Farben [1]

Farben [1]

Farben sind Qualitäten des Lichts bezw. der Lichtwahrnehmung. Ueber Farben im Sinne von Farbstoffen s. die folgenden Artikel und Färben. Die Ursache der qualitativen Verschiedenheit des Lichts ist teils eine subjektive, in der Physiologie des Sehorgans begründete, teils eine objektive, auf der Verschiedenheit der Wellenlängen und damit der Schwingungszahlen der Lichtwellen beruhende. Das Organ der Farbenwahrnehmung ist der auf der Retina (s. Auge) ausgebreitete Sehnerv.

Nach der Theorie von Th. Young, die durch Maxwell und Helmholtz weitere Ausbildung erfuhr [1], setzen sich alle Wahrnehmungen von Farben aus drei Grundempfindungen zusammen, der Empfindung des Rot, des Grün und des Violett (Blau), die ihren letzten Grund in einer dreiteiligen Gliederung der Sehnervenendigungen haben sollen. Die Gesamtheit der Farben läßt sich durch das Bild eines Dreiecks (Farbendreieck) darstellen, derart, daß in den drei Ecken des Dreiecks der Ort je einer der drei Grundfarben angenommen wird, und jeder Punkt der Dreiecksfläche einem bestimmten Farbentone entspricht, dessen Zusammensetzung aus den Grundfarben durch diejenigen Stärkeverhältnisse der Grundfarben gegeben ist, für die der betreffende Punkt zum Schwerpunkt der drei Eckpunkte wird. Bei Farbenblindheit (Daltonismus) fehlt eine der drei Empfindungen, in seltenen Fällen zwei derselben. Am häufigsten ist die Rotblindheit, bei welcher Rot gleich Schwarz erscheint und Grün und Blau zusammen Weiß ergeben, wie beim normalen Auge Rot, Grün und Blau zusammen. Infolge der Entdeckung des beim Sehakt fortwährend sich verbrauchenden und wieder produzierten Sehrot (Sehpurpur) und des Sehgelb durch Boll hat man wohl mit Kühne [2] die Theorie von Young-Helmholtz in etwas zu verändern und statt einer Dreigliederung des Sehorgans eine dreifache Art der chemischen Veränderung des Sehrot anzunehmen je nach der Wellenlänge des das Sehrot zerstörenden Lichts. Rotes Licht bewirkt die rascheste, grünes eine langsamere, blaues eine sehr langsame Veränderung. Daß die Natur solche Substanzen hervorbringt, die unter der Wirkung verschieden langer Lichtwellen eine entsprechend verschiedene molekulare Struktur annehmen, beweisen die Versuche O. Wieners über Farbenphotographie [3] und dessen Ausführungen über die Mechanik der Farben-Mimikry. Von der Theorie Youngs abweichende Theorien über Farbenwahrnehmung sind diejenige von Hering [4] und diejenige von Wundt [5].

Der objektive Unterschied der Farben ist in dem Unterschiede der Wellenlänge begründet. Soweit Farbenempfindungen nicht diesem objektiven Unterschiede des Lichts entsprechen, sondern durch sonstige Reize des Sehnerven erzeugt werden, nennt man die Farben subjektive Farben. Dahin gehören besonders die durch Ermüdung des Sehnerven bei längerer Inanspruchnahme durch eine bestimmte Farbe erzeugten Nachwirkungen bei geschlossenen Augen und die Farbentäuschungen, bei denen das Auge die zu den objektiv vorhandenen Reizen komplementären Empfindungen selbsttätig in Nebenbildern und Nachbildern erzeugt, um die durch einseitige Tätigkeit gestörte Harmonie der drei Grundempfindungen, wie sie nur bei der Wahrnehmung von Weiß besteht, zu ergänzen (Kontrastfarben). Die Mittel, deren sich die Natur zur Erzeugung des farbigen Lichtes bedient, sind sehr mannigfaltig; vgl. die Artikel Absorption, Emission, Polarisation, chromatische, Licht, Lumineszenz, Interferenz. Insbesondere ist die Brechung des Lichts immer von einer Farbenzerstreuung (Dispersion) begleitet, wobei gewöhnlich weißes Licht in die prismatischen Farben des Spektrums zerlegt wird.

Bei der normalen Dispersion folgen die Farben im Spektrum nach der Ordnung ihrer Wellenlängen bezw. Schwingungszahlen in folgender von Listing bezeichneten Ordnung vgl. [6] oder [7].


Farben [1]

[605] Nur die durch Beugung erzeugten Gitterspektren zeigen eine ganz regelmäßige Anordnung der Spektralgebiete und eine der verschiedenen Größe der Wellenlänge entsprechende Ausdehnung der einzelnen Gebiete. Bei den durch Brechung im Prisma erzeugten Spektren stehen die Ausdehnungen der einzelnen Gebiete je nach den brechenden Substanzen in verschiedenem Verhältnis, ja, es treten sogar Inversionen in der Farbenfolge auf, die man als anomale Dispersion bezeichnet. Diese Erscheinung sicht in enger Verbindung mit der elektiven Absorption. Ueber die Theorie der Erscheinung vgl. H. v. Helmholtz [8] sowie die eingehende Behandlung in [9] nebst eingehenden Literaturangaben. Die einzelnen Spektralfarben, wenn sie einem sehr eng begrenzten Gebiet des Spektrums angehören, also nicht Licht verschiedener Wellenlänge enthalten, sind homogene Farben. Aus der Mischung der homogenen Farben entliehen die Mischfarben. Das Auge besitzt die Fähigkeit nicht, in den Mischfarben die Bestandteile zu erkennen; mittels des Prismas ist die Trennung der Mischfarben in ihre Bestandteile ebenso wie umgekehrt die Vereinigung einzelner Spektralgebiete zu einer Mischfarbe oder des ganzen Spektrums zu Weiß möglich. Zwei Farben, die sich zu Weiß ergänzen, also komplementär sind, brauchen indessen nach dem Obigen nicht zusammen das ganze Spektrum zu umfassen, wenn sie nur die drei Grundempfindungen gleichmäßig erregen. – Ein bequemes Mittel, Mischfarben aus ihren Bestandteilen entliehen zu lassen, bildet der Farbenkreisel, eine Scheibe, deren Sektoren mit den Einzelfarben bemalt werden und die bei rascher Rotation den Eindruck der Mischfarbe hervorbringt. Beim Mischen verschiedener Farbstoffe erhält man die Mischfarbe nur, soweit eine wirkliche Addition der Farben möglich bleibt, wie beim Mengen von pulverförmigen Substanzen, sonst nicht. Da nämlich die Körperfarben dasjenige Licht enthalten, das von den Körpern nicht absorbiert wird, so enthält das innige Gemisch zweier Farbstoffe nur Licht, das weder der eine noch der andre absorbieren konnte. Ist a das vom einen Farbstoff absorbierte Spektralgebiet, b ein von a verschiedenes, vom andern absorbiertes, so enthält das innige Gemisch weder a noch b, das Gemenge enthält a und b [10]. Beispiele von komplementären Farben bieten die Farben dünner Blättchen im reflektierten bezw. durchgehenden Licht (s. Interferenz) und die zweierlei Farben dünner Gipsblättchen vor und nach gedrehtem Nikol (s. Polarisation, chromatische). Medien, die, an sich durchsichtig, durch sehr seine eingelagerte Partikelchen von anderm Brechungsvermögen getrübt sind, erscheinen im durchgehenden Lichte gelb, im reflektierten blau, ganz entsprechend den Farben sehr dünner Blättchen. Die in der Luft unsrer Atmosphäre schwebenden kleinsten Partikel von Wasser und Staub erzeugen so das Himmelsblau als von der Luft reflektiertes und das Gold des Abendrots als durchgelassenes, zu jenem komplementäres Licht [11].

Die Versuche, eine Farbenharmonie entsprechend den Zahlengesetzen der Harmonielehre in der Akustik zu begründen, haben zu keinen sicheren Resultaten geführt. Die Wellenlängen der Farben umfassen nur ungefähr eine einzige Oktave; das Ohr unterscheidet im Tongemisch die Bestandteile, das Auge im Farbengemisch unterscheidet sie nicht. Die Chromatik hat ihre eignen Gesetze, welche die Physiologie zu ermitteln bestrebt ist als exakten Ausdruck des Strebens der Netzhaut nach einer Ergänzung der Farbenempfindungen durch die komplementären Empfindungen. – Auch die ästhetischen Gesetze der Farbenverwendung fußen hauptsächlich auf der Befriedigung des Auges durch komplementäre Reize. Die stärksten Reize geben die sogenannten gesättigten Farben, die, wie die reinen Spektralfarben, keine komplementären Bestandteile beigemischt enthalten. Durch die Beimischung von Weiß bezw. von Grau verlieren die Farben ihre Sättigung, der Künstler hat je nach der Stimmung, die er erzielen will, das Maß der Reize und deren Abwechslung zu bestimmen. – Für den Techniker empfehlenswerte Werke über Farben und Farbenharmonie sind [12]–[16], aus der neueren physiologischen Literatur über Farben ist hervorzuheben [1], [17]–[22]. Vgl. den nächsten Artikel.


Literatur: [1] v. Helmholtz, H., Handbuch der physiologischen Optik, § 20, 2. Aufl., Hamburg und Leipzig 1895. – [2] Kühnes Abhandlungen in den Verhandlungen des natur-historisch-medizin. Vereins zu Heidelberg 1877–79. – [3] Wiener, O., Farbenphotographie der Körperfarben und mechanische Farbenanpassung in der Natur, Wied. Ann., Bd. 55, S. 225–281, 1895. – [4] Hering, E., Lehre vom Lichtsinn, Wien 1878. – [5] Wundt, Philosophische Studien, Leipzig 1888, Bd. 4, S. 311. – [6] Poggendorffs Annalen, Bd. 131, S. 564, 1867. – [7] Müller, Johannes, u. Pfaundler, L., Lehrbuch d. Physik u. Meteorologie, 8. Aufl., Braunschweig 1879, Bd. 2, S. 338. – [8] Sitzungsber. der Berliner Akademie d. Wissensch. 1874, S. 667, und Dezember 1892. – [9] Drude, Winkelmanns Handbuch der Physik, Breslau 1894, Bd. 2, 1, S. 682. – [10] Dove, Ueber den Unterschied der auf der Palette des Malers entstandenen Mischfarben und der auf dem Farbenkreisel hervortretenden, Poggendorffs Annalen, Bd. 121, S. 142, 1864. – [11] Brücke, E., Ueber die Farben trüber Medien, ebend., Bd. 88, S. 363, 1853. – [12] Chevreul, Des couleurs et de leurs applications aux arts industriels, Paris 1864. – [13] Brücke, Die Physiologie der Farben für die Zwecke der Kunstgewerbe, 2. Aufl., Leipzig 1887. – [14] Farbenkreis in 15 Abstufungen und 20 Anwendungstafeln nach Brückes Physiologie der Farben unter dessen Anleitung zusammengestellt, Wien 1877. – [15] Rood, Ogden N., Die moderne Farbenlehre mit Hinweis auf ihre Benutzung in Malerei und Kunstgewerbe, Leipzig 1880. – [16] Guichard, Harmonie der Farben, 1296 Zusammenstellungen von Farbenverbindungen, deutsch von Krebs, Frankfurt a. M. 1882, kleine Ausg., 1892. – [17] Rood, Ogden N., Ueber ein Farbensystem, Silliman's Journal of Science, Bd. 44, S. 264–270, 1892. – [18] Kirschmann, Beiträge zur Farbenblindheit, Wundt, Philos. Studien, Bd. 8, S. 173–230 u. 407–430, Leipzig 1893. – [19] Bericht des Komites für Farbenblindheit (in Großbritannien), Proc. Royal Soc, S. 281–393, 1892. – [20] König, A., Ueber den menschlichen Sehpurpur, Sitzungsber. d. Akademie d. Wissensch. in Berlin, math.-phys. Cl., Bd. 30, S. 577, 1894. – [21] Vogel, W.H., Ueber Farbenwahrnehmungen, Wied. Ann., Bd. 54, S. 745–751, 1805. – [22] Zeitschr. für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane von H. Ebbinghaus und A. Koenig enthält Abhandlungen von H. v. Helmholtz,[606] E. Tonn, E. Brodhun, A. Koenig, J. v. Kries u.a.; neuestes von Oppolzer: Grundzüge einer Farbentheorie, Bd. 33, S. 325–354, 1903.

A. Schmidt.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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