Schwingungsbewegung

Schwingungsbewegung

Schwingungsbewegung eines Punktes oder eines Punktsystems ist eine periodische Bewegung desselben um eine Lage des stabilen Gleichgewichts.

Die einfachste Schwingungsbewegung eines Punktes entsteht durch Projektion einer gleichförmigen Kreisbewegung auf einen Kreisdurchmesser (Fig. 1). Es sei M0 die Anfangslage und M eine beliebige Lage des auf einem Kreis vom Radius r im Uhrzeigersinn herumlaufenden Punktes, m sei die Projektion auf die zu O M0 senkrechte x-Achse. Dann wird O m = x = r sin φ = r sin ω t, wobei ω die Winkelgeschwindigkeit, mit der sich der Radius QM dreht, bedeutet. Die Geschwindigkeit von m wird d x/d t = r ω cos ω t, die Beschleunigung d2x/dt2= – r ω2 sin ω t = – ω2 x = 0. Die Geschwindigkeit des schwingenden Punktes wird in der Lage O ein Maximum und verschwindet an den Umkehrstellen der Schwingung x = ± r. Die Beschleunigung ist stets gegen O gerichtet und der Entfernung O m = x proportional. Der Punkt m bewegt sich daher so, als ob er von 0 mit einer der Entfernung O m proportionalen Kraft angezogen würde. Für die Lage O des Punktes m wird die Kraft zu Null; diese ist also mögliche Gleichgewichtslage, und um sie schwingt der Punkt dauernd hin und her. Die Schwingungsweite (Schwingungsamplitude) ist 2 r; die Schwingungsdauer ist gleich der Dauer des Umlaufes der Kreisbewegung, also T = 2 π : ω. Die Differentialgleichung der Schwingungsbewegung lautet nach obigem d2 x/d t2 + ω2 x = 0. Das vollständige Integral derselben ist von der Form x = A cos ω t + B sin ω t, wo A und B durch die Lage und Geschwindigkeit von m zurzeit t = 0 bestimmt sind. Man kann dies Integral leicht auf die Form x = C sin (ω t + γ) bringen. Dabei ist


Schwingungsbewegung

sin γ = A : C, cos γ = B : C. Diese einfachste Schwingungsbewegung wird von englischen Autoren die harmonische Bewegung genannt.

Wirkt auf den bewegten Punkt außerdem noch ein Widerstand, der der Geschwindigkeit d x/d t proportional ist, so wird die Differentialgleichung der Bewegung d x2/d t2 + 2 b d x/d t + ω2 x = 0. Man hat nun drei Fälle zu unterscheiden: 1. ω > b. Das Integral der Differentialgleichung wird x = e–b t (A cos λ t + B sin λ t), wobei


Schwingungsbewegung

ist. Statt dessen kann man auch schreiben x = C e– b t sin (λ t + γ). Die entsprechende Bewegung entsteht durch Projektion eines auf der logarithmischen Spirale r = C e – b Q/λ (r = O M, φ = ∢ M0 O M, C = O M0) derart fortschreitenden Punktes M, daß φ = λ t wird (s. Fig. 2). Die hierbei um die Gleichgewichtslage O auftretenden Schwingungen heißen gedämpfte Schwingungen. Die Schwingungsweite nimmt in geometrischer Progression ab. Das Verhältnis zweier aufeinander folgender Schwingungsweiten ist e b π/λ; der natürliche Logarithmus b π/λ = b π : √(ω2 – b2); dieses Verhältnis heißt das logarithmische Dekrement. Die Schwingungsdauer ist


Schwingungsbewegung

größer als bei der ungedämpften Schwingung.

2. b = ω. Das Integral der Differentialgleichung wird x = e– ω t (A + B t). Die entsprechende Bewegung führt den Punkt ohne Ueberschreitung der Gleichgewichtslage in diese über und zwar nach Ablauf einer unendlich langen Zeit. Aperiodische Bewegung.

[25] 3. b > ω. Das Integral wird x = e– b t (A eµ t+ B e– µ t), wobei


Schwingungsbewegung

Die Bewegung verläuft ohne Schwingung ähnlich wie bei 2.

Von besonderer Bedeutung für die Anwendungen sind die Untersuchungen über die kleinen Oscillationen, welche ein Punktsystem um eine stabile Gleichgewichtslage macht. Aus der Differentialgleichung der harmonischen Bewegung eines Punktes geht hervor, daß sie durch eine nach der Gleichgewichtslage hin gerichtete Kraft ω2 x, die der Entfernung x von der Gleichgewichtslage proportional ist, erzeugt wird.

Wir wollen uns auf ein System von zwei Freiheitsgraden beschränken, das durch die verallgemeinerten Koordinaten q1 und q2 festgelegt ist, und nehmen an, daß diese für den Fall des stabilen Gleichgewichtes zu Null werden. Die lebendige Kraft T für eine Nachbarlage des Gleichgewichtes drückt sich dann durch die Koordinatengeschwindigkeiten q'1 und q'2 folgendermaßen aus:

T = a11 q1'2 + 2a12 q1' q2' + a22 q2'2.

Der Ausdruck der Kräftefunktion U, die für die Gleichgewichtslage ein Maximum wird, enthält daher keine Glieder 1. Ordnung in q1 und q2, und die Glieder 2. Ordnung geben einen negativen Wert.

U = – (b11 q12 + 2b12 q1 q2 + b22 q22) t ...

Die Lagrangeschen Bewegungsgleichungen 2. Art (Bd. 2, S. 763) lauten dann mit Vernachlässigung der Glieder höherer Ordnung und Bezeichnung der Koordinatenbeschleunigungen mit q1'' und q2''

a11 q1'' + q12 q2'' = – (b11 q1 + b12 q2)

a12 q2'' + a22 q2'' = – (b12 q1 + b22 q2)

Ihre Integrale sind von folgender Art:

q1 = C1 sin 1 t + γ) + C2 sin 2 t + γ2)

q2 = C3 sin (λ t + γ1) + C4 sin 2 t + γ2).

Dabei müssen die Größen λ1 und λ2 der Gleichung


Schwingungsbewegung

genügen, die im Falle des stabilen Gleichgewichtes für q1 = q2 = 0 reelle Wurzeln hat. Die Koordinaten werden hiernach durch Uebereinanderlagerung zweier harmonischer Schwingungen ausgedrückt. Eine wesentliche Vereinfachung entsteht, wenn statt q1 und q2 neue Koordinaten ξ1 und ξ2 mittels Formeln q1 = c11 ξ1 c12 ξ2, q2 = c21 ξ1 + c22 ξ2 so eingeführt werden, daß T = k (ξ1'2 + ξ2'2) und U= – (k1 ξ12 + k2 ξ22) + ... wird. Man hat dann die einfachen Bewegungsgleichungen k ξ1'' = – k1 ξ1, k ξ2'' = – k2 ξ2, welche sich einzeln integrieren lassen:


Schwingungsbewegung

Schwingungsbewegung

Solche Koordinaten, die sich schließlich als einfache harmonische Funktionen der Zeit darstellen lassen, heißen Hauptkoordinaten.

Für die mathematische Physik ist die Erweiterung der Theorie auf Systeme mit unendlich vielen Freiheitsgraden von außerordentlicher Bedeutung; sie löst das Problem der schwingenden Saiten, das der Schwingungen der Luft in zylindrischen Röhren (Orgelpfeifen), die Probleme der Fortpflanzung des Schalles in der Luft und der Wärme in festen Körpern u.s.w. Die dabei auftretenden Differentialgleichungen der Schwingungen sind lineare partielle Differentialgleichungen, zu deren Integration die Theorie der Fourierschen Integrale und Fourierschen Reihen die wesentlichsten Dienste leistet.


Literatur: Collignon, Traité de mécanique, 5. Partie, Paris 1874; Routh, Die Dynamik der Systeme starrer Körper, deutsch von Schepp, 1 Bd., Kap. 9 u. 10, 2. Bd., Kap. 2 u. 7, Leipzig 1898; Appell, Traité de mécanique rationnelle, Paris 1896, T. II, S. 351–374.

(† Schell) Finsterwalder.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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