Liniengeometrie

Liniengeometrie

Liniengeometrie, die Geometrie der Liniensysteme im Raum.

Eine Gleichung n ter Ordnung in Linienkoordinaten (s. Koordinaten) f (p, q, r, π, κ, ρ) = 0 stellt ∞3 Gerade im Raum, einen Komplex oder Linienkomplex n ter Ordnung dar. Durch jeden Punkt gehen ∞ Strahlen des Komplexes, die einen Kegel n ter Ordnung (Komplexkegel) bilden, und in jeder Ebene liegen ∞ Strahlen des Komplexes, die eine Kurve n ter Ordnung (Komplexkurve) umhüllen. – Ein spezieller Komplex besteht aus dem Inbegriff aller Geraden, welche eine Kurve schneiden oder eine Fläche berühren. Ein linearer Komplex (Nullsystem) wird durch zwei in involutorischer Lage befindliche reziproke räumliche Systeme gebildet. Durch jeden Punkt (Nullpunkt) geht und in jeder Ebene (Nullebene) liegt ein Strahlenbüschel erster Ordnung von Komplexgeraden (Nullgeraden). Hierdurch ist jedem Punkt eine durch ihn hindurchgehende Nullebene, jeder Ebene ein auf ihr liegender Nullpunkt zugeordnet. Die Nullebenen aller Punkte einer nicht zum Nullsystem gehörigen Geraden schneiden sich in der zu jener konjugierten Geraden (Polaren). Durch den Nullpunkt der unendlich fernen Ebene gehen alle Geraden, deren Polaren unendlich fern liegen (Durchmesser). Die Nullebenen der Punkte eines Durchmessers sind alle parallel. Der Durchmesser, der auf den Nullebenen seiner Punkte senkrecht steht, heißt Hauptachse. Das konstante Produkt aus der kleinsten Entfernung einer Geraden von der Hauptachse und der Tangente ihres Winkels mit ihr heißt Parameter. Ein spezieller linearer Komplex besteht aus allen Geraden, welche eine gegebene Gerade schneiden. Sämtliche Gerade, deren Schnittpunkte mit den Ebenen eines Tetraeders ein konstantes Doppelverhältnis haben, bilden einen Komplex zweiter Ordnung, einen sogenannten tetraedralen Komplex. Beispiele sind die sämtlichen Trägheitsachsen eines Körpers oder die sämtlichen Normalen einer Schar ähnlich gelegener konzentrischer Flächen zweiter Ordnung.

Alle Geraden eines Komplexes, welche eine gegebene, nicht dem Komplex angehörige Gerade g schneiden, umhüllen eine Fläche 2n(n –1) ter Ordnung, welche g als n(n – 1) fache Gerade hat und Komplexfläche der Geraden heißt; sie ist die Umhüllungsfläche der Komplexkegel der Punkte der Geraden. Zwei Gleichungen m ter und n ter Ordnung in Linienkoordinaten, [166] f(p, q, r, π, κ, ρ) = 0 und φ(p, q, r, π, κ, ρ) = 0, stellen ∞2 Gerade im Raum dar; dieselben bilden ein Strahlensystem m n ter Ordnung und m n ter Klasse, eine sogenannte Kongruenz oder Linienkongruenz. Durch jeden Punkt gehen m n Strahlen und in jeder Linie liegen m n Strahlen der Kongruenz. Singular heißen die Punkte und Ebenen, welche unendlich viele Kongruenzstrahlen enthalten. Die Strahlen einer Kongruenz sind entweder die Doppeltangenten einer Fläche oder die Sehnen einer Raumkurve oder die gemeinsamen Tangenten zweier Flächen oder die Tangenten einer Fläche von den Punkten einer Raumkurve aus oder die gemeinsamen Sekanten zweier Raumkurven. – Die gemeinsamen Strahlen zweier Komplexe bilden eine Kongruenz. Jeder Komplex ordnet die Punkte und Ebenen eines Strahls derart einander zu, daß jedem Punkt die Tangentenebene seines Komplexkegels längs des Strahls, jeder Ebene der Berührungspunkt ihrer Komplexkurve mit dem Strahl entspricht. Gehört ein Strahl p zweien Komplexen an, so kann man nach einem Punkt P auf p fragen, welchem in bezug auf beide Komplexe dieselbe Ebene Π entspricht. Es gibt zwei solche Fokalpunkte P auf p und zwei solche Fokalebenen Π durch p. Die Fokalpunkte aller Strahlen erzeugen und deren Fokalebenen umhüllen die Brennfläche der den Komplexen gemeinsamen Kongruenz.

Ist φ = 0 ein Komplex, so heißt


Liniengeometrie

der zugehörige abgeleitete Komplex; er ist von der Ordnung 2 (n – 1). Die Geraden, welche φ und ψ gemeinsam sind, heißen singuläre Linien des Komplexes. Die Fokalpunkte und Fokalebenen der von den singulären Linien gebildeten Kongruenz heißen bezw. singuläre Punkte und singuläre Ebenen des Komplexes. Sie erzeugen bezw. umhüllen die Singularitätenfläche desselben von der Ordnung und Klasse 2n(n – 1)2. Die Komplexkegel der singulären Punkte haben Doppellauten, die Komplexkurven der singulären Ebenen Doppeltangenten. Jede Doppelkante ist auch Doppeltangente; diese Geraden heißen singuläre Geraden; sie bilden eine Kongruenz von der Ordnung und Klasse 2n(n – 1). Ist φ (p, q, r, π, κ, ρ) = 0 ein Komplex, g = (p', q', r', π', κ', ρ') = 0 eine Gerade, so heißen


Liniengeometrie

Polarkomplexe von g in bezug auf φ = 0. Insbesondere ist


Liniengeometrie

der lineare Polarkomplex von g in bezug auf φ = 0; gehört g dem Komplex φ = 0 an, so enthält auch der Polarkomplex g und heißt alsdann Tangentialkomplex von g. Zwei lineare Komplexe haben eine lineare Kongruenz gemein; diese besteht aus allen Geraden, welche zwei feste Gerade schneiden. Drei Komplexe von der Ordnung m, n, p haben eine Regelfläche 2m n p ter Ordnung, drei lineare Komplexe eine Regelfläche zweiter Ordnung, vier Komplexe von den Ordnungen m, n, p, q 2 m n p q Strahlen gemein.


Literatur: [1] Salmon, G., Analytische Geometrie des Raumes, deutsch von Fiedler, 3. Aufl., Bd. 1, Leipzig 1879, S. 69 ff.; Bd. 2, Leipzig 1880, Kap. 7. – [2] Reye, Th., Die Geometrie der Lage, 2. Aufl., 2. Abt., 10., 11., 18., 22. Vortrag. – [3] Hagen, Synopsis der höheren Mathematik, Bd. 2, Berlin 1894, Abschn. 4. – [4] Plücker, J., Neue Geometrie des Raums, herausgegeben von Clebsch und Klein, Leipzig 1868–69. – [5] Lie, S. und Scheffers, G., Geometrie der Berührungstransformationen I., Leipzig 1895, Kap. 7 und 8. – [6] Clebsch, A., Vorlesungen über Geometrie, herausgegeben von Lindemann, Bd. 2, 1. Teil, Leipzig 1891. – [7] Sturm, R., Die Gebilde ersten und zweiten Grades der Liniengeometrie in synthetischer Behandlung, I. Der lineare Komplex oder das Strahlengewinde und der tetraedrale Komplex, Leipzig 1892. II. Die Strahlenkongruenzen erster und zweiter Ordnung, Leipzig 1893. III. Die Strahlenkomplexe zweiten Grades, Leipzig 1896. – [8] Zindler, K., Liniengeometrie mit Anwendungen, I-II, Leipzig 1902–1906.

Wölffing.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Liniengeometrie — Liniengeometrie, ein Zweig der Geometrie, den Plücker durch sein Werk: »Neue Geometrie des Raumes, gegründet auf die Betrachtung der geraden Linie als Raumelement« (Leipz. 1868–69, 2 Bde.) geschaffen hat. Eine gerade Linie im Raume hängt von vier …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Konrad Zindler — (* 26. November 1866 in Laibach; † 18. Juni 1934 in Innsbruck) war ein österreichischer Mathematiker. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Schriften 3 Literatur …   Deutsch Wikipedia

  • Rudolf Sturm — Friedrich Otto Rudolf Sturm (* 6. Januar 1841 in Breslau; † 12. April 1919 in Breslau) war ein Mathematiker. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Leistungen 3 Werke 4 Weblinks …   Deutsch Wikipedia

  • Линейчатая геометрия —         раздел геометрии, в котором рассматриваются в качестве элементов пространства прямые линии. Как известно, прямая в пространстве определяется четырьмя постоянными коэффициентами а, b, р, q в уравнениях х = az + р, у = bz + q. Следовательно …   Большая советская энциклопедия

  • Штурм Фридрих Отто Рудольф — (Sturm) германский математик. Род. в 1841 г. В 1872 г. профессор в дармштадтском политехникуме, с 1878 г. профессор математики в академии в Мюнстере, позднее профессор бреславльского университета. Первый его ученый труд: De superficiebus tertii… …   Энциклопедический словарь Ф.А. Брокгауза и И.А. Ефрона

  • Штурм, Фридрих Отто Рудольф — (Sturm) германский математик. Род. в 1841 г. В 1872 г. профессор в дармштадтском политехникуме, с 1878 г. профессор математики в академии в Мюнстере, позднее профессор бреславльского университета. Первый его ученый труд: De superficiebus tertii… …   Энциклопедический словарь Ф.А. Брокгауза и И.А. Ефрона

  • Christian Hugo Eduard Study — Eduard Study Eduard Study, genauer Christian Hugo Eduard Study (* 23. März 1862 in Coburg; † 3. Januar 1930 in Bonn) war ein deutscher Mathematiker. Study leistete unter anderem bedeutende Beiträge zur Invariantentheorie ternärer Formen, zu… …   Deutsch Wikipedia

  • Eduard Study — Eduard Study, genauer Christian Hugo Eduard Study (* 23. März 1862 in Coburg; † 6. Januar 1930 in Bonn) war ein deutscher Mathematiker. Study leistete unter anderem bedeutende Beiträge zur Invariantentheorie ternärer Formen, zu hyperkomplexen… …   Deutsch Wikipedia

  • Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften — Die Enzyklopädie der Mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer Anwendungen war ein Enzyklopädieprojekt der mathematischen Wissenschaften (im weitesten Sinn) samt Anwendungen, das beim B.G. Teubner Verlag in Leipzig 1904 bis 1935 erschien …   Deutsch Wikipedia

  • Felix Christian Klein — Felix Klein Felix Christian Klein (* 25. April 1849 in Düsseldorf; † 22. Juni 1925 in Göttingen) war ein deutscher Mathematiker. Felix Klein hat im 19. Jahrhundert bedeutende Ergebnisse in der Geometrie erzielt. Er hat sich daneben um die… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”