- Fließen fester Körper
Fließen fester Körper nannte zuerst Tresca die Formänderungen, welche Metalle und andre feste Körper ähnlich den Bewegungen flüssiger Körper zulassen, wenn sie genügend hohen Drücken ausgesetzt werden [1].
Der Druck auf der Oberfläche pflanzt sich wie bei Flüssigkeiten, wenn auch nicht nach denselben Gesetzen, im Innern fort, und bei genügender Größe desselben findet ein Abfließen nach der Seite, durch Mündungen u.s.w., überhaupt nach denjenigen Stellen statt, wo der geringste Widerstand entgegengesetzt wird. Die Technik hat von dieser Eigenschaft fester Körper von jeher Gebrauch gemacht (beim Walzen, Drahtziehen, Stanzen, Lochen u.s.w.), doch wurde erst von Tresca eine einheitliche Untersuchung und Beurteilung des Fließens angebahnt. Er verfolgte experimentell die unter verschiedenen Verhältnissen entstehenden Veränderungen und suchte den Vorgängen auch theoretisch nahe zu kommen, wobei die aus Versuchen entnommene Unveränderlichkeit des Gesamtvolumens als allgemeinster Ausgangspunkt diente. Auch wies bereits Tresca auf die Folgen hin, welche sich aus dem Fließen fester Körper für die Erklärung geologischer Erscheinungen ziehen lassen. Diese wurden besonders von Tyndall [12] in der Gletscherkunde und von Heim [13] bei Erklärung der Gebirgsbildung verwertet. Mehr und mehr faßte man den Begriff des Fließens fester Körper allgemeiner auf, indem alle erheblicheren bleibenden Formänderungen (Strecken, Quetschen u.s.w.) in der Bezeichnung eingeschlossen wurden. Mit einschlagenden Fragen haben sich neben Tresca besonders Kick, Bauschinger, Kirsch, vom theoretischen Standpunkte auch Saint-Venant, Rejtö und Mohr beschäftigt. Beispielsweise hat M o h r bei Beurteilung der Umstände, welche die Elastizitätsgrenze und den Bruch des Materials bedingen, die Ergebnisse von Fließversuchen herangezogen (vgl. Festigkeitsbedingung). Die wichtigste allgemeinere Literatur ist unten angegeben. Selbstverständlich gehen zahlreiche Werke und Aufsätze aus den Gebieten der Festigkeitslehre und mechanischen Technologie auf einzelne Fälle und Fragen des Fließens ein; s.a. Fließgrenze, Druckversuch, Zerreißversuch, Proportionale Widerstände, Elastische Nachwirkung, Elastizitätsgrenze, Dehnung u.s.w.
Literatur: [1] Tresca, Mémoire sur l'écoulement des corps solides, Annales du Conservatoire des arts et métiers, 186566, S. 9 (Auszug: Compt. rend., 1864, LIX, S. 754). [2] Tresca, Circonstances que présente l'écoulement de la glace, soumise à de fortes pressions, Compt. rend., 1865, LX, S. 398. [3] Tresca, Sur l'écoulement des corps solides, Compt. rend., 1867, LXIV, S. 809. [4] Tresca, Sur les applications de l'écoulement des corps solides an laminage et an forgeage, Compt. rend., 1867, LXIV, S. 1132. [5] Tresca, Sur l'application des formules générales du mouvement permanent des liquides à l'écoulement des corps solides, Compt. rend., 1868, LXVI, S. 1027, 1244. [6] Tresca, Mémoire sur le poinçonnage des métaux et la théorie mécanique de la déformation, Compt. rend., 1869, LXVIII, S. 1197. [7] Tresca, Mémoire sur le poinçonnage de métaux et des matières plastiques, Compt. rend., 1870, LXX, S. 27. [8] De Saint-Venant, Sur l'établissement des équations des mouvements intérieurs opérés dans les corps solides ductiles etc., Compt. rend., 1870, LXX, S. 423. [9] Tresca, Etude sur la torsion prolongée au delà de la limite de l'élasticité, Compt. rend., LXXIII, S. 1104. [10] Tresca, Résultats des expériences de flexions faites sur des rails en fer et en acier an delà de la limite de l'élasticité, Compt. rend., 1871, LXXIII, S. 1153. [11] Tresca, Sur le rabotage des métaux, Compt. rend., 1871, LXXIII, S. 1307. [12] Tyndall, Das Wasser in seinen Formen als Wolken und Flüsse, Eis und Gletscher, Leipzig 1873, S. 77, 101 u.s.w. [13] Heim, Untersuchungen über den Mechanismus der Gebirgsbildung, Basel 1878, S. 89 (s. dagegen Pfaff, Der Mechanismus der Gebirgsbildung, Heidelberg 1880, S. 127). [14] Kick, Technologische Studien über Materialien und deren Formänderungen, Technische Blätter 1881, S. 150, 185; 1882, S. 150, 215. [15] Mohr, Ueber die Darstellung des Spannungszustandes und des Deformationszustandes eines Körperelements und über die Anwendung derselben in der Festigkeitslehre, Civilingenieur 1882, S. 113. [16] Tresca, Note sur l'écrouissage et la Variation de la limite de l'élasticité, Compt. rend., 1884, XCIX, S. 351. [17] Kick, Das Gesetz der proportionalen Widerstände und Seine Anwendungen, Leipzig 1885, S. 75. [18] Bauschinger, Ueber die Veränderung der Elastizitätsgrenze und der Fertigkeit des Eisens und Stahls durch Strecken und Quetschen u.s.w., Mitteilungen u.s.w., Heft XIII, München 1886. [19] Kirsch, Beitrag zum Studium des Fließens, insbesondere beim Eisen und Stahl, Mitteilungen aus den Kgl. Versuchsanstalten zu Berlin 1887, S. 69; 1888, S. 37; 1889, S. 9. [20] Lehmann, Molekularphysik mit besonderer Berücksichtigung mikroskopischer Untersuchungen, I, Leipzig 1888, S. 57. [21] Chaudy, Formule du travail de déformation dans le laminage et le martelage, Mémoires de la société des ingénieurs civils 1894, I, p. 47. [22] Kirsch, Ueber den Flüssigkeitsgrad fester Körper, Zeitschr. d. österr. Ingen. u. Arch.-Vereins 1896, S. 156. [23] Hartmann, Distribution des déformations dans les métaux soumis à des efforts, Paris 1896. [24] Rejtö, Die innere Reibung der festen Körper als Beitrag zur theoretischen mechanischen Technologie, Leipzig 1897. [25] Martens, Materialienkunde für den Maschinenbau, I, Berlin 1898, S. 67, 191, 229 u.s.w. [26] Heyn, Die Umwandlung des Kleingefüges bei Eisen und Kupfer durch Formänderungen in kaltem Zustande und darauffolgendes Ausglühen, Zeitschr. d. Vereines deutscher Ingenieure 1900, S. 433. [27] Thallner, Konstruktionsstahl, Freiberg 1904. [28] Mohr, Abhandlungen aus dem Gebiete der technischen Mechanik, Berlin 1906, S. 209 (s.a. Proportionale Widerstände).
Weyrauch.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.