- Unfallversicherung [1]
Unfallversicherung, Teil der Arbeiterversicherung (Bd. 1, S. 275), durch die Gesetze vorn 6. Juli 1884, 28. Mai 1885, 5. Mai 1886, 11. und 13. Juli 1887 (in revidierter Fassung als Abänderungsgesetz, Gewerbe-Unfallversicherungsgesetz, Unfallversicherungsgesetz für Land- und Forstwirtschaft, Bau- und See-Unfallversicherungsgesetz vom 30. Juni 1900 erlassen [2] und [3]), im Deutschen Reiche eingeführt, bezweckt Ersatz des Schadens, der infolge eines Betriebsunfalls durch Körperverletzung oder Tötung entsteht.
[724] Der Schadensersatz umläßt die Kosten des Heilverfahrens oder der Beerdigung und eine dem Verletzten für die Dauer der Erwerbsbeeinträchtigung oder den Hinterbliebenen vom Todestage an zu gewährende Rente. Diese beträgt bei völliger Erwerbsunfähigkeit zwei Drittel des letzten, nach gewissen Sätzen zu berechnenden Jahresarbeitsverdienstes, bei nur teilweiser Erwerbsunfähigkeit und für die Hinterbliebenen (Witwe, Kinder, gegebenenfalls auch Eltern) einen Bruchteil jener Vollrente. Die Entschädigungsberechtigung beginnt jedoch erst nach Ablauf von 13 Wochen nach dem Unfall; während dieser Wartezeit haben die Krankenkassen für eine Entschädigung einzutreten. Versicherungspflichtig sind alle Arbeiter und Betriebsbeamte in Fabriks-, Gewerbe-, land- und forstwirtschaftlichen Betrieben, sofern der Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt 3000 ℳ. nicht übersteigt Durch Statut der zur Durchführung der Versicherung eingesetzten Organe kann die Versicherungspflicht auf Betriebsunternehmer ausgedehnt werden, auch ist für solche unter gewissen Umständen eine freiwillige Versicherung zugelassen. Nicht versichert sind die Arbeiter in ungefährlicheren Handwerksbetrieben. Im Jahre 1908 waren rund 20000000 Personen versichert; die Zahl aller angemeldeten Unfälle betrug 655 859, die der erstmalig entschädigten 141848. Die im Jahr 1908 verausgabten Entschädigungen (Renten u.s.w.) betrugen etwa 157500000 ℳ.; Entschädigungen wurden gezahlt oder angewiesen an 1146239 Personen [1].
Zur Durchführung der Unfallversicherung sind für die Privatbetriebe 66 gewerbliche und 48 land- und forstwirtschaftliche Berufsgenossenschaften mit weitgehender Selbstverwaltung, für die Reichs-, Staats-, Provinzial- und Kommunalbetriebe Ausführungsbehörden (im Jahre 1908 540) eingerichtet. Die Aufsicht erfolgt durch das Reichsversicherungsamt und 8 Landesversicherungsämter (diese für 5 gewerbliche, 18 landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften und 115 Ausführungsbehörden). Die Aufbringung der Mittel erfolgt allein durch die Unternehmer durch jährlich zu zahlende Umlagebeiträge. Zur Verminderung der Lasten ist den Berufsgenossenschaften das Recht gegeben, Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen und deren Durchführung durch technische Aufsichtsbeamte zu überwachen, auch zuwiderhandelnde Unternehmer zu bestrafen (vgl. Unfallverhütung und [4]).
Literatur: [1] Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamts, Berlin. [2] Graef, Die Unfallversicherungsgesetze des Deutschen Reichs, 5. Aufl., Berlin. [3] Handbuch der Unfallversicherung, Berlin 1909. [4] Unfallstatistik für 1901 und 1907, Beihefte zu [1] 1904 und 1909.
K. Hartmann.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.