Blattwelle

Blattwelle

Blattwelle (Kymation, Kyma), ein das Stützen andeutendes, in der griechischen Ornamentik häufig vorkommendes Bauglied.

[41] Um durch Blätter eine stützende Tätigkeit zu symbolisieren, denkt man sich dieselben an ihrem Stielende abgeschnitten, in einer Reihe nebeneinander angeordnet, auf die Blattreihen hierauf eine Last gelegt und dann beobachtet, welche Formveränderungen die Blätter erleiden. Die Wirkung der Last wird jedenfalls derart sein, daß sich die Spitzen der Blätter entsprechend nach abwärts neigen. – In Griechenland fanden mehrere Kymatien Verwendung, und zwar:

1. Das dorische Kymation. Bei diesem erscheinen die Blattreihen nur bis zur Hälfte herabgeneigt, wodurch symbolisch angedeutet wird, daß die Last eine geringere ist. Diese Blattwelle (Fig. 1), mit ihrer Unterschneidung einem Adlerschnabel ähnlich profiliert, findet sich bloß im dorischen Stile vor und wird insbesondere beim dorischen Antenkapitäl verwendet; das Blattschema erscheint aufgemalt.

2. Das Echinuskymation. Bei diesem wird die Last so groß gedacht, daß sich die Spitzen der Blätter bis zu den Blattenden herabneigen. Dadurch entsteht eine schöne, elastische Linie, die wohl geeignet erscheint, das Stützen einer architektonischen Last zu symbolisieren. Die hauptsächlichste Anwendung findet diese Blattwelle bei dem Echinus des dorischen Säulenkapitäls. Auch hier erscheinen die Blätter nur aufgemalt, dagegen hat sich bald aus dieser Blattwelle eine plastische Form herausgebildet, die unter dem Namen Eierstab bekannt ist (Fig. 2). Der Eierstab als Blattwelle besteht aus runden, eiförmigen Blättern, die mit schmalen, lanzettförmigen abwechseln. Die griechische Gestalt derselben ist mäßig plastisch, und die einzelnen Elemente besitzen noch die Blattform; die römische Form aber ist ungemein plastisch, wobei die runden Blätter in der Tat sich der Eiform nähern. Der Eierstab der Renaissancezeit ist im allgemeinen gleich dem römischen, nur ist er noch zuweilen durch dekorative Zutaten bereichert.

3. Das Lesbische Kymation oder Herzblatt. Bei diesem erscheinen die Blätter ebenso stark belastet wie bei dem Echinuskymation, so daß sich die Spitzen derselben bis zu den Blattenden, ja sogar darüber hinaus herabneigen, wodurch das Blatt in einer eigentümlich elastischen Linie gebogen erscheint. Auch diese Blattwelle wurde in vielen Fällen nur gemalt (Fig. 3), aber noch häufiger erhielt sie eine plastische Gestalt, die ebenfalls aus breiten, herzförmigen Blättern und aus dazwischenliegenden schmalen, lanzettförmigen Formen besteht. Dabei sind aber die breiten Blätter nicht mehr nur einfach nebeneinander gestellt, sondern werden durch Oefen miteinander verbunden (Fig. 4). Das Herzblatt tritt schon in Griechenland in mehreren Variationen auf, noch reicher gestalteten sich dieselben im römischen Stile, namentlich werden die Formen hier voller, plastischer und derber gebildet und zuweilen mit Zuhilfenahme von Akanthusblättern dekoriert. In einzelnen Abarten verschwindet das charakteristische Herzblatt vollständig, statt dessen erscheinen stengelartige Gebilde, welche die Umrißlinien des Herzblattes in unverstandener Weise umziehen und die so gebildeten leeren Teile mit allerhand Blatt- und Blütenwerk ausfüllen. Die Herzblattformen der Renaissanceperiode lehnen sich im allgemeinen ziemlich stark an die römischen Blattwellen an, nur sind sie seiner und zarter durchgebildet. Literatur: Schubert-Soldern, Das Stilisieren der Pflanzen, Zürich 1887; Bötticher, K., Die Tektonik der Hellenen, 2. Aufl., Berlin 1869.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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