- Gutsbesitzerwohnhäuser
Gutsbesitzerwohnhäuser. Das Wohnhaus des Gutsbesitzers wird im ganzen etwas weiträumiger angelegt als städtische oder villenartige Wohnhäuser, weil die ländlichen Verhältnisse die Uebung einer ausgedehnteren Gastlichkeit mit sich bringen, auch bei besonderen Anlässen sich eine größere Menschenzahl darin zusammenfindet (Jagden, Einquartierung, amtliche Kommissionen u. dergl.). Daher ist das Gutshaus mit einer größeren Halle, der Diele des altsächsischen Hauses (s. Bauernhäuser), mit einer Anzahl von Fremdenzimmern u.s.w. ausgestattet. Die Erziehung der Kinder erfordert oftmals die Unterbringung eines Hauslehrers und einer Erzieherin.
Als allgemeine Regel gilt, daß das Herrschaftshaus nach Größe und äußerer Ausstattung im richtigen Verhältnis zu dem zugehörigen Grundbesitz und dessen Erträgen, weniger den zufälligen Vermögensverhältnissen des jeweiligen Besitzers steht. Die Bauart soll mehr durch Gruppenwirkung als durch reiche Ausbildung der architektonischen Einzelheiten ausgezeichnet werden; unbedingt muß sie solid sein, um den Grundbesitz nicht mit hohen Unterhaltungskosten zu belasten. Die Verwendung unechter Materialien ist zu verwerfen. Da endlich der Bodenwert keine erhebliche Rolle spielt, wird man ihm seine Ausdehnung mehr in der Breite als in der Höhe geben.
Das Herrenzimmer muß von mindestens einem Fenster den Ueberblick über das Gehöft, dessen Ausgänge und die Türen der Hofgebäude gestatten; es muß ferner unmittelbar von dem Haupteingange, oder besser einem besonderen, für den dienstlichen Verkehr mit dem Hofgesinde bestimmten Nebeneingang erreichbar sein. In größeren Wohnhäusern ordnet man gern neben dem Herrenzimmer ein kleines Ankleidezimmer an, in dem der Hausherr, aus der Wirtschaft kommend, sich umkleiden kann. Das Damenzimmer wird passend an die Gartenseite verlegt. Wenn ein Gewächshaus mit dem Wohnhause verbunden ist, schließt es sich an das Damenzimmer an. Ein geräumiges Wohnzimmer, in dem sich die ganze Familie versammeln kann, ist unentbehrlich. In größeren Häusern wird außerdem ein Saal gefordert, der bei besonderen Anlässen auch als Speisesaal benutzt werden kann, während für den regelmäßigen Gebrauch ein kleineres Eßzimmer genügt. Das Schlafzimmer legt man gern in das Erdgeschoß in Zusammenhang mit dem Wohnzimmer und dem Schlafzimmer für kleinere Kinder.[699] Werden die Kinder größer, so wohnen sie im oberen Stock in der Nähe des Hauslehrers oder der Erzieherin, deren Wohnzimmer zugleich Schulstuben sein können. Welche Wirtschaftsräume mit dem Herrschaftshause vereinigt werden, hängt von den ortsüblichen Verhältnissen, namentlich davon ab, ob das Hofgesinde von der Gutsverwaltung beköstigt wird, und welche Zahl von Wirtschaftsbeamten gehalten wird. Ein einzelner, unverheirateter Wirtschaftsbeamter kann wohl sein Zimmer im Herrschaftshause, etwa neben dem Herrenzimmer, von dem Nebeneingang erreichbar, erhalten. Wird die Zahl größer oder ist der Vertreter des Gutsherrn verheiratet, so erbaut man wohl selbständige Wirtschaftshäuser und verbindet damit die Einrichtungen für Beköstigung des Hofgesindes oder man richtet diese Räume in einem Flügel des Gutshauses ein.
Beistehende Figur ist der Grundriß des Erdgeschosses eines ländlichen Herrschaftshauses auf Rittergut Poledno, Regierungsbezirk Marienwerder, bemerkenswert durch die den Verkehr zwischen den Wohnräumen vermittelnde Diele, einen wohnlich eingerichteten Raum, welcher durch zwei Stockwerke reicht und in Höhe des Obergeschosses mit einer ringsum laufenden Galerie versehen ist. Die Gruppe der Schlaf- und Kinderzimmer ist durch einen Flurgang zugänglich. Das obere Geschoß erhält in dem Ausbau des steilen Daches eine größere Anzahl von Fremdenzimmern. In dem gewölbten Kellergeschoß sind die Küche und sonstige Wirtschafts- und Vorratsräume sowie Wohnungen der Dienstboten untergebracht, und im Zusammenhange einerseits mit dem Weinkeller, anderseits vermittelst kleiner Hilfstreppe mit dem Speisesaal eine Trinkstube mit kunstvollem Gewölbe. Das Haus liegt an dem hohen Ufer eines Sees, dem die Wohnzimmer zugekehrt sind. S.a. Gehöfteanlagen.
Literatur: Tiedemann, Ludw. v., Das landwirtschaftliche Bauwesen, Halle a. S. 1898; Schloß Seßwegen in Livland, Zeitschr. f. Bauwesen 1896, S. 159 ff.
v. Tiedemann.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.