Schriftarten

Schriftarten

Schriftarten. In den deutschsprachlichen Ländern unterscheidet man mehrere Hauptgruppen, und zwar 1. die Antiquaschriften, das sind Schriften des sogenannten lateinischen Charakters, von welchen 2. die Kursivschriften als Schrägschriften eine Gruppe für sich bilden; 3. die Frakturschriften, die man als deutsche Schriften anspricht, während 4. die Bastardschriften einen Zwischentypus besitzen; eine besondere Gattung stellen 5. die Schreibschriften dar, mittels welcher die Handschrift nachgeahmt wird.

Die strengsten Anforderungen werden an die Druckschriften gestellt; deshalb muß von diesen bei der Zeichnung und der Beurteilung einer Schrift ausgegangen werden. Als die fertige Grundlage aller unsrer Schriften ist die römische Kapitalschrift zu betrachten, die bereits vor Christi Geburt vollkommen ausgestaltet war. Sie bestand nur aus großen Buchstaben (Versalien) und diente zu Inschriften auf Münzen, Gedenktafeln u.s.w. Die in den Büchern geschriebene Kapitalschrift zeigte weniger strenge Formen, noch vereinfachtere die bei Mitteilungen und Notizen nebenher angewendete römische Kursiv, aus der sich schon im 6. Jahrhundert u. Chr. eine regelrechte Schreibschrift entwickelt hatte. Durch den Einfluß des Schreibmaterials und in dem (vielleicht temporär dominierenden) Bestreben, das Schreiben der Buchstaben technisch zu vereinfachen, entstanden aus der Kapitalschrift die weit runderen Unzialschriften, die bereits Ober- und Unterlängen (Anfänge der kleinen Buchstaben) zeigen. Sodann gab es Halbunzialschriften, die eine Vereinigung von Unzialen und römischer Kursiv waren. In den Kanzleien und Schreibstuben bildeten sich dann die Minuskelschriften aus (9. bis 13. Jahrhundert), die bereits aus Gemeinen (kleinen Buchstaben) bestanden; nur die Anfangsbuchstaben der Abschnitte waren Unzialen oder Kapitalen. Um das 12. Jahrhundert herum entstand allmählich infolge des gewaltigen Einflusses des gotischen Baustils die gotische Schrift. Neben der streng gotischen spitzbogigen Missalschrift [815] entwickelten sich Schriften mit weniger strengen Formen: die halbgotischen oder semigotischen Schriften, dann die Schwabacherschrift, endlich die Frakturschrift, von der allerdings z.B. die heutige Zeitungsfraktur nur eine aufs äußerste verkümmerte Abart mehr darstellt. Die Renaissance mit ihrem Zurückgreifen auf das Alte brachte es mit sich, daß man schon im 14. Jahrhundert, noch mehr im 15., zur römischen Grundschrift teilweise zurückkehrte und ausgezeichnete, nunmehr Antiquaschriften genannte Typen schuf. Während in den romanischen Ländern die gotischen Schriften schon im 16. Jahrhundert fast völlig von den Antiquaschriften verdrängt waren, blieben sie in den deutschen Landen – namentlich die Fraktur – bis heute volkstümlich. Dieser Umstand ist schuldtragend, daß die gotischen Schriften fälschlich als ursprünglich deutsche Schriftarten betrachtet werden. – Druckschriften gibt es heute in tausenderlei Abarten. Sie tragen die Namen ihrer Schöpfer oder den berühmter Buchdrucker u.s.w. oder aber auch ganz willkürlich gewählte solche, die, ganz zusammenhanglos, keineswegs auf die Art der Schrift schließen lassen. Der fessellose Wettbewerb der Schriftgießereien war lange Zeit daran schuld, daß unglaublich schlechte Schriften geschaffen wurden. In den letzten Jahren ist es damit jedoch viel besser geworden, da fast keine neue Schrifttype mehr ohne die Mitarbeit eines hervorragenden Künstlers erzeugt wird. Nebenstehend ist eine Reihe neuerer Schriften, teils altertümelnder, teils neuer Richtung angehörend, in Größe »Tertia« (Corps 16) abgedruckt. – Die Antiquaschriften sind an der einfachen, das Skelett des ursprünglichen Vorbildes (der römischen Kapitalschrift) deutlich zeigenden Gestalt der Versalien und der einfachen runden Linienführung der Gemeinen erkennbar. Die Kursivschriften besitzen ganz denselben Charakter, nur sind sie schräg gestellt. Die Frakturschriften sind durch die gebrochene Strichführung der Gemeinen und die mehr oder weniger komplizierte Form der Versalien charakterisiert. Die Bastardschriften, die namentlich von den modernen Künstlern begünstigt werden, zeigen häufig die Vorzüge beider Schriftarten: Antiqua und Fraktur in glücklicher Weise vereinigt, indem bei den Gemeinen manche gotische Formen beibehalten wurden, bei den Versalien dagegen die römische Urform zunächst berücksichtigt erscheint. Die Schreibschriften scheiden sich in Lateinschriften, Rondeschriften und (deutsche) Kurrentschriften. Alle Schriften können breitlaufend oder schmallaufend (raumsparend), ferner mager (wenn sie ein dünnes, zartes Schriftbild besitzen) oder (aus mehr oder weniger dicken Strichen gebildet) halbfett oder fett sein (vgl. darüber sowie über Schriftgrade den Art. Buchdruckerkunst). Endlich unterscheidet man Buchschriften (Brotschriften), die durch Vermeidung allen Beiwerks und eigenwilliger Strichführung beim Lesen möglichst wenig ablenken, und Zierschriften, bei denen das ornamentale Moment hauptsächlich betont ist. – Schreibmaschinenschrift dient zur getreuen Nachahmung der mit der Schreibmaschine erzeugten Schriftzeichen.


Literatur: Druckschriften des 15. bis 18. Jahrhunderts in getreuen Nachbildungen, herausgegeben von der Direktion der Reichsdruckerei, Berlin 1884–87; Petzendorfer, Ludwig, Schriftenatlas, 2. Aufl., Stuttgart 1893, neue Folge 1905; Baensch-Drugulin, Marksteine aus der Weltliteratur in Originalschriften, Leipzig 1903; Hesse, Friedrich, Die Schriftlithographie, Halle a. S. 1907 ff.; Faulmann, Das Buch der Schrift, 2. Aufl., Wien 1880; Ders., Illustrierte Geschichte der Schrift, Wien 1880; Wuttke, Heinrich, Die Entstehung der Schrift, Leipzig 1877; Weise, O., Schrift und Buchwesen in alter und neuer Zeit, 2. Aufl., Leipzig 1903; Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter, 3. Aufl., Leipzig 1896; Larisch, Rudolf v., Zierschriften im Dienste der Kunst, München 1899; Ders., Ueber Leserlichkeit von ornamentalen Schriften, Wien 1904; Ders., Unterricht in ornamentaler Schrift, Wien 1905; Ders., Beispiele künstlerischer Schrift, Wien 1900, zweite Folge, Wien 1901; Unger, A.W., Wie ein Buch entsteht, 2. Aufl., Leipzig 1909; Grautoff, Die Entwicklung der modernen Buchkunst in Deutschland, Leipzig 1902; Auer, Das Raumverhältnis der Buchstaben, Wien 1849.

A.W. Unger.

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http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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