Eisenbahntarife

Eisenbahntarife

Eisenbahntarife, die Zusammenstellungen der Bedingungen und Preise für die Beförderung von Personen, Gepäck, lebenden Tieren und Gütern auf Eisenbahnen. Es gibt daher Personen- und Gepäcktarife, Gütertarife, Tiertarife u.s.w. Wegen der (die Grundlage jeden Tarifs bildenden) Beförderungsbedingungen s. Eisenbahnverkehr. Die Beförderungspreise werden – abgesehen von Ausnahmefällen – regelmäßig in der Form von Gebühreneinheiten von den Bahnen einseitig festgesetzt.

Für Deutschland ist die Veröffentlichung der Tarife durch die mit Gesetzeskraft ausgestattete Eisenbahnverkehrsordnung vorgeschrieben, für Preußen schon durch das Gesetz über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 1838, für Oesterreich-Ungarn durch das Oesterreichisch-ungarische Betriebsreglement, für die Schweiz durch das Schweizerische Transportreglement, für den internationalen Eisenbahngüterverkehr der meisten Länder Europas durch das Internationale Uebereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr (s. Eisenbahnbetrieb II, A., Eisenbahnverkehr I, III) vorausgesetzt.

Für die Abstufung der Tariflätze sind gemeiniglich maßgebend: 1. die Länge des Beförderungsweges, 2. die Einheit der Personen, die Anzahl, Menge, das Gewicht oder der Umfang der zu befördernden Gegenstände oder Tiere, 3. die besonderen Eigenschaften der zu befördernden Personen (Erwachsene, Kinder, Soldaten, Gesellschaften, Arbeiter) oder Gegenstände (Verhältnis der toten Last zur Nutzlast, Zerbrechlichkeit u.s.w.) und hiermit in Verbindung 4. die Werteinschätzung der Personen und Gegenstände und das an ihrer Beförderung bestehende Interesse sowie 5. die besonderen Bedingungen, die bei der Beförderung zu erfüllen sind. (Im Personenverkehr erfolgt zu 4. eine Selbsteinschätzung durch Wahl der Wagenklasse und Zuggattung, womit die Beförderungsbedingungen zu 5., als Wagenklasse, besondere Bequemlichkeit, Zuggeschwindigkeit u.s.w., gegeben sind. Im Gepäckverkehr pflegt eine Klasseneinteilung nicht stattzufinden. Im Güterverkehr werden die Güter bahnseitig nach ihrem Wert und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung abgestuft – »Güterklassifikation, erläutert durch die ›Tarifvorschriften‹« –, während als besondere Beförderungsbedingungen, die teils von der Wahl des Versenders abhängen, teils nicht, die Schnelligkeit der Beförderung, die Verpackungsart, besondere Verladevorschriften, Verwendung offener oder gedeckt gebauter Wagen, Verzicht auf die Haftung der Bahn u.s.w. in Frage kommen.) Endlich kann 6. die Preisstellung wesentlich beeinflußt werden durch den Wettbewerb andrer Verkehrswege (Eisenbahnen, Land- und Wasserstraßen). Dagegen sind die Selbstkosten der Beförderung im allgemeinen ohne unmittelbaren Einfluß auf die Preisstellung.

Je nach der Art und dem Umfange, in denen vorgenannte Umstände alle oder zum Teil bei der Preisstellung berücksichtigt werden, gestaltet sich das »Tarifsystem« verschieden (Wagenraumsystem, Wertklassifikationssystem, Verbindung beider im gemischten System). Von den reinen Entfernungstarifen unterscheiden sich die »Staffeltarife« dadurch, daß die Preise bei ihnen zwar auch mit den Entfernungen, aber nach staffelförmig fallenden (bisweilen auch steigenden) Einheitssätzen wachsen. Eine Abstufung der Preise nach Mehrheiten von Kilometern oder Gruppen von Stationen ergibt den »Zonentarif«. Starke Abweichungen von der Preisbemessung nach der Entfernung treten ein in Wettbewerbsfällen und bei Ausnahmetarifen (um gewisse Güter transportfähig zu machen, die Ausfuhr zu befördern, Notstände zu beseitigen u.s.w.). (In England werden die Tarife überhaupt nicht nach der Entfernung berechnet.) Bei Gütern tritt zu den Streckensätzen[323] in der Regel die Abfertigungsgebühr als Entgelt für die auf Versand- und Empfangsstationen erforderlichen besonderen Mühewaltungen und die Vorhaltung der hierfür erforderlichen Einrichtungen. Für manche nicht bei allen Gütern vorkommenden Leistungen pflegt man außerdem die »Nebengebühren« zu erheben. Im Personenverkehr treten in gewissen Fällen Ermäßigungen (Rückfahrkarten, Fahrscheinhefte u.s.w.) und Zu Ich läge (Schnellzugskarten, Platzkarten, Schlafwagenkarten u.s.w.) ein. Man unterscheidet Binnentarife und direkte Tarife; letztere nennt man, wenn mehrere Länder beteiligt sind, internationale Tarife.

Die Preisangaben beziehen sich bei den Personentarifen auf die einzelne Person, bei den Gütertarifen auf eine Gewichtseinheit, eine Raumeinheit, ein Stück, bei den Tiertarifen auf eine Gewichtseinheit, eine Wagenflächeneinheit, ein Stück. (Der deutsche Gütertarif – gemischtes System, s. oben – hat für Wagenladungen, d.h. für die Bezahlung von mindestens 10000 oder 5000 kg für jeden verwendeten Wagen, erheblich niedrigere Sätze als für Stückgut.) Je nachdem die Tarife die Beförderungssätze zwischen den einzelnen Stationen fertig ausgerechnet enthalten oder nur die Unterlage zu ihrer Berechnung liefern, unterscheidet man Stationstarife und Kilometer-(Werft- u.s.w.)tarife (beide mit den Abarten der Schnitt- und Anstoßtarife). Ein Zubehör jeden Gütertarifs sind die Verkehrsleitungs-(Lade-)vorschriften und jeden direkten Tarifs eine Vereinbarung über die Einnahmenverteilung, die an Hand von »Anteilstabellen« vorgenommen zu werden pflegt. Verkehrsleitungsvorschriften und Anteilstabellen berühren nur den inneren Dienst und werden daher nicht veröffentlicht.


Literatur: [1] Ulrich, Das Eisenbahntarifwesen im allgemeinen und nach seiner besonderen, Entwicklung in Deutschland u.s.w., Berlin und Leipzig 1886. – [2] Rank, Emil, Das Eisenbahntarifwesen in seiner Beziehung zu Volkswirtschaft und Verwaltung, Wien 1895. – [3] Cauer, Betrieb und Verkehr der Preußischen Staatsbahnen, II, 3, Berlin 1903. – Weitere Literaturangaben in den genannten Werken.

Cauer.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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