Gestütsanlagen

Gestütsanlagen

Gestütsanlagen, Anstalten zur Pferdezucht. Man unterscheidet Staats- und Privatgestüte. Erstere betreiben entweder die Pferdezucht unmittelbar (Hauptgestüte) oder sie befördern nur die Pferdezucht mittelbar durch Errichtung von Hengstdepots (Landgestüte), in denen eine größere Zahl guter Hengste, der Landbeschäler, aufgestellt wird. Durch diese werden gegen Entrichtung von Deckgebühren die Stuten des Privatbesitzers gedeckt.

Die im Mittelalter hoch entwickelte Pferdezucht Deutschlands wurde durch den Dreißigjährigen Krieg vernichtet. Später wurde sie wieder durch Gründung der Staatsgestüte neu belebt, in Preußen namentlich durch Schöpfung des weltberühmten Hauptgestütes Trakehnen in Ostpreußen und des Friedrich-Wilhelm-Gestüts in Neustadt a. Dosse, beide Schöpfungen des Königs Friedrich Wilhelm I. Diese Gestüte waren anfangs Hofgestüte; sie übten einen Einfluß auf die Landespferdezucht erst nach Befreiung des Bauernstandes und Ueberweisung der Gestüte an das Land. Zweck dieser Maßregel war damals, im ganzen Lande tüchtige und ausdauernde Kavalleriepferde zu züchten, was auch in hohem Grade gelungen ist. Gegenwärtig wird auf Züchtung von Gebrauchspferden aller Art, je nach Bedarf unter Berücksichtigung der eigenartigen, namentlich der landwirtschaftlichen Verhältnisse der umliegenden Landschaft gehalten. In den Hauptgestüten werden die Beschäler für die Landgestüte und die Stuten für den eignen Bedarf gezüchtet. Alle hierzu nicht geeigneten Tiere werden zu bestimmten Jahreszeiten meistbietend verkauft. Durch Ankauf vorzüglicher Pferde wird für Erneuerung des Blutes in den Hauptgestüten gesorgt.

1. Hauptgestüt. Die drei Hauptgestüte Preußens, Trakehnen in Ostpreußen, Beberbeck in Heften und Graditz in Sachsen, sind nicht nach einheitlichem Plan neu entstanden, sondern sie haben sich allmählich aus bescheidenen Anfängen entwickelt. Ueberall wird die Pferdezucht in Verbindung mit Landwirtschaft betrieben, die vorzugsweise bezweckt, das Futter für die Pferde einschließlich der Milch für die Fohlen im eignen Betriebe zu gewinnen und große Weideflächen zu unterhalten. Deshalb tragen die Vorwerke der Hauptgestüte den Charakter[453] landwirtschaftlicher Gehöfte. Trakehnen wird in zwölf, Graditz in drei und Beberbeck in zwei Vorwerken bewirtschaftet. – Die Einrichtung eines Hauptgestütes erfordert: 1. Muttergestüte (in Trakehnen fünf Vorwerke). Dort stehen die Mutterstuten, findet das Abfohlen statt und bleiben die Fohlen ein Jahr; sodann kommen sie 2. in die Stut- oder Hengstfohlenställe; dort werden sie mit 31/2 Jahren ausgemustert, worauf sie 3. in feste Stände kommen und geritten werden; dazu sind erforderlich 4. Reitbahnen, die auch zum Decken der Stuten benutzt werden. Bei der Ausmusterung werden die zu Beschälern oder Mutterstuten geeigneten Tiere zurückgestellt, die übrigen werden nach Auswahl der Pferde für den kaiserlichen Marstall an Private versteigert. Hierzu kommen: 5. Wohnungen für das Beamtenpersonal und 6. größere Weideplätze mit leichten Stallungen für den Sommeraufenthalt der Pferde (sogenannte Paddocks).

Die Anordnung der Gehöfte wird durch das Beispiel Fig. 1, Gestütsvorwerk Gurdszen, erläutert. Die Gebäude umschließen ein längliches Viereck, dessen eine Schmalseite die Wohnung des Vorstehers einnimmt und das übrigens von Gestütsgebäuden – in diesem Falle einem Stutenstall und landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden – umschlossen wird. Eigentümlich sind die auf allen Vorwerken des Hauptgestüts Trakehnen wiederkehrenden Laufgärten. Zwei konzentrische kreisförmige Zäune aus starken Eichenpfosten und doppelter Verriegelung umschließen einen Ring von 6 m Breite, in dem die jungen Pferde, namentlich im Winter, getummelt werden. Der innere kreisförmige Raum ist für die tragenden Stuten bestimmt, und die Zwickelflächen werden teils mit Tannengebüsch bepflanzt, teils liefern sie Weideplätze für lahme und kranke Pferde. Im Sommer werden die Pferde auf freien Weideplätzen getummelt.

1. Die Ställe der Mutterstuten sind Laufställe in einzelnen Abteilungen von etwa 12–14 m im Geviert für je zehn bis zwölf Stuten, so daß auf die Stute 15 bis 16 qm zu rechnen sind. Die Scheidewände sind mit Krippen besetzt. In eine Abteilung werden Stuten ungefähr gleicher Abfohlzeit gebracht. Wenn das Abfohlen beginnt, wird in einer Ecke des Laufstalles eine Box mit beweglichen Hürden abgeteilt. Nach einigen Tagen geht die Mutterstute mit ihrem Fohlen wieder frei im Stall umher. Die Bauart ist die einfachste. Es sind lange Ställe, etwa 12–15 m tief, mit massiven Wänden, Ziegeldach, 1,3 m hohen Drempeln. Zu jeder Abteilung führt eine 2,5 m breite, 3,5 m hohe Tür; die Fenster, 1 m hoch, 1,3 m breit, liegen dicht unter der Decke. Die Stallabteilungen sind untereinander durch Türen unmittelbar an der hofseitigen Wand verbunden. Die Decken sind freitragend, ohne Mittelstützen, herzustellen. Die Fußböden bestehen überall aus Beton. Für kräftige Lüftung ist zu sorgen.

2. Ställe für ein- bis dreijährige Fohlen sind von den Stutenställen nicht verschieden, doch kann man in eine Abteilung von 150–200 qm etwa 20 Fohlen bringen.

3. Ställe mit festen Ständen für drei- bis vierjährige Pferde erhalten 1,7 m Standbreite (über ihre sonstige Einrichtung s. Pferdeställe). Die Hauptbeschäler stehen in Boxen mit kräftigen, hohen, hölzernen Doppelwänden, oberer eiserner Vergitterung und eisernen emaillierten Krippenschüsseln.

4. Die in Hauptgestüten vorkommenden Reitbahnen dienen nicht zur Pferdedressur sondern sie bezwecken, die Pferde an Zaum und Sattel zu gewöhnen, sie zu longieren und ihnen Bewegung zu machen. Die Reitbahnen in Trakehnen haben die Grundmaße 14 : 15 m in einem Fall 11 : 23 m, bei 5 m Höhe. Man hat es für zulässig gehalten, Mittelpfosten darin aufzuhellen. – In den Reitbahnen sind Vorrichtungen für das Decken der Stuten, die sogenannten Probierstände, vorhanden. Da die Hauptbeschäler Tiere von hohem Werte sind, dürfen sie nicht der Gefahr ausgesetzt werden, durch die Stuten abgeschlagen und dabei schwer verletzt zu werden. Darum bringt man sie zum Anreizen der Stute zunächst neben diese, durch eine Schutzwand von ihr getrennt. In Trakehnen sind zu diesem Zweck Lattierbäume mit daran beteiligten Matratzen frei an der Decke aufgehängt.

5. Das Beamtenpersonal besteht in Trakehnen, einem Hauptgestüt von etwa 1100 Köpfen aus 1 Landstallmeister, 1 Kassenrendanten, 1 Wirtschaftsdirigenten, 1 Oberroßarzt, 1 Gestütsarzt 1 Gestütsinspektor, 1 Gestütssekretär, 1 Gestütsaufseher, 1 kommissarischen Gestütsroßarzt, 1 Oberstutmeister, 4 Sattelmeistern, 1 Schleusenmeister, 4 Futtermeistern, 1 Stutmeister. Das Wärterpersonal besteht aus 1 Oberwärter, 5 Hauptbeschälwärtern, 12 Hengst- und Stuthirten, 21 Stutwärtern (davon etwa die Hälfte verheiratet), 9 Fohlenwärtern, 20–40 Mietswärtern. – Bei junger Pferden in Laufställen rechnet man auf 20 Tiere (bei Pferden in festen Ständen auf je 3–4 Pferde) 1 Wärter. Diese werden, wenn sie verheiratet sind, ähnlich wie ländliche Arbeiter untergebracht (s. Arbeiterwohnhäuser, ländliche).

6. Roßgärten, Pferdekoppeln, Gehege oder Paddocks sind größere eingehegte Weideplätze, auf denen die Pferde in größeren Herden, jeder Jahrgang in besonderer Abteilung während der besseren Jahreszeit sich frei bewegen können; das ist notwendig zur Beförderung ihrer gefunden Entwicklung und ihrer Abhärtung. Die Einfriedigungen werden aus eingegrabenen Pfosten und. doppelter Verriegelung aus Stangen oder mit zwei Harken Drähten bezogen[454] hergestellt. Zum Schutz bei schlechter Witterung dienen leichte Sommerställe, aus runden, in die Erde eingegrabenen Pfählen, gestülpter Brettschalung und Rohrdach hergestellt. Die vier Abteilungen für verschiedene Jahrgänge sind durch 1 m hohe Kriechtüren für den Wärter verbunden. Ein umfriedigter Umgang gestattet dem Wärter, von außen von Tür zu Tür zu gelangen, ohne die Zäune der einzelnen Abteilungen des Roßgartens zu übersteigen. Durch die geöffnete Stalltür wird der Umgang geschlossen. An geeigneter Stelle werden Haferkrippen angebracht.

II. Landgestüte sind in der Hauptsache Hengstdepots. Die Landbeschäler werden während der Deckzeit zum großen Teil auf Stationen im Bezirk des Landgestütes verteilt. Zum Betriebe eines Landgestütes gehören: 1. der Hengststall; 2. die Wohnhäuser der Beamten, und zwar: a) des Vorstehers, b) des Rechnungsführers, c) der Sattelmeister, d) des Marketenders, e) der Wärter; 3. der Krankenstall; 4. der Klepperstall.

Ein mustergültiges Landgestüt ist in den Jahren 1884/85 auf Vorwerk Kreuz bei Halle a. S. neu erbaut worden. Es ist in Fig. 2 im Lageplan dargestellt, Fig. 3 veranschaulicht den Hengststall im Grundriß und Durchschnitt. Das Gestütsvorwerk liegt auf einer Hochebene, unmittelbar an dem steil abfallenden linken Saaleufer. Der große Hengststall für 114 Landbeschäler besteht aus einem Langhause und zwei kurzen Flügeln. In dem Langhause stehen 88 Beschäler in festen Kastenständen von 1,85 m Breite. Die wertvolleren Hengste sind in den Boxen der Flügel untergebracht. Sämtliche Eingänge sind durch Windfänge gegen Zugwind geschützt. Oestlich von dem Stall liegt der große Reitplatz, auf dem die Hengste täglich stark geritten werden.

Dienstwohnungen sind vorhanden: 1. Für den Vorsteher. Dieser kann von seiner Wohnung den Reitplatz und den Hauptzugang zum Hengststall übersehen. Die Wohnung besteht aus acht Zimmern, einigen Kammern und den nötigen Wirtschaftsräumen. 2. Die Wohnung des Rechnungsführers liegt an dem Wege von dem Haupteingangstor nach dem Stall. Sie enthält fünf Stuben, zwei Kammern und Wirtschaftsräume; zum Dienstgebrauch sind vorhanden eine Schreibstube, Aktenkammer und der Tresor. 3. Der Sattelmeister erhält fünf Stuben und Nebenräume. 4. Der Marketender hat die Speiseanstalt für die unverheirateten Wärter zu verwalten; für seine Familienwohnung sind ihm zwei Zimmer und eine Kammer überwiesen. Im Zusammenhange mit der geräumigen Küche, Back- und Waschanstalt steht der Speisesaal. 5. Für unverheiratete Geslütswärter stehen fünf Zimmer von je 25 qm, eins desgleichen zu 46 qm zur Verfügung. Die Räume zu 3.–5. sind in einem Gebäude untergebracht. Für verheiratete Gestütswärter sind vier Wohnhäuser zu je vier Familien vorhanden. Jede Wohnung besteht aus einer Stube, einer Kammer, einer Küche und Speisekammer, dazu einer Dachkammer und kleinem Keller. – Der Krankenstall enthält acht Abteilungen für je ein krankes Pferd, die durch feste Wände voneinander getrennt sind, eine Futterkammer und eine Badeeinrichtung für Pferde. Das Wasserbecken ist 8 m lang, 3 m breit und hat an drei Seiten einen 60 cm breiten Umgang. Der Klepperstall hat vier Pferdestände und eine Box von der Ausdehnung zweier Stände, einen Wagenraum (5,5. 6,6 m), Kutscherstube, Schmiede, Beschlagraum und eine kleine Wohnung.


Literatur: [1] Frentzel, J P., Stutbuch des Königl. Hauptgestüts Trakehnen, Berlin 1878, nebst den beiden Nachträgen bearbeitet von H.E. v. Nathusius 1883 und U. Runge 1888. – [2] Stillfried-Rattonitz, Freih. H. v., Beiträge zu einem Gestütsbuch von Trakehnen, Berlin 1859. – [3] Graefe, Zur Geschichte des litauischen Landgestüts, Berlin 1862. – [4] Schwarz und Krocker,[455] Deutsches Gestütbuch, Berlin 1872. – [5] Frentzel, J.P., Ueber Landespferdezucht im Regierungsbezirk Gumbinnen, Berlin 1875. – [6] Stoeckel, C.M., Die Kgl. preußische Gestütsverwaltung und die preußische Landespferdezucht, Berlin 1890. – [7] Mentzel, E.O., Die Remontierung der preußischen Armee, Berlin 1845. – [8] Tiedemann, Ludwig v., Das landwirtschaftliche Bauwesen, Halle a. S. 1898. – [9] Rueff, A. v., Bau und Einrichtung der Stallungen und Aufenthaltsorte unsrer nutzbaren Haustiere, Stuttgart 1875. – [10] Schwartz, J. v., Das Kgl. preußische Hauptgestüt Graditz, Berlin 1870.

v. Tiedemann.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
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http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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