Luftverkehr [2]

Luftverkehr [2]

Luftverkehr. Zum Teil schon vor und während des Krieges, besonders aber nach Beendigung desselben, setzten in allen Kulturstaaten Bestrebungen ein, die Luftfahrzeuge den friedlichen Zwecken des Verkehrs nutzbar zu machen. Die an einen brauchbaren Luftverkehr zu stellenden Anforderungen sind technische Durchführbarkeit, Sicherheit und Bequemlichkeit der Reifenden, Wirtschaftlichkeit des Betriebes.

Die Durchführbarkeit hängt von der Leistungsfähigkeit des Fahrzeuges ab. In der Tabelle auf S. 414 sind einige Vergleichswerte für Flugzeuge und Luftschiffe zusammengestellt. Die zugrunde gelegten Leistungen (laufende Nr. 1–8) entsprechen denjenigen moderner Fahrzeuge. Die Ueberlegenheit des Luftschiffes bezüglich der Tragfähigkeit ist ohne weiteres aus dem Verhältnis von Nutzlast zur Gesamtlast (Gütegrad) ersichtlich. Beim Luftschiff wurde mit einem Auftrieb von 1 kg/cbm gerechnet. Dieser Wert ist geringer als der in normalem Fährbetriebe gebräuchliche (1,15–1,17 kg/cbm); die dadurch gewonnene Sicherheit in der Nutzlastangabe entspricht den Tragkraftänderungen durch Schwankungen der Lufttemperatur und des Barometerstandes am Erdboden sowie einer ausreichenden Ballastreserve.

Ausgehend von Streckenstufen, wie sie für den kontinentalen und transatlantischen Verkehr vorliegen (Berlin–Kopenhagen, rd. 350 km; Berlin–Amsterdam, Friedrichshafen–Memel, rd. 600 km; Berlin–Petersburg oder Basel–Königsberg oder London–Madrid, rd. 1300 km; Hamburg–Neuyork, rd. 6500 km), wurden Fahrtdauer und Zuladung errechnet. Laufende Nr. 9 und 13–16 geben die Resultate unter Zugrundelegung der angeführten Leistungen ohne jede Sicherheit. Sie werden bei Veranstaltungen sportlichen Charakters (Ausfahren der mitgeführten Betriebsstoffe, Ausnutzung günstiger Wetterlagen, Mitwind) erreicht oder gar überschritten. Einem einigermaßen regelmäßigen Verkehr dürfen diese Werte selbstverständlich nicht zugrunde gelegt werden. Die praktischen Erfahrungen ergeben eine Herabminderung der Reisegeschwindigkeit[413] um etwa 25% der Eigengeschwindigkeit des Luftfahrzeuges, hervorgerufen durch Nichteinhaltung der Luftlinie, Bremswirkung durch Ruderlegen, Trimmung des Fahrzeuges, Höhenänderungen, Schwanken der Motorleistung, Einwirkung des Windes u.a. Auch ist die Mitnahme einer gewissen Betriebsstoffreserve unumgänglich, zur Vermeidung von Notlandungen bei Betriebsstörungen, bei plötzlich auftretenden schwierigen Wetterlagen (Gewitter, Bodennebel) oder bei Versagen der Orientierung. Diese Möglichkeit wird auch bei ausgedehnter Landmarkierung und gut organisiertem funkentelegraphischen Dienst kaum aus der Welt zu schaffen sein, da atmosphärische Lagen wie tiefe Wolken und Bodennebel die erstere, Gewitterstörungen die letztere in ihrer Anwendbarkeit empfindlich herabsetzen können.

Rechnet man mit einer Reisegeschwindigkeit gleich 75% der Eigengeschwindigkeit des Fahrzeuges, einer 1,3 fachen Betriebsstoffreserve, den Auftriebsreserven für Notballast, Bedienung, Verpflegung und Bequemlichkeit der Fahrgäste entsprechend der Fahrtdauer, so kommt man auf die Zahlen unter laufende Nr. 17–20, die also Durchschnittswerte eines heute praktisch durchführbaren Luftverkehrs auf festgelegten Linien darstellen. Eine Regelmäßigkeit wie etwa im normalen Eisenbahnverkehr ist wegen des großen Einflusses der meteorologischen und klimatologischen Faktoren vorerst ausgeschlossen; sie erscheint auch nicht von allzu großer Bedeutung, wenn der Vorzug der rascheren Beförderung gegenüber anderen Verkehrsmitteln überhaupt gewahrt bleibt. Eine weitere Steigerung der Leistungsfähigkeit der Luftfahrzeuge für Friedenszwecke durch besondere Berücksichtigung dieser bei der Konstruktion ist zu erwarten und zum Teil schon eingetreten.

Für die Durchführung eines ausgedehnten Luftverkehrs ist außer der Weiterbildung der eigentlichen Verkehrsmittel vor allem die Schaffung zweckmäßiger Häfen für Luftfahrzeuge (s.d.) mit Hallen, Werkstätten, Signaleinrichtungen von wesentlicher Bedeutung. Für einen regelmäßigen Luftschiffverkehr sind Drehhallen erstes Erfordernis, da starker Querwind selbst bei breiten festen Hallen das Aus- und Einbringen bei an sich günstigem Fahrwetter vereitelt.

Die Sicherheit der Fahrgäste ist beim Luftschiff eine wesentlich höhere als beim Flugzeug. Während beim Verkehrsluftschiff die Schwebefähigkeit von der Horizontalgeschwindigkeit, d.h. vom einwandfreien Arbeiten der Motoren, in hohem Maße unabhängig ist, bedarf das Flugzeug einer gewissen Mindestgeschwindigkeit zur Erzeugung des Auftriebes; Motorpannen haben daher bei einmotorigen Flugzeugen sofortige Landung zur Folge, die bei mehrmotorigen Flugzeugen entsprechend verzögert wird. Die Landung auf unbekanntem freiem Gelände bietet für Kleinflugzeuge bei Tage keine Schwierigkeiten; ungünstig sind große Wald- und Sumpfgebiete und Gebirge. Hier sowie bei Nacht und Bodennebel und für Riesenflugzeuge dürfte eine Notlandung in den meisten Fällen mit schweren Beschädigungen des Fahrzeuges verbunden sein. Auch bei Notlandungen von Wasserflugzeugen auf See, wo nur durch großen Zufall in kurzer Zeit Hilfe zu Stelle sein kann, ist die Gefährdung der Fahrgäste eine hohe.

Die geräumige Maschinenanlage des Luftschiffs und das Mitführen von Ersatzteilen ermöglichen in fast allen Fällen die Instandsetzung des defekten Motors während der Fahrt. Läuft nur ein Motor, und bleibt das Schiff auf diese Weise steuerfähig, so ist es möglich, vor dem Winde einen Hafen- oder Landeplatz anzulaufen. Aber selbst Notlandungen bieten keine Gefahr für Leib und Leben der Fahrgäste, da die Bodenberührung ohne Horizontalgeschwindigkeit stattfinden kann. Dieser Vorteil ist bei unbekanntem Gelände, bei Nacht und Bodennebel von größter Bedeutung.

Eine dem heutigen Luftschiff eigentümliche, von Nichtluftschiffern meist überschätzte Gefahrenquelle bietet die Wasserstoffüllung. Das Kriegsluftschiff war hierdurch bei Beschießung besonders gefährdet. Beim Passagierluftschiff liegen die Dinge jedoch wesentlich anders; man wird hier den größten Teil der Fahrt, schon aus Rücksicht auf die Kosten, mit unprallem Schiff zurücklegen, so daß der Zwischenraum zwischen Gaszellen und Außenhülle sowie die nächste Umgebung des Schiffes völlig gasfrei sind. Die Anordnung der Passagier- und Maschinengondeln ist derart, daß Wasserstoffzutritt unmöglich ist. Bleibt die Blitzgefahr. Wenn auch, wie durch mehrere Fälle erwiesen ist, Blitzschlag ins Schiff nicht zur Zerstörung des Schiffes oder einzelner Teile zu führen braucht, so wird man doch – ebenso wie beim Flugzeug – im Interesse der Sicherheit der Fahrgäste gefährliche Wetterlagen von vornherein meiden und gegebenenfalls auf die Ausführung einer Fahrt verzichten. Der internationale Wetterdienst wird für derartige Entscheidungen vor und während der Fahrt ganz andere Unterlagen bieten, als dies während des Krieges bei der abgeschlossenen Lage Deutschlands möglich war. Im übrigen ist anzunehmen, daß die Bestrebungen, ein unbrennbares Füllgas (s.d.) zu finden, zu praktischen Erfolgen führen werden.

Mit der Reisedauer wachsen die Ansprüche an Verpflegung, Bewegungsfreiheit, Wasch- und Schlafgelegenheit, Bedienungspersonal für die Fahrgäste, Anforderungen, denen das Luftschiff infolge seiner Abmessungen und der großen Nutzlast ohne weiteres nachzukommen vermag. Die hierfür notwendigen Gewichte und Mannschaften sind in der Tabelle (S. 414) ausreichend berücksichtigt.

Die Wirtschaftlichkeit eines Luftverkehrs ist von der Frequenz und den Betriebskosten abhängig. Das Bedürfnis für einen raschen Personen- und Postverkehr ist heute Zweifellos vorhanden. Wo dieses durch bereits bestehende Verkehrsmittel nicht erfüllt werden kann, wird zweckmäßig der Luftverkehr einsetzen. Gedacht ist hier an Schnellverbindungen zwischen den Großstädten der Kontinente, Verkehr in Ländern mit unzureichenden Eisenbahnverbindungen, Ueberseeverkehr. Auch Vergnügungs- und Forschungsreifen zur Luft seien erwähnt. Von größter Bedeutung für die Wirtschaftlichkeit ist die Auswahl des geeigneten Fahrzeugs für bestimmte Zwecke. Handelt es sich um kleine Strecken und geringes Gewicht sowie um Gelegenheitsverkehr, so genügen Flugzeuge; bei größeren Strecken und erheblichen Gewichten kommen nur Luftschiffe in Frage. Schon z.B. die regelmäßige Beförderung von etwa 25 Personen mit[414] Gepäck auf einer Strecke wie Basel–Königsberg (1300 km) wäre mit Riesenflugzeugen – im Gegensatz zum Luftschiff – nur durch Umsteigeverkehr durchzuführen (s. die Tabelle). Dabei benötigen die Riesenflugzeuge 1800 × 6 × 2 = 21600 PS-Betriebsstunden, das Luftschiff hingegen nur 1040 × 14 × 1 = 14560 PS-Betriebsstunden. Die Kosten für Betriebsstoffe verhalten sich also für dieses Beispiel bei ungefähr gleicher Beförderungszeit und erheblich größerer Bequemlichkeit der Fahrgäste im Luftschiff wie 3 : 2; die benötigte Kopfstärke der Besatzung ist die gleiche. Die übrigen laufenden Unkosten (Personal, Versicherung, Füllgas für Luftschiffe, Nachrichtendienst u.a.) und Abschreibungen (für Fahrzeuge und Hafenanlagen), bezogen auf den Personenkilometer, hängen natürlich wesentlich von der Verkehrsdichte ab und fallen bei regelmäßigem Verkehr und voller Ausnutzung der Anlagen für das Luftschiff geringer aus als für das Flugzeug.


Luftverkehr [2]

Ein Vergleich zwischen Luftschiffen verschiedener Größe zeigt die Steigerung der Wirtschaftlichkeit derselben mit dem Rauminhalt (eine Folge des wachsenden Gütegrades, der ungefähr den doppelten Wert des Flugzeuges erreicht). Sind z.B. 50 Fahrgäste mit entsprechendem Gepäck auf der Strecke Hamburg–Neuyork zu befördern, so benötigt das Luftschiff IV (78 000 cbm) die 3,7 fache Zahl von PS-Betriebsstunden wie das Luftschiff V (112000 cbm). Die Gewichtszahlen für die Zuladung bei reinem Güterverkehr (lfde. Nr. 21) zeigen, daß ein solcher nur für hochwertige Güter in Frage kommen kann. Schon während des Krieges zumeist auf militärischer Grundlage angestellte[415] Versuche eines Luftverkehrs (Berlin–Köln, Ukraine) konnten kein einwandfreies Bild über Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit geben. Nach Kriegsende richteten in Deutschland viele Privatfirmen Luftverkehrslinien mit Flugzeugen ein, deren Betrieb unter Betriebsstoffmangel und der allgemeinen Unsicherheit der Verhältnisse besonders zu leiden hatte. Während die Unternehmungen zuerst Zielflüge ohne feste Route auf Bestellung ausführten, ging man bald zu festen Linien über, deren erste (Berlin–Weimar, 250 km) die Deutsche Luftreederei im Februar 1919 eröffnete. Bald folgten weitere Linien derselben Gesellschaft sowie anderer Firmen (Rumpler, Luftfahrzeug-Gesellschaft, Sablatnig u.a.). Seit August 1919 unterhält die Deutsche Luftschifffahrts-A.-G. (Delag) einen regelmäßigen Passagierverkehr Berlin–Friedrichshafen mit dem Zeppelinluftschiff »Bodensee« (20000 cbm). – Die geforderten Preise für den Personenkilometer bewegen sich beim Flugzeug zwischen 2 und 3 ℳ, beim Luftschiff zwischen. 0,50 und 1 ℳ.

Von außerdeutschen Ländern sind insbesondere Nordamerika, ferner England und Frankreich zu erwähnen. Während der Luftverkehr in Amerika und Frankreich sich bisher auf Flugzeuge beschränkte, liegt in England das Schwergewicht auf der Weiterentwicklung der Starrluftschiffe, deren Leistungen in den letzten Jahren rasch fliegen, wenn sie auch bisher hinter denen ihrer Vorbilder, der deutschen Systeme Zeppelin und Schütte-Lanz, zurückstehen. – Vgl. auch die Art. Flugzeug, Luftschiff, Hafen für Luftfahrzeuge.


Literatur: Denkschriften des Unterstaatssekretärs des Reichsluftamts, Berlin 1919. – v. Oppeln-Bronikowski, Zukunftsaussichten eines Weltluftverkehrs, ebend. 1919. – v. Dewitz, Das Seeflugwesen und der Luftverkehr über See, ebend. 1919. – Veröffentlichungen in den Luftfahrtzeitschriften (s. unter Flugzeug).

Helffrich.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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