Achromasie [1]

Achromasie [1]

Achromasie (Achromatismus), Eigenschaft der Lichtbrechung ohne Farbenzerstreuung von Prismen- und von Linsenkombinationen.

Ein dünnes Strahlenbündel weißen Lichtes erleidet beim Durchgang durch ein Prisma (vergl. Prisma, Spektralanalyse) wegen der Verschiedenheit des Brechungsquotienten für Licht verschiedener Wellenlängen eine Farbenzerstreuung, vermöge der die Strahlen verschiedener Farbe (von rot bis violett) in flachem divergenten Bündel das Prisma verlassen und auf einem lichtauffangenden Schirm ein Spektrum entwerfen. Bezeichnen wir mit nr und nυ die Brechungsquotienten der Substanz des Prismas für rotes und für violettes Licht, so ist nυ – nr das Maß für das Zerstreuungsvermögen (die Dispersion der Substanz) und 1/2 (nυ + nr) ein Maß des mittleren Brechungsvermögens. Wären diese beiden Größen bei verschiedenen Substanzen einander proportional, so wäre es nicht möglich (Ansicht Newtons), Achromasie herzustellen ohne vollständige Aufhebung der Brechung. Da aber bei verschiedenen Substanzen das Verhältnis des mittleren Brechungsvermögens zur Dispersion ein verschiedenes ist, so sind sowohl achromatische Prismen- und Linsenkombinationen möglich mit brechender Wirkung, als auch Prismenkombinationen mit Farbenzerstreuung ohne mittlere Brechung (Spektroskop mit gerader Durchsicht). Ein achromatisches Prisma erhält man z.B. (s. Fig. 1) durch Verbindung eines Prismas aus Crownglas (nυ = 1,5466, nr = 1,5258) mit einem Prisma aus Flintglas (nυ = 1,7275, nr= 1,6919), wenn man dem ersten einen ungefähr doppelt so großen brechenden Winkel gibt als dem zweiten, denn das letztere besitzt ein ungefähr doppelt so großes Dispersionsvermögen. Die Strahlen verschiedener Wellenlänge, die im Crownglasprisma durch Zerlegung des weißen Strahles entstehen und dieses Prisma in divergenten Richtungen verlassen, werden durch die Brechung im Flintglasprisma in parallele Richtungen gebracht. Die kleine seitliche[62] Zerstreuung des Strahles unter Bildung eines parallelen spektralen Bündels wird um so kleiner, je kürzer der Weg des Strahles in beiden aneinandergelegten Prismen ist. Vollständige Achromasie läßt sich übrigens, auch abgesehen von der kleinen Zerstreuung, welche die Glasdicke bewirkt, aus einem andern Grunde mittels zweier Prismen verschiedener Substanz nicht erreichen. Verschiedene Substanzen haben nicht bloß im ganzen ein verschiedenes Zerstreuungsvermögen, sondern die einzelnen Teile des Spektrums der einen Substanz haben eine andre verhältnismäßige Ausdehnung als diejenigen der andern. Haben wir es dahin gebracht, daß die Ablenkungen der roten und violetten Strahlen im Prismensystem gleich sind, so werden nun die gelben oder grünen eine kleine Differenz der Ablenkung aufweisen, vermöge welcher das sogenannte sekundäre Spektrum entsteht. Diesem Fehler könnte man dadurch begegnen, daß man eine Kombination dreier Prismen aus geeigneten Substanzen herstellt, so daß nun in drei Teilen des Spektrums Uebereinstimmung der Ablenkung bestände; es bliebe nur ein verschwindend kleines tertiäres Spektrum übrig. Unter den älteren Glassorten würden sich keine finden, die zu einer solchen Kombination geeignet wären, dagegen bieten die seit 1884 neu in den Gebrauch der Optik eingeführten Gläser des Jenaer Glaswerks hierzu die Möglichkeit [1]. Noch ein andrer Umstand, den wir wegen der unmittelbar sich ergebenden Anwendung auf die Linien ebenfalls unter Prisma besprechen, beeinträchtigt die Achromasie der Prismen. Im Artikel Prisma wird gezeigt, daß die Ablenkung eines Strahles, der im Hauptschnitt eines Prismas durchgeht, eine verschiedene ist, je nach der Richtung, in welcher der Strahl diesen Hauptschnitt durchläuft. Ein achromatisches Prismensystem kann daher nur für einen ganz bestimmten Einfallswinkel des weißen Lichtes genau achromatisch sein; bei andern Einfallswinkeln ändern sich die durch die einzelnen Teile des Systems erzeugten Ablenkungen, und zwar für die verschiedenen Farben in verschiedener Weise, die Achromasie wird eine unvollständige.

Eine achromatische Linse ist frei von dem Fehler der sogenannten chromatischen Abweichung (s. Aberration). Fig. 2 zeigt eine aus Crownglas hergestellte Sammellinse in Verbindung mit einer Zerstreuungslinse aus Flintglas. Hat die eine die Brennweiten f'r und f'υ für rote und für violette Strahlen, die andre ebenso die Zerstreuungsweiten f"r und f"υ, so ist annähernd die Brennweite des Systems bestimmt durch die Gleichungen 1/fr = 1/f'r –1/f"r und 1/fυ = 1/f'υ – 1/f"υ. Hat man nun die Linsen so geschliffen, daß die rechten Seiten der beiden Gleichungen gleich sind, so wird fr = fυ das System heißt achromatisch. Ein solcher Schliff ist aber möglich, weil (s. Linse) zwischen der Brennweite f, dem Brechungskoeffizienten n und den Krümmungsradien ρ1, und ρ2 einer Linse die Beziehung besteht:


Achromasie [1]

Kennt man die vier Brechungskoeffizienten n'r, n'υ, n"r, n"υ für Crownglas und Flintglas, so erhält man für die zwei Paare von Brennweiten f'r, f'υ und f"r, f"υ ihre Werte ausgedrückt durch diejenigen der n und der ρ, und die Bedingung der Achromasie bei vorgeschriebenem Werte f der Brennweite des Linsensystems führt auf die Doppelgleichung:


Achromasie [1]

Hier sind zur Befriedigung der Gleichung die vier Größen ρ ins Belieben des Glasschleifers gestellt. Dieser kann über zwei derselben für die Erreichung andrer Zwecke (Aplanatismus, Gleichheit von ρ'2 und ρ"1) verfügen und durch die beiden andern der Bedingung der Achromasie und der Vorschrift einer Brennweite f des Systems Genüge leisten. Alle achromatischen Systeme aus zwei Linsen verschiedener Substanz lassen ein mehr oder minder störendes sekundäres Spektrum (s. oben) übrig und sind nur für bestimmte Bildabstände und die in die Achse des Systems fallenden Bildteile annähernd achromatisch. Bei verändertem Strahlengang durch das System bei der Erzeugung von Bildern in anderm Abstand oder in einiger Entfernung von der Achse bleibt ein weiterer Rest von Farbenzerstreuung übrig, der die Bildschärfe beeinträchtigt. Die Einführung des Gebrauches dreier Glassorten zur Vervollkommnung der Achromasie gestattet, durch die Vermehrung der verfügbaren Werte von ρ, eine viel vollkommenere Befestigung der zusammen aus sphärischer und chromatischer Abweichung entspringenden Fehler der optischen Instrumente; vgl. [2] und die daselbst angegebene Literatur, besonders die Ausführungen über die Anastigmate (photographische Objekte vervollkommneter Konstruktion) und die Apochromate (ebensolche Mikroskopobjektive) der Firma C. Zeiß in Jena. Fig. 3 gibt den Durchschnitt eines apochromatischen Objektivs eines Zeißschen Immersionsmikroskops, zusammengesetzt aus 10 Linsen verschiedener Glassorten. Die Verwendung verschiedener brechender Gläser zur Herstellung von Linsensystemen ist aber nicht das einzige Mittel zur Achromasierung. Bei den Okularen der Mikroskope und Teleskope wird diese in viel einfacherer Weise mittels zweier in angemessener Entfernung verbundener Linsen erreicht, die aus gleicher Substanz bestehen. Die Fehler der chromatischen und der sphärischen Aberration werden schon im allgemeinen erheblich vermindert beim Ersatz stark gekrümmter Linsen durch eine größere Zahl schwächer gekrümmter, insbesondere aber bilden zwei Sammellinsen dann[63] ein achromatisches System, wenn (unter Vernachlässigung ihrer Dicke) sie bei gemeinsamer optischer Achse eine Entfernung gleich dem arithmetischen Mittel ihrer Brennweiten haben ([2], S. 123, [3]), eine Rücksicht, die bei den Hauptsystemen von Okularen beobachtet ist.


Literatur: [1] Czapski, Zeitschr. für Instrumentenkunde, 6, 1886, S. 341. – [2] Ders., Theorie der optischen Instrumente, Breslau 1892, besonders S. 204 u. 245. – [3] Keßler, J., Zeitschr. für Mathematik und Physik, 9, 1844, S. 1.

Aug. Schmidt.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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