Kettenschleppschiffahrt

Kettenschleppschiffahrt

Kettenschleppschiffahrt, Kettenschiffahrt, auch Tauerei, Touage (s. Seilschleppschiffahrt) genannt, ist die Fortbewegung von Schiffen auf Kanälen, Flüssen und Binnenseen an einer Kette oder einem Seil, das über den Boden des zu befahrenden Wasserweges ununterbrochen gespannt und an beiden Enden verankert ist. Das Kettenschiff nimmt einen Teil dicker Kette am Vorderende auf, führt ihn über Leitrollen zu Trommeln oder Kettengreifrädern, die mittels durch Dampf- oder elektromotorische Kraft betriebene Maschinen gedreht werden, und läßt ihn am Achterende des Schiffes wieder zu Wasser. Durch die Umdrehung der Trommeln, um welche die Kette oder das Seil in einer Windung oder in mehreren geschlungen ist, bewegt sich das Kettenschiff vorwärts. Es zieht sich gleichsam an der Kette entlang durch das Wasser und kann auf diese Weise eine Anzahl angehängter Ladekähne mitführen.

Die ersten derartigen Schleppversuche sollen in Deutschland in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts ausgeführt, aber erst etwa 100 Jahre später von den Franzosen nutzbringend verwertet und weiter durchgeführt worden sein. Den Franzosen schlossen sich bald die Belgier und Holländer an. Erst 1866 entschloß sich in Deutschland die Hamburg-Magdeburger Dampfschiffahrtgesellschaft, eine Kettenschiffahrt zwischen Neustadt an der Elbe und Buckau auszuführen, welche Strecke 1871 infolge der großen Rentabilität dieses Unternehmens von Magdeburg bis zur böhmischen Grenze erweitert wurde. Es dürfte ohne weiteres einleuchten, daß Kettenschiffe bei geringen Wassertiefen, für die Schraubenschiffe überhaupt nicht mehr in Frage kommen, den Raddampfern überlegen sind, sobald die durch das Gefälle bedingte Strömung eine gewisse Geschwindigkeit überschreitet.

Der gewöhnliche Kettenschlepper, auch Tauer, Tauerschiff, Toueur genannt, ist in Fig. 12 dargestellt. Von der Flußsohle kommt die Kette über die vordere Auslegerrolle a (Fig. 1) auf den verhältnismäßig kurz gebauten Kettenschlepper und gelangt über eine Anzahl Leitrollen zu den gußeisernen, mit Führungsfurchen versehenen Kettentrommeln b und c und von dort zur hinteren Auslegerrolle d und ins Wasser zurück. Das Kettenschiff führt an beiden Enden Steuerruder, die zwangläufig verbunden sind und gemeinsam bedient werden, sowie je einen Ausleger, der sich um eine meistens mittschiffs sitzende vertikale Drehachse nach Steuer- und Backbord um fall 90° drehen läßt. Die Enden dieser Ausleger haben Führungsrollen, so daß der an. Deck befindliche Teil der Kette mittschiffs bleibt, wenn auch der Schlepper aus der Richtung der Kette gesteuert wird, was namentlich bei stark gekrümmten Wasserwegen erforderlich ist. Oefter wird der Kettendampfer mit Schiffsschrauben versehen, so daß er im Bedarfsfalle, namentlich stromab, selbständig fahren kann. Das Aufnehmen sowie das Ablegen der Kette oder des Seils von den Trommeln bezw. das An- und Ableiten des Tauers ist in jedem Fall eine lange und mühsame Arbeit. Diese erscheint sehr erleichtert beim schlankgebauten Bovetschen elektromagnetischen Kettenschlepper, bei dem durch magnetische Adhäsion die Kette an der Trommel haftet. Hier liegt die Kette nur mit einer dreiviertel Umwindung an der Zugrolle a an (Fig. 26), welche die Stelle der sonstigen Windetrommeln vertritt. Dieselbe Rolle ist aus zwei, durch bronzene Schraubenbolzen b b (Fig. 6) miteinander verbundenen, gußstählernen [461] Scheiben c und d zusammengesetzt. In dem von den letzteren frei gelassenen ringförmigen Hohlraum ist eine Drahtspule angeordnet, zu welcher die Leitungsverbindung durch eine zentrale Bohrung in der Rollenwelle und einen Kanal f geführt ist. Vermittelst eines eignen Motors wird ein ca. 3 PS.-Dynamo betrieben, dessen Strom, durch die erwähnte Drahtspule geleitet, die Zugrolle a magnetisiert. Hierdurch erfährt die Tauerkette eine starke magnetische Anziehung an die Rolle und haftet. Bei einem Versuche mit einer alten, 9 kg pro Meter schweren Kette ergab sich eine Haltkraft von rund 6000 kg. Die Sperrklinke z (Fig. 5) aus nichtmagnetischem Metall bewirkt das Abheben der Kette von der Zugrolle, die dann über eine aus magnetischem Metall bestehende Leitrolle g nach dem Hinterteil des Schiffes geführt wird. Dieses Zurücklaufen der Kette geschieht durch den Zug der gleichfalls magnetisierten Rolle h (Fig. 2), welche sich, durch die Transmission u getrieben, mit der gleichen Umfangsgeschwindigkeit dreht wie die Zugrolle a. Von h fällt die Kette in den für ca. 25 m derselben Platz gewährenden Kettenkasten, wo gewöhnlich etwas Kette zurückgehalten ist. Wenn der Kettenschlepper sich einer Krümmung nähert, so zieht sich vorne die Kette in die kürzere Sehnenrichtung, und es würde sich im Flusse unmittelbar hinter dem Tauer ein ungespannter, überschüssiger, loser Kettenteil, eine Lose, bilden; deshalb wird jetzt über die verstellbare Bremsrolle k weniger Kette abgelassen, als über die Zugrolle herausläuft, und erst in der Krümmung gibt man die an Bord angesammelte Lose nach und nach durch entsprechend schnelleres Laufenlassen von k an die Flußsohle ab. l l sind Kammern zur Aufnahme von Wasserballast. In Fig. 2 sieht man ebenfalls an beiden Schiffsenden je ein Steuerruder. Veranlassung zur Nutzanwendung der Adhäsionskraft einer magnetisierten Zugtrommel sind die vielen Kettenbrüche gewesen, mit denen die Kettenschiffahrt lange zu kämpfen hatte. Diese Brüche wurden nicht etwa durch Ueberlastung der Wegkette durch die Schleppzüge verursacht, sondern durch die ungleichmäßige, die Elastizitätsgrenze überschreitende Beanspruchung der einzelnen Kettenglieder infolge der ungleichen Abnutzung der Zugtrommeln. Sobald aber deren Durchmesser ungleich sind, wickelt sich auf der einen Trommel mehr auf, als auf der andern abgewickelt wird, wodurch Zugbeanspruchungen der Kettenglieder entstehen, die bis zur Bruchgrenze führen können. Erhöht wird diese Gefahr durch Kanten- oder Knotenbildungen der Kette. Um eine mehrfache Umwicklung der Kette um die Zugtrommel zu vermeiden, konstruierte Bellingrath ein neues Kettengreifrad mit nur teilweise stattfindender Umwicklung und losen Greifzähnen. Trotz der Befürchtung, daß die vielen im Umfange dieses Rades sitzenden, beweglichen Einzelteile rasch abgenutzt würden, hat die mehrjährige Nutzanwendung die Brauchbarkeit dieser Konstruktion erwiesen.

Die Arbeitsleistung der Maschine wird bei der Kettenschleppschiffahrt zum größten Teil auf die Fortbewegung verwendet. So vermag z.B. bei mittleren Verhältnissen auf der Donau ein Kettenschlepper von 50 PS. den nämlichen Anhang mit noch größerer Geschwindigkeit bergauf zu fördern als ein freier RaddampferRemorqueur – von 200 PS. In der Regel wird bei der Flußschiffahrt die Kette nur bei der Bergfahrt benutzt, bei der Talfahrt allenfalls von einigen Kettenschiffen, welche die Aufgabe haben, die in stärkeren Flußkrümmungen aus ihrer richtigen Lage gekommene Kette wieder in die Fahrrinne zurückzubringen. In gewissen Entfernungen besitzt die Kette sogenannte Kettenschlösser, d.h. je ein Paar halboffener Glieder, welche vermittelst loser Bolzen geschlossen sind. An diesen Stellen läßt sich die Kette leicht öffnen und schließen behufs Aufnehmens und Abwertens auf die bezw. von der Kettentrommel. Soll aber das Schiff stets an der Kette bleiben, so hat man das sogenannte Troquage- oder Tauschsystem; hierbei fährt es nur eine bestimmte Strecke auf und ab und übergibt oben den Zug dem nächsten Kettenschlepper. Die Anwendung der Kette wird auf breiteren Flüssen erst bei stärkerer Strömung, etwa von 1,0 m Stromstrichgeschwindigkeit pro Sekunde angefangen, vorteilhaft, also, entsprechend einer mittleren Tiefe von 1,8 m bei einem Gefälle von und über 0,3‰. Unterhalb dieser Grenze vermögen noch die freien Schlepper zu konkurrieren, was bei einer Gegenströmung von 1,5 m und darüber und einem Gefälle von und größer als 0,5‰ nicht mehr möglich ist. Die Kettenschleppschiffahrt ist noch bei kleinerer Wassertiefe statthaft als die Remorquage; bei Tiefen über 3 m ist die Verwendung der Kette aber schon schwierig und bei zu sehr beweglicher Flußsohle wegen rascher Versandung und Verschotterung derselben untunlich. Manchmal wird statt der Kette ein Seil verwendet, das seitlich mittschiffs an der Bordwand[462] geführt wird. Es hat den Vorteil der Leichtigkeit und des weniger lauten (rasselnden) Betriebes, dafür aber auch große Nachteile, die teils in der kürzeren Brauchbarkeit, teils in der schwierigeren und länger dauernden Reparatur (Splissung statt Ausschäkelung) zu suchen sind.

Da die Benutzung der Kette nur dem Eigentümer derselben, dem Konzessionär, zusteht, so stellt die Kettenschleppschiffahrt eine Art Monopol dar, welches in einem gewissen Gegensatze zum Prinzipe der freien Schiffahrt steht; dafür wird aber der Kettenschleppschiffunternehmung in der Regel die Verpflichtung auferlegt, alle Schiffe nach der Reihenfolge ihrer Anmeldung und zu einem festgesetzten Maximaltarife zur Beförderung zu übernehmen. Je nach der angewendeten Betriebskraft und Betriebsart kann man unterscheiden:

1. Die Dampfkettenschleppschiffahrt [1]–[3], und zwar a) die gewöhnliche mit zwei Kettentrommeln; b) mit magnetischer Adhäsion der Kette nach Bovet (s. oben) [3], [7].

2. Die elektrische Kettenschleppschiffahrt, System »Galliot« [6]. Dieses ist seit dem 15. Juli 1893 auf der 5400 m langen Scheitelstrecke, wovon 3300 m im Tunnel von Pouilly, des Burgunder Kanals, welcher die Seine mit der Saône verbindet, mit bestem Erfolg eingeführt. Durch Turbinen an den beiden Schleusenenden der Scheitelstrecke werden aus der verfügbaren Wasserkraft von zusammen 35 PS. je ein Dynamogenerator A und B (Fig. 7) betrieben, und zwar wird hierbei auch der Wasserausfluß beim Entleeren der genannten Schleusen zum Turbinenbetriebe ausgenutzt. Es geht eine Drahtleitung a a vom positiven Pol von A zum negativen Pol von B; ferner sind in freie Enden auslaufende Leitungen b b und c c vorhanden, welche vom negativen Pol von A und vom positiven von B abzweigen. Der elektrische Tauer C besitzt je eine Schleppkontaktvorrichtung zu den Drahtleitungen b b und c c; hierdurch wird der elektrische Strom geschlossen, so daß er vermittelst des auf C befindlichen Sekundärdynamos die Kettentrommel in Umdrehung versetzt und den Schiffszug bewirkt. Es sind hier also längs des Kanals drei Drahtleitungen nötig, derart aufgespannt, daß sie die Kanten eines Prismas von 0,1 m Höhe und 0,2–0,3 m Balis bilden.

3. Derzeit noch im Stadium von Vorschlägen befinden sich [3]: a) Die elektrische Kettenschiffahrt einzelner Kähne mittels auf dieselben aufzusetzender transportabler Elektromotoren in Verbindung mit der Kettenrolle, nach Bovet und Molinos sowie nach Büßer, s. Kanalschiffahrt. Die oberirdische Stromzuführung soll in ähnlicher Weise wie bei elektrischen Straßenbahnen erfolgen; b) die Kettenschiffahrt mittels Kette (oder Seiles) ohne Ende, welche für die Rhone projektiert ist. Nur der Kettenteil, unmittelbar unterhalb des Schiffes liegend, müßte durch seine Reibung auf der Flußsohle die Zugkraft aufnehmen, welche von der am hinteren Ende des Schiffes befindlichen Antriebstrommel oder -rolle ausginge. Von einer Auslegerrolle am vorderen Schiffsende würde die Kette wieder aufgenommen und über dem Schiffe zurückgeführt werden.


Literatur: [1] Deutsche Bauztg. 1877, S. 191. – [2] Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1880, S. 561. – [3] Weber v. Ebenhof, Bau, Betrieb u.s.w. der Wasserstraßen, Wien 1895, S. 186, 313. – [4] Zeitschr. d. Oesterr. Ing.- u. Arch.-Ver. 1890, S. 77. – [5] Ebend. 1893, S. 23. – [6] Annales des ponts et chaussées 1894/2, S. 577. – [7] VI. Internationaler Binnenschiffahrtskongreß, Haag 1894, Bericht von Hirsch und de Mas zur 4. Frage: Ziehen und Fortbewegen der Schiffe. – [8] Dinglers Polytechn. Journ. 1896, S. 256.

(Kresnik) Schütte.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
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Fig. 4.
Fig. 4.
Fig. 5., Fig. 6.
Fig. 5., Fig. 6.
Fig. 7.
Fig. 7.

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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