Hanfspinnerei

Hanfspinnerei

Hanfspinnerei. Die Beschaffenheit der Hanffaser ist jener der Flachsfaser so nahestehend, daß die Behandlung und Verarbeitung derselben naturgemäß auch eine ähnliche sein muß. Ebenso ist die Hanfröste jener des Flachses entsprechend. Die Brecherei wird auf dieselbe Art, aber mehr mit Handbrechen ausgeführt, da der Hanfbau und die Verarbeitung des Hauses noch mehr in Händen bäuerlicher Produzenten liegt. Große Hanfproduzenten und -spinner benutzen die maschinellen Einrichtungen, die unter Flachs angeführt sind. Das Schwingen des Hauses unterbleibt vielfach. Dagegen tritt bei der Hanfbearbeitung eine andre Maschine in Verwendung, die Hanfreibe oder Reibmühle zum Erweichen des Hauses.

[777] Es ist dies ein ca. 3 m Durchmesser haltendes, trommelartiges Podium, dessen Oberfläche oder Bett aus hartem Holzpflaster besteht. In der Mitte desselben befindet sich eine drehbare Säule oder aufrecht stehende Welle, welche wie zwei Arme oder wie ein Kreuz eine Querwelle hat, auf welcher sich zwei Konuseisen oder -steine, auch Birnen genannt, befinden; diese sind 1000–1500 kg schwer und lagern auf dem Bette des Podiums. Die Säule resp. Welle wird durch Zahnradgetriebe in Bewegung gesetzt und drehen sich mit ihr die Querwelle oder Arme und somit die darauf angebrachten Kegel um sich selbst und beschreiben einen Kreis auf dem Podiumbette. Auf diesem Bette wird die Hanffaser aufgelegt und so von den zirkulierenden Birnen gedrückt und erweicht.

Das Hecheln des Hauses geschieht wie bei dem Flachs auf Hand- und Maschinenhecheln. Es entsteht also auch hier Hechelhanf und Hanfwerg; die Hanfspinnerei scheidet sich demgemäß – analog der Flachsspinnerei – in das Verspinnen von Hechelhanf und in das Verspinnen von Hanfwerg. Der Hechelhanf wird verwendet zu Gespinsten, Bindfaden, Seilen, Tauen; das beim Hecheln abfallende Hanfwerg (Hanfhede) liefert das Material zu Gurten, Bindfaden und Stricken, das feinere auch zu ordinärem Garn. Gegenwärtig wird in Europa der meiste Hanf in Rußland erzeugt; er ist grob und stark; seiner sind die in Süddeutschland gewonnenen Hanfsorten, noch besser die italienischen. 100 kg gerotteter und getrockneter Stengel geben gewöhnlich nahe an 30 kg geschwungenen Hanf, was 9–12% vom Gewichte der grünen Stengel ausmacht. – Aus 100 kg gebrochenem und geschwungenem Hanf erhält man beim Hecheln 44–68 kg reinen Spinnhanf, 1–6 kg unbrauchbaren Abfall an seiner Schabe und Staub, das übrige als Werg.

Die Verarbeitung des Hauses zu Bindfaden [1]. Die Länge des Reinhanfes beträgt 1–1,75 m, er wird deshalb auf Schneidmaschinen in 2–5 gleichlange Teile zerrissen (gestoßen). Die Wurzelenden, die Spitz- oder Kopfenden und die Mittelstücke werden gesondert verarbeitet, die ersteren zu gröberen, die letzteren zu feineren Garnnummern. Nach dem Schneiden folgt wiederholtes Hecheln jeder Sorte für sich allein, die dann wieder nach Feinheit, Weichheit, Farbe geschieden und in verschiedenen Nummern ausgelegt werden. Die weitere Verarbeitung des geschnittenen und gehechelten Hauses gleicht der des Flachses; die Maschinen sind nur entsprechend kräftiger gebaut. Die Trockenspinnerei wird in der Regel bis Garn Nr. 16 angewendet; feinere Garne spinnt man meist naß. Die Trockenspinnstühle werden häufig so gebaut, daß die Verzuglänge (Streckweite) so weit geändert werden kann, daß sie auch zum Spinnen der Hanfhede verwendbar werden.

Die Verarbeitung der Hanfheden ist die folgende: Die Streppatura (lange italienische Hanfhede) wird zunächst auf einem Reißwölfe (teazer) zu kurzer Hede zerrissen und dann mit andrer kurzer Hechelhede zur Erzeugung der feineren Garne benutzt. Andre Hanfheden für die gröberen Garne werden nicht weiter zubereitet. – Die Heden werden vorerst sehr dick einer Vorkrempel vorgelegt, deren Bänder zu Wickeln auf Wickelmaschinen vereinigt oder in Kannen aufgefangen werden, dann folgt eine immer mit Streckkopf versehene Feinkrempel. Statt der bei der Flachsspinnerei üblichen Anordnung der Walzen rund um die große Trommel herum (sogenannte Zirkularkrempel) benutzt man in der Hanfhedespinnerei jetzt meist nur Krempeln, bei welchen die Bearbeitung nur auf dem unteren Teile (für gröbere Garne) oder nur auf dem oberen Teile (für feinere Garne) stattfindet (Halbzirkularkrempeln). Nach dem Krempeln folgen meist drei Streckmaschinen und die Vorspinnmaschine. Starke Garne, die zu Packstricken verarbeitet werden sollen, dreht man ohne weiteres auf der gewöhnlichen Vorspinnmaschine fertig, zu welchem Zwecke diese mit den genügenden Drehungswechselrädern versehen sein muß. Etwas feinere Garne, Nr. 1/2-2 (höchstens 3), spinnt man auf Spindelbankspinnmaschinen (regulating-spinnings) oder auf Hechelspinnmaschinen (gill-spinnings) mit lotrechten Spindeln. In diesen Fällen fehlt dann im Satze die Vorspinnmaschine. Feinere Garne (etwa von Nr. 3 an) werden aus entsprechendem Vorgarn entweder trocken, halbnaß oder – dies geschieht aber selten – heißnaß versponnen.

Zur Verwertung der Abfälle läßt man diese über einen Wergöffner oder Schüttelmaschine gehen, welche die gereinigten Abfälle in Form eines breiten Vließes abliefern. Diese Abfälle können entweder ohne weiteres als Putz- oder Polstergut oder zunächst mit etwas längerer, aber billigerer Hanfhede vermischt und einer Vorkrempel vorgelegt werden. Diese Bänder wickelt man auf Wickelmaschinen (lap-machine) zusammen und hat dann eine Watte, die mitunter von Bahnverwaltungen zum Polstern der Eisenbahnwagen benutzt wird. Maschinen für Hanfbearbeitung liefern Fairbairn, Naylor, Macpherson in Leeds, Lawson & Sons in Leeds, Combe, Barbour & Combe in Belfast; in neuerer Zeit hat in Deutschland die Firma Oscar Schimmel & Co. in Chemnitz i. S. den Bau von Spinnereimaschinen auch für Flachs, Hanf und Jute in dankenswerter Weise aufgenommen.


Literatur: [1] Pfuhl, Bindfadenfabrikation, Rigaer Ind.-Ztg. 1885, Nr. 1–5; 1889, Nr. 1; Ders., Die Jute, Berlin 1888, 1 Teil, S. 302.

E. Müller-Dresden.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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