Erdachsenschwankung

Erdachsenschwankung

Erdachsenschwankung oder Polhöhenschwankung, wie die Erscheinung auch häufig bezeichnet wird, wird erzeugt durch eine veränderliche Lage der Rotationsachse im Erdkörper selbst, die sich dadurch kundgibt, daß der Winkel zwischen der Normalen am Beobachtungsort und der jeweiligen Rotationsachse sich mit der Zeit, und zwar in einer bis jetzt noch nicht ganz sicher erkannten Periodizität, ändert.

Daß die Polhöhe, d.h. die geographische Breite eines Ortes auf der Erde, nicht ganz konstant sei, hat man schon lange vermutet. Bessel glaubte solchen Veränderungen gewisse Abweichungen in seinen Deklinationsbeobachtungen von Sternen zuschreiben zu müssen. Indessen war es erst Küstner [1] im Jahre 1888 bei Gelegenheit von sehr genauen Beobachtungen am Universaltransit der Berliner Sternwarte möglich, diese Schwankungen als reell mit einer Amplitude von etwa 0,5–0,6 Bogensekunden (d.i. linear etwa 15–18 m) nachzuweisen. Zugleich zeigte es sich, daß diese Schwankungen nahezu in einem Zeitraum von etwa 410–430 Tagen zu verlaufen schienen. In richtiger Erkenntnis der Wichtigkeit des genauen Studiums dieser merkwürdigen Erscheinung, für welche die theoretischen bisher bekannten Beziehungen der analytischen Himmelsmechanik (z.B. Eulersche Konstanten u.s.w.) keine genügende Erklärung geben, nahm sich die Internationale Erdmessung der weiteren systematischen Verfolgung durch geeignete Beobachtungen an [2]. Nachdem zunächst durch freiwillige Beobachtungen an mehreren deutschen und ausländischen Sternwarten genügendes und gut begründetes Material gesammelt worden war, führte Th. Albrecht [3] die erste Diskussion desselben aus. – Eine Darstellung des Verlaufes der Wanderungen des Poles in den Jahren 1891–1894 geben die Fig. 1 und 2, während die Nebenskizzen andeuten, an welchen Orten die betreffenden Beobachtungen ausgeführt wurden und wie diese Orte bezüglich ihres Längenunterschiedes auf der Erde liegen. Von besonderer Wichtigkeit waren die auf Veranlassung der Internationalen Erdmessung ausgeführten Beobachtungen auf Honolulu, die den direkten Nachweis führten, daß an zwei um nahe 180° in Länge verschiedenen Orten die Schwankungen nahe gleich, aber entgegengesetzter Richtung sind Außer von seiten der Internationalen. Erdmessung hat sich besonders um die Bearbeitung der vorhandenen neueren und namentlich auch der älteren etwa ausnutzbaren Beobachtungen dieser Art der amerikanische Astronom Chandler verdient gemacht. Er stellte schließlich einen algebraischen Ausdruck auf, der gestatten sollte, für vergangene und zukünftige Zeiten (wenigstens für einige Jahre) Betrag und Richtung des jeweils gültigen Unterschiedes zwischen mittlerer und instantaner Lage der Rotationsachse der Erde anzugeben. Es stellte sich aber bald heraus, daß einesteils viele der älteren Beobachtungsreihen das ihnen geschenkte Vertrauen nicht besaßen und daß anderseits die Erscheinung nicht so einfacher Natur war, als Chandler [4] gefunden zu haben glaubte. – Seit einigen Jahren hat man seitens der Internationalen Erdmessung[474] einen ständigen Ueberwachungsdienst für den Betrag der Polhöhenschwankungen dadurch eingerichtet, daß man an drei permanenten Observatorien, die alle fast genau auf derselben Breite (39° 8' 10'' ) liegen, ständige Beobachtungen der Polhöhe nach der Horrebow-Talcott-Methode (s. Polhöhe) anstellen läßt. Eine gesamte Diskussion der bisher vorliegenden Beobachtungsdaten ist in dem Zentralbureau der Internationalen Erdmessung im Auftrage von Helmert, welcher sich um die Verfolgung des ganzen Phänomens viele Verdienste erworben hat, von Th. Albrecht durchgeführt worden. Diese Resultate sind in dem Diagramm, das Fig. 3 zeigt, veranschaulicht. Es geht daraus besonders hervor, wie verwickelt die Bahn ist, die das Nordende der jeweiligen Rotationsachse der Erde um ihre mittlere Lage (Ursprung der Koordinaten) beschreibt und daß von einem direkt periodischen Verlauf nicht wohl die Rede sein kann. Eine Reihe von Erklärungen, welche man für die Polhöhenschwankungen glaubte gefunden zu haben (als Massenverlagerungen, Refraktionsanomalien u.s.w.), haben sich leider immer wieder als nicht völlig stichhaltig erwiesen.


Literatur: [1] Küstner, F., Neue Methode zur Bestimmung der Aberrationskonstante nebst Untersuchung über die Veränderlichkeit der Polhöhe, Berlin 1888 (enthält den ersten sicheren Nachweis über die Veränderlichkeit der Polhöhe). – [2] Eine geschichtliche Zusammenstellung der bezüglichen Arbeiten findet sich bis 1893 und später bis 1895 in Aufsätzen und Referaten von Hammer in Petermanns Geogr. Mitteilungen. – [3] Geh. Rat Albrecht gibt jedes Jahr in den Astron. Nachr. und in separat erscheinenden Berichten den jeweiligen Stand der Arbeiten des Internationalen Breitendienstes bekannt. Die Fig. 3 ist der letzten Publikation entnommen. – [4] Die Untersuchungen Chandlers sind in dem amerikanischen »Astronomical Journal« in den Jahren 1890–1900 erschienen, z.B. Nr. 322 und spätere. – Außerdem findet sich die gesamte seit 1899 erschienene Literatur vollständig in den »Astronomischen Jahresberichten«, die W.F. Wislicenus in Verbindung mit der Astron. Gesellschaft herausgibt.

Ambronn.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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