- Blutlaugensalze
Blutlaugensalze sind Doppelsalze von Eisen- und Kaliumcyaniden.
1. Gelbes Blutlaugensalz, Kaliumeisencyanür, Ferrocyankalium, blausaures Kali, Blaukali, K4FeCy6 · 3H2O oder FeCy2 · 4KCy 3H2O (Mol.-Gew. 422, spez. Gew. 1,83), bildet gelbe durchsichtige, derbe, dem quadratischen Kristallsystem angehörende Pyramiden, die bei gelindem Erhitzen (100°) ihr Kristallwasser verlieren. Bei stärkerem Erhitzen, etwa bei beginnender Rotglut, zerfällt es in Kaliumcyanid, Stickstoff und in ein Karbid des Eisens: K4FeCy6 = 4KCy + N2 + FeC2. Es ist in Wasser leicht löslich (kalt 1 : 3, heiß 1 : 2). Durch verdünnte Säuren wird Cyanwasserstoff (Blausäure) aus dem Salze entwickelt, durch stärkere Säuren treten weitergehende Zersetzungen ein. Unter gewissen Vorsichtsmaßregeln kann man auch den Ferrocyanwasserstoff durch andre Säuren abscheiden. Mit Ferrisalzen setzt sich das Blutlaugensalz zu einer intensiv blauen, in Wasser unlöslichen Verbindung, dem Berliner blau (s.d.), um. Das gelbe Blutlaugensalz bildet sich leicht, wenn Kaliumcyanid in wässeriger Lösung mit Ferroverbindungen zusammenkommt. Bei den technischen Gewinnungsmethoden dieses Salzes geht der Bildung desselben meist die Bildung von Kaliumcyanid voran. Zu diesem [96] Zwecke werden entwässerte stickstoffhaltige Substanzen (tierische Abfallprodukte: Leder, Haare, Horn, Blut u.s.w.) mit Pottasche unter Zuschlag von Eisenabfällen in eisernen Kesseln geschmolzen. Es bildet sich zunächst Kaliumcyanid und Eisensulfür. Diese beiden Verbindungen setzen sich bei der Behandlung mit Wasser in Kaliumferrocyanid und Kaliumsulfid um:
FeS + 6KCy = FeCy2 4KCy + K2S.
Auf denselben Reaktionen beruht die Bildung von Ferrocyaniden bei der Pottaschefabrikation. Das im ersteren Falle als Hauptprodukt, in letzterem Falle als Nebenprodukt durch Verdampfen der cyanhaltigen Laugen gewonnene Rohsalz wird durch Umkristallisieren gereinigt. Alle bei den Kristallisationsprozessen abfallenden, nicht mehr Kristalle führenden Laugen, die außer Cyaniden noch beträchtliche Mengen Pottasche enthalten, gehen nach dem Eindampfen zur Trockne (unter dem Namen Blaukali, s. oben), wieder in den Betrieb zurück. Ein wichtiger Rohstoff für die Blutlaugensalzfabrikation ist die Gasreinigungsmasse der Leuchtgasfabriken. In diesem Abfallprodukte sammeln sich außer Schwefel, Sulfiden und andern Stoffen auch beträchtliche Mengen von Cyaniden an. Nach Gewinnung der ebenfalls wertvollen, in Wasser leicht löslichen Ammonium- und Rhodanverbindungen werden die schwer oder gar nicht löslichen Eisencyanide durch Behandlung mit basischen Stoffen (Kalkhydrat) in Lösung gebracht. Sind, was meistens der Fall ist, noch Ammoniumsalze mit in Lösung gegangen, werden diese durch Destillation mit Kalkhydrat ausgetrieben. Die schließlich noch rückständigen Calciumeisencyanide werden mit Pottasche in Kaliumeisencyanide verwandelt, die dann durch Konzentration und Kristallisation als gelbes Blutlaugensalz erhalten werden. Andre Darstellungsmethoden, obwohl einige derselben wissenschaftlich höchst beachtenswert sind, haben für die Technik noch zu wenig Interesse. Das gelbe Blutlaugensalz findet in der Farbenindustrie (Berlinerblau), Färberei, Cyankaliumfabrikation, zur Darstellung des roten Blutlaugensalzes sowie zum Verstählen schmiedeeiserner Geräte ausgedehnte Anwendung. Mitte des vorigen Jahrhunderts von Macquer zuerst als solches dargestellt, wurde es jedoch schon anfangs des 18. Jahrhunderts in einer (durch Erhitzen von Pottasche mit Blut und Auslaugen der Schmelze erhaltenen) wässerigen Lösung von Dießbach zur Herstellung eines blauen Farbstoffes, des Berlinerblaus, benutzt. Von den zahlreichen Arbeiten über Blutlaugensalz, seine Bildungsweise und Zersetzung verdienen besonders die von Liebig [1] besondere Beachtung.
2. Rotes Blutlaugensalz, Kaliumeisencyanid, Kaliumferricyanid, Ferricyankalium, FeCy3 · 3KCy oder K3FeCy6 (Mol.-Gew. 329, spez. Gew. 1,85), bildet dunkelrote monokline Säulen, die nicht unzersetzt schmelzbar sind. Das Salz löst sich leicht in Wasser (kalt 1 : 2,7, heiß: 1 : 1,3). Sowohl in Lösung als in trockenem Zustand ist es, besonders bei Gegenwart basischer Stoffe, unter Rückbildung von gelbem Blutlaugensalz leicht zersetzbar; es wirkt in diesem Falle oxydierend. Auch durch Sonnenlicht und andre chemisch wirksame Lichtstrahlen wird es zu Ferrocyankalium reduziert. Bei seiner Darstellung, Prüfung und einigen seiner Verwendungsarten ist sein Verhalten gegen Eisensalze beachtenswert. In Lösungen von Ferrosalzen erzeugt es einen tiefblauen Niederschlag (Turnbulls Blau), währendes mit Ferrisalzen nur eine braunrote Färbung gibt. Es bildet sich leicht bei der Behandlung von gelbem Blutlaugensalz mit Chlor und andern oxydierend wirkenden Stoffen und wird auch fabrikmäßig durch Einleiten von Chlor in gelöstes oder durch Ueberleiten von Chlor über trockenes gelbes Blutlaugensalz dargestellt:
K4FeCy6 + Cl = K3FeCy6 + KCl.
Das Ende der Umsetzung erkennt man durch Prüfung einer gelösten und verdünnten Probe mit Eisenchlorid, das unzersetztes Ferrocyanid durch einen blauen Niederschlag anzeigt. An Stelle von Chlor ist auch Bleisuperoxyd mit einer zur Neutralisation des frei werdenden Kalis hinreichenden Menge Säure empfohlen. Bleisuperoxyd ist im allgemeinen ein zu teures Oxydationsmittel; seine Verwendung ist jedoch unter gewissen Bedingungen nicht ausgeschlossen [6]. Unter denselben Voraussetzungen ist aber meist auch die bereits seit 1863 [5] bekannte elektrochemische Bildungsweise des roten Blutlaugensalzes durchführbar. Beide Verfahren haben jedoch noch wenig Beachtung in der Praxis gefunden. Die Darstellung eines einigermaßen reinen Salzes ist nur nach den Methoden möglich, die das gelbe Blutlaugensalz in wässeriger Lösung oxydieren. Aus einer solchen kann es durch Konzentration und Kristallisation von Beimengungen (KCl) frei erhalten werden. Die Behandlung des trockenen gelben Salzes mit Chlor liefert begreiflicherweise ein für viele technische Zwecke brauchbares Gemenge von rotem Salz und Chlorkalium. Verwendung: in der Färberei, beim Zeugdruck, für Lichtdruck-(Lichtpause-)Verfahren, Photographie, in chemischen Laboratorien als Reagens und Oxydationsmittel u.s.w. Den geschichtlichen Notizen unter Ferrocyankalium ist noch hinzuzufügen, daß das Ferricyankalium zuerst durch Gmelin [2] dargestellt wurde.
Die Literatur über diese und andre Cyanide ist sehr umfangreich. Es mögen daraus hervorgehoben werden: [1] Liebig in Annalen der Chemie, Bd. 38, S. 20. [2] Gmelin in Schweiggers Journ., Bd. 34, S. 325. [3] Fleck, Chemische Produkte aus tierischen Abfällen, Braunschweig 1878. [4] Stohmann u. Kerl, Encyklop. Handbuch der technischen Chemie, 4. Aufl., Braunschweig 1889. [5] Schlagdenhaufen, in Jahresber. der Chemie 1863, S.305. [6] Borchers, Elektrometallurgie, 2. Aufl., Braunschweig 1895; die Verwertung der ausgebrauchten Gasreinigungsmassen auf Blutlaugensalz, Ammoniak und Rhodanverbindungen, Leipzig u. Wien 1902.
Bujard.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.