Baustil

Baustil

Baustil nennen wir die einem Volke oder einer Zeit eigentümliche Ausdrucksweise in der Baukunst, in der sich ein charakteristisches Bild der kulturellen Entwicklung darstellt. Alle Völker, die wir aus der Geschichte als führende kennen, haben zu ihrer Blütezeit eigenartige Bauwerke geschaffen, die von ihren Sitten, ihrer Bildungsstufe und religiösen Vorstellung sprechendes Zeugnis ablegen. Weniger selbständige Völker zeigen ihre Abhängigkeit in der Aufnahme und Nachahmung fremder Formen und Stile, so daß sich hieraus die Beziehungen und der Zusammenhang der geistigen Entwicklung nachweisen lassen. – Der geschichtlichen Reihenfolge nach unterscheiden wir folgende Baustile:

I. Im Altertum.

A. Der ägyptische Baustil zeigt in seinen gewaltigen und eigenartigen Steinbauten der Pyramiden, Tempel, Obelisken und Felsengräber die ältesten Baudenkmale, die wir kennen und die nachweislich bis etwa 4000 Jahre vor unsrer Zeitrechnung hinaufreichen. Daß diese Bauwerke bis heute sich erhalten haben, zeugt von dem hohen Bildungsgrad und dem monumentalen Sinn der Erbauer, die wir in der Priesterschaft dieses Volkes zu suchen haben [1]. Vgl. a. Pylone, Sphinx, Säule, Kapitäl.

B. Assyrisch-babylonischer Baustil. Wie Geschichte und neuere Ausgrabungen nachweisen [2] waren die Tempel und Paläste der mächtigen Herrscher der westlichen Länder Asiens von größter Anlage und Ausdehnung. Da sie aber nicht in unvergänglichem Stein ausgeführt waren, sondern in Lehmbau bestanden, aus gebrannten, zumeist aber ungebrannten Ziegeln, mit Säulenhallen von Holz, so sind nur geringe Reste vorhanden.

C. Der indische Baustil spricht sich an den vielen Prachtbauten von Tempeln oder tief in den Felsen gehauenen Tempelräumen in ebenso phantastischer als formal überladener Weise aus. Er ist in sich selbständig entwickelt, ohne Beziehung zu andern Kulturen [3].

D. Der griechische Baustil, aus Elementen von A und B hervorgegangen, wird zu einer hohen Vollendung der schönen Form, klaren Konstruktion und klassischen Regelmäßigkeit entwickelt, bringt System in die Formgebung, die sich besonders an den Tempeln (s.d.) der verschiedenen Perioden in den charakteristischen Säulenordnungen (s.d.) ausspricht. Letztere werden mit den schon im Altertum üblichen Bezeichnungen als dorische, ionische und korinthische unterschieden [4]. Nahe verwandt ist:

E. Der toskanische oder etruskische Baustil. Weniger formgewandt, dagegen auf das nützliche gerichtet, nimmt er den Gewölbebau auf, wovon als wichtiges Beispiel die Cloaca Maxima zu Rom, 6. Jahrhundert v. Chr., die ersten Anfänge zeigt.

F. Der römische Baustil, ganz auf D. und E. fußend, zeigt in seinen großen Tempeln, Thermen, Grabmälern und Triumphbogen, ferner den Circus, Theatern und Amphitheatern (s.d.) der Kaiserzeit Werke von größter Pracht und mächtiger Wirkung, die sich an die griechischen Bauten der nachalexandrischen Zeit anschließen. Neben den drei obigen Säulenordnungen, die zugleich an demselben Bauwerk zur Anwendung kamen, findet in konstruktiver Hinsicht der Gewölbebau weitere Entwicklung in den Formen der Tonnen- und Kreuzgewölbe (s. Gewölbe), sowie der Kuppel (s.d.). (S.a. [5], Palast und Wohnhaus.)

II. Im Mittelalter.

A. Der altchristliche Baustil entwickelt sich auf dem Boden der römischen Baukunst; er überträgt den heidnisch-römischen Gedanken der Konstruktion auf den christlichen Kirchenbau (s. Basilika, Baptisterium, Zentralbau, Glockenturm) und bahnt so der späteren mittelalterlichen Baukunst die Wege [6].

B. Der byzantinische Baustil entsteht im oströmischen Kaiserreich, wo er sich aus griechisch-römischen und orientalischen Formen eigenartig entwickelt. Besonders findet in ihm der Zentralbau (s.d.), dessen größtes und schönstes Beispiel die Sophienkirche zu Konstantinopel, seine hohe Ausbildung [7]. (S.a. Mosaik.)

C. Der arabische oder maurische Baustil in den Ländern mohammedanischen Glaubens, Kleinasien, Nordafrika, Indien und Spanien, basiert auf altchristlichen, byzantinischen und rein orientalischen Formen und zeigt eine höchst eigenartige und vollendete Entwicklung [8], worüber in Moschee, Minaret, Bazar und Palast (Alhambra) noch Weiteres gegeben wird.

D. Der romanische Baustil, aus dem altchristlichen (II A) hervorgehend, entwickelt sich mit der zunehmenden Kultur in den nördlichen germanischen Staaten, in Oberitalien, Frankreich, Deutschland und England von dem Jahre 1000 bis ca. 1250. An dem Bau von Kirchen (s.d.), von Bischofssitzen, von Klöstern (s.d.) und von Herrschersitzen (s. Palast, Pfalz), bildet sich das noch ganz unter geldlicher Führung stehende Bauwesen heran und bahnt durch Aufnahme des Gewölbebaus eine hohe Monumentalität dieser Bauten an. Er kann in einen frühromanischen und spätromanischen unterschieden werden [9].

E. Der gotische Baustil entstand in Nordfrankreich ums Jahr 1150 als ein in sich abgeschlossenes Gewölbesystem mit Strebepfeilern (s.d.) und -bogen unter Bevorzugung der Spitzbogenform, die wohl durch die Kreuzzüge aus den östlichen Ländern eingeführt wurde. Gleichzeitig findet die formale Gliederung im Maßwerk (s.d.), den Fialen (s.d.) und Wimpergen (s.d.) und die gesamte Ornamentik (s. Kreuzblume, Kapitäl, Krabbe) eine eigenartige Entwicklung. Der Stil verbreitet sich von Frankreich aus in alle christlichen Länder und herrscht bis zur Zeit der Reformation bezw. Renaissance [10].

[631] III. In der Neuzeit.

Mit der Wiedergeburt (Renaissance) feierte die antike Kunst ihren Einzug in alle Kulturländer, wo nun je nach den geistigen Anschauungen die Baukunst verschiedenartige Ausbildung erfuhr und bis heute sich herrschend erhielt. Wir unterscheiden:

A. Frührenaissance, tritt zuerst in Florenz und Toskana im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts auf; zunächst unter Beibehaltung des mittelalterlichen Baugedankens, des Gewölbe- und Strebesystems, nur mit antiken Kleinformen bekleidet; später findet sie ihre weitestgehende Anwendung an dem Palast- und Kirchenbau Venedigs und an den oberitalienischen Backsteinbauten [11] (s.a. Kirche, Wohnhaus, Palast).

B. Die Hochrenaissance beginnt in Italien ums Jahr 1500 und schließt mit 1580. Durch das Studium der Antike zur ungefälschten Nachahmung schreitend, wurden in der Folge von ersten Meistern wie Perruzzi, Palladio, Sansovino und Michelangelo eigenartige Werke von höchster Vollendung geschaffen, die im Kirchen- wie im Wohnhausbau als unvergleichliche Muster für alle Zeiten gelten (s. Kirche, Wohnhaus und [12]). In Deutschland entsteht als erstes Werk die Fuggersche Grabkapelle bei St. Anna in Augsburg, 1512, und folgen erst später (da die Religionswirren alle Kunsttätigkeit unterbrachen) durch fremde und einheimische Meister an Fürstenhöfen und in Städten mancherlei Bauten des neuen Stils der sogenannten Deutschen Renaissance. In Frankreich entwickelt sich zu gleicher Zeit eine nationale Stilrichtung, die herrliche Werke schafft, während England noch am alten Stile haftet, später aber den Elisabethstil hervorbringt.

C. Die Spätrenaissance zerfällt in folgende Unterabteilungen:

1. Der Barockstil bildet die Ausartung der den klassischen Formen huldigenden Hochrenaissance, hervorgehend aus der Nachahmung der genialen Schöpfungen Michelangelos. Der Stil äußert sich durch Ueberladung, wulstige Formen, geschweifte Giebel und Schnörkelung [14]. Doch sind im allgemeinen die Bauwerke dieser Zeit von bewußter größter Wirkung. Seine Herrschaft fällt in Italien von 1570 bis 1720; ebenso in Frankreich; in Deutschland und den Niederlanden etwa von 1620 bis 1740. Eine Abart hiervon bildet

2. das Rokoko oder der Zopfstil, der in der Zeit von 1720 bis 1780 eine weitere Verwilderung und Willkür der Formensprache brachte. Nach dieser Zeit tritt eine Reaktion ein, die bei der überall herrschenden französischen Sitte als

3. Stil Ludwig XVI. bezeichnet wird, jedoch nur in der inneren Dekoration und im Kunstgewerbe Bedeutendes leistete. Zuletzt mit Beginn des französischen Kaiserreiches entsteht

4. der Empirestil, der eine strenge Anlehnung an die römische Formenwelt erstrebt hat und von 1800 bis 1830 herrscht [15]. Im Laufe des 19. Jahrhunderts folgen diesem noch, je nach den geistigen Strömungen klassischer Richtung, auf Grund von Studien an griechischen Bauresten

5. eine hellenische Renaissance (Schinkel [15], Klenze und Hansen) wie auch eine erneute Aufnahme römischer Formgedanken (Semper). Nebenher schreitet aber, hervorgerufen durch eine romantisch-nationale Geistesrichtung sowie betätigt und begünstigt durch Wiederherstellung unvollendeter mittelalterlicher Kirchen und Dome

6. eine romanische und gotische Stilrichtung in mehr oder weniger strenghistorischer oder moderner Bauart, die vornehmlich beim Kirchenbau zur Anwendung kommt.

Bei dem großen Kulturaufschwung und dem steten Fortschreiten der Technik in den letzten Jahrzehnten trat auch mehrfach das Bestreben auf, einen neuen Stil zu erfinden, der von allen hergebrachten Formen frei nur den technischen Gedanken aussprechen sollte. Doch kann bis jetzt dies Bemühen als mißglückt bezeichnet werden, da diese Versuche nur unerfreuliche Leistungen gezeitigt haben, und so die Hoffnung berechtigt erscheint, daß die Baukunst fernerhin nicht in falsche Bahnen gelenkt, vielmehr auf den uns überlieferten Meisterwerken fußend in steter und normaler Entwicklung sich zu immer schönerer Blüte entfalten werde.


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Aufl. 1856. – [3] Lübke, W., Geschichte der Architektur, Leipzig 1884; Lübke, W., Grundriß der Kunstgeschichte, Stuttgart 1887; Langlès, L., Monuments anciens et modernes de l'Hindoustan, 2. Vol., Paris 1821; Cunningham, A., The Bhilsa Topes, or Buddhist monuments of Central India, London 1854; Fergusson, J., Handbook of architecture, Vol. I, London 1855; Daniell, Excavations of Ellora, Gr. Fol.; Mothes, O., Illustriertes Baulexikon, Leipzig und Berlin 1883. – [4] Lübke, Geschichte der Architektur, 4. Aufl., Leipzig 1884 (das. zahlreiche Literaturangaben); Bötticher, Tektonik der Hellenen, 2∙. Aufl., Berlin 1869 ff.; Bühlmann, Architektur des klassischen[632] Altertums, Stuttgart 1872; Durm, J., Baukunst der Griechen, Darmstadt 1881; Mauch, Die architekt. Ordnungen der Griechen und Römer, Berlin 1875; Bilderwerke: Lübke und Lützow, Denkmäler der Kunst, 4. Aufl., Stuttgart 1884; Kunsthistorische Bilderbogen, neue Aufl., herausgegeben von E.A. 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Weinbrenner.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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