Angorawolle

Angorawolle

Angorawolle, Kämelwolle (vom arabischen Chamal = Ziege, aber auch »zart«, »sein«), Kamelot, Mohair, Tiftik, fälschlich auch Kamelwolle genannt, eine seit alter Zeit (Moses II, 25,4 und 35,6) wegen ihrer bedeutenden Länge, Dauerhaftigkeit und ihres Seidenglanzes hochangesehene Spinnfaser, ist das Haarkleid der Angoraziege (Capra hircus angorensis L.), die auf den Höhen von Angora in Kleinasien gezüchtet wird. Gegenwärtig wird die Zucht auch im Kaplande und angeblich auch in Frankreich betrieben. Die Tiere werden zur Erhaltung der Schönheit des Vlieses in der heißen Jahreszeit öfters gewaschen und gekämmt und im April oder Mai geschoren [1], [2], da das Vlies im Sommer in großen Flocken ausfällt.

Die feinste Wolle flammt von einjährigen Ziegen; die der älteren Tiere wird auffallend grob und verliert stark an Wert; sechsjährige Tiere werden geschlachtet. Daraus erklärt sich,[196] daß im Handel sehr verschieden aussehende Qualitäten vorkommen. Die Primasorten bestehen größtenteils aus Haaren mit natürlichen Enden, sind also die Produkte der ersten Schur; die geringste führt den Namen Wickelwolle (pelotage oder pellotini). Dieser ist die persische Ziegenwolle im hohen Grade ähnlich. Ueber die Länge der Angorawolle gehen die Angaben weit auseinander. Es soll meterlange Haare geben, doch scheinen diese in unserm Handel nicht vorzukommen; die längsten von uns gemessenen Haare besaßen eine Länge von ein wenig über 2dcm. Feine Sorten sind in der Regel kürzer. Die Angorawolle ist rein weiß, rot, rotbraun, grau oder schwarz, von mildem oder sehr kräftigem Seidenglanz infolge starker Faserstreifung. Die Haare haben einen flachwelligen oder fast geraden Verlauf, häufig sind sie im ersten Drittel gerade, in den folgenden Teilen weit- und flachbogig gekräuselt. Dehnbarkeit und Festigkeit sind sehr bedeutend, Milde und Geschmeidigkeit jedoch nur in den edleren Sorten gut entwickelt. Das Haar der Primasorte ist völlig markfrei, besitzt einen kräftigen Faserzylinder, dessen Streifen (die einzelnen Faserzellen) deutlich hervortreten; manche dieser Faserzellen sind auffallend breiter und die dunkeln Lumina derselben erscheinen als Faserspalten fast gleichförmig an dem Haar verteilt [3], [4]. Die Epidermis- oder Kutikularschuppen sind ziemlich dünn, aber deutlich wahrnehmbar und besitzen einen gebogenen, geknieten und feingezähnelten Rand; sie umfallen zu 1–2 die Faserschicht. Charakteristische Merkmale sind die regelmäßig verteilten Faserspalten, das Fehlen von Farbstoffkörnchen in der farblosen Sorte, die seine Randzähnelung der Schuppen und endlich deren Anzahl für eine bestimmte Länge des Haares, auf einer und derselben Seite gezählt [5], [6]. Die Schuppenzahl beträgt für 100 μ (1 μ = 0,001 mm) Haarlänge im Mittel 5. Die Feststellung dieser Konstanten, auf welcher sich das gleichmäßige Aussehen der Schuppendecke gründet, reicht in den meisten Fällen hin, um die Identität des Haares festzustellen. – Die Dicke des Haares beträgt 12–54 μ, als häufigste Zahlen gelten 36–40 μ. Gegen das Ende hin verschmälert sich das im übrigen sehr gleichmäßig verlaufende Haar sehr bedeutend, die Schuppen werden schmal und sehr sein, ihr Rand undeutlich, teils gezähnelt, teils etwas gebuchtet. Geringere Sorten ohne natürliche Enden sind bedeutend dicker (40–71 μ), besitzen aber einen sehr kräftigen Seidenglanz, indem die Faserschicht sehr grob gestreift erscheint, während die Epidermisschuppen so stark zurücktreten, daß nur bei hoher Einstellung des Tubus gesehen werden können; die Faserspalten sind breit, der Querschnitt ist etwas plattgedrückt. Den meisten derselben fehlt das Mark völlig. – Außer dieser echten Angorawolle kommen gegenwärtig noch andre Wollen unter der gleichen Bezeichnung in unserm Handel vor, die zweifellos auch von Ziegen (persische Ziege) flammen, aber von der beschriebenen Angorawolle sich durch den reichlichen Gehalt bis 150 μ dicker, markhaltiger Haare unterscheiden. Letztere führen entweder einen zusammenhängenden Markzylinder oder Markinseln; die Epidermisschuppen haben einen rhomboidalen Umriß und umfassen zu 3–5 die Faserschichte. Die markfreien Haare dieser Sorten sind zarter als die der echten Angorawolle und messen 28–40 μ im Querschnitt; ihre Schuppen sind grob gezähnelt. Aehnlich diesen Sorten ist die von v. Höhnel [3] beschriebene Kapangorawolle, bei welcher aber markführende Haare nur vereinzelt vorkommen. Die Verwendung der Angorawolle ist eine sehr umfangreiche; schwachgedrehte Garne dienen zur Darstellung lockerer Gewebe (Mohairtücher). Die Angorawolle ist ferner ein wichtiger Rohstoff für glatte Zeuge und halbseidene Stoffe, auch in Mischung mit Ramié, obwohl die hohe Ausbildung der Kammgarnspinnerei die Verwendung der Angorawolle wesentlich eingeschränkt hat; aus langhaarigen Sorten werden durch entsprechende Färbung vorzügliche Nachahmungen des Menschenhaares verfertigt. Die Felle geschlachteter Tiere sind ein beliebtes Material für Fußdecken und Kissen; bei uns kommen als Angoradecken viel häufiger die Felle des englischen langhaarigen Southdownschafes in den Handel.


Literatur: [1] Brehms Tierleben, 2. Aufl., Leipzig 1893, Bd. 3, S. 325. – [2] Bischof-Weigert u.s.w., Das Manufakturwarengeschäft, Fabrikation und Betrieb, Leipzig 1869, Bd. 1, S. 112. – [3] Fr. v. Höhnel, Die Mikroskopie der technisch verwendeten Faserstoffe, Wien 1887. – [4] T.F. Hanausek in »Realencyklopädie der ges. Pharm.«, Bd. V, S. 541. – [5] Ders., Jahresberichte der Wiener Handelsakademie, Wien 1888. – [6] Ders., Lehrbuch der technischen Mikroskopie, Stuttgart 1901, S. 123.

T.F. Hanausek.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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