- Architekturmalerei [1]
Architekturmalerei, die Gattung der Malerei, deren wesentlicher Gegenstand die Darstellung der Architektur ist, sowohl einzelner Bauteile, Innen- und Außenarchitektur, als auch von Gesamtanlagen, die für sich oder in Umgebung wiedergegeben werden.
Sie umfaßt drei nicht streng zu unterscheidende Entwicklungen: 1. bildet die Architekturmalerei als Ergänzung und Umgebung zu figürlichen Darstellungen eine unselbständige, der Figur untergeordnete, jedoch sehr wichtige Kunstgattung (architektonischer Teil von Historien- und Genrebildern, architektonische Staffage); 2. ist sie selbständige Kunstgattung, die Architekturmotive zum Mittelpunkte hat, sie durch Gesamtstimmung (Beleuchtung, Luftwirkung, Umgebung, figürliche Zutat) zu einheitlicher künstlerischer Bildwirkung bringend (eigentliches Architekturbild); 3. ist sie Hilfskunst des entwerfenden Architekten und dient zu leichter verständlicher, wirkungsvollerer Darstellung von Architekturplänen, durch bedingte Betonung von Licht und Schatten und Lokalfarbe, durch perspektivische Wirkung und Umgebung.
Historisch betrachtet erscheint die Architekturmalerei zuerst als Ergänzung zu figürlichen Darstellungen; Anfänge finden sich bei den Aegyptern (bemalte Särge), Griechen (Vasenbilder), Römern (pompejanische Wandmalereien). Der romanische und gotische Stil zeigt viele herrliche Beispiele (Mosaiken, Glasfenster, Heiligenbilder; Giotto, Van Eyk u.s.w.) in vollkommener Verschmelzung mit der Figur.
Die Renaissance bemächtigt sich der Architekturmalerei vor allem zu reicherer Komposition ihrer Figurenbilder (Dürer, Holbein, Raffael, Veronese u.s.w.). Eine besondere Blütezeit ist die des Barock und Rokoko, wo die Architekturmalerei immer selbständiger und reicher (Freskodekorationen) auftritt und schließlich durch geistvolle naturalistische Imitation von Bauformen in Konkurrenz mit der Architektur tritt (Scheinarchitektur; Pater Pozzo, Tiepolo u.s.w.). Hier anschließend entliehen mit starker Betonung des Malerischen architektonische Idealentwürfe und Phantasiekompositionen (Piranesi, Paul Deckers fürstlicher Baumeister u.s.w., neuere Bemühungen z.B. von Otto Rieth). Das selbständige Architekturbild beginnt erst mit dem 17. und 18. Jahrhundert (in Holland Van der Neer, de Witte, P. Neefs u.s.w., in Italien die bedeutende Familie Canale und Guardi in Venedig). Bedeutende Architekturmaler in Deutschland dieses Jahrhunderts waren Quaglio, v. Bayer, Karl Werner, Eduard Hildebrand, Karl Grab u.a.
Speziell im Dienste der Architektur findet die Architekturmalerei ihre Anwendung erst in diesem Jahrhundert und ist viel durch das Bedürfnis nach farbigen Reiseaufnahmen entstanden. In Zusammenhang damit stehen Rekonstruktionsarbeiten antiker Bauwerke (Schinkel, Semper, Thiersch, von Zand, Gropius, Arbeiten der Pariser Académie des beaux-arts u.s.w.). Allgemeineres Bedürfnis wurde sie dann durch die vielfachen öffentlichen Ausschreibungen von architektonischen Wettbewerben. Prinzip dieser Architekturmalerei ist eine Vereinfachung und Reduktion in[294] Anwendung der allgemeinen Grundsätze der Malerei, wobei die Gesetze der Perspektivkonstruktion wesentlich mitwirken.
Bei malerischer Darstellung der Perspektive eines Gebäudes z.B. wählt man zuerst den Standpunkt der Konstruktion für Silhouette und Detail möglichst vorteilhaft. Das Gesichtsfeld, das das Auge umfassen kann, liegt im allgemeinen in einem Winkel von 60°, die Distanz des Beschauers vom Objekt beginnt daher mit 11/22 facher größter Höhe oder Breite des darzustellenden Objekts. Den Horizont wählt man gewöhnlich in oder etwas über Augenhöhe, also ca. 2 m über Fußboden (bei ebenem Terrain). Der mittlere Blick soll das Bild ungefähr gleich teilen. Die Beleuchtung (Konstruktion der Schatten) wird meist unter einem Winkel von 45° von rechts oder links angenommen und zwar so, daß man in Licht und Schatten möglichst deutlich kontrastierende Flächen erhält (Schattenseiten, Schlagschatten). Die Oeffnungen, Fenster und Türen markiert man meist als Dunkelheiten. Der Luftwirkung entsprechend werden meist die im Schatten liegenden Flächen etwas wärmere, d.h. gelblichere und hellere Töne, die Schlagschatten dagegen kältere, d.h. bläulichere und dunklere Töne erhalten; ebenso sind in Licht und Schatten die dem Erdboden (als reflektierende Fläche) näher liegenden vertikalen Teile wärmer zu halten als horizontale und vom Erdboden entfernte Teile. Die perspektivisch weiter hinten liegenden Partien erhalten natürlich weniger intensive und, durch die durchgehende Luft bedingt, kältere Farbtöne.
Bei geometrischen Darstellungen sind von einzelnen Architekten verschiedene Manieren des Kolorierens ihrer Entwürfe in Uebung. Einzelne Farbmischungen, gelb, grau, bläulich, herrschen vor, doch sollte auch hier möglichst eine gewisse Naturwahrheit angestrebt (z.B. in bezug auf Material) und Uebertreibung vermieden werden. Wichtig und oft versäumt ist es, immer genügende Standflächen für die senkrechten Flächen anzudeuten.
Wie weit nun landschaftliche und figürliche Staffage (Bäume, Luft, Wolken, Vorder- und Hintergrund) hinzuzufügen sind, entscheidet die Wichtigkeit dieser Umgebung für den Charakter des Bauwerks, die durch geschickte Wahl des Bildformats wesentlich gesteigert werden kann. Immer ist vor einem Zuviel an Beiwerk zu warnen, einem sehr oft wiederkehrenden Fehler, der entsteht, wenn man jedem Einzelteile zu einer sonst vielleicht möglichen Wirkung verhelfen will. Das Beiwerk soll nie den Blick auf sich ziehen, sondern nur abrundend und charakterisierend die Hauptsache zur Wirkung bringen, in Auswahl und Behandlung den Charakter der Andeutung wahrend (Figuren als Maßstab der Größe und Klarstellung der Bestimmung von Räumen u.s.w.; Bäume insbesondere müssen, der Kraft und Reichhaltigkeit ihrer Erscheinung halber, unter Wahrung der wesentlichen Form und Farbe eine geringere Wirkung und Ausführung erhalten, als ihnen sonst rein malerisch oft zukäme). In der Vogelperspektive, die bei weitausgedehnten Anlagen das Hintereinander mehrerer Teile zum Ausdruck bringen soll, wird die malerische Behandlung von Architektur und Umgebung vielleicht am gleichwertigsten zu halten sein.
Gewissermaßen einer eignen Perspektivkonstruktion bedarf die Architekturmalerei der Theaterdekorationen, insofern nicht ein Punkt als Standpunkt des Beschauers, sondern deren verschiedene, auch mehrere Horizontalebenen angenommen werden. (Diese bewußten Abweichungen von den Perspektivregeln rechtfertigen sich daraus, daß man von den verschiedenen Plätzen des Theaters aus immer ein annähernd richtiges Bild zu erhalten sucht.) Bei Aufnahme komplizierter Architekturen bedient man sich oft mit Erfolg der Camera lucida.
Als geeignetste Technik der Architekturmalerei darf, vor allem in kleinem Maßstabe, namentlich für Reiseskizzen und Entwürfe das Aquarell angesehen werden, da dies am leichtesten und natürlichsten ein strenges Festhalten der zeichnerischen Form ermöglicht. Bei[295] großem Maßstabe tritt die Dekorationsmalerei in ihr Recht. Bei gewissen Architekturmalereien, die vorwiegend als Stimmungsbilder empfunden sind (z.B. Sonnenuntergänge, wenig beleuchtete Innenräume mit einzelnen Lichtblicken, nebeldurchzogene Ansichten u.s.w.), wo das Architektonische zugunsten farbiger Wirkung zurücktritt, sind auch pastose Techniken (Oel, Tempera) angebracht. Natürlich finden alle Entwicklungsstufen der figürlichen Malerei, dunkle, braune der früheren Zeit, helle und Pleinairdarstellungen auch im Architekturbilde ihre Vertreter.
Im allgemeinen darf man behaupten, daß vollkommene Architekturbilder, die mit formalem Verständnis eine intime künstlerische Behandlung der Lichtwirkung verbinden und zu bedeutsamen großen Kunstwerken gesteigert werden, ganz außerordentlich selten sind; daß man sich gerade hierin oft mit einseitig virtuoser Geschicklichkeit, oft mit unzulänglichem Farbengefühl begnügt. Und doch bergen die großen Meisterwerke der Architektur (man denke an das Innere gotischer Dome) eine Fülle höchster seelischer Erhebungen durch den Zusammenklang von vollendetem Form- und Farbenzauber. Eine großzügige, leidenschaftlichere und höhere Kunst der Architekturmalerei könnte diese große Schönheit offenbaren, wenn umfassende, große Künstler sich ihr weihen würden, wie Adolf Menzel, Tom Cool.
Neben farbigen Darstellungen ist für architektonische Entwürfe oft die einfarbige in Uebung, besonders in chinesischer Tusche, Sepia, Lampenschwarz (auch mit etwas Ultramarin und Terra di Siena). Auch in Kohle werden bei größerem Maßstabe malerisch wirkende Bilder ermöglicht. In Federmanier mit Tusche, Brownink, Tinte (auch mit Tuschmanier zusammen) kann man sehr interessante Wirkungen erzielen, namentlich für Illustrationen und Skizzen (vgl. die Illustration S. 294), wobei der Vorteil exakter Reproduzierbarkeit besonders ins Gewicht fällt.
Curt Stoeving.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.