Arbeiterwohnhäuser [2]

Arbeiterwohnhäuser [2]

Arbeiterwohnhäuser, ländliche, werden in der Regel von dem Grundbesitzer gebaut. Mit dem Hauswesen des ländlichen Arbeiters ist meistens Gartenbau und Viehhaltung verbunden; daher gehört zur Wohnung ein kleiner Hof und ein Stallgebäude.

Die Baustelle der Arbeiterwohnhäuser ist so zu wählen, daß jede einzelne Wohnung und der zugehörige Hof einen möglichst unmittelbaren Ausgang nach der Straße erhält. Die Anordnung der Gebäude auf der Baustelle muß den Ueberblick des Hofes und der Stalltür von der Wohnung aus gestatten. In jeder Wohnung muß wenigstens ein Teil der vorhandenen Fenster mehrere Stunden des Tages der Sonne ausgesetzt sein. Zu einer Arbeiterwohnung gehört: ein Wohnzimmer, eine bis zwei Schlafkammern, eine Küche, häufig zugleich Flur, ein Kellerraum, ein Bodenraum mit Räucherkammer, sowie ein Stall mit Abort. – Das Wohnzimmer erhält 19–22 qm Grundfläche bei 2,5–2,7 m Höhe (Erlaß des preuß. Ministeriums für Handel vom 9. Januar 1871). Der Fußboden ist im östlichen Deutschland häufig nur ein Lehmestrich, im mittleren und weltlichen Deutschland wird Dielung bevorzugt. Als Decke verwendet man bei einfachster Ausstattung in einstöckigen Häusern den von unten mit Lehm geputzten und geweißten gestreckten Windelboden, in besseren Häusern den halben Windelboden, darunter Rohrdeckenputz, darüber Dielung. Auch die Betongewölbe sind sehr zu empfehlen [1]. Fenster werden am besten einflügelig hergestellt, damit auch ländliche Handwerker sie verfertigen können. – Die Schlafkammer soll mindestens 10–12 qm Grundfläche erhalten (Vorschrift für preußische Domänenbauten). Dieses Maß genügt aber nicht, um die ganze Familie ohne Zuhilfenahme der Wohnstube aufzunehmen. Man sollte, wo nur eine Schlafkammer vorhanden ist, diese nicht unter 20 qm, besser aber zwei Kammern von je 10 qm anlegen, deren eine im Dachgeschoß liegen kann. Eine der Schlafkammern muß wenigstens mäßig geheizt werden können. – Die Küche. Die Volksgewohnheiten des Westens sind andre als die des Ostens. Im Osten fehlt die Küche häufig ganz, oder sie bildet den Eingangsflur und wird nur im Sommer zum Kochen, sowie immer zum Waschen, Gemüseputzen u. dergl. benutzt, während im Winter im Stubenofen gekocht wird. Bei dieser Einrichtung erhält die Küche nur 6–8 qm. Einen besonderen Eingangsflur von der Küche als Windfang abzuzweigen ist zwecklos; die Benutzung der Küche als Eingangsflur entspricht den ländlichen Gewohnheiten. In den westdeutschen Gegenden wird die Küche zugleich als Wohnzimmer benutzt und erhält dann ungefähr 20 qm Grundfläche. Hier ist ein Windfang an dem Eingange erwünscht. – Dem Keller, der vorzugsweise zur Aufbewahrung der Kartoffelvorräte dient, gibt man eine Grundfläche von 8–10 qm. Die vielfach vorkommende Einrichtung von Kellern unter den Kammern, die nur durch eine Klappe im Fußboden zugänglich sind, ist verwerflich, weil der Verschluß nicht dicht genug ist, um die gesundheitsschädlichen Ausdünstungen der Kartoffeln zu verhindern. Der Zugang liegt zweckmäßig unter der Treppe im Eingangsflur, oder es wird ein besonderer [282] Kellerhals außen angelegt. Den Keller sollte man, wenn möglich, stets dunstdicht überwölben. – Die Heizung ist so einzurichten, daß in der Wohnung nur ein Feuer zum Heizen und Kochen erforderlich m. Als Sommerküche kann der mit einem Herd versehene Hausflur verwendet werden. Im Winter dient der mit Kochröhre ausgestattete Stubenofen gleichzeitig zum Kochen und Heizen. In [2] wird ein Ofen für Arbeiterwohnhäuser mitgeteilt, der auch im Sommer zum Kochen benutzt werden kann, ohne sich merklich zu erwärmen. Eine andre bemerkenswerte Feuerungsanlage, die einen Kochherd, Ofen, Backofen, offenen Kamin und Räucherkammer vereinigt, ist zu finden in [2], [3] und [4]. Für den Sommerherd eignen sich besonders auch die in Sachsen und Thüringen weit verbreiteten Grudeherde (s.d.). Wünschenswert ist, daß die Heizung ohne weiteres auch die Lüftung der Wohnräume bewirkt, weil Arbeiter erfahrungsmäßig zum Oeffnen der Fenster nicht zu bewegen sind. – Der Stall wird häufig als besonderes Gebäude errichtet; als Anbau des Wohnhauses oder mit diesem unter einem Dach muß er nach baupolizeilichen Vorschriften durch eine Brandmauer ohne Türöffnung gegen die Wohnräume begrenzt werden. Größe und Einrichtung richten sich nach den örtlichen Verhältnissen. Im Osten Deutschlands erhalten die Arbeiter meistens die Berechtigung zum Halten einer Kuh, eines oder zweier Schweine und einigen Federviehs. Dabei rechnet man zu einer Wohnung einen Stallraum von 3:4 m. Der Holzstall erhält 4–5 qm Grundfläche. Die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft Hellte in einem Preisausschreiben für Arbeiterwohnhäuser als Erfordernis für den Stall auf: zwei Ziegen, zwei Schweine, zwei Gänse, einige Hühner, einen Holzstall, Bodenraum für Heu und Stroh, Abort und Düngergrube.

Entwürfe. Das ländliche Arbeiterwohnhaus wird als Ein-, Zwei-, Drei- oder Vierfamilienhaus und zwar in der Regel einstöckig erbaut. Selten vereinigt man mehr als vier Familien unter einem Dach. Man vermeidet auf dem Lande gern den kasernenartigen Charakter des Hauses. Es ist auch schwierig, in größeren Häusern jeder Familie einen eignen, von der Straße zugänglichen Hof zuzuweisen, da man die Anordnung des Hofes mit Ställen und Mistgrube hinter oder neben dem Hause derjenigen vor dem Hause vorzieht. Im übrigen soll der Grundriß des Hauses nicht langgestreckt sein, sondern sich dem Quadrat nähern, damit wenig Außenflächen der Abkühlung ausgesetzt seien. Die bewohnten Räume sollen aus gleichem Grunde nur eine Außenwand erhalten. In besseren Grundrißlösungen wird dadurch der Flur in die Ecke des Hauses verwiesen. Weniger wichtig und nur mit Opferung andrer Grundsätze erreichbar ist die Forderung, daß alle Wohnzimmer den Blick auf die Dorfstraße gestatten. Wir lassen hier einige der wichtigsten vorkommenden Grundrißlösungen folgen unter Hinweis auf [2], das eine größere Anzahl von Beispielen enthält. Dabei übergehen wir die Einfamilienhäuser, die wegen der höheren Kosten selten für Arbeiter, in der Regel nur für Beamte der Gutsverwaltungen gebaut werden.

Fig. 1 und 2 stellen den von der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft preisgekrönten Entwurf eines Zweifamilienhauses dar, das in halber Ausführung auch als Einfamilienhaus gelten kann. Die Wohnung besteht aus Stube, Kammer und Küche im Erdgeschoß und einer zweiten Kammer im Giebel des Dachgeschosses. Flur und Küche sind unterkellert. An der linken Seite des Hauses ist das Küchenfenster so gelegt, daß an den Giebel neben den Eingang das gestrichelt dargestellte Stallgebäude angebaut werden kann. Die Heizung ist die von Freiherrn v. d. Goltz [3] erfundene, oben bereits erwähnte. Das in Ziegelrohbau mit überhängendem Holzzementdach entworfene Gebäude kostet nach dem Anschlage 7500 ℳ., die zugehörigen Ställe 2400 ℳ. Vollständig bearbeitete Entwürfe und Kostenanschläge sind von der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft in Berlin SW., Dessauerstraße 14, gegen mäßige Kosten zu beziehen.

[283] Mit Uebergehung des Dreifamilienhauses, das wegen der unbequemen Einteilung meist keine ganz einfachen Grundrisse ergibt und darum selten ausgeführt wird, teilen wir in Fig. 3 den aus [2] entnommenen Grundriß, in Fig. 4 den Querschnitt eines schon mehrfach ausgeführten Vierfamilienhauses mit. Im Erdgeschoß liegt das Wohnzimmer und die Schlafstube, beide durch einen gemeinsamen Kochofen heizbar. Im Dachgeschoß hat jede Wohnung eine Giebelstube. Flur und Schlafstube sind unterkellert. Eine besondere Küche ist nicht vorhanden, ein Sommerherd steht im Flur. Die Wände sind in Ziegelrohbau und Luftschicht ausgeführt, die Decken aus Betonkappen gebildet, die bei der günstigen Grundrißgestaltung ohne eiserne Träger und mit nur wenigen Verankerungen ausführbar sind. Nach einem [2] beigegebenen Kostenanschlage kostet dieses Gebäude 10700 ℳ. Als Beispiel eines Stallgebäudes für ein Zweifamilienwohnhaus teilen wir in Fig. 5 und 6 einen von der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft preisgekrönten Entwurf mit. Der Bearbeitung dieses Entwurfes hat das obige Bauprogramm zugrunde gelegen. Da die Rückwand fensterlos als Brandmauer hergestellt ist, kann das Stallgebäude ohne Schwierigkeit verdoppelt und damit für ein Vierfamilienwohnhaus geeignet gemacht werden. Von allen ländlichen Arbeiterwohnhäusern sind die Vierfamilienhäuser wirtschaftlich die vorteilhaftesten und darum am weitesten verbreitet.


Literatur: [1] Deutsche Bauztg. 1882, Nr. 89; 1883, Nr. 13. – [2] v. Tiedemann, Handbuch des landwirtschaftl. Bauw., 3. Aufl., Halle a. d. S. 1898, S. 462 ff. – [3] v. d. Goltz, Ländliche Arbeiterwohnungen, Königsberg und Tilsit 1865. – [4] Wilke, Heiz- und Kochvorrichtung für Arbeiterwohnungen, Deutsche landwirtschaftl. Presse 1901, S. 718.

v. Tiedemann.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Fig. 5., Fig. 6.
Fig. 5., Fig. 6.

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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