Haftpflicht [1]

Haftpflicht [1]

Haftpflicht. I. Allgemeines. Das Wort Haftpflicht wird vielfach in ganz verschiedenem Sinne angewandt. Irreführend ist, wenn von einer Haftpflicht des Architekten, des Technikers u.s.w. gesprochen wird, z.B. für Konstruktions- oder Rechenfehler u.s.w., die er begeht: für solche Fehler haftet er, weil er seinen Vertrag richtig und ordnungsmäßig auszuführen verpflichtet ist und diese Verpflichtung vorsätzlich oder fahrlässig verletzte. Ein andres aber ist, wenn z.B. ein Architekt für die in seiner Abwesenheit von seinem Bauführer getroffenen unrichtigen Anordnungen verantwortlich gemacht wird, wenn der Spediteur den Schaden vergüten soll, den sein Fuhrmann beim Ausführen der Waren an die Kunden etwa durch Umfahren einer städtischen Straßenlaterne oder ähnliches anrichtet und ähnliche Fälle mehr. Ueber diese Haftpflicht im engeren, eigentlichen Sinn enthalten[749] Reichs- und Landesgesetze eine große Reihe von Bestimmungen, welche im folgenden aufgezählt und kurz besprochen werden sollen. Haftpflicht im eigentlichen Sinne liegt vor, wenn jemand, ohne daß ihn an der schadenstiftenden Handlung selbst ein Verschulden trifft, trotzdem verpflichtet ist, den Schaden, welchen seine Leute oder Sachen (Tiere) anrichten, aus eigner Tasche zu vergüten.

Einen Kardinalunterschied macht das Bürgerliche Gesetzbuch bei Behandlung der Haftpflichtfälle hinsichtlich der Frage, ob der in Anspruch Genommene zum Verletzten in einem Vertragsverhältnis steht (im ersten der obigen Beispiele ist der Architekt aus dem Bauvertrag der »Schuldner« des Bauherrn hinsichtlich der Erstellung des Baus) oder nicht (der Spediteur im zweiten Beispiel). Im ersteren Fall bestimmt der § 278 B.G. B., daß der »Schuldner« ein Verschulden der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient (in obigem Beispiel der Bauführer), in gleichem Umfang zu vertreten habe wie eignes Verschulden, mit andern Worten: der Meister, der Prinzipal hat, wenn sein Angestellter oder Geselle vorsätzlich oder fahrlässig dem Besteller u.s.w. einen Schaden zufügt, unweigerlich für diesen Schaden aufzukommen, ohne daß ihm irgendein Entschuldigungsbeweis gestattet wäre (abgesehen vom eignen Verschulden des Verletzten, worüber unten Näheres). Auch im zweiten Fall, wenn der Prinzipal nicht ein »Schuldner« des Verletzten ist (wie in obigem Beispiel der Spediteur der Stadt gegenüber), ist er gemäß § 831 B.G. B, dennoch zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den sein Angestellter in Ausführung der ihm übertragenen Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Aber in diesem zweiten Fall kann der Prinzipal sich der Ersatzpflicht entschlagen, wenn er den Beweis erbringt, daß er bei der Auswahl des Angestellten die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet habe; die weiteren Bestimmungen des § 831 B.G. B, sind praktisch weniger wichtig. Daraus folgt, daß bei Anstellung von Fuhrleuten und ganz besonders von Chauffeuren, aber auch von Markthelfern, Hausknechten und sonstigen Gehilfen aller Art eine viel größere Vorsicht als seither dringend geboten ist, da die Gerichte diesen sogenannten »Exkulpationsbeweis«, daß der Prinzipal bei Anstellung des Gehilfen die erforderliche Sorgfalt habe walten lassen, gar nicht leicht nehmen. Insbesondere macht es die Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu einem sehr gefährlichen Unternehmen, vorbestrafte Leute einzustellen – ein äußerst bedauerlicher Kontrast gegen die von allen Seiten unterstützten Bestrebungen der Vereine zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene!

Noch einige andre, speziellere aber praktisch darum doch sehr wichtige und einschneidende Haftpflichtfälle hat das Bürgerliche Gesetzbuch statuiert, so in § 832 dahin, daß, wer kraft Gesetzes oder Vertrags zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, zum Ersatz des von der zu beaufsichtigenden Person einem Dritten widerrechtlich zugefügten Schadens – wohlgemerkt: aus eigner Tasche! – verpflichtet sei. Der Vater, Vorm- und, Lehrmeister, Erzieher, Krankenwärter u.s.w. kann sich aber von seiner Haftpflicht befreien durch den von ihm zu erbringenden Nachweis, daß er seiner Aufsichtspflicht genügt habe oder daß der Schaden trotz genügender Aufsicht eingetreten wäre. Zu beachten ist auch hier die Umkehrung und damit Erschwerung der Beweislast: nicht der den Anspruch Erhebende muß die Verschuldung des in Anspruch Genommenen beweisen, sondern diese Verschuldung wird insolange präsumiert, als nicht der in Anspruch Genommene seine Schuldlosigkeit beweist! Der am allertiefsten einschneidende und am meisten angefochtene Haftpflichtfall des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist der sogenannte »Tierschaden« des § 833: Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Schadenersatzpflicht tritt also ein ohne irgendein, auch das allerleichteste Verschulden; die Tatsache allein, daß der Bauer eine Kuh, der Fuhrmann ein Pferd, das alte Fräulein eine Katze oder einen Kanarienvogel besitzt, genügt, den Besitzer gegebenenfalls um Hab und Gut zu bringen, wenn das Tier Schaden anrichtet! Wegen dieser fast ungeheuerlichen Folgen schweben denn auch zurzeit Verhandlungen über Einschränkung der Tierschadenhaftpflicht bei den gesetzgebenden Faktoren des Deutschen Reichs. Im übrigen hat die Anwendung und Auslegung dieses verunglückten Paragraphen zu einer so umfangreichen und ins Detail gehenden Literatur und Judikatur geführt, daß, weil einige allgemeine Schlagsätze mehr Schaden als Nutzen stiften, von einem näheren Eingehen besser ganz abgesehen wird und dem Leser nur der dringende Rat gegeben werden kann, gegen Tierschaden jedenfalls Haftpflichtversicherung zu nehmen; die §§ 843–845 und 847 B.G. B, geben ein scharfes Bild von dem Risiko, welchem ein Tierbesitzer gemäß § 833 ausgesetzt ist.

Harmloser für den Techniker ist die Haftpflicht des Jagdberechtigten für Wildschaden, die in § 835 B.G. B, des Näheren geregelt ist; dagegen wieder viel wichtiger die Haftung des gegenwärtigen und des früheren Grundbesitzers im Falle des § 836, wenn nämlich durch den Einsturz eines Gebäudes oder eines andern mit einem Grundstück verbundenen Werks (z.B. einer Mauer, eines Leitungsmastes oder ähnliches) oder durch die Ablösung von Teilen des Gebäudes oder des Werks ein Mensch getötet oder verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Auch hier muß der gegenwärtige Besitzer zahlen, wenn der Einsturz u.s.w. die Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung ist, und kann sich der Ersatzpflicht nur durch den von ihm zu erbringenden Nachweis – auch hier die schon oben erwähnte Umkehrung der Beweislast! – entschlagen, daß er zum Zweck der Abwendung der Gefahr die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. Ein früherer Besitzer haftet – eventuell solidarisch neben dem jetzigen Besitzer – für den Schaden, wenn der Einsturz u.s.w. innerhalb eines Jahres[750] nach der Beendigung seines Besitzes eintritt, und kann sich auch nur in gleicher Weise, wie für den gegenwärtigen Besitzer oben ausgeführt, exkulpieren. Dieselbe Haftung wie aus § 836 den gegenwärtigen und eventuell früheren Besitzer trifft nach § 837 B.G. B, denjenigen, der auf einem fremden Grundstück ein Gebäude oder andres Werk besitzt, und unter Umständen den Nutzungsberechtigten gemäß § 838.

Ein Haftpflichtfall ist auch darin gegeben, daß in einer Reihe von deutschen Bundesstaaten, übrigens in einer unter sich abweichenden Regelung der Detailbestimmungen, an Stelle des seine Amtspflicht verletzenden Beamten dem Geschädigten gegenüber der Staat bezw. die Gemeinde und andre Kommunalverbände die Schadenersatzpflicht übernehmen.

Als allgemein wichtig ist noch besonders hervorzuheben die Vorschrift des § 254 in Verbindung mit § 846 B.G. B., die dahin geht, daß, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitwirkte, die Verpflichtung zum Ersatz überhaupt sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes insbesondere davon abhängt, inwieweit der Schaden von dem einen oder dem andern Teil verursacht worden ist. Wenn also der Haftpflichtige den Nachweis erbringt, daß der Verletzte seinerseits die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen habe, so hat das Gericht die Befugnis, den Schadenersatzanspruch des Verletzten nur zu einem Halben oder einem Drittel – je nach Umfang und Schwere der Fahrlässigkeit des Verletzten – für begründet zu erklären und den Haftpflichtigen demgemäß nur zur Zahlung von einem Halben oder einem Drittel des an sich gegebenen Schadenersatzanspruchs zu verurteilen. Ist die Fahrlässigkeit des Verletzten allein ausschlaggebend gewesen für den eingetretenen Erfolg, so hat das Gericht den Verletzten ganz abzuweisen, auch wenn an und für sich, z.B. in einem Tierschadenfall, eine Ersatzpflicht des Haftpflichtigen vorläge. Anzufügen ist jedoch, daß nach § 828 B.G. B, ein Kind unter 7 Jahren jeglicher Verschuldung unfähig und für einen von ihm gestifteten Schaden nicht verantwortlich ist. Läuft also z.B. ein solches Kind noch so grob fahrlässig in die Fahrtrichtung eines Straßenbahnwagens hinein oder reizt ein solches Kind z.B. einen Hund oder ein Pferd und wird von diesem gebissen oder geschlagen: einerlei, die Straßenbahn, der Tierhalter müssen zahlen – eine wenig befriedigende, aber vom Reichsgericht wiederholt gezogene Konsequenz!

Ganz außer acht gelassen sind in vorstehendem der § 823 B.G. B., welcher von der vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzung, Sachbeschädigung u.s.w. handelt, und die damit in Zusammenhang stehenden Bestimmungen.


Literatur: Jahrbuch des deutschen Rechts, herausgegeben von Neumann, Berlin (bisher 4 Bände); vgl. ferner die Literatur auf S. 752.

Sick.

II. Reichshaftpflichtgesetz (Gesetz, betreffend die Verbindlichkeit zum Schadenersatz für die. bei dem Betriebe von Eisenbahnen, Bergwerken u.s.w. herbeigeführten Tötungen und Körperverletzungen) vom 7. Juni 1871, Reichsgesetzblatt, S. 207, abgeändert durch § 13 Abs. 2 Ziff. 3 des Reichsgesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozeßordnung vom 30. Januar 1877, Reichsgesetzblatt, S. 244 (Aufhebung des § 6), und Art. 42 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. August 1896, Reichsgesetzblatt, S. 604 (Abänderung der 3, 5, 7 bis 9) [1]: »Wenn bei dem Betrieb einer Eisenbahn ein Mensch getötet oder körperlich verletzt wird, so haftet der Betriebsunternehmer für den dadurch entstandenen Schaden, sofern er nicht beweist, daß der Unfall durch höhere Gewalt oder durch eignes Verschulden des Getöteten oder Verletzten verursacht ist« (§ 1). Der Beschädigte bezw. dessen Rechtsnachfolger braucht also seinerseits nicht etwa nachzuweisen, daß den Betriebsunternehmer ein Verschulden trifft. Die Bestimmungen des Gesetzes finden Anwendung nicht nur auf die Eisenbahnen im engeren Sinne, sondern auf alle Eisenschienenstraßen, sofern sie für den öffentlichen Verkehr bestimmt sind. Gleichgültig ist, wer der Unternehmer ist und mit welcher Betriebskraft die Eisenbahn betrieben wird. Es unterliegen also Staats- wie Privatbahnen, Lokomotiv- (Dampfkraft-) wie elektrische, Drahtseil- oder Pferdebahnen u.s.w. dem Haftpflichtgesetz. Nur muß es sich immer um einen Transport mittels Eisenschienen handeln. Der Transport auf Schienen aus anderm Material als Eisen (z.B. aus Stein oder Holz) oder mit Beförderungsmitteln, die nicht auf Schienen laufen (Automobile, Fahrräder, Straßenlokomobilen u. dergl.), fällt nicht unter den § 1. Eisenbahnen, die nicht dem öffentlichen Verkehr dienen, insbesondere die unterirdischen Eisenbahnen und solche Bahnen, die integrierende Bestandteile gewerblicher Anlagen (Fabriken, Bergwerke, Hütten) bilden, sind von der Anwendung des Gesetzes ausgeschlossen. Den Schutz des Gesetzes genießt jeder Mensch, der Eisenbahnfahrgast wie der Angestellte der Bahn, der Vorübergehende oder Vorüberfahrende wie der sonst mit der Eisenbahn in Berührung Gekommene. Jedoch muß der Unfall in ursächlichem Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb und den ihm eigentümlichen Gefahren stehen. – »Wer ein Bergwerk, einen Steinbruch, eine Gräberei (Grube) oder eine Fabrik betreibt, haftet, wenn ein Bevollmächtigter oder ein Repräsentant oder eine zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes oder der Arbeiter angenommene Person durch ein Verschulden in Ausführung der Dienstverrichtungen den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt hat, für den dadurch entstandenen Schaden« (§ 2). Bauunternehmungen fallen ebensowenig unter die Bestimmungen des Gesetzes wie Handwerksbetriebe. Zur Begründung des Anspruchs muß der Beschädigte im Gegensatz zu den Fällen des § 1 außer der Tatsache der Beschädigung vor allem das Verschulden einer der in § 2 bezeichneten Personen nachweisen (ein Nachweis, der nicht selten schwer zu erbringen sein wird). In diesem Fall haftet der Betriebsunternehmer auch dann, wenn ihn selbst keine Schuld trifft. Voraussetzung der Haftpflicht ist sodann, daß die Beschädigung mit der eigentümlichen Gefährlichkeit des Betriebs in einem ursächlichen Zusammenhang steht; es genügt also nicht die bloße Beschädigung bei Gelegenheit des Betriebs. Auf eignes Verschulden des Unternehmers einer Fabrik u.s.w. bezieht sich die Bestimmung des § 2 nicht. Ein Schadenersatzanspruch auf Grund des eignen Verschuldens des Unternehmers, also nicht auf Grund desjenigen der[751] in § 2 bezeichneten Personen könnte nicht auf § 2 des Reichshaftpflichtgesetzes, sondern nur auf sonstige entsprechende Bestimmungen (Bürgerliches Gesetzbuch, Gewerbeordnung u.s.w.) gestützt werden. – Nach § 9 des Gesetzes bleiben die reichsgesetzlichen Vorschriften, nach denen außer den im Reichshaftpflichtgesetz vorgesehenen Fällen der Unternehmer einer in den §§ 1 und 2 bezeichneten Anlage oder eine andre Person, insbesondere wegen eines eignen Verschuldens, für den bei dem Betrieb der Anlage durch Tötung oder Körperverletzung eines Menschen entstandenen Schaden haftet, unberührt. – Der Schadenersatz (§§ 1 und 2) ist nach näherer Bestimmung der §§ 3, 3a, 4 und 7 zu gewähren: Im Fall der Körperverletzung ist Ersatz der Heilungskosten und des durch die verursachte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit oder Vermehrung der Bedürfnisse erlittenen Vermögensnachteils zu gewähren; im Fall der Tötung ist außerdem Ersatz der Beerdigungskosten und Entschädigung an die auf Grund gesetzlicher Verpflichtung unterhaltenen Personen zu leisten. – Die Anwendung der Haftpflichtbestimmungen kann von den Unternehmern nicht zu ihrem Vorteil durch Verträge (mittels Reglements oder durch besondere Uebereinkunft) im voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden. Entgegenstehende Vertragsbestimmungen haben keine rechtliche Wirkung (§ 5). – Die Forderungen auf Schadenersatz verjähren in zwei Jahren von dem Unfall an (§ 8). – Die Haftpflicht der Unternehmer gegenüber ihren Arbeitern und Betriebsbeamten, wie sie nach dem Reichshaftpflichtgesetz bestehen würde, ist durch die Unfallversicherungsgesetze sehr wesentlich eingeschränkt worden. Näheres s. unter V. Nichtsdestoweniger ist, zumal bei der stetigen Zunahme des Bahnverkehrs, die Bedeutung des Reichshaftpflichtgesetzes, das vor allem auf die Betriebsunfälle des reisenden Publikums und der nicht der Unfallversicherung unterliegenden, Fabriken oder Bergwerke betretenden Personen nach wie vor volle Anwendung findet, auch jetzt noch eine sehr große.

III. Besondere landesgesetzliche Bestimmungen. Der § 1 des Reichshaftpflichtgesetzes bezieht sich nicht auf den Ersatz eines bei dem Eisenbahnbetrieb entstandenen Sachschadens. Auch nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs haftet der Eisenbahnunternehmer für den bei dem Betrieb entstandenen Sachschaden abgesehen von vertragsmäßiger Haftung nur bei nachgewiesenem Verschulden. Dabei hat er zwar auch für die widerrechtliche Schadenszufügung durch seine Angestellten einzustehen, er kann aber diese Haftung durch den Beweis, daß er bei der Auswahl oder Ueberwachung der Angestellten die erforderliche Sorgfalt beobachtet habe, abwenden (§§ 823, 831 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Art. 105 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch läßt nun die landesgesetzlichen Vorschriften unberührt, nach welchen der Unternehmer eines Eisenbahnbetriebs oder eines andern mit gemeiner Gefahr verbundenen Betriebs für den aus dem Betrieb entstehenden Schaden in weiterem Umfang als nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs verantwortlich ist, läßt also eine Verschärfung der reichsgesetzlichen Haftung durch das Landesrecht zu. Von dieser Befugnis hat ein großer Teil der deutschen Staaten, wie Preußen, Bayern, Württemberg, Hessen, die thüringischen Staaten, Lübeck und Braunschweig, Gebrauch gemacht, davon ausgehend, daß das Bürgerliche Gesetzbuch gegen Sachbeschädigungen durch den Eisenbahnbetrieb einen ausreichenden Schutz nicht gewährt, die Zunahme des Eisenbahn- und Straßenverkehrs aber das Bedürfnis nach einem größeren gesetzlichen Schutz zu einem dringenden macht. Die Mehrzahl der hiernach ergangenen Landesgesetze schließt sich an das Reichshaftpflichtgesetz an und macht den Eisenbahnunternehmer für den bei dem Betrieb der Eisenbahn entstehenden Sachschaden haftbar, sofern er nicht höhere Gewalt oder eignes Verschulden' des Begnadigten nachweisen kann. Im einzelnen zeigen die Landesgesetze verschiedene Abweichungen voneinander.

IV. Haftpflicht der Automobilfahrer. Auf Automobile, soweit sie nicht an ein Eisenbahngleis gebunden sind, finden, wie oben ausgeführt, die Bestimmungen des Reichshaftpflichtgesetzes keine Anwendung. Für sie gelten – zumal auch landesrechtliche, auf Grund des Art. 105 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch erlassene Bestimmungen bisher fehlen – die allgemeinen durch das Bürgerliche Gesetzbuch aufgestellten Grundsätze. Die bedeutende Zunahme des Automobilverkehrs und die damit Hand in Hand gehende Vermehrung der durch Automobile verursachten Unfälle lassen eine besondere Regelung um so mehr als notwendig erscheinen, als der Nachweis eines Verschuldens bei den durch Automobile verursachten Schäden häufig mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist (Raschheit, mit der sich die Vorgänge abspielen, Mangel an Zeugen u.s.w.) und solches in der Regel nur den Lenker des Fahrzeugs trifft, dessen Haftung für den Verletzten meist praktisch ohne Nutzen ist. Ein dem Reichstag neuerdings zugegangener Entwurf eines Gesetzes über die Haftpflicht für den bei dem Betriebe von Kraftfahrzeugen entstehenden Schaden, der die Haftpflicht der Automobil-(Kraftwagen- oder Kraftfahrräder-) Besitzer im Anschluß an die Bestimmungen des Reichshaftpflichtgesetzes über die Haftung beim Eisenbahnbetrieb regeln, übrigens auch die Haftung für Sachschaden umfassen will, soll hier Wandel schaffen.

V. Haftpflicht und Unfallversicherung [2]. Die Haftpflicht der Unternehmer gegenüber ihren Arbeitern und Betriebsbeamten, wie sie nach dem Reichshaftpflichtgesetz oder sonstigen gesetzlichen Vorschriften bestehen würde, ist durch die Unfallversicherungsgesetzgebung wesentlich eingeschränkt worden. An die Stelle der Einzelhaftung der Unternehmer ist die Entschädigungspflicht der Gesamtheit der in den Berufsgenossenschaften vereinigten Unternehmerschaft (Berufsgenossen) getreten (s. Unfallversicherung, Berufsgenossenschaften). Nur ausnahmsweise besteht noch eine Haftpflicht des einzelnen Unternehmers. Die bezüglichen Bestimmungen sind enthalten in den §§ 135 ff. des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes (Reichsgesetzblatt 1900, S. 585), §§ 146 ff. des Unfallversicherungsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft (ebendaselbst S. 641), § 45 ff. des Bauunfallversicherungsgesetzes (ebendaselbst S. 698) und §§ 133 ff. des Seeunfallversicherungsgesetzes (ebendaselbst S. 716) und sind im wesentlichen übereinstimmend.

[752] 1. Haftung des Unternehmers und seiner Beamten gegenüber dem Unfallverletzten und seinen Hinterbliebenen. Die nach Maßgabe der Unfallversicherungsgesetze versicherten Personen und ihre Hinterbliebenen können, auch wenn sie einen Anspruch auf Rente nicht haben, einen Anspruch auf Ersatz des infolge eines Unfalls erlittenen Schadens gegen den Betriebsunternehmer und seine Beamten nur dann geltend machen, wenn durch strafgerichtliches Urteil festgestellt worden ist, daß der in Anspruch Genommene den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. In diesem Falle beschränkt sich der Anspruch auf den Betrag, um welchen die den Berechtigten nach anderen gesetzlichen Vorschriften gebührende Entschädigung diejenige übersteigt, auf welche sie nach den Unfallversicherungsgesetzen Anspruch haben. Eine strafgerichtliche Feststellung ist nicht erforderlich, wenn dieselbe wegen des Todes oder der Abwesenheit des Betreffenden oder aus einem andern in seiner Person liegenden Grunde nicht erfolgen kann.

2. Haftung des Unternehmers und seiner Beamten gegenüber den Berufsgenossenschaften, Krankenkassen und sonstigen Unterstützungskassen, Gemeinden, Armenverbänden. Diejenigen Betriebsunternehmer und ihre Beamten, gegen welche durch strafgerichtliches Urteil festgestellt worden ist, daß sie den Unfall vorsätzlich oder durch Fahrlässigkeit mit Außerachtlassung derjenigen Aufmerksamkeit, zu der sie vermöge ihres Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet sind, herbeigeführt haben, haften für alle Aufwendungen, welche infolge des Unfalles auf Grund der Unfallversicherungsgesetze oder des Krankenversicherungsgesetzes von den Gemeinden, Armenverbänden, Krankenkassen und. sonstigen Unterstützungskassen gemacht worden sind. Als Ersatz für die Rente kann in diesen Fällen deren Kapitalwert gefordert werden. Die Feststellung durch strafgerichtliches Urteil ist nicht erforderlich, wenn die Feststellung wegen des Todes oder der Abwesenheit des Betreffenden oder aus einem andern in seiner Person liegenden Grunde nicht erfolgen kann, und sodann den Berufsgenossenschaften (nicht aber den Gemeinden, Armenverbänden, Kranken- und Unterstützungskassen) gegenüber. Die Genossenschaft ist übrigens befugt, von der Verfolgung ihres Anspruches abzusehen, wenn der Unfall durch Fahrlässigkeit herbeigeführt ist. Die Rückgriffansprüche verjähren in 18 Monaten von dem Tage, an welchem das strafgerichtliche Urteil rechtskräftig geworden ist, im übrigen in zwei Jahren nach dem Unfälle.

3. Haftung Dritter. Die Haftung Dritter, d.h. andrer Personen als der Betriebsunternehmer und ihrer Beamten (z.B. der Mitarbeiter des Verletzten, der Besucher einer Fabrik, der Angehörigen des Unternehmers u.s.w.) bestimmt sich nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften, und zwar sowohl gegenüber den Unfallverletzten und ihren Hinterbliebenen wie gegenüber den Berufsgenossenschaften. Insoweit aber den nach den Unfallversicherungsgesetzen entschädigungsberechtigten Personen ein gesetzlicher Anspruch auf Ersatz des ihnen durch den Unfall entstandenen Schadens gegen Dritte erwachsen ist, geht dieser Anspruch auf die Berufsgenossenschaft im Umfang ihrer durch die Unfallversicherungsgesetze begründeten Entschädigungspflicht über.

VI. Haftpflichtversicherung der Berufsgenossenschaften. Nach § 23 des Gesetzes betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze vom 30. Juni 1900, Reichsgesetzblatt S. 573, sind die Berufsgenossenschaften berechtigt, mit Genehmigung des Bundesrats Einrichtungen zur Versicherung der Betriebsunternehmer und der ihnen in bezug auf Haftpflicht gleichgestellten Personen gegen Haftpflicht zu treffen. Die Teilnahme an diesen Einrichtungen ist freiwillig. Die Versicherung kann sich nicht nur auf die aus den Unfallversicherungsgesetzen sich ergebende Rückgriffspflicht, sondern auch auf jede andre Art Haftpflicht, die nach Maßgabe der Gesetze in Frage kommt, also z.B. auch die Haftpflicht für Tiere erstrecken. Soweit es sich übrigens um Haftpflichtansprüche aus der reichsgesetzlichen Unfallversicherung handelt, darf bei der Einrichtung nicht mehr als zwei Drittel durch Versicherung gedeckt werden; das letzte Drittel bleibt zu Lasten des Unternehmers. Dieser Bestimmung lag die Erwägung zugrunde, daß dann, wenn eine Deckung des vollen Risikos durch Versicherung bei der Berufsgenossenschaft zugelassen würde, damit ein sehr wesentlicher Antrieb für die Unternehmer, Unfälle zu vermeiden, verloren ginge. Die Statuten für die Haftpflichtversicherungseinrichtung und deren Abänderung bedürfen der Genehmigung des Bundesrats. Die Berufsgenossenschaften unterliegen auch in bezug auf diese Einrichtung der Aufsicht des Reichsversicherungsamts.


Literatur: [1] Eger, Das Reichshaftpflichtgesetz, Kommentar, 6. Auflage, Hannover 1906, mit eingehender weiterer Literaturangabe, auch solcher über das außerdeutsche Haftpflichtrecht (auch bei der vorstehenden Abhandlung wurde, soweit Auslegung des Reichsgesetzes in Betracht kam, sich an Eger angeschlossen); Ders., Das Reichshaftpflichtgesetz, Textausgabe mit Anmerkungen, Berlin 1903; Laß und Maier, Haftpflichtrecht und Reichsversicherungsgesetzgebung, 2. Aufl., München 1902, S. 98 ff. – [2] Dies., a.a.O., S. 137 ff.; Dammer, Handbuch der Arbeiterwohlfahrt, Bd. 2, Stuttgart 1903, S. 226 ff.; Laß und Klehmet, Grundriß der deutschen Arbeiterversicherung (Sonderabdruck aus Dammer), Stuttgart 1903, S. 70 ff.; die Kommentare zu den Unfallversicherungsgesetzen.

Köhler.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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