Kammgarn

Kammgarn

Kammgarn, schlichtes Gespinst aus gekämmter (s. Kammgarnspinnerei) tierischer Wolle (s. Spinnfasern).

Um ein möglichst schlichtes Gespinst zu erzielen, werden vornehmlich längere Wollen zu Kammgarn verarbeitet, so daß möglichst wenig Haarenden an der Oberfläche erscheinen; ferner werden Wollen verwendet, die entweder von Haus aus schlicht sind, oder solche, deren Kräuselung durch Streckung und Trocknung im gespannten Zustande auf der Plättmaschine (s. Kammgarnspinnerei) beseitigt wird. Die Unterscheidung in weiche, mittelharte und harte Kammgarne ist ohne Einführung technologisch bestimmter Kriterien nicht durchführbar [1], da infolge der Wollzüchtungen alle möglichen Uebergänge bei den Wollen vorhanden sind; alle Kulturstaaten mit Ausnahme Deutschlands haben deshalb die Unterscheidung in »harte« und »weiche«[317] Kammgarne in den Zolltarifen fallen lassen; das neue deutsche Zollgesetz (vom 1. März 1906 ab) hat leider den Begriff der »harten« Kammgarne beibehalten (vgl. Nr. 420 und 421 des Zolltarifs: »hartes Kammgarn aus Glanzwolle über 20 cm Länge, auch gemischt mit andern Tierhaaren, wenn das Garn nicht dadurch die Eigenschaften des harten Kammgarns verloren hat u.s.w.«). Zur Bestimmung muß deshalb auf die »Anleitung für die Zollabfertigung« verwiesen werden, die für die Untersuchung folgendes vorschreibt: 1. Wird bei der Abfertigung von Garn aus Wolle oder andern Tierhaaren die Verzollung nach Nr. 420 oder 421 des Zolltarifs in Anspruch genommen, so ist zunächst durch sorgfältige Prüfung, erforderlichenfalls unter Anwendung des Mikroskops, festzustellen, ob in dem Garn andre Spinnstoffe als Tierhaare enthalten sind. Enthält das untersuchte Garn andre Spinnstoffe als Tierhaare, so ist es von der Verzollung als hartes Kammgarn zu den Sätzen der Nr. 420 und 421 ohne weiteres auszuschließen. – 2. Enthält das untersuchte Garn keine andern Spinnstoffe als Tierhaare, so ist von fünf aus verschiedenen Stellen der abzufertigenden Warensendung herauszugreifenden Strähnen, Kops oder Kreuzspulen je ein Fadenstück von 60 cm Länge herauszuschneiden. Die Fadenstücke sind demnächst sorgfältig aufzudrehen und die darin enthaltenen Haare nach ihrer Länge zu messen. Hierbei werden die Haare entweder mit einem Ende an einem Täfelchen von Glas oder Holz mittels Wachskügelchen befestigt und mit dem Finger ohne erheblichen Druck so weit ausgestrichen, daß ihre Wellen gestreckt sind, oder die Haare werden mit beiden Enden auf zwei verschiedene Täfelchen befestigt, die bis zum Gestrecktliegen des Haares auf glatter Unterlage allmählich voneinander zu entfernen sind. – 3. Werden in den fünf Fadenstücken zusammen mindestens 15 Haare von je mehr als 20 cm Länge ermittelt, so hat die Verzollung des Garns nach Nr. 420 oder 421 zu erfolgen. Beträgt die Zahl der ermittelten Haare von mehr als 20 cm Länge weniger als 15, so ist die Verzollung des Garns zu den Sätzen der Nr. 420 oder 421 abzulehnen. Indessen ist in solchen Fällen der Zollpflichtige berechtigt, eine Nachprüfung durch das Königlich preußische Materialprüfungsamt zu Groß-Lichterfelde oder durch andre von den obersten Landesfinanzbehörden bestimmte Stellen zu beantragen; er hat aber die Kosten der Nachprüfung zu tragen, falls das Ergebnis zu seinen Ungunsten ausfällt. Werden in den fünf Fadenstücken Haare von mehr als 20 cm Länge überhaupt nicht gefunden, so gilt ohne weiteres als erwiesen, daß die Ware kein hartes Kammgarn ist; in derartigen Fällen ist das Garn unter allen Umständen von der Verzollung nach Nr. 420 oder 421 ausgeschlossen.

Diese Bestimmung nimmt also nur Rücksicht auf die Länge der längsten Haare, gibt dann aber kein einwandfreies Kriterium für die »Härte« der Kammgarne, da ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen Länge und Dicke der Haare nicht besteht. Es gibt kurze und lange grobe Wollen und kurze und lange seine Wollen; die Dicke und Länge der Wollhaare ist sogar verschieden an den verschiedenen Hautstellen eines Tieres, und selbst im einzelnen Haare kommen die verschiedensten Dicken vor, da das Wachstum außerordentlich abhängig ist von Rasse, Klima, Witterung, Ernährung u.s.w. Im webtechnischen Sinne kommt für die »Härte« der Kammgarne jedoch hauptsächlich ihr Widerstand gegen Biegung, ihre Steifigkeit, in Betracht und deshalb wird, da auf sie die Drahtgebung und die Länge der Haare einen geringeren Einfluß ausüben, besonders der mittlere Durchmesser der Einzelhaare, die das Kammgarn bilden, als Maß für die Härte der Wollen in Rücksicht gezogen werden müssen. Das aber in der Weise zu tun, wie es die früheren zollamtlichen Bestimmungen vom Jahre 1888 voraussetzten, daß der mittlere Durchmesser nur durch die mikroskopische Messung von neun Haaren bestimmt wurde, erscheint unzulässig, da dadurch (das Wollhaar hat keinen kreisrunden Querschnitt, ist nicht genau zylindrisch, die einzelnen Wollhaare sind sehr verschieden dick) ein einwandfreier Mittelwert nicht geschafft werden kann. Will man den Durchmesser des Wollhaares als Maß für die »Härte« der Kammgarne benutzen, dann muß der mittlere Durchmesser aller Haare, die in den verschiedenen Querschnitten vorhanden sind, in Rechnung gezogen werden. Das geschieht am zweckmäßigsten so, daß man die mittlere Feinheitsnummer der Wollhaare angibt, die das Gespinst bilden. Zahlenmäßig wird sie bekanntlich durch folgendes Verfahren bestimmt: Man schneidet, nachdem die Feinheitsnummer (Anzahl der Kilometer, die 1 kg ausmachen), ermittelt ist, ein kurzes Stück (etwa 1–2 mm) aus dem Gespinst mit Scherenschnitten heraus und zählt die Anzahl der Haarenden; das wird an verschiedenen Stellen des Gespinstes durchgeführt, und hieraus wird der Mittelwert genommen. Die mittlere Feinheitsnummer des das Garn bildenden Wollhaares ist dann die mittlere Anzahl der Haare in einem Gespinstquerschnitt, multipliziert mit der Feinheitsnummer des Gespinstes. Legt man als Dickenscheidepunkt für die »harten« und die »andern« Kammgarne den früher normiert gewesenen Wert von 34 μ zugrunde, so ergibt sich bei einem spez. Gew. des Wollhaares von 1,32 die Grenzfeinheitsnummer des Wollhaares zu 835, d.h. Wollen, die gröber sind (deren Feinheitsnummer also kleiner ist) als 835, sind als »harte« zu bezeichnen, solche, die seiner sind (deren Feinheitsnummer größer ist) als 835, sind als »andre« Wollen zu bezeichnen. Der neue Zolltarif nimmt aber – nach wie vor – weiter Rücksicht auf die Länge der Wollhaare (»hartes Kammgarn aus Glanzwolle über 20 cm Länge« ), was zufolge der geschichtlichen Entwicklung des Zolltarifs auch voll gerechtfertigt erscheint. Hierbei jedoch nur die Länge der längsten Haare in Rücksicht zu ziehen, wie es die jetzt geltenden Bestimmungen tun, muß als bedenklich bezeichnet werden. Denn, wenn man auch den Ausdruck »hartes Kammgarn aus Glanzwolle über 20 cm Länge« so auffassen muß, daß das Garn aus Wolle hergestellt ist, die im Wollhandel als solche »über 20 cm Länge« bezeichnet wird, und man daher z.B. nicht verlangen darf, daß sämtliche Haare über 20 cm lang sein müßten, so darf man doch anderseits durch das bloße Auftreten von mindestens durchschnittlich einem Haar in jedem Querschnitt (was der eingangs erwähnten dritten Bestimmung entspricht, daß in fünf Stücken von 60 cm Länge mindestens 15 sogenannte »Zollhaare« über 20 cm Länge sein sollen), nicht auch schon schließen wollen, daß bei Herstellung des »harten« Kammgarns der langen Wolle keine kürzeren Wollen zur Umgehung der Zollbestimmungen[318] beigemischt seien. Durch neuere Untersuchungen ist zahlenmäßig nachgewiesen worden, daß das Spinnverfahren in der Kammgarnspinnerei eine Verkürzung der mittleren Haarlänge zwischen Kammzug und fertigem Gespinst nicht hervorruft, sondern, daß vielmehr eine stetige Verlängerung eintritt und daß auch viele der längsten Haare von Anfang bis zu Ende durch die Maschinen der Kammgarnspinnereien unverletzt hindurchgehen [2]. – Bei der zurzeit angestrebten Abänderung der »Ausführungsbestimmungen des Zolltarifs« sollte bezüglich des vorliegenden Punktes deshalb auch gefordert werden, daß zum minderten eine bestimmte mittlere Haarlänge [3] in den einzelnen Gespinstquerschnitten vorhanden sein soll, sofern diese Kammgarne gemäß Nr. 420/421 Zollermäßigung genießen sollen. Als solche zu fordernde minderte mittlere Haarlänge dürfte nach umfangreichen Untersuchungen des Unterzeichneten eine solche von 11 cm in Betracht zu ziehen sein. Literatur: [1] Fischer, Hugo, Ueber die Härte der Kammgarne, Civilingenieur 1883, Bd. 29, S. 583; Wolf, Ueber die Unterscheidung der sogenannten harten Kammgarne (wefts) in der Zollverwaltung, ebend. 1893, Bd. 39, S. 407; Hartig, G., Ueber die Unmöglichkeit der Trennung harter und weicher Kammgarne, Zeitschr. für die gesamte Textilindustrie 1902/03, S. 91. – [2] Gies, Der Einfluß des Spinnverfahrens auf die mittlere Haarlänge in der Kammgarnspinnerei, Zeitschr. für Textilindustrie 1907. – [3] Müller, Ernst, Verfahren zur Bestimmung der mittleren Faserlänge in Gespinsten, Leipz. Monatschr. für Textilindustrie 1894, S. 51, und Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1894, S. 997.

Ernst Müller.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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