Gruppentheorie

Gruppentheorie

Gruppentheorie. Als Gruppe wird ein Komplex mathematischer Operationen bezeichnet, wenn er so beschaffen ist, daß die Aufeinanderfolge je zweier dieser Operationen immer durch eine ebenfalls dem Komplex angehörige dritte Operation ersetzt werden kann.

Diskontinuierliche Gruppen sind solche, bei welchen je zwei Operationen endlich verschieden sind. Die endlichen diskontinuierlichen Gruppen enthalten eine endliche Anzahl von Operationen; dieselben können als Vertauschungen (Permutationen) von irgend welchen Elementen x1 x2 ... xr in einer Funktion derselben φ (x1 x2 ... xr) aufgefaßt werden. Diese Permutationsgruppen heißen gewöhnlich Substitutionsgruppen, indem man die Permutation als Folge einer Substitution ansteht. In jeder Gruppe ist die identische Substitution enthalten. Die Zahl n der zu vertauschenden Elemente heißt Grad, die Zahl r der zur Gruppe gehörigen Substitutionen Ordnung der Substitution. Zu jeder Gruppe gehört eine Funktion der Elemente, welche bei jeder Substitution der Gruppe ungeändert bleibt und umgekehrt. In diesem Sinne gehört zu jeder symmetrischen Funktion der Elemente die aus allen Permutationen derselben bestehende symmetrische Gruppe; zu jeder alternierenden Funktion, d.h. zur Quadratwurzel aus irgend einer symmetrischen Funktion, gehört die alternierende Gruppe, aus der Hälfte aller möglichen [665] Permutationen bestehend. Zur Funktion x1x2 + x3x4 gehört die Gruppe


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sie ist vom Grad 4 und der Ordnung 8. Eine Gruppe heißt transitiv, wenn man vermittelst ihrer Substitutionen an die Stelle irgend eines Elements jedes beliebige andre bringen kann, z.B. die Gruppe


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andernfalls intransitiv, z.B. die Gruppe


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Eine transitive Gruppe heißt imprimitiv, wenn die Elemente derart in Systeme von gleichviel Elementen zerlegt werden können, daß alle Substitutionen der Gruppe die Elemente eines Systems entweder nur unter sich vertauschen oder alle durch diejenigen eines einzigen andern Systems ersetzen; andernfalls heißt sie primitiv. Die Gruppe G1 ist imprimitiv mit den Systemen x1 x2 und x3 x4. Die Substitutionen, welche nur die Elemente der Systeme unter sich vertauschen, bilden eine Untergruppe der Gruppe (z.B. die vier ersten Substitutionen von G1 bilden eine Untergruppe). Ist 1 (d.h. die identische Substitution) s1 s2 ... eine Gruppe, a eine nicht zu ihr gehörige Substitution, so bilden die Substitutionen 1; σ–1 s1 σ; σ–1 s2 σ; ... eine zur ersteren ähnliche Gruppe und heißen die aus derselben durch Transformation mittels σ entstandenen Substitutionen. Bleibt eine Substitution s ungeändert bei Transformation mittels σ, so ist s σ = σ s, die Substitutionen heißen vertauschbar. Zwei Gruppen Gr und Gs heißen vertauschbar, wenn jede Substitution von Gr bei Transformation mittels einer Substitution von Gs wieder in eine Substitution von Gr übergeht und umgekehrt. Eine Untergruppe, die mit der Hauptgruppe vertauschbar ist, heißt ausgezeichnete Untergruppe; eine Gruppe, welche eine solche besitzt, heißt zusammengesetzt, sonst einfach, z.B. ist die obengenannte Gruppe G2 eine ausgezeichnete Untergruppe der symmetrischen Gruppe. Sind in zwei Gruppen Gr und Gs jeder Substitution von Gr λ solche von Gs, jeder von Gs eine von Gr derart zugeordnet, daß jedem Produkt zweier Substitutionen von Gr das Produkt der entsprechenden in Gs zugeordnet ist, so heißen Gr und Gs isomorph, und zwar holoedrisch oder meroedrisch, je nachdem λ Gruppentheorie 1, z.B. sind


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und


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meroedrisch isomorph. Die Substitutionen von Gs, welche einer bestimmten Substitution von Gr zugeordnet sind, bilden eine ausgezeichnete Untergruppe von Gs.

Die Substitutionsgruppen spielen in der Theorie der Gleichungen eine Hauptrolle (namentlich sind sie wichtig für die algebraische Auflösbarkeit derselben). Unendliche diskontinuierliche Gruppen kommen in der Funktionentheorie vor; Beispiele sind die Perioden der goniometrischen und elliptischen Funktionen; ferner gehören hierher die automorphen (Fuchsschen) Funktionen, welche bei gewissen linearen Substitutionen des Arguments ihren Wert nicht ändern (s. [10]).

Kontinuierliche Gruppen (Transformationsgruppen) beziehen sich auf Operationen (Transformationen) mit unendlich vielen Elementen. Es ist in jeder derselben eine infinitesimale Transformation enthalten, durch welche jedes Element in ein unendlich benachbartes übergeführt wird. Als Elemente betrachtet man gewöhnlich Punkte in einem n-fach ausgedehnten Raum, welche durch die Transformationen der Gruppe in andre Punkte übergeführt werden. Bei den endlichen kontinuierlichen Gruppen sind die neuen Koordinaten der Punkte bestimmte Funktionen der alten Koordinaten und einer Anzahl von Parametern. Eine Gruppe mit r Parametern heißt r-gliedrig. Im folgenden werden Gruppen mit zwei Veränderlichen (ebene Gruppen) näher besprochen. Ist x1 = x + ξ (x, y) d t; y1 = y + η (x, y) d t die infinitesimale Transformation einer eingliedrigen Gruppe mit dem Parameter t und setzt man


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so sind


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die endlichen Gleichungen der Gruppe. Die Transformationen der Gruppe führen jeden Punkt (x, y) in die Punkte x1 y1 einer Kurve über, deren Gleichung (in x1 y1) man durch Elimination von t aus den endlichen Gleichungen erhält, wenn x und y bestimmte Werte haben. Es entsteht hierdurch ein System von unendlich vielen Kurven (Bahnkurven), die bei allen Transformationen der Gruppe unverändert bleiben. Außer diesen Bahnkurven gibt es noch andre invariante Kurvensysteme derart, daß jede Kurve des Systems durch irgendeine Transformation der Gruppe in eine andre Systemkurve übergeführt wird. Ist M d x + N d y = 0 die Differentialgleichung eines solchen Kurvensystems, so gestattet diese die infinitesimale Transformation X(f) und dann ist 1/M ηN ξ der integrierende Faktor, der die Differentialgleichung zu einer exakten macht (s. Differentialgleichungen I. a. δ und ζ). Eine zweigliedrige Gruppe x1 = f (x1 y1 a1 a2); y1 = φ (x1 y1 a1 a2) ist transitiv, wenn jeder Punkt in jede Lage durch irgend eine Transformation übergeführt werden kann, wenn also die beiden Gleichungen nach den Parametern aufgelöst werden können; z.B. die Gruppe G : x1 = a1 (x cos α2y sin α2); y1 = a1 (x sin α2 + y cos α2). Sie ist intransitiv, wenn beide Parameter eliminiert werden können, z.B. x1 = x + a1 + a2; y1 = ea1 ey + a2. In letzterem Falle besitzt auch eine zweigliedrige Gruppe Bahnkurven. Läßt sich bei einer transitiven Gruppe ein Kurvensystem angeben derart, daß bei jeder Transformation alle Punkte einer Systemkurve entweder nur unter sich[666] vertauscht oder alle in Punkte einer andern Systemkurve übergeführt werden, so heißt die Gruppe imprimitiv (z.B. die Gruppe G, für welche x2 + y2 = const. und x/y = const. solche Kurvensysteme sind), andernfalls primitiv. Besondere Gruppen sind diejenigen der Translationen, der Drehungen, die affine Gruppe. Ueber Transformationsgruppen im Raum s. [7], Abt. 3; über Gruppen mit »Veränderlichen« s. [6], 1. Abschn.; über Gruppen von Berührungstransformationen s. [6], 2. Abschn. Bei unendlichen kontinuierlichen Gruppen kommen in den Ausdrücken der neuen Veränderlichen durch die alten willkürliche Funktionen vor.


Literatur: Von den angeführten Werken beziehen sich [1]–[3] auf Substitutionsgruppen, [4], [5] und [10] auf automorphe Funktionen, [6]–[8] auf endliche Transformationsgruppen (wobei [6] für Vorgerücktere bestimmt ist), [9] auf unendliche kontinuierliche Gruppen. – [1] Netto, E., Substitutionentheorie und ihre Anwendungen auf die Algebra, Leipzig 1882. – [2] Serret, Handbuch der höheren Algebra, deutsch von Wertheim, 2. Aufl., II, 4. Abt., Leipzig 1879. – [3] Jordan, Traité des substitutions et des équations algébriques, Paris 1870. – [4] Forsyth, A.R., Theory of functions of a complex variable, Kap. 21–22, Cambridge 1893. – [5] Biermann, O., Theorie der analytischen Funktionen, Kap. 7, 2. Abschn., Leipzig 1887. – [6] Lie, S., Theorie der Transformationsgruppen, I–III, Leipzig 1888–93. – [7] Ders., Vorlesungen über Differentialgleichungen mit bekannten infinitesimalen Transformationen, herausg. von Scheffers, Leipzig 1891. – [8] Ders., Vorlesungen über kontinuierliche Gruppen, herausg. von Scheffers, Leipzig 1893. – [9] Ders., Untersuchungen über unendliche kontinuierl. Gruppen, Christiania 1895. – [10] Fricke, A., und Klein, F., Vorlesungen über die Theorie der automorphen Funktionen, I–V, Leipzig 1897–1901.

Wölffing.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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