Vertragsbruch [1]

Vertragsbruch [1]

Vertragsbruch (Kontraktbruch) in dem hier allein zu behandelnden Sinne Bruch des Arbeitsvertrags, d.h. »die Nichteinhaltung der Bestimmungen des Arbeitsvertrags aus andern als den gesetzlichen Gründen« (Adler).

Der Arbeitsvertragsbruch kann sowohl durch den Arbeitgeber wie den Arbeitnehmer erfolgen, der in der Praxis am häufigsten vorkommende Fall ist der Vertragsbruch des Arbeiters, der die Arbeit einstellt. – Der Vertragsbruch des Arbeiters wurde früher nicht nur mit zivilrechtlichen, sondern auch mit öffentlich-rechtlichen und im besonderen auch mit strafrechtlichen Nachteilen geahndet. Noch die preußische Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 drohte Geldbuße bis zu 20 Talern oder Gefängnis bis zu 14 Tagen für den Kontraktbruch der Arbeiter an. Die jetzt geltende Reichsgewerbeordnung vom 21. Juni 1869 steht in Uebereinstimmung mit der heutigen Wirtschaftsauffassung prinzipiell auf dem Boden der Arbeitsvertragsfreiheit [1] (deren Auswüchse freilich durch besondere gesetzliche Bestimmungen und staatliche Maßnahmen beseitigt oder gemildert werden sollen) und lehnt folgerichtig die Bestrafung des Kontraktbruchs ab. Nach § 122 der Gewerbeordnung kann das Arbeitsverhältnis zwischen den Gesellen oder Gehilfen und ihren Arbeitgebern, wenn nicht ein andres verabredet ist, durch eine jedem Teile freistehende, 14 Tage vorher erklärte Aufkündigung gelöst werden. Werden andre Aufkündigungsfristen vereinbart, so müssen sie für beide Teile gleich sein; Vereinbarungen, welche dieser Bestimmung zuwiderlaufen, sind nichtig. – Ohne Aufkündigung können vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit Gesellen und Gehilfen aus den in § 123 der Gewerbeordnung bestimmten Gründen entlassen werden, während anderseits Gesellen und Gehilfen aus den Gründen des § 124 der Gewerbeordnung die Arbeit ohne Aufkündigung vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit verlassen dürfen. Von den Gründen, die den Arbeitgeber zur sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtigen, seien hervorgehoben: unbefugtes Verlassen der Arbeit oder sonstige beharrliche Weigerung, den nach dem Arbeitsvertrag den Gesellen und Gehilfen obliegenden Verpflichtungen nachzukommen; Tätlichkeiten oder grobe Beleidigungen gegen den Arbeitgeber oder seine Vertreter oder gegen die Familienangehörigen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter;[788] Unfähigkeit der Gesellen und Gehilfen zur Fortsetzung der Arbeit oder Behaftetsein mit einer abschreckenden Krankheit. Unter den Gründen, die den Gesellen und Gehilfen zum sofortigen Verlassen der Arbeit berechtigen, sind zu nennen: Unfähigwerden zur Fortsetzung der Arbeit; Tätlichkeiten oder grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter gegen die Arbeiter oder ihre Familienangehörigen; wenn der Arbeitgeber den Arbeitern den schuldigen Lohn nicht in der bedungenen Weise auszahlt, bei Stücklohn nicht für ihre ausreichende Beschäftigung sorgt oder wenn er sich widerrechtlicher Uebervorteilungen gegen sie schuldig macht; wenn bei Fortsetzung der Arbeit das Leben oder die Gesundheit der Arbeiter einer erweislichen Gefahr ausgesetzt sein würde, welche bei Eingehung des Arbeitsvertrags nicht zu erkennen war. – Wenn das Arbeitsverhältnis mindestens auf vier Wochen oder wenn eine längere als 14tägige Kündigungsfrist vereinbart ist, kann außer den in §§ 123 und 124 bezeichneten Fällen jeder der beiden Teile aus wichtigen Gründen vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Innehaltung einer Kündigungsfrist die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses verlangen (§ 124 a der Gewerbeordnung). Hat ein Geselle oder Gehilfe rechtswidrig die Arbeit verlassen, so kann der Arbeitgeber als Entschädigung für den Tag des Vertragsbruchs und jeden folgenden Tag der vertragsmäßigen oder gesetzlichen Arbeitszeit, höchstens aber für eine Woche den Betrag des ortsüblichen Tagelohns fordern. Diese Forderung ist an den Nachweis eines Schadens nicht gebunden, es wird aber anderseits durch ihre Geltendmachung der Anspruch auf Erfüllung des Vertrags und auf weiteren Schadensersatz ausgeschlossen. Dem Gesellen oder Gehilfen steht dasselbe Recht gegen den Arbeitgeber zu, wenn er von diesem vor rechtmäßiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses entlassen worden ist (§ 124b). Zur Sicherung des Ersatzes eines aus dem Kontraktbruch erwachsenden Schadens oder einer für den Fall des Kontraktbruchs verabredeten Vertragsstrafe können von den Arbeitgebern Lohneinbehaltungen ausbedungen werden. Sie dürfen aber nach § 119a der Gewerbeordnung bei den einzelnen Lohnzahlungen ein Viertel des fälligen Lohnes, im Gesamtbetrage den Betrag eines durchschnittlichen Wochenlohns, nicht übersteigen. Ein Arbeitgeber, der einen Gesellen oder Gehilfen verleitet, vor rechtmäßiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Arbeit zu verlassen, ist dem früheren Arbeitgeber für den entstandenen Schaden oder den nach § 124 b an die Stelle des Schadensersatzes tretenden Betrag als Selbstschuldner mitverhaftet. In gleicher Weise haftet ein Arbeitgeber, der einen Gesellen oder Gehilfen annimmt, von dem er weiß, daß derselbe einem andern Arbeitgeber zur Arbeit noch verpflichtet ist. Auch derjenige Arbeitgeber ist endlich mitverhaftet, der einen Gesellen oder Gehilfen, von dem er weiß, daß derselbe einem andern Arbeitgeber zur Arbeit noch verpflichtet ist, während der Dauer dieser Verpflichtung in der Beschäftigung behält, sofern nicht seit der unrechtmäßigen Lösung des Arbeitsverhältnisses bereits 14 Tage verflossen sind (§ 125 a.a.O.). – Die vorstehend aufgeführten Bestimmungen der §§ 122–125 der Gewerbeordnung finden auch auf Arbeiter in Betrieben, in denen in der Regel mindestens zehn Arbeiter beschäftigt werden, Anwendung. Der § 124b gilt jedoch nicht für Arbeitgeber und Arbeiter in Betrieben, in denen in der Regel mindestens 20 Arbeiter beschäftigt werden [2]. Den Unternehmern in solchen Betrieben ist untersagt, für den Fall der rechtswidrigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeiter die Verwirkung des rückständigen Lohnes über den Betrag des durchschnittlichen Wochenlohns hinaus auszubedingen (§§ 134, 139 a a, 154 der Gewerbeordnung in der Fassung der Novelle vom 28. Dezember 1908 [Reichsgesetzblatt S. 667]). – Für die Betriebsbeamten gelten besondere Vorschriften; s. Betriebsbeamte.

Außer der Gewerbeordnung kommen auch noch andre besondere Gesetze, z.B. auf dem Gebiet des Bergrechts, des Schiffahrtsrechts, des Handelsrechts, des Gesinderechts, in Frage. Soweit dies nicht der Fall ist, regelt sich der Arbeitsvertrag in Deutschland nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch und zwar nach den Bestimmungen über den Dienstvertrag (611–630). Bezüglich der Kündigung des Dienstverhältnisses gilt folgendes: Ist die Dauer des Dienstverhältnisses weder bestimmt, noch aus der Beschaffenheit oder dem Zwecke der Dienste zu entnehmen, so richten sich die Kündigungsfristen für die Regel nach den Zeitabschnitten, nach denen die Vergütung bemessen ist (täglich, wöchentlich, monatlich, vierteljährlich [§ 621]). Ist die Vergütung nicht nach Zeitabschnitten bemessen, so kann das Dienstverhältnis jederzeit gekündigt werden; bei einem die Erwerbstätigkeit des Verpflichteten vollständig oder hauptsächlich in Anspruch nehmenden Dienstverhältnis ist jedoch eine Kündigungsfrist von zwei Wochen einzuhalten (§ 623). Ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kann in allen diesen Fällen das Dienstverhältnis von jedem Teile dann gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorlegt (§ 626). Was ein wichtiger Grund ist, wird im Gesetz selbst nicht bestimmt, hierüber hat unter Umständen das Ermessen des Richters zu befinden. Wird nach dem Beginne der Dienstleistung das Dienstverhältnis auf Grund des 626 gekündigt, so kann der Verpflichtete einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. Kündigt er, ohne durch vertragswidriges Verhalten des andern Teiles dazu veranlaßt zu sein, oder veranlaßt er durch sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung des andern Teiles, so steht ihm ein Anspruch auf die Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den andern Teil kein Interesse haben. Wird die Kündigung durch vertragswidriges Verhalten des andern Teiles veranlaßt, so ist dieser zum Ersatze des durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entstehenden Schadens verpflichtet (§ 628). – Wegen der Streitigkeiten aus dem Arbeitsvertrag s.a. Gewerbegerichte.

Die Bestrafung des Kontraktbruchs wird immer wieder erörtert und ist gerade in neuerer Zeit, wenn auch in erster Linie gegenüber den landwirtschaftlichen Arbeitern, wiederholt gefordert worden. Es wird namentlich geltend gemacht, daß die zivilrechtliche Haftbarkeit, soweit Arbeiter in Betracht kommen, nicht genüge, da sie wegen der Mittellosigkeit der Arbeiter meist nicht zum Ziele führe. Gegen die Bestrafung ist anzuführen, daß sie bei umfangreichen Arbeitseinstellungen[789] (Massenstreiks) tatsächlich undurchführbar ist und daß, insolange nicht auch auf andern Gebieten der Bruch von Verträgen strafrechtlich verfolgt wird (woran ja gar nicht gedacht werden kann), eine Bestrafung des Arbeitsvertragsbruchs als eine Ausnahmebestimmung gegen die Arbeiter würde empfunden werden.

Eine weitere Ausbildung hat der Arbeitsvertrag in dem kollektiven Arbeitsvertrag, dem Tarifvertrag, der Tarifgemeinschaft [3] gefunden. Hierunter sind Vereinbarungen über die Arbeitsbedingungen verstanden, die für längere Dauer zwischen den Organisationen, Verbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, geschlossen werden, derart, daß auch die beiderseitigen Angehörigen der Organisationen an diese Bedingungen gebunden sind. Die Tarifvertragsbewegung hat namentlich in Deutschland ganz außerordentliche Fortschritte gemacht, und zwar nicht nur in industriellen, sondern namentlich auch in mehr handwerklichen Gewerben (Baugewerbe, Bekleidungsgewerbe, Holzverarbeitungsgewerbe); die älteste Tarifgemeinschaft ist die der Buchdrucker. Für und gegen Tarifverträge wird manches geltend gemacht, sie haben Zweifellos auch erhebliche Schattenseiten. Aber es wird doch nach den bisherigen Erfahrungen wohl gesagt werden dürfen, daß sie eine gewisse Stetigkeit und Sicherheit der Verhältnisse im Tarifgewerbe mit sich bringen, wenigstens für die Zeit der Vertragsdauer. Für Streitigkeiten aus dem Tarifvertrag sind fast allgemein besondere Institutionen (Einigungs- oder Schlichtungskommissionen, Tarifämter) vorgesehen. Dies ist um so notwendiger, als die rechtliche Konstruktion des Tarifvertrags eine schwierige ist, eine gesetzliche Regelung vielfach (so in Deutschland) noch nicht erfolgt ist.

[1] § 105 der Gewerbeordnung; [2] s. im einzelnen die Kommentare zur Gewerbeordnung; [3] näheres s. Art. »Tarifverträge« im Wörterbuch der Volkswirtschaft, herausgegeben von Elster, 2. Aufl., Bd. 2, Jena 1907.


Literatur: Adler, Art. »Arbeitsvertrag und Arbeitsvertragsbruch« im Wörterbuch der Volkswirtschaft, herausgegeben von Elster, 2. Aufl., Bd. 1, Jena 1906; Art. »Arbeitszeit« im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, herausgegeben von Conrad, Elster, Lexis und Löning, 2. Aufl., Bd. 1, Jena 1904 (verschiedene Verfasser), beide mit weiterer Literatur; Lotmar, Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches, Leipzig 1904 u. 1908; Prenner, Der gewerbliche Arbeitsvertrag nach deutschem Recht, Leitfaden, 2. Aufl.; s. ferner Koalitionsrecht, Fabrikgesetzgebung, Betriebsbeamte, Arbeiterschutz.

Köhler.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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