlenersatz geschaffen worden, der den Namen verdient, wogegen in vielen Gewerben, wie beispielsweise in der Taschnerei (Lederwarenfabrikation überhaupt), das Naturleder immer mehr durch Kunstprodukte ersetzt wird. In der Möbelindustrie wird Kunstleder als Ueberzüge für Sitz- und Liegemöbel in glattem und gepreßtem Zustande (genarbt) verwendet, die Buchbinderei macht für Bucheinbände reichlichen Gebrauch davon und auch eine ganze Anzahl kleiner Objekte für die verschiedensten Zwecke können nur aus einem Ersatzprodukte erzeugt werden, da Leder zu teuer ist. Die Schuhindustrie kann zwar Kunstleder für Schuhoberteile, Hausschuhe, Gamaschen und ähnliches verarbeiten, aber doch nur für wohlfeile Produkte und verhältnismäßig selten, während es für die innere Ausstattung des Schuhwerkes (Futter und Brandsohlen) Verwendung finden kann. Kunstleder ist zu kennzeichnen als ein Produkt, welches »im Aussehen, der Färbung, der Fettigkeit, Dehnbarkeit, leichter Verarbeitbarkeit, überhaupt in seinen Eigenschaften dem Leder aus tierischer Haut zumindest ähnlich ist, und dieses in verschiedenen Verwendungen aber ja nicht in allen mit mehr oder weniger Erfolg zu ersetzen vermag«. So außerordentlich verschieden die Ledersorten selbst sind welch ein Unterschied ist zwischen einem lohgaren Sohlenleder und einem sämisch gegerbten Ziegenleder so einheitlich sind, streng genommen, wenn man von der künstlichen Narbung absieht, die Kunstlederarten in ihrem äußeren Aussehen. Bei der Fabrikation von Kunstleder kann man von verschiedenen Gesichtspunkten ausgehen und zwar: 1. Das Produkt wird aus den Materialien, unter denen zumindest ein guter Klebstoff sein muß, gepreßt, und zwar in Form von Platten oder abgepaßten Formen; es dient als Sohlenersatz und ist an und für sich weder genügend homogen noch dehnbar, um für andere Zwecke brauchbar zu sein, besonders in dünneren Platten. 2. Das Produkt wird in der Weise hergestellt, daß auf eine aus Geweben, Fasern u.s.w. tierischer oder pflanzlicher Herkunft bestehende Unterlage eine Grundschichte aufgebracht wird, welche vor allem die erforderliche Biegsamkeit aufweist, aber auch die Eigenschaft besitzt, sich mit den nachfolgenden Ueberzügen fest zu verbinden, wodurch die »lederähnliche Beschaffenheit« mindestens an der Oberfläche gewährleistet erscheint. Es muß demnach das Wachstuch (Wachs- oder Wichsleinwand), dessen besondere Abart Ledertuch (schon lange in der Möbelindustrie an Stelle von Leder verarbeitet) und die »Lacklederimitation«, die auch kein Produkt der Neuzeit ist, schon als »Kunstleder« mit vollem Recht angesprochen werden. Nun sind Wachstuch und die beiden anderen Erzeugnisse Fabrikate, die auf einer der unter 2. geforderten Unterlage hergestellt werden, und zwar sowohl aus Geweben mit sehr verschiedenen Fadeneinstellungen wie auch auf geraubtem Grund, und ein gutes Wachstuch kann sehr wohl auch als Kunstleder dienen. Hierbei spielt das glänzende oder matte, dem natürlichen Leder ähnliche Aussehen keine Rolle, denn die Verarbeitungsmöglichkeit soll in jedem Falle die durchaus gleiche sein, Reißen, Springen oder Brechen sowie Abblättern, Ablösen u.s.w. darf bei einem guten Erzeugnisse nicht zu gewärtigen sein. Glanz ist bei Leder nie vorhanden und kann nur durch mechanische Bearbeitung (Glätten, Glanzstoßen unter Druck) oder durch an sich glänzende Ueberzüge erreicht werden, wie sie in den genannten Fabrikationszweigen üblich sind.
Unterzieht man die Unterlagen, auf die Austragungen der Deckmassen erfolgen sollen, einer Betrachtung, die hier zu weit führen würde, so gelangt man zum Schlusse, daß für ausgesprochen als Kunstleder angesprochene Erzeugnisse die Vliese bevorzugt werden. Je dünner diese Grundlagen sind und in je dünnerer Schicht dann die Deckmassen aufgetragen werden, um so dünner, aber auch um so geschmeidiger und um so leichter zu verarbeiten ist dann das Kunstleder, aber auch um so geringer seine Widerstandsfähigkeit und seine Haltbarkeit. Da die Grundstoffe ausschließlich nur auf einer Seite mit den Deckmassen behandelt werden, so ergibt sich hieraus, daß auch nur die eine Seite Ledercharakter zeigt, während die Unterseite[379] entweder das Gewebe oder das Vließ zutage treten läßt, und dadurch auch dem Nichtfachmann sich als Nachahmung zu erkennen gibt. Die Deckmassen müssen lederartigen Griff aufweisen, genügend elastisch sein, um die charakteristischen Merkmale der Naturlederarten, vermittels Pressung anzunehmen und auf die Dauer festzuhalten. Auf die Grundiermasse folgt dann der Auftrag der eigentlichen Deckmassen, die entweder ölhaltig bezw. Oelfarben und Oellacke oder Celluloid bezw. Celluloselösungen mit oder ohne Farben sein können. Oelige Deckmassen werden in besonderen Trockenhäusern im Hang nach dem Auftragen mittels maschineller Streichvorrichtungen getrocknet, Celluloid- und Celluloselösungen mittels Zerstäuber oder auch mittels Streichvorrichtung aufgetragen (unter Rückgewinnung des Lösungsmittels) und im Hang oder durch Laufen über erwärmte Walzen getrocknet.
Andés.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.