- Stoß [1]
Stoß im Sinne der Mechanik ist ein Vorgang, bei dem in äußerst kurzer Zeit eine endliche Bewegungsänderung eines Massensystems erfolgt. Der Stoß kann entweder durch Momentankräfte oder auch durch plötzliche Aenderung der Bedingungen des Massensystems, die dann Anlaß zu momentanen Verbindungskräften geben (Verbindungsfloß), erzeugt werden. Das Maß des Stoßes an einem einzelnen Massenpunkt ist die Aenderung der Bewegungsgröße des Punktes während des Stoßes. Sie ist gleich dem Produkt aus der Masse und der als gerichtete Größe aufgefaßten Aenderung der Geschwindigkeit während des Stoßes; s. Momentankraft, Bd. 6, S. 476.
Stöße entstehen insbesondere beim Zusammentreffen zweier in Bewegung begriffener Körper. Sie berühren sich im Moment des Zusammentreffens mit ihren Oberflächen, werden im allgemeinen zusammengepreßt, dehnen sich aber von dem Momente der stärksten Kompression wieder aus und trennen sich schließlich voneinander. Setzen wir die beiden Körper als homogene Kugeln voraus, welche in Translationsbewegung so begriffen sind, daß die Mittelpunkte dieselbe Gerade beschreiben, die im Moment des Zusammentreffens auf der gemeinsamen Berührungsebene senkrecht steht. Der Stoß ist dann der gerade Stoß der beiden Körper. Von dem Moment des Zusammentreffens an findet eine Kompression derselben statt, so daß der Abstand ihrer Mittelpunkte bis zu einem kleinsten Werte herabsinkt, hierauf dehnen die Kugeln sich aus und bewegen sich schließlich mit gewissen Geschwindigkeiten weiter. Die Zeit vom Zusammentreffen der Körper bis zu ihrer Trennung voneinander heißt die Stoßzeit; sie zerfällt in zwei Perioden, deren erste die Zeit ist von der ersten Berührung bis zum Maximum der Kompression, während die zweite die Zeit vom Maximum der Kompression bis zur Trennung umfaßt. Sind die Kugeln vollkommen unelastisch, so pressen sie sich in der ersten Periode zusammen bis zur Ausgleichung ihrer Geschwindigkeiten und gehen dann mit gemeinsamer Geschwindigkeit weiter. Die ganze Stoßzeit hat bloß die erste Periode und die zweite ist gleich Null. Sind die Körper vollkommen elastisch, so nehmen dieselben in der zweiten Periode des Stoßes allmählich die ursprüngliche Gestalt wieder an; es folgen sich die Zustände der zweiten Periode in umgekehrter Folge wie in der ersten, und es ist die zweite Periode der ersten Periode symmetrisch gleich. Sind die Körper unvollkommen elastisch, so ist die zweite Periode des Stoßes nicht symmetrisch der ersten; es nehmen die Körper nicht genau wieder dieselbe Form an, die sie vor dem Stoße hatten.
Sind m, m' die Massen der Kugeln, x, x' die Abstände ihrer Mittelpunkte C, C' von irgend einem Punkte der Zentralen, so sind die Gleichungen für die Bewegung der Massenmittelpunkte m d2x/dt2 = R, m' d2x'/dt2 = R, wo R und R die entgegengesetzt gleichen Kräfte bezeichnen, mit welchen die Körper während des Stoßes zur Zeit t aufeinander einwirken. Die Addition dieser Gleichungen gibt m d2x/dt2 + m' d2x'/dt2 = 0, und hieraus folgt durch Integration m dx/dt + m' dx'/dt = const., d.h. es bleibt die Summe der Momentankräfte während des Stoßes konstant und besteht mithin, wenn v, v' die Geschwindigkeiten zu Anfang des Stoßes sind, während der ganzen Bewegung die Gleichung m dx/dt + m' dx'/dt = m v + m' v'. Sind nun die Kugeln vollkommen unelastisch und ist u die gemeinsame Geschwindigkeit im Momente des Maximums der Kompression, so liefert diese Gleichung, auf diesen Zeitpunkt[330] angewandt, (m + m') u = m v + m'v', woraus die Geschwindigkeit u folgt, mit welcher die Kugeln nach dem Stoß als ein System vereinigt sich weiterbewegen. Sind die Kugeln vollkommen elastisch, so bedarf man zweier Gleichungen, um die Geschwindigkeiten V, V', mit welchen sich dieselben am Ende der Stoßzeit voneinander trennen, zu bestimmen. Die eine ist die eben entwickelte, auf das Ende der Stoßzeit angewandte; sie gibt m V + m' V' = m v + m' v'. Die andre liefert das Prinzip der lebendigen Kraft. Die Multiplikation der obigen beiden Differentialgleichungen mit dx/dt und dx'/dt, ihre Addition und Integration ergibt:
wenn r0 der anfängliche Zentralabstand C C', r sein Wert zur Zeit t und d r = d (x x') AR. Beziehen wir diese Gleichung auf das Ende der Stoßzeit, so wird r = r0 und verschwindet das Integral zur Rechten. Denn während der ersten Periode des Stoßes findet, Zusammendrückung statt und sind d r und R d r negativ, während in der zweiten Periode d r positiv ist und R d r mithin die entgegengesetzt gleichen Werte von denen der ersten Periode annimmt. Daher erhält man m V2 + m'2 = m v2 + m' v'2. Die beiden Gleichungen liefern für V und V' sofort (m + m') V = (m m') v + 2 m' v' und (m' + m) V' = (m' m) v' + 2m v, und mit Zuhilfenahme von der Geschwindigkeit u im Maximum der Kompression, nämlich m v + m' v' = (m + m') u. erhält man noch weiter V = 2 u v, V' = 2 u v', u = 1/2 (V + v) = 1/2 (V' + v'). Hiermit können alle einzelnen Fälle des vollkommen elastischen Stoßes behandelt werden. Beim vollkommen elastischen Stoß findet kein Verlud: an lebendiger Kraft durch den Stoß statt, während dies beim unelastischen der Fall ist. Dieser Verlust 8 nimmt nämlich die Form an:
δ = m v2 + m v'2 (m + m') u2 = m (v u)2 + m' (u v')2 = mm'/m + m' (v v')2
und ist gleich der lebendigen Kraft, welche mit den gewonnenen und verlorenen Geschwindigkeiten v u und u v' gebildet wird. Sind die Kugeln nicht vollkommen elastisch, so führt man nach Newton einen Koeffizienten in die Untersuchung ein, der experimentell zu bestimmen ist. Aus den letzten Gleichungen des vollkommen elastischen Stoßes folgt nämlich V V' = v' v, und man setzt daher für nicht vollkommen elastische Körper V V' = c(v v'), wo c der genannte Koeffizient ist, der den größeren oder geringeren Grad der Elastizität ausdrücken soll.
Bewegen sich die beiden Kugeln mit Translationsgeschwindigkeiten so, daß ihre Mittelpunkte verschiedene Geraden beschreiben, so heißt ihr Zusammentreffen der schiefe Stoß. Um die Aenderungen zu bestimmen, welche hierbei die Geschwindigkeiten v, v' erleiden, die sie vor dem Stoße besitzen, zerlegen wir diese im Moment der Berührung in Komponenten υ, υ' nach der gemeinschaftlichen Normale im Berührungspunkte und τ, τ' nach der gemeinschaftlichen Tangentenebene. Sind die Oberflächen ganz glatt, so werden bloß die ersteren durch den Stoß geändert, und die geänderten setzen sich mit τ, τ' zu den Geschwindigkeiten V, V' zusammen, mit welcher sich die Körper am Ende der Stoßzeit voneinander trennen. Bei unelastischen Körpern ist daher die gemeinsame Normalgeschwindigkeit gegeben durch (m + m') u = mυ + m' υ' und diese ist mit τ, τ' zu kombinieren, um V, V' zu finden. Beim vollkommen elastischen Stoße hat man für die Normalkomponenten N, N' nach dem Stoße (m + m')N = (m m') υ + 2m' v' und (m' + m) N' = (m' m)υ' + 2m υ mit τ, τ' zu verbinden. Wird ein starrer Körper, der um eine feste Achse drehbar gelagert ist, gestoßen, so muß im allgemeinen ein Teil des Stoßes von den Lagern aufgenommen werden, während der andre Teil den Körper um die Achse in Drehung versetzt. Ist aber diese Achse eine Hauptachse eines ihrer Punkte O, so kann der Stoß so erfolgen, daß dieser Widerstand sich auf Null reduziert. Hierzu ist erforderlich, daß die Richtung des Stoßes (die Stoßlinie) senkrecht sei zu der Ebene, welche die Achse mit dem Massenmittelpunkt S des Körpers verbindet, daß sie in die Ebene fällt, welche durch O senkrecht zur Achse gelegt werden kann, und jene Ebene des Massenmittelpunktes in einem Punkt O' trifft, so daß das Produkt der Abstände O s und O' s von einer durch S parallel zur festen gelegten Achse, nämlich O s · O' s = k2 wird, wenn k den Trägheitsradius dieser Achse bezeichnet und O O' auf entgegengesetzte Seiten von S fallen. Der Punkt O' heißt der Stoßpunkt.
Literatur: Das Vorstehende enthält nur die ersten Elemente der Theorie des Stoßes, einer Theorie, welche heutzutage eine umfangreiche Disziplin geworden ist. Wegen des Näheren vgl. Appell, Traité de mécanique rationnelle, Bd. 2, S. 468506; Darboux, Etüde géométrique sur les percussions et le choc des corps, Bulletin des sciences mathém. et astronom., 1880; Jullien, Problèmes de mécanique rationelle, 2. Aufl., Paris 1866, Bd. 1, S. 251263; Coriolis, Théorie mathématique des effets du jeu de billard, Paris 1835; Schell, Theorie der Bewegung und der Kräfte, Bd. 2, S. 532538 und 352386.
( Schell) Finsterwalder.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.