Celluloid [1]

Celluloid [1]

Celluloid, eine harte, homogene und transparente Masse von ca. 1,37 spez. Gew., die bei gewöhnlicher Temperatur eine gewisse Elastizität besitzt, beim Erwärmen auf 90° plastisch wird und sich bei höherer Temperatur zersetzt. Bei 240° entzündet sich das Celluloid und verbrennt mit lebhafter rußender Flamme, ohne zu explodieren. Es leitet die Wärme sowie die Elektrizität sehr schlecht und ist gegen die meisten chemischen Agentien in der Kälte ziemlich widerstandsfähig.

Seit seiner im Jahre 1869 erfolgten Erfindung durch die Gebrüder Hyatt in New York hat das Celluloid wegen seines gefälligen Aussehens, seiner leichten Formbarkeit, seiner großen Dauerhaftigkeit und seines niedrigen Preises eine stetig wachsende Bedeutung erlangt, indem es als Surrogat für Elfenbein, Schildpatt, Hartgummi, Bernstein u.s.w. in immer größeren Mengen zur Herstellung von kunstgewerblichen und Gebrauchsgegenständen der verschiedensten Art benutzt wird. Die Substanz des Celluloids besteht aus einem physikalischen Gemenge von Nitrocellulose und Kampfer, in dem beide Bestandteile sehr innig miteinander verbunden sind. Trotzdem die Verbindung von Nitrocellulose und Kampfer nicht auf stöchiometrischer Grundlage vor sich geht, verhält sich das Celluloid doch ähnlich wie eine chemische Verbindung, indem es andre Eigenschaften als ein einfaches Gemenge der Komponenten besitzt und sich in diese durch mechanische Mittel nur sehr schwer zerlegen läßt. Eine wesentliche Rolle bei der Bildung des Celluloids spielt außer der innigen Vermengung die unter starkem Druck erfolgende Verdichtung der Rohstoffmischung.

Behufs Erzeugung von Celluloidmasse werden 10 Teile nitriertes und in bestimmter Weise behandeltes Seidenpapier mit einer methyl- oder äthylalkoholischen Lösung von 4–5 Teilen Kampfer, der eventuell noch Mineral- oder Teerfarbstoffe sowie kleine Mengen von Rizinusöl zugesetzt sind, gleichförmig durchgemengt, worauf man die Mischung bei einer Temperatur von ca. 90° in geschlossenen Gefäßen durchknetet und dann zu Platten oder Blättern auswalzt. Diese Platten werden dann bei mäßiger Wärme vollkommen ausgetrocknet und eventuell zu Blöcken vereinigt. Die Formgebung erfolgt entweder durch Hobeln, Stanzen, Fräsen, Drehen, Bohren u.s.w. oder im erwärmten Zustand durch Prägen mittels Matrize und Stempel. Stäbe und Röhren lassen sich am vorteilhaftesten vermitteln einer mit entsprechend geformten Mundstücken versehenen Strangpresse erhalten. Manche Gegenstände werden aus einzelnen eventuell verschieden gefärbten Stücken in der Weise zusammengesetzt, daß man die betreffenden Flächen mit Amylacetat, das lösend wirkt, bestreicht und dann durch Andrücken vereinigt. Bestimmte Artikel werden schließlich noch mit Bimsstein geschliffen, poliert oder lackiert.

Der Umstand, daß das Celluloid beim Reiben oder Erwärmen einen wenn auch schwachen Geruch nach Kampfer entwickelt, und noch mehr der steigende Preis dieses Produkts hat zur[428] Folge gehabt, daß im Verlauf der letzten Jahre zahlreiche Versuche gemacht worden sind, den Kampfer ganz oder teilweise durch andre Substanzen zu ersetzen. Wenn es auch keinem Zweifel unterliegt, daß die Nitrocellulose als Kolloidalgebilde nicht nur mit Kampfer, sondern auch mit vielen andern Stoffen physikalische Gemenge oder starre Lösungen nach Art des Celluloids zu liefern vermag, so scheint doch ein völlig gleichwertiger Ersatz für den Kampfer noch nicht gefunden worden zu sein. Am nächsten kommt dem Kampfer das Naphthalin, dessen Verwendung für Zwecke der Celluloidfabrikation durch das D.R.P. Nr. 117542 vom 29. Juni 1899 geschützt ist. Seitdem sind vorgeschlagen worden: Naphthylacetate (D.R.P. Nr. 118052), Phenoxylessigsäuren (D.R.P. Nr. 119636), Methylnaphthylketon (D.R.P. Nr. 122166), aromatische Sulfosäurederivate, die sich von Chloriden, Estern und Amiden ableiten (D.R.P. Nr. 122272), Acetochlorhydrine (D.R.P. Nr. 125315), Phthalsäurealkyl- und -alphylester (D.R.P. Nr. 127816), Oxanilsäureester (D.R.P. Nr. 128119), Triphenylphosphat (D.R.P. Nr. 128120), Halogenderivate der aromatischen Kohlenwasserstoffe (D.R.P. Nr. 128956), Acetylderivate sekundärer aromatischer Amine (D.R.P. Nr. 132371), Kasein (D.R.P. Nr. 138783), Kohlensäureester der Phenole (D.R.P. Nr. 139589), Ester der Sebacinsäure (D.R.P. Nr. 139738), Kaseinverbindungen der Schwermetalle (D.R.P. Nr. 139905), Triphenylthiophosphat (D.R.P. Nr. 140164), Ester der Zuckerarten mit organischen Säuren (D.R.P. Nr. 140263), Phenylierte u.s.w. Naphthaline (D.R.P. Nr. 140480), Glykose, Lävulose und Laktose (D.R.P. Nr. 140855), gelatiniertes Dextrin (D.R.P. Nr. 141310), Halogensubstitutionsprodukte des Triphenylphosphats (D.R.P. Nr. 142832), Diphenylphosphorsäureäthylester (D.R.P. Nr. 142971), Phenylphosphorsäuredianilide (D.R.P. Nr. 144648).


Literatur: Böckmann, Das Celluloid, Wien; Voigt, Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure 1899, 524; Haller, A., Les Industries Chimiques et Pharmaceutiques, Paris 1903, 2. Teil, 415; Andés, Chemiker-Zeitung 1902, S. 471; 1903, S. 218; Neuere Verfahren zum Formen von Celluloid (D.R.P. Nr. 146432, 142923, 138571, 138572, 138006, 137891, 136153, 120938, 125620, 124863, 119363, 112770, 108955).

Häußermann.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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