- Luftschiffahrt
Luftschiffahrt (Aeronautik), Man unterscheidet zwischen aerodynamischer Aeronautik oder Flugschiffahrt und aerostatischer Aeronautik oder Ballonschiffahrt. Erstere umfaßt Flugapparate für einzelne Menschen (Flugmaschinen) und Flugschiffe, zum Transport mehrerer Menschen geeignet; zu letzterer zählen Ballons (Luftballons), die im Luftstrom treiben, und Ballonschiffe (Motorluftschiffe), die eine Eigenbewegung besitzen und daher mit Hilfe von Steuervorrichtungen im Räume beliebig lenkbar sind.
Die Flugschiffahrt (s.a. Flugmaschinen, Flugtechnik) stellt einen uralten und daher schon in den Sagen vieler Völker auftretenden Wunsch vor. Erst in den beiden letzten Jahrzehnten ist es aber gelungen, diesem Wunsche mit einigem Erfolge praktisch näher treten zu können. Bahnbrechend wurde nach dieser Richtung der Ingenieur Otto Lilienthal-Berlin (s. [2] und Kunstflug). Sein praktisches Vorgehen mit Gleitfliegern fand in Frankreich, England und Amerika erfolgreiche Anhänger. Die Verbindung dieser Gleitflieger mit den leichten und starken Automobilmotoren führte den Brasilianer Santos-Dumont [1] schließlich zur Ausführung eines freien Fluges etwa 6 m über den Boden hin, auf eine Entfernung von 220 m. Dieser am 23. November 1906 unternommene Versuch wurde das Signal zu einem Aufschwung der modernen Flugschiffahrt, die, angeregt durch Preise, schon im Jahre 1907 zu Fortschritten führte, welche in Flügen in Kreisbogen bis zu etwa 1000 m Länge, wie sie Farman im November 1907 in Paris bei über 1 Minute Flugdauer ausgeführt hat, gipfelten. Hinderlich war bisher das zeitweise Aussetzen des Motors, indes ist gegenwärtig die Motorindustrie überall damit beschäftigt, die Beseitigung dieser für die Flugschiffahrt gefährlichen Zufälle anzustreben. Die Flugtechnik (s.d. und Aviation, ferner [1], [3], [6]), die sich insbesondere mit der Flugschiffahrt befaßt, unterscheidet nach der Bauart sehr verschiedene den gleichen Zwecken entsprechende Fahrzeuge.
Gleitflieger und Fallschirme (s.d.), unter sich eng verwandt, sind Flugapparate, die lediglich durch ihren Fall in horizontaler Richtung Weg gewinnen. Bei den Gleitfliegern wird die Richtung bestimmt durch schräge Flächen, mit denen man gegen den Wind gerichtet von einer Anhöhe herabspringt. Bei Fallschirmen bleibt das Abtreiben dem Winde überlassen und kann nur unvollkommen durch Einstülpen des in der Mitte oben befindlichen Abzugsloches für die Luft beeinflußt werden, indem hierdurch ein stärkeres Pendeln und damit ein etwas langsameres Fallen eintritt.
[258] Flügelflieger, auch Ruderflieger- und Schwingenflieger genannt, sind Apparate, die dem Flugmechanismus der Vögel und Flattertiere nachgebildet sind.
Schrauben- und Segelradflieger sind Fahrzeuge, die sowohl den Auftrieb wie den Vortrieb nur mit Hilfe von Schraubenpropellern erreichen sollen.
Endlich kommt als dritte und gebräuchlichste Bauart der Drachenflieger in Betracht, bei dem unter Winkel gestellte Tragflächen mittels Propeller Auftrieb und Vortrieb erhalten. Theorie und Technik stehen für den Bau von Flugapparaten gegenwärtig noch auf so schwachen Füßen, daß jeder Konstrukteur auf seine und andrer Erfahrungen verwiesen werden muß, zumal, da bisher die Konstruktionen außerordentlich verschiedenartig gestaltet sind. Einen vortrefflichen Ueberblick über Versuche der letzten Jahre bietet die von Wellner zusammengestellte Tabelle S. 259. Es darf hierbei nicht unerwähnt geladen werden, daß eine nicht zu unterschätzende Vorschule in der Flächenanordnung zum Bau von Drachenfliegern und in der Klärung ihrer Stabilitätsgesetze der Entwicklung der wissenschaftlichen Drachen zukommt, die im Dienste der Aerologie registrierende Instrumente bis in Höhen von über 6000 m hinauf tragen. Einen praktischen Wert hat im übrigen die Flugtechnik bisher nicht nachweisen können, sie ist vorläufig ein äußerst anregender und vielversprechender Sport.
Die Ballontechnik [3], [4] befaßt sich außer mit der Herstellung gewöhnlicher der Wissenschaft, dem Sport und der Militärwissenschaft dienender, meist kugelförmiger Ballons (s. Ballon), Freiballons genannt, im Falle man sie bemannt frei fliegen läßt, auch mit der Herstellung von Fesselballons (s.d.) und Ballonschiffen (Luftschiffe, Motorluftschiffe, Lenkballons, Lenkbare). Eine besonders zweckmäßige Konstruktion eines Fesselballons ist der Drachenballon (s.d.), der in der Landarmee und Marine (Fesselballonschiffe) Verwendung findet. Hinsichtlich der Ballonschiffe [3], [5] haben sich neuerdings drei Konstruktionssysteme herausgebildet, nämlich: 1. pralle Ballonschiffe (Vertreter Major v. Parseval, Fig. 1, S. 257), 2. halbstarre Ballonschiffe (Vertreter Lebaudy-Juillot, preußisches Luftschifferbataillon, Fig. 2, S. 257), 3. starre Ballonschiffe (Vertreter Graf v. Zeppelin, Fig. 3, S. 260).
Das Kriterium für die Beurteilung der Brauchbarkeit eines Ballonschiffes liegt, abgesehen von militärischen Gesichtspunkten, in seiner Schnelligkeit, in seinem Aktionsradius und in seiner Tragkraft. Jeder Konstrukteur muß also darauf bedacht sein, eine zur Ueberwindung des Luftwiderstandes günstige langgestreckte Form, die im Fluge stabil bleibt, von der nötigen Größe zu erbauen und kräftige Motore mit Betriebsmaterial und Bemannung für möglichst lange Zeit mitzuführen. Auch die Ballontechnik befindet sich heute noch im Werden, jedoch hat sie der Flugtechnik gegenüber den Vorteil voraus, bereits praktisch verwendbar zu sein. In jeder Beziehung zukunftsreich ist die starre Konstruktion des Grafen v. Zeppelin, die auch bisher in ihren Leistungen alle andern Systeme übertroffen hat; ihre Eigenart verlangt allerdings besondere Einrichtungen (Luftschiffhäfen), die jedoch mit der Zeit auch von den andern Konstruktionen werden benötigt werden, wie denn[260] überhaupt das Streben nach zunehmender Größe nach und nach zu starren Formen auch bei den andern Systemen führen muß.
In welcher Weise die Hauptvertreter der neuesten Ballonschiffe sich heute voneinander unterscheiden, mag durch die Tabelle auf S. 258 zur Darstellung gelangen. Die Ballontechnik verdankt ihre Förderung lediglich militärischen und wissenschaftlichen Antrieben. In verkehrstechnischer Beziehung kann sie bislang auch nur in beschränktem Maße von Bedeutung werden, während sie militärischen Zwecken heute schon außerordentlich viel nutzen dürfte. Mit dem Namen Luftschiffergerät bezeichnet man alles zu einer Luftschifferabteilung gehörende Material. Eine Luftschifferabteilung oder ein Luftschifferpark setzen sich zusammen aus einer Reihe Sonderfahrzeugen oder feststehender Einrichtungen, nämlich: Windewagen bezw. Ballonwinde (s.d.), Gaserzeuger (s.d.), Gaswagen bezw. Gasfabrik, Gerätewagen mit dem Ballon und dem Ballonzubehör.
Literatur: [1] Illustrierte Aeronautische Mitteilungen, Deutsche Zeitschrift für Luftschiffahrt, Organ des Deutschen Luftschifferverbandes und des Wiener Flugtechnischen Vereins, Monatshefte für alle Interessen der Flugtechnik mit ihren Hilfswissenschaften für aeronautische Industrie und Unternehmungen; erscheint in Straßburg i. E. und Berlin seit 1897. [2] Lilienthal, Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst, Berlin 1889. [3] Moedebeck, Taschenbuch für Flugtechniker und Luftschiffer, Berlin 1904. [4] Espitallier, G., La technique du ballon, Encyclopédie scientifique, Paris 1907. [5] Girard, E., und Rouville, A. de, Les ballons dirigeables, théorie et applications, Paris 1907. [6] Hildebrandt, A., Die Luftschiffahrt nach ihrer geschichtlichen und gegenwärtigen Entwicklung, München und Berlin 1907.
Moedebeck.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.