Röntgenstrahlen [1]

Röntgenstrahlen [1]

Röntgenstrahlen. Kathodenstrahlen (s.d.) haben die Eigenschaft, geradlinig in senkrechter Richtung von der Kathode aus sich fortzupflanzen und – nach Lenards Entdeckung – durch ein Aluminiumfenster aus der Hittorfschen Röhre sogar in Luft auszutreten. Wie das Glas, so werden auch andre Körper durch die Kathodenstrahlen fluoreszierend und senden in diesem Zustande – das ist die Entdeckung Röntgens vom Jahr 1895 [1] und [2] – eine besondere Art unsichtbarer Strahlen aus, welche sich sowohl von den Licht- und Wärmestrahlen als auch von den Kathodenstrahlen durch wesentliche Eigenschaften unterscheiden. Während diese Strahlen (X-Strahlen) wie die Licht- und Wärmestrahlen Fluoreszenz- und Phosphoreszenzerscheinungen hervorrufen können – besonders ist das Kaliumplatincyanür durch diese Strahlen leicht zur Fluoreszenz erregbar –, so wirken sie, abgesehen von einer allgemeinen Wirkung auf den lebenden Organismus, nicht oder fast nicht auf das Auge, sind keiner Reflexion, keiner Brechung, keiner Doppelbrechung fähig, schwärzen aber, ähnlich den Lichtstrahlen, die photographische Trockenplatte. Während die Kathodenstrahlen durch einen genäherten Magnet aus ihrer Richtung abgelenkt werden, sind die Röntgenstrahlen der magnetischen Ablenkung nicht unterworfen. Wie die Körper gegen Licht- und Wärmestrahlen sich verschieden durchlässig zeigen, durchsichtig, durchscheinend, farbig durchsichtig, undurchsichtig, diatherman, thermochroisch, atherman sind, so zeigen die Körper auch den Röntgenstrahlen gegenüber ein besonderes Verhalten. Die Strahlen gehen durch Holz, Papier, Hartgummi, überhaupt durch Substanzen, die aus Metalloiden bestehen, mit Leichtigkeit durch, während sie von Metallen und deren Verbindungen um so stärker absorbiert werden, je höher im allgemeinen deren spezifische Gewichte sind. Doch befiehl keine genaue Proportionalität. Im Gegenteil, es gibt je nach der Bildung verschiedene Arten von Röntgenstrahlen, für welche dieselben Körper ein verschiedenes Maß der Durchlässigkeit zeigen. Diese Unterschiede hängen ab von dem Grade der Evakuierung der Röntgenröhren und von der dadurch teilweise bedingten Spannung der Entladungsfunken.

Röntgen unterscheidet weiche, d.h. weniger stark evakuierte, und harte, stark evakuierte Röhren, und dementsprechend spricht man von weichen und von harten Röntgenstrahlen mit niederer bezw. mit hoher Spannung (Potentialabfall) der erzeugenden Kathodenstrahlen. Die Durchlässigkeit der Körper für die Strahlen nimmt mit der Härte der Strahlen zu; bei Strahlen mittlerer Beschaffenheit ist der Durchlässigkeitsunterschied zwischen Knochen und Weichteilen des Körpers am größten, daher liefern sowohl zu weiche als zu harte Röhren schlechte photographische Bilder anatomischer Objekte. Eine besondere Eigenschaft haben die Röntgenstrahlen mit den ultravioletten Lichtstrahlen gemeinsam; sie wirken auf elektrisch geladene Körper entladend, mit dem Unterschied, daß diese Wirkung positive und negative Ladungen gleich betrifft, während die ultravioletten Strahlen nur negative Ladungen vernichten. Die genauere Prüfung zeigt, daß die von den Röntgenstrahlen getroffenen Körper neue Strahlen, Sekundärstrahlen, aussenden, bestehend teils, wie die Kathodenstrahlen, aus Elektronen, teils aus sehr weichen Röntgenstrahlen. K. Hahn [3], nach Vorgang von A. Righi, konnte zeigen, daß die allgemeine Elektrizität zerstreuende Wirkung den Sekundärstrahlen zuzuschreiben ist, daß aber die Röntgenstrahlen positive Ladungen der Körper bewirken, besonders auf sehr dünnen Metallplatten.

Als Apparate zur Erzeugung von Röntgenstrahlen dienen kräftige Induktionsapparate, die Funken von mindestens 3–5 cm Schlagweite liefern, und die damit verbundenen Entladungsröhren, Röntgenröhren oder Röntgenlampen, stark (bis auf einige Milliontel) evakuierte [450] Hittorfsche Röhren verschiedener, meist kugeliger Gestalt. Während in den anfänglich gebrauchten Röntgenröhren die fluoreszierende Stelle der Glaswand als Ausgangspunkt der Strahlen diente, läßt man jetzt die Kathodenstrahlen im Innern der Lampe auf ein unter 45° gegen die Strahlen geneigtes Platinablech fallen und konzentriert die Wirkung möglichst auf einen Punkt dadurch, daß man der Kathode die Gestalt eines Hohlspiegels gibt, in dessen Fokus sich das Platinaplättchen befindet, welches auf der von den Kathodenstrahlen getroffenen Seite nach allen Richtungen, also nicht nach Art einer Reflexion, die Röntgenstrahlen aussendet. Röntgen hat gezeigt, daß bis nahe dem Winkel 90° mit dem Einfallslot der Platte die Intensität in verschiedenen Richtungen dieselbe ist. Die Bestrebungen der Technik zur Vervollkommnung der Röntgenröhren richten sich hauptsächlich gegen die Eigenschaft derselben, beim Gebrauch fortschreitend härter zu werden infolge einer durch die Entladungen bewirkten zunehmenden Verdünnung des noch vorhandenen Gasrestes. Die Gasteilchen werden wahrscheinlich durch die von der Antikathode, dem Platinaplättchen beim Anprall der Elektronen abgeschleuderten Stoffteilchen gebunden. Man vermindert die Temperatur der bis zum Glühen sich erhitzenden Antikathode durch Kühlvorrichtungen, teils Wasserkühlung, teils Luftkühlung, man verbindet die Antikathode leitend mit der Anode, man verbindet die Röhre mit einem den Gasdruck regulierenden Apparat. Die mit den jährlichen Röntgenkongressen seit Frühjahr 1905 [4] verbundenen Röntgenausstellungen in Berlin zeigen die neuesten Verbesserungen. Von besonderer Wichtigkeit für gute Wirkungen der Röhren sind auch die Stromunterbrecher. Der Platinaunterbrecher hat zu kleine Wechselzahl, der Quecksilberunterbrecher ist in seiner bisherigen Form zu kurz gebrauchsfähig, der Wehneltsche elektrolytische Unterbrecher gibt nicht die erwünschten plötzlichen Stromöffnungen. Neuerdings empfiehlt die Berliner Elektrizitätsgesellschaft Sanitas ihren Rotax benannten Unterbrecher mit zugehörigem Röntgeninstrumentarium als eine Verbindung der Vorzüge des Wehnelt- und des Quecksilberunterbrechers unter Vermeidung von deren Nachteilen.

Zur Theorie der Röntgenstrahlen ist hervorzuheben, daß die Versuche über Brechung [5], Beugung, Polarisation [6], Fortpflanzungsgeschwindigkeit [7], letztere gleich derjenigen des Lichtes, dazu berechtigen, sie wie das Licht als transversale Aetherschwingung zu betrachten mit einer vielmal kleineren Wellenlänge und entsprechend größeren Schwingungszahl, als sie dem violetten Lichte zukommt. Die sehr geringe Brechbarkeit erklärt sich nach der Dispersions theorie von Helmholtz als Folge der sehr kleinen Wellenlänge.

Ueber die Verwendung der Röntgenstrahlen ist hauptsächlich deren Gebrauch in der Medizin zu erwähnen, teils zu diagnostischem teils zu therapeutischem Zwecke. Beim ersteren Gebrauch dienen Strahlen mittlerer Härte, welche nicht bloß Knochen von Weichteilen des Körpers bei der Durchleuchtung unterscheiden lauen, sondern teilweise auch diese voneinander. Für die Erzeugung von Augenblicksbildern eignet sich der mit Platincyanür bedeckte Schirm, für die Erzeugung bleibender Bilder die Photographie. Den Vorteil kurzer Belichtung, welche ersteres Verfahren gegenüber dem zweiten bietet, und den Vorteil der länger möglichen Prüfung des Bildes beim zweiten Verfahren verbindet neuerdings der Schwefelzinkschirm von Buchler & Co. in Braunschweig, vgl. [8].

Beim therapeutischen Gebrauch werden nur ganz weiche Strahlen verwendet, denen die zu behandelnden Organe je etwa 10 Minuten ausgesetzt werden. Es ist besonders eine Reihe von bisher zum Teil unheilbaren Hautkrankheiten, welche mit gutem Erfolge der Röntgenbehandlung unterworfen werden. Ueber die Röntgenliteratur bieten seit 1896 eine möglichst vollständige Uebersicht die Beiblätter zu den Annalen der Physik. Eingehendere Schilderungen der Fortschritte in technischer und theoretischer Hinsicht gibt das Jahrbuch der Naturwissenschaften von Wildermann. Als Einzelschriften besonders zur technischen Belehrung in der Röntgenologie sind zu empfehlen [9] und [10].


Literatur: [1] Röntgen, W.C., Ueber eine neue Art von Strahlen, Sitzungsber. d. Würzburger Physikal.-medizin. Gesellschaft 1895, zweite Mitteilung 1896. – [2] Ders., Weitere Beobachtungen über die Eigenschaften der X-Strahlen, Berliner Akad.-Ber., Bd. 26, S. 576/592. – [3] Ann. d. Phys., 28, 1905, S. 140 ff. – [4] Physikalische Zeitschr., 6, 1. Juni 1905. – [5] Winkelmann und Straubel, Ueber einige Eigenschaften der X-Strahlen, Jena 1896. – [6] Barkla, C.G., Nature, 69, 1904, S. 463. – [7] Marx, E., Physikal. Zeitschr., 6, 1905, S. 768. – [8] Dannenberg, Elektrotechn. Zeitschr. 27, 1906, S. 1021. – [9] Donath, B., Die Einrichtungen zur Erzeugung der Röntgenstrahlen, 2. Aufl., Berlin 1903. – [10] Dessauer, Fr., Röntgenologisches Hilfsbuch, Würzburg 1904. – [11] Parzer-Mühlberger, A., Röntgen-Photographie, Berlin 1908.

A. Schmidt.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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