- Bauernhäuser
Bauernhäuser. In Deutschland unterscheidet man zwei Hauptgruppen von Bauernhöfen, die sächsisch-friesischen und die fränkischen.
Das sächsisch-friesische Bauernhaus, Fig. 1 [4], ist das ältere. Es ist über Westfalen, Ostfriesland, Holstein verbreitet und tritt vereinzelt bis Brandenburg und Pommern hinein auf. Es kennzeichnet sich dadurch, daß es die Wohnung, den Viehstall und die Scheune unter einem Dache vereinigt und daß es die Einfahrt an der kurzen Seite des länglichen Vierecks hat. Die Einfahrt führt auf die mittlere »Diele«, zu deren beiden Seiten einerseits die Pferdeställe, anderseits die Rindviehställe liegen. Dem Eingang gegenüber erweitert sich die Diele bis an beide Frontwände zu dem sogenannten Flet, dem ursprünglich einzigen Wohnraum der Familie, in dessen Mitte der niedrige Herd, an dessen einer Seite der große Familientisch steht. An das Flet schließen sich einige Wohnzimmer und Kammern an. Das Dienstgesinde schlief ursprünglich über den Viehställen, jetzt in Kammern zu beiden Seiten des Flet. Die Schweineställe liegen in Anbauten zu beiden Seiten der Toreinfahrt, und das mächtige Dach über dem ganzen Hause, der sogenannte »Hillen«, nimmt die Erntevorräte auf. In Friesland verschwindet das Flet, der Herd steht zur Seite in einer besonderen Küche, und in der Mittelachse, in Verlängerung der Diele, wird ein saalartiger Raum, der sogenannte »Pesel« angelegt [4].
Das fränkische Bauernhaus ist ungleich weiter verbreitet als das sächsische. Es hat stets den Eingang an der Langseite und enthält nur ausnahmsweise und in geringem Umfange Stallungen. Das Großvieh[573] ist in besonderen Gebäuden untergebracht (s. Gehöftanlagen). Durch den Eingang in der Mitte der Langfront tritt man in den geräumigen Flur, auch hier wohl Diele genannt. Der Flur dient zugleich als Sommerküche und enthält den Herd, Backofen u.s.w. Links davon liegt das große Familienwohnzimmer und die Schlafstube, rechts einige Kammern für Gesinde und auch wohl einige Ställe für Kleinvieh [4] und [6].
Neben diesen Haupttypen deutscher Bauernhäuser ist noch zu erwähnen:
Das nordische Bauernhaus, aus Skandinavien nach den deutschen Ostmarken eingeführt; es gliedert sich in Wohnhaus, Stallungen und Scheune, die in langer Reihe aneinander gebaut werden [4]. Dahin gehören unter andern die Bauernhäuser der Weichselniederung [1]. Ferner
Das alemannische Bauernhaus des Schwarzwaldes. Es ist an Berglehnen angebaut. An der Talseite liegt das Wohnhaus, daran anschließend der Viehstall, und in die hierüber sich aufbauende Scheune kann man von der Bergseite mit den Wagen unmittelbar einfahren [1], [8].
Moderne Bauernhäuser schließen sich fast ausschließlich der fränkischen Grundform an.
Hier ist der Zusammenbau mit den Ställen nur noch bei kleinbäuerlichen Gehöften üblich und für diese wegen der besseren Erhaltung der Wärme sowie aus Sparsamkeitsrücksichten wohl zu empfehlen. Zahl and Größe der Wohn- und Schlafräume sind selbstverständlich sehr verschieden. Als Regel gilt, daß vom Familienwohnzimmer aus der Hof, namentlich dessen Eingang übersehen werden kann und daß die wichtigsten Wohn- und Schlafräume im Erdgeschoß vereinigt werden. Die Küche muß geräumig genug angelegt werden, um auch Viehfutter darin kochen zu können. Ist das Haus größer, so kommt zur Küche die Waschküche hinzu. Das Kochen des Viehfutters, Putzen des Gemüses, Aufwaschen des Geschirres u.s.w. wird dorthin verlegt. Eine Räucherkammer im Dachboden darf nirgends fehlen. An Vorräteräumen wird meist ein Milchkeller, ein Gemüsekeller und einige Bodenkammern für trockene Vorräte verlangt. Als Beispiel eines Bauernhauses kleinster Ausdehnung teilen wir den von der Kommission zur Beförderung deutscher Ansiedlungen in der Provinz Posen und Westpreußen für einen Grundbesitz von 1015 ha empfohlenen Grundriß (Fig. 2) mit [1]. Die Wohnung des Bauern besteht aus Wohnstube, Kammer und Küche im Erdgeschoß und einer Giebelstube im Dach. Der angebaute Stall hat Raum für sechs Haupt Großvieh. Ein zweiter, von derselben Kommission empfohlener Grundriß für einen Besitz von 36 ha wird in Fig. 3 mitgeteilt [1]. Hier sind die Ställe bereits vom Wohnhause getrennt. Der Grundriß enthält im Erdgeschoß ein Zimmer und eine Speisekammer mehr als der vorige.
Als Beispiel eines größeren Bauernhauses möge hier noch der Grundriß Fig. 4 Platz finden [1], der die volkstümliche Bauweise deutscher Bauernhäuser, namentlich den größeren Mittelflur (die Diele) und die in einigen Gegenden, namentlich im Osten Deutschlands, vorkommende überbaute Vorlaube festhält. Ueber der Vorlaube liegt nach alter Sitte der Kornspeicher. Die durch einen Kamin mäßig heizbare Diele wird als Wohnraum, namentlich Eßzimmer, mitbenutzt. Ein kleiner Hinterflur unter dem Treppenpodest vermittelt den Verkehr von den Wohnzimmern und der Küche nach dem Wirtschaftshof. Die Waschküche liegt hier entweder im Untergeschoß oder in Verbindung mit einem der Hofgebäude.
Literatur: [1] Tiedemann, Ludw. v., Das landwirtschaftliche Bauwesen, Handbuch für Bautechniker und Landwirte, 3. Aufl., Halle a. S. 1898. [2] Jaspers, Der Bauernhof, Anleitung zur praktischen Anlage u.s.w., Berlin 1890. [3] Schäfer, C., Das deutsche Haus, Vortrag, Zeitschr. f. Bauw. 1883, S. 209. [4] Meitzen, Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formen, Berlin 1882. [5] Schmidt, K., und Kühn, Ernst, Das landwirtschaftliche Mustergehöft auf der deutschen Bauausstellung in Dresden 1900, Dresden 1900. [6] Lutsch, H., Wanderungen durch Ostdeutschland zur Erforschung volkstümlicher Bauweisen, Zentralblatt der Bauverwaltung 1887, S. 63, 76, 358 und 376. [7] Janssen, Das ostfriesische Bauernhaus, Zentralblatt der Bau Verwaltung 1900, S. 236. [8] Das Bauernhaus im Deutschen Reich und seinen Grenzgebieten, herausgegeben vom Verbände deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine, Dresden 190103. [9] Das Bauernhaus in Oesterreich-Ungarn und seinen Grenzgebieten, herausgegeben vom Oesterr. Ingenieur- und Architekten-Verein, Wien und Dresden 190203.
v. Tiedemann.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.