Elektrizitätswegerecht

Elektrizitätswegerecht

Elektrizitätswegerecht. Das Elektrizitätswegerecht umfaßt jene rechtlichen Bestimmungen, welche die Fortleitung und Verteilung der elektrischen Energie regeln.

Sowohl die Nachrichtenvermittlung mittels ElektrizitätTelegraph, Telephon, Signalanlagen –, als die Uebertragung von Starkstromenergie auf weite Entfernungen erfolgt durch Leitungen, die sich oft auf viele Hunderte, ja Tausende Kilometer erstrecken, und diese technischen Einrichtungen werden von ihrer Wichtigkeit in absehbarer Zeit nichts einbüßen, selbst wenn zur bereits begehenden Radiotelegraphie auch die Lösung des Problems der drahtlosen Uebertragung elektrischer Energie zur Beleuchtung, motorischem Antrieb und zur sonstigen technischen Verwendung hinzutreten würde. Die Errichtung und der Betrieb der erwähnten Leitungen macht aber in aller Regel die Benutzung fremden Grundeigentums notwendig; es ist daher Aufgabe der Gesetzgebung, solche Eingriffe in fremde Rechtssphären zuzulassen und die bestehende Rechtsordnung mit den Bedürfnissen der modernen technischen und ökonomischen Entwicklung in Einklang zu bringen.

Die Gesetzgebungen der Kulturstaaten sind dieser Forderung bisher noch nicht vollzählig und nicht in vollem Maße nachgekommen. In einigen Ländern bestehen nur Gesetze, welche den Bedürfnissen der älteren Schwachstromtechnik, in erster Linie der staatlichen Telegraphenleitungen, entgegenkommen; so im Deutschen Reich das Telegraphenwegegesetz vom 18. Dezember 1899. Manche Staaten besitzen neben einem Telegraphengesetz noch separate Gesetze, welche die Fortleitung und Verteilung elektrischer Starkstromenergie sicherstellen; so Frankreich neben dem Telegraphengesetz vom 28. Juli 1885 das Gesetz vom 15. Juni 1906, betreffend die elektrischen Anlagen, welche nicht zur Uebertragung von Signalen oder von Worten bestimmt sind, ferner Italien, welches neben dem Gesetz vom 3. Mai 1903 noch das Gesetz vom 16. Juni 1894, betreffend die Fernleitung elektrischer Ströme behufs Kraftübertragung für industrielle Zwecke aufweist. Die fortgeschrittenste Gesetzgebung besitzt die Schweiz in dem Bundesgesetze vom 24. Juni 1902, betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen; in diesem umfassenden Elektrizitätsgesetz sind nicht nur alle einschlägigen Bestimmungen eines Wegegesetzes, sondern eine Reihe wichtiger Ergänzungen zivilrechtlicher, strafrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Natur enthalten. Aehnlich umfassend ist auch die zuletzt im Jahre 1909 dem Parlament unterbreitete österreichische Regierungsvorlage eines Gesetzes, betreffend die Einräumung von Benutzungsrechten für elektrische Leitungen an öffentlichen Kommunikationen und an fremdem Eigentum und die Genehmigung von Starkstromanlagen, die gegenwärtig von den beteiligten Ministerien einer Umarbeitung unterzogen wird.

Der gemeinsame Grundzug dieser Gesetzgebung ist, daß im öffentlichen Interesse generelle Belastungen des Realeigentumes vorgesehen werden, indem die privaten Besitzer von Grund und Boden, manchmal auch von Gebäuden, dann die Besitzer öffentlicher Verkehrswege und die Eisenbahnen, ohne daß in allen Fällen die Verfügungsfreiheit der Eigentümer oder der primäre Verwendungszweck der betroffenen Liegenschaften dauernd beeinträchtigt würde, zur Duldung gewisser Benutzungsrechte gegen vollen Ersatz des erlittenen Schadens verpflichtet werden. In einigen Gesetzgebungen ist darüber hinaus noch die Enteignung zugelassen, womit zum Unterschied zu den vorgenannten bloßen Benutzungsrechten, die durch jede vom Eigentümer vorgenommene nicht schikanöse Aenderung in der Bestimmung des belasteten Eigentums zunichte gemacht werden können, ein dauernder Rechtserwerb verbunden ist. Die Möglichkeit der Enteignung hat insbesondere für die stabilen Einrichtungen der elektrischen Starkstromleitungen (Transformatorenhäuschen, komplizierte Ueberbrückungen von Straßen, Flußläufen u. dergl.) große Bedeutung, während für die mehr veränderlichen Leitungsbestandteile ein labileres Benutzungsrecht ohne Notwendigkeit dauernden Rechtserwerbes vollauf genügt.

Was nun den Inhalt der zulässigen Benutzungsrechte anlangt, so handelt es sich im Telegraphenwegerechte um die Gestattung, Telegraphensäulen und andere Objekte auf fremdem Grund oder auf den Verkehrswegen aufzustellen, sowie die Drähte und Kabel im Luftraum oder unterirdisch führen zu dürfen. Als Telegraphen sind in der Regel alle zur Nachrichtenvermittlung mittels Elektrizität dienenden Einrichtungen verstanden. In manchen Gesetzgebungen werden diese dem Staatstelegraphen eingeräumten Benutzungsrechte auch rechtmäßig bestehenden[236] Privattelegraphenanlagen (manchmal unter Voraussetzung ihrer Gemeinnützigkeit oder hervorragenden wirtschaftlichen Bedeutung) zuerkannt. Für die Errichtung und Instandhaltung von Starkstromanlagen werden meist dieselben Benutzungsrechte zugestanden, manchmal unter Ausschluß gewisser den Schwachstromleitungen zugänglichen Objekte, z. B. der Gebäude und der Führung durch den Luftraum über denselben. Für die Herstellung und Errichtung der Erzeugungsstätten (Zentralen) sorgen Wasserrechtsgesetze oder allgemeine Enteignungsgesetze vor. Für Eisenbahnleitungen bieten in aller Regel die Bestimmungen über die eisenbahnrechtliche Enteignung die entsprechenden Handhaben.

Weitere Bestimmungen der Elektrizitätswegegesetze betreffen die Auseinandersetzung mit schon vorhandenen Anlagen (Bahnen, diverse Leitungen, auch elektrische Leitungen). Diesfalls gehen die Gesetzgebungen hauptsächlich von zwei Prinzipien aus. Man kann das Prinzip der Priorität zugrunde legen, wonach die jüngere Leitung jede Beeinträchtigung oder Betriebsstörung der begehenden älteren Leitung vermeiden, die Kosten der Schutzvorkehrungen, ob sie nun an der jüngeren oder älteren, oder an beiden Leitungen anzubringen sind, tragen muß und eine Verlegung der älteren Leitung nur unter den im Gesetz bestimmten Voraussetzungen, insbesondere bei sonstiger Unmöglichkeit der neuen Anlage, verlangen kann (Deutsches Telegraphenwegegesetz 1899 und älteres Schweizer Gesetz 1889). Von anderen Gesichtspunkten dagegen läßt sich das Prinzip der technischen Zweckmäßigkeit und der billigen Aufteilung der Kosten leiten (Neues Schweizer Gesetz 1902); danach hat die Durchführung der Sicherungsmaßnahmen in der für alle zusammentreffenden Anlagen zweckmäßigsten Weise zu erfolgen, die Kosten aber sind gemeinsam zu tragen und nach einem im voraus bestimmten Verhältnis – beim Zusammentreffen mehrerer Starkstromleitungen miteinander oder mit privaten Schwachstromleitungen im Verhältnis der wirtschaftlichen Bedeutung der zusammentreffenden Anlagen – aufzuteilen. Der Vorteil des Prioritätsprinzips ist seine Klarheit, der Vorteil des zweitgenannten Prinzips die technische und wirtschaftliche Zweckmäßigkeit, wobei allerdings die Unbestimmtheit des Repartitionsschlüssels bei der Kostenaufteilung manchmal Schwierigkeiten bereiten dürfte.

Ein andrer wichtiger Komplex von Fragen ergibt sich schließlich daraus, daß die Gemeinden nach dem bisherigen Rechtszustand meist ein unbeschränktes Verfügungsrecht über ihre Verkehrswege hatten und infolgedessen in der Lage waren, entweder selbst monopolistische Anlagen zur Abgabe elektrischer Energie gewerbsmäßig zu betreiben, oder privaten Unternehmern solcher Anlagen die ausschließliche Benutzung der von ihnen verwalteten öffentlichen Verkehrswege zur Führung von Starkstromleitungen einzuräumen. Behufs Schonung der wirtschaftlichen Interessen der Gemeindewerke bezw. der vertragsmäßig erworbenen Ansprüche der von den Gemeinden ausschließlich privilegierten Unternehmungen müssen Einschränkungen der Benutzungsrechte der Starkstromleitungen an Gemeindewegen vorgenommen werden, da sonst die nachträgliche, durch ein Elektrizitätswegegesetz herbeigeführte Aenderung des Rechtszustandes eine Erschütterung der finanziellen Balis dieser Werke bewirken könnte. Nach dem österreichischen Entwurf haben demgemäß die Gemeinden das Recht, die Benutzung ihrer Verkehrswege solchen Starkstromanlagen zu untersagen, welche elektrische Energie entgeltlich an Dritte im Gemeindegebiet abgeben, wobei allerdings dieses Untersagungsrecht auf die Dauer von 60 Jahren nach Inbetriebsetzung der kommunalen Anlage oder auf die Dauer des die ausschließliche Straßenbenutzung regelnden Uebereinkommens eingeschränkt ist. Nach dem Schweizer Gesetze können die Gemeinden zum Schütze ihrer berechtigten Interessen das Recht zur Mitbenutzung ihres öffentlichen Eigentums für Einrichtungen zur Abgabe elektrischer Energie innerhalb der Gemeinde verweigern oder an beschränkende Bestimmungen knüpfen, wogegen binnen 20 Tagen an den Bundesrat rekuriert werden kann, welch letzterer endgültig entscheidet.

Götzinger.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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