Frontwände

Frontwände

Frontwände. Befinden sich Häuser in einer Reihe an einer Straße und sind ihre Dächer derartig hergestellt, daß sie nach der Straße und der entgegengesetzten Seite hin entwässern, so nennt man die Umfassungswand an der Straße die Straßen- oder Vorderfront und die entgegengesetzt liegende die Hinter- oder, wenn sich ein Hof anschließt, die Hoffront. Die andern beiden an die benachbarten Häuser sich anschließenden Wände heißen Giebelwände. – In alten Städten kommen jedoch Häuser mit geringer Breite an der Straße und erheblicher Tiefe vor, bei welchen sich die Giebelwände an den Straßen und an den Höfen befinden. Diese Wände pflegt man dann ebenfalls als Frontwände zu bezeichnen, weil sie mit Fenstern verfehlen sind und sich dem Auge des Beschauers darstellen.

Die Frontwände werden nur an einer Seite, die Mittelwände dagegen oft von beiden Seiten durch die Decken belastet; trotzdem sind erstere durchschnittlich stärker hergestellt als letztere, weil sie einesteils infolge der Fensteröffnungen stark geschwächt werden, andernteils die äußere Kälte abhalten sollen. In gewöhnlichen Fällen werden die Stärken nach praktischem Ermessen, d.h. ohne Berechnung, gewählt, und gilt in Berlin unter der Voraussetzung, daß diese Wände Decken tragen, für Bauten aus Ziegeln in Normalformat folgendes: Im Dachgeschoß wird 25 cm Stärke angenommen, vorausgesetzt, daß nicht schwere und stark auskragende Hauptgesimse eine zuweilen erheblich größere Stärke bedingen [1]. Im ersten darauffolgenden Geschoß wählt man, falls die Wände Deckenlasten aufnehmen, 38 cm, im zweiten für Wohngebäude 38 cm, für Fabrikgebäude 51 cm, im dritten für beide Gattungen 51 cm, im vierten 51 bezw. 64 cm, im fünften 64 bezw. 77 cm, und im sechsten, das den Keller zu bilden pflegt, 77 bezw. 90 cm Stärke. Bei gutem Baugrunde wird die Fundamentbreite 90 bezw. 103 cm. Obige Maße müssen aber erheblich verstärkt werden, wenn zwischen breiten Fenstern nur schmale Pfeiler übrigbleiben[199] oder wenn auf diesen Pfeilern Träger ruhen, die durch obere Scheidewände stark betauet sind. In solchen Fällen kann die Stärke der Pfeiler nur durch Berechnung festgestellt werden. – Die Berliner Baupolizei läßt auf den Quadratzentimeter an Druck zu: für gewöhnliches Ziegelmauerwerk 7 kg, für solches in Zementmörtel 11 kg, für bestes Klinkermauerwerk 12–14 kg, für Sandstein, je nach der Härte, 15–30 kg, für Granit 45 kg, für guten Baugrund 2,5 kg. Letzteres Maß kann aber für Gründungen in größerer Tiefe erheblich erhöht werden. – ist ein Frontpfeiler so belastet, daß die Mittelkraft durch seinen Schwerpunkt geht, so verteilt sich dieselbe gleichmäßig über den ganzen Querschnitt. ist das nicht der Fall, so tritt Berechnung auf exzentrische Belastung ein. – Um eine komplizierte Berechnung zu umgehen, hält man es in Berlin für genügend, die exzentrische Gesamtlast um 50% zu vermehren und dann so zu rechnen, als ob die Last gleichmäßig verteilt wäre. In diesen Berechnungen pflegt man aber nur einen um 1–2 kg geringeren Druck für den Quadratzentimeter zuzulassen, als oben angegeben, was, abgesehen von zufälligen Pfeilerschwächungen, insbesondere des Winddrucks wegen nötig ist. Da diese Wände für denselben nicht genügende Stabilität in ihrem Gewicht besitzen, so müssen ihre Pfeiler ihn auf die Decken übertragen und diese wiederum auf widerstandsfähige Mauern. Für diesen Zweck eignen sich alle diejenigen Wände ganz vorzüglich, deren Längsrichtung normal zur Richtung der Frontwände ist. Würden die Decken diese Funktion nicht erfüllen, so würden rechnungsmäßig alle mehrstöckigen Gebäude beim Sturmangriff einstürzen. Die Deckengewölbe bezw. die auf und unter die Balken genagelten Fußboden- und Schalbretter machen jedoch die Decken zu unverschieblichen Tafeln und für solche Kraftübertragungen geeignet.

Bei gewöhnlichen Balkendecken nimmt man in Berlin an, daß sie nur auf 8–10 m Länge für solche Uebertragungen geeignet seien. Jedoch kann man diese Länge durch billige Hilfsmittel mit Sicherheit erheblich vergrößern, welche Hilfsmittel bei Gebäuden mit großen freien Räumen, also mit langen, durch Querwände nicht ausgesteiften Fronten niemals fehlen sollten, weil beim Neubau die Gewölbe erst eingespannt bezw. Fußboden und Schalbretter erst angenagelt werden, wenn das Dach eingedeckt ist; vorher schwebt solcher Neubau beim Sturmangriff also in großer Gefahr. Die vorhin erwähnten Hilfsmittel bestehen darin, daß man, falls nicht in der Nähe befindliche hohe Gebäude den Sturm abhalten, auf den Balkenlagen oder eisernen Trägern in schräger Richtung zu ihnen Zugeisen oder Hölzer anbringt, wie sie in der Figur S. 200 gestrichelt sind. Beim Einbringen der Decken können sie wieder entfernt werden (abgesehen von den obenerwähnten 8–10 m langen Balkendecken). In diesem Fall sind aber nicht Hölzer, sondern Flacheisen zu verwenden, welche von den Fußbodendielen überdeckt werden. – Handelt es sich um Balkendecken über Kirchenräumen, welche über sich nur Dachböden haben, so sind derartige Hölzer über der Decke schon mit Erfolg verwendet worden und keineswegs störend.

Bei massiven Decken braucht man nach Einbringung derselben dergleichen Hilfsmittel in der Regel nicht mehr, weil die Decken an und für sich schon genügende Steifigkeit besitzen, um den winkelrecht zu den Frontwänden wirkenden Druck auf die Giebel- oder Nachbarwände zu übertragen; letztere widerstehen solchem Druck in der Regel sehr gut, wenn sie nicht außergewöhnlich kurz oder von vielen Türen und Fenstern durchbrochen sind.

Anders verhält es sich mit einem Sturmdruck rechtwinklig zu dem vorigen, also rechtwinklig zu den Giebel- oder Nachbarwänden. Diese würden aus dieser Richtung auf sie wirkendem Sturm einen ungenügenden Widerstand bieten, wenn sie nicht durch die Decken und diese wiederum durch die Pfeiler der Frontwände gegen den Sturm ausgesteift würden. In Fabrikgebäuden werden diese Pfeiler aber so schmal als möglich gemacht, um gute Beleuchtung zu schaffen. Denn auch nach der Richtung winkelrecht zur Front sucht man die Pfeilerstärke der Raumersparnis wegen möglichst einzuschränken. – Will man hierbei bis an die Grenze des Zulässigen gehen, so empfiehlt sich die Berechnung [2], welche Pfeilerstärken ergibt, die auch gleichzeitig dem Angriff der Maschinenkräfte und sonstigen Erschütterungen genügen. Mit Bezug auf letztere erscheint es erforderlich, diese Berechnungen auch dann aufzuhellen, wenn benachbarte Gebäude gegen Sturmdruck schützen, um so mehr, als letztere im Laufe der Jahre doch einmal zeitweise abgebrochen sein können. Da die Brandmauern etwas vom Winddruck in dieser Richtung aufnehmen, so genügt es, für die Frontpfeiler statt 125 kg qm nur 100 kg/qm Winddruck zu berechnen. Weil eine genaue Berechnung für Praktiker zu umständlich sein würde, kann man sich mit nachfolgender annähernden begnügen. Eine Frontwand des in der Figur angedeuteten Quergebäudes hat den Winddruck auf 10 m Länge der Wand an der Nachbargrenze auszuhalten. Da die Stockwerkshöhen zu 4 m angenommen sind, so entstehen für jedes Stockwerk 4,0 · 10,0 · 100 = 4000 kg Druck. Die Fensterpfeiler in den Fronten sind als oben und unten eingespannt zu betrachten; sie haben neben jedem Fenster 2,70 m Höhe. Da jede Front fünf Pfeiler hat, so beträgt das Moment M jedes Pfeilers:


Frontwände

Vorstehende Ansätze sind unter der Bedingung zuverlässig, daß alle Pfeiler annähernd denselben Querschnitt haben; andernfalls verteilen sich die Schübe proportional den Trägheitsmomenten, welche die Pfeiler in der Richtung des Schubes haben.

Ein Pfeiler im 4. Stockwerk habe 116 cm Breite in der Front und 38 cm Stärke. Seine Beanspruchung ist k = 6 · M/b · h2 = 6 · 10800/38 · 1162 = 1,3 kg/qcm Zug und Druck durch die Wirkung des Windes. Die Last der Wände, der Decke und des Daches würde ohne Nutzlast 1,5 kg [200] Druck auf den Quadratzentimeter des Pfeilers ergeben, mit Nutzlast dagegen 4,8 kg/qcm, der größte Druck ist also 4,8 + 1,3 = 6,1 kg und der geringste 1,5 – 1,3 = 0,2 kg/qcm. Ein Pfeiler im Erdgeschoß habe bei 116 cm Breite 77 cm Stärke; der Winddruck erzeugt in ihm k = 6 · 540000/77 · 1162 = 3,1 kg/qcm Zug und Druck. Die geringste Belastung beträgt 5,4 und die größte 9,1 kg, der größte Druck also 9,1 + 3,1 = 12,2 kg/qcm und der geringste 5,4 – 3,1 = 2,3 kg/qcm. Die Beanspruchungen der Pfeiler im 1., 2. und 3. Stockwerk liegen zwischen den obenangegebenen.

Sind die Fronten nur kurz und sind deshalb nur wenig Frontpfeiler vorhanden, so werden dieselben zu große Spannungen erfahren, falls sie nicht erhebliche Breite erhalten; man hat in Berlin in solchen Fällen schon 20 kg/qcm statt 14 kg/qcm zugelassen. Ergeben sich größere Druckspannungen oder auch wesentliche Zugspannungen, so muß man die Fensterpfeiler an den inneren Ecken durch Winkeleisen verstärken, die nötigenfalls vom Keller bis zum Dachboden durchgehen und mit den eisernen Trägern über den Fenstern oder mit den Deckenträgern verbunden sind.

Obige Momente in den Pfeilern müssen von dem Mauerwerk der Brüstungen und den eisernen Trägern über den Fenstern aufgenommen werden. Abgesehen von den Brüstungen an den Enden treten z.B. zwischen dem 3. und 4. Stockwerk 108000 + 216000 = 324000 kg/qm Momente in den Brüstungen auf, von denen jede die Hälfte, also 162000 kg/qm, aufzunehmen hat. Wird unter den Fensterbrettern ein wagerechtes Eisen eingelegt, das in den Eckpfeilern verankert ist, so ist dasselbe durchschnittlich 1 m von der Mitte der darunterliegenden und miteinander zu verankernden Fensterträger entfernt. Es entstehen in demselben mithin 162000/100 = 1620 kg Zug und erfordern 1620/1000 = 1,62 qcm starke eiserne Stangen. In den Brüstungen neben den Endpfeilern ist jedoch der Querschnitt der Eisen doppelt so groß zu wählen, da sich die Momente in den Eckpfeilern nicht auf zwei nebeneinander liegende Brüstungen verteilen. Dasselbe wird auch an andern Stellen nötig, wenn z.B. wegen Anlage von Fahrstühlen auf dem Hofe die Fensterbrüstungen fortfallen.

Wie die alten Meister mit dem gewaltigen Winddruck auf die sehr hohen Frontwände der Kathedralen zu kämpfen hatten, wie sie denselben überwunden haben durch die Anordnung von Kreuzgewölben, die, wie dort nachgewiesen, den Winddruck von einer zur andern Frontwand viel besser übertragen können als Tonnengewölbe, und durch die Anordnung nicht nur einfacher, sondern doppelter Strebebogen an den Fronten, ist in durchdachter Weise in [3] dargestellt. – Sehr beachtenswert ist daselbst auch die S. 404 a.a.O. gemachte Bemerkung: »Daß beim Fehlen von Windschüben unsre größten Basiliken zur Not ohne Strebebogen ausführbar gewesen wären.« Wegen des Sturmdrucks auf Turmfronten vgl. ebend. S. 626; wobei jedoch zu bemerken ist, daß, wenn das Turmmauerwerk in einem Geschoß von Fenstern stark durchbrochen wird, es nicht rätlich erscheint, anzunehmen, daß der Turm wie ein Karten, sondern vielmehr, daß jeder Frontpfeiler desselben für sich kippt, wodurch sich ein erheblich geringeres Stabilitätsmoment ergibt.

Zuweilen handelt es sich um Reitbahn- oder andre große Hallen, in denen Decken nicht vorhanden sind; alsdann muß durch Anbringung der obenbezeichneten Bänder an den Obergurtungen der Dachbinder ein Längsverband hergestellt werden. Die Auflager der Dachbinder müssen dann aber sämtlich feste und nicht zum Teil verschiebbare sein. – Dieser Gedanke, äußere Kräfte durch die Dachkonstruktion mehr oder weniger auf die Giebelwände bezw. Giebelkonstruktionen anstatt auf die Frontwände zu übertragen, ist noch im weiteren Sinne in [4] ausgebildet. Auch werden für jeden Konstrukteur die von Föppl gegebenen »Mitteilungen aus dem mechanisch-technischen Laboratorium der K. Technischen Hochschule München«, 1896, über Beobachtungsversuche an einem Tonnenflechtwerkdache von besonderem Interesse sein, um so mehr, als seine Ermittlung der Durchbiegungen die statischen Berechnungen solcher Konstruktionen[201] vielleicht in neue Bahnen leiten wird. Für die Fronten des Unterbaues der Kuppel des Reichstagsgebäudes hat Zimmermann derartig die verschieblichen Auflager des Eisengerüstes der Kuppel konstruiert, daß jene Frontwände vom Winddruck auf die Kuppel nur in ihrer Längsrichtung angegriffen werden.


Literatur: [1] Baukunde des Architekten, Berlin 1880, Bd. 1, Teil 1, S. 182 und 183. – [2] Jahrbuch der Innung, Bund der Bau-, Maurer- und Zimmermeister zu Berlin, 3. Jahrg. für 1905, S. 237–241. – [3] Ungewitter, G., Lehrbuch der gotischen Baukonstruktionen, neu bearbeitet von K. Mohrmann, 3. Aufl., Leipzig 1892, S. 165 ff. – [4] Föppl, A., Das Fachwerk im Räume, Leipzig 1892.

Hacker.

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