- Läutewerke im Eisenbahnwesen
Läutewerke im Eisenbahnwesen werden zu verschiedenen Zwecken und in diesen entsprechenden Ausführungsarten verwendet.
1. Elektromagnetisches Läutewerk. Diese Einrichtung soll den Bahnwärtern die Abfahrt der Züge von den Stationen anzeigen, also die durchlaufenden Liniensignale übermitteln. Sie besteht im allgemeinen aus einem Glockenschlagwerk, dessen Hämmer von einem Uhrwerk mit Gewichtantrieb bewegt werden, sobald die Hemmung desselben ausgelöst wird, was auf elektromagnetischem Wege erfolgt. Bei jeder Auslösung gibt das Werk eine bestimmte Anzahl von Schlägen und hemmt sich alsdann selbsttätig, bis wieder eine neue Auslösung erfolgt.
Als Beispiel für eine dieser im übrigen verschiedenartig ausgeführten Konstruktionen ist nachstehend das sogenannte Universalläutewerk von Siemens & Halske beschrieben, von dem diese Firma bis zum März 1907 rund 28000 Stück für die verschiedensten Bahnen Europas und teilweise auch fremder Erdteile geliefert hat. Fig. 1 zeigt die äußere Ansicht eines solchen Läutewerks. Die ganze Einrichtung ist der einfacheren Aufteilung wegen in einem zylindrischen Gehäuse von Eisenblech untergebracht, auf dessen Dach sich die Glocken mit den Hämmern befinden. Die Werke werden aus unten näher angegebenen Gründen ein-, zwei- und dreiglockig ausgeführt. Fig. 1 stellt die zweiglockige Läutebude dar. Im Innern der Bude ist auf einem Aufsatzbrett das Universalläutewerk (Fig. 2) aufgestellt, dessen Einrichtung, wie der Name andeutet, mit unwesentlichen Abänderungen für alle drei Arten von Läutebuden dieselbe ist. In Fig. 2 bedeutet a1 die Achse der Trommel, welche mittels Gewichts und Drahtschnur angetrieben wird. Sie überträgt ihre Drehung mittels des Rades Z und eines Triebes auf die Zwischenachse a2 und von dieser mittels einer weiteren Räderübersetzung auf die Achse a3 des die Bewegung regulierenden Windfanges. Im Ruhezustande wird der Hemmungshebel H durch die Klinke k, welche von dem Anker des Elektromagneten E ausgelöst werden kann, in der[40] gezeichneten Stellung gehalten, und die Welle w desselben hemmt die Bewegung, da der auf der Zwischenwelle a2 sitzende Winkelhebel W sich mit dem einen Arm gegen w legt. Bei der Auslösung der Klinke k durch den Elektromagneten dreht sich der Hebel H unter der Wirkung seines Gegengewichtes G so weit, daß die halb durchgefeilte Welle w den Winkelhebel W freiläßt, worauf das Werk in Gang kommt. Die auf der Stirnseite des Rades Z sitzenden Rollen r setzen hierbei den kurzen Arm des Winkelhebels V in Bewegung, von dessen längerem Arm ein Drahtzug zu dem Glockenhammer geführt ist. Besitzt das Werk mehrere Glocken, so wird die entsprechende Anzahl von Winkelhebeln in das Gestell eingesetzt, die von denselben Rollen nacheinander bewegt werden. Die Hemmung des Werks erfolgt in verschiedener Weise, je nachdem bei jeder Auslösung nur ein Schlag oder eine Anzahl (Gruppe) von Schlägen gegeben werden soll (Gruppenschläger). Im ersteren Falle flößt bei jedesmaliger Umdrehung der Zwischenwelle a2 der Stift s des auf ihr sitzenden Winkelhebels W gegen die Nase N des Hebels H, wodurch letzterer wieder zurückgedreht und in die Klinke k eingeschlagen wird. Im andern Falle wird dagegen die Hemmung in ähnlicher Weise durch die verlängerten Rollenstifte s1 und s2 auf dem Rade Z bewirkt. Je nach der Zahl dieser Stifte und der Anzahl der Rollen r kann sonach eine größere oder geringere Anzahl von Schlägen bei jeder Auslösung gegeben werden. Die Werke werden für Gruppen von einem bis zu zwölf Schlägen ausgeführt. Gewöhnlich werden die Buden nur mit einer Glocke, das Werk also nur mit einem Hammer ausgerüstet. Jede der Rollen r bewirkt alsdann einen Schlag. Wenn jedoch mehrere Bahnlinien nebeneinander laufen oder sich kreuzen, kann es notwendig werden, die verschiedenen Liniensignale voneinander zu unterscheiden, und zu diesem Zweck verwendet man alsdann noch zwei- und dreiglockige Buden, in deren Werken jede der Rollen r zwei bezw. drei Hämmer in Bewegung setzt, also einen Doppel- bezw. Dreischlag bewirkt. Für einfachere Zwecke verwenden Siemens & Halske die in Fig. 3 dargestellte Läutesäule mit sogenanntem Spindelläutewerk, von welcher Einrichtung bis März 1907 rund 12500 Stück ausgeführt wurden. Die Säule, in der sich das Gewicht bewegt, trägt ein das Werk umschließendes Gehäuse, auf dessen Dach die Glocke aufgesetzt ist. Das Schlagwerk selbst besitzt nur ein Rad nach Art der Schwarzwaldwecker, dessen Knaggen den um eine vertikale Spindel drehbaren Hammer gegen die gegenüberstehenden Seiten der Glocke hin und her werfen, so daß durch jede Knagge ein Doppelschlag bewirkt wird. Läßt man den Hammer nur einseitig anschlagen, so erhält man einfache Schläge. Die Auslösung und Hemmung wird in ähnlicher Weise bewirkt wie beim Universalläutewerk. Die Werke werden für Gruppen von 118 Schlägen ausgeführt, die Säulen ein- oder zweiglockig. In letzterem Falle schlägt der Hammer abwechselnd gegen die beiden Glocken. Näheres s. unter [1][6]. Die beschriebenen Läutewerke sind gewöhnlich für Arbeitsstromauslösung mit Elektromagneten von 10 Ohm Widerstand eingerichtet; in besonderen Fällen auch für Ruhestromauslösung. Im ersteren Falle wird die Auslösung gewöhnlich durch Läuteinduktoren mit gleichgerichteten Induktionsströmen bewirkt, kleine magnetelektrische Maschinen, gewöhnlich mit Siemensschem Doppel-T-Anker, welche durch Handkurbel und Rädervorgelege betrieben werden. Vereinzelt werden auch Wechselströme angewendet, für welchen Zweck der Auslösungsmechanismus eine etwas andre Gestalt erhält. Näheres s. unter [1] und [2]. Die Ströme werden den Läutewerken durch die Läuteleitung zugeführt, die von einer Station[41] zur andern führt und in welche die Werke hintereinander geschaltet sind (s. Fig. 4).
Einrichtung der Läutewerke für elektromagnetische Hilfssignale. Um diese Signale zur Herbeirufung von Hilfe von den Stationen von der Strecke aus zu geben, erhalten die beschriebenen Läutewerke häufig eine Zusatzeinrichtung, die in nachstehender Weise angeordnet ist: Auf einer der Achsen des Läutewerkes wird eine dem zu gebenden Signal entsprechende Knaggenscheibe auf gefleckt, deren Knaggen auf einen in die Läuteleitung eingeschalteten Unterbrechungstaster wirken.
In der Leitung fließt beständig ein konstanter Batteriestrom von einer solchen Stärke, daß die Elektromagnete der Läutewerke durch ihn nicht beeinflußt werden. Beim Auslösen des Läutewerkes von Hand wird derselbe durch die den Unterbrechungstaster bewegenden Knaggen nach Maßgabe der Länge dieser letzteren auf längere oder kürzere Zeit unterbrochen, wodurch auf den beiden benachbarten Stationen ein in die Läuteleitung eingeschalteter Wecker zum Ertönen gebracht und das betreffende Signal auf akustischem Wege übermittelt wird. Für den Fall, daß es notwendig oder zweckmäßig erscheint, das Signal auch schriftlich aufzunehmen, wird auf den Stationen beim Ertönen des Weckers dieser letztere aus- und ein Morsetelegraph eingeschaltet, auf dessen Papierstreifen alsdann das Signal in Morsezeichen erscheint. Für den Fall, daß die Läuteleitung zugleich als Sprechleitung dient (s. Bahntelegraphen), wird das Signal natürlich durch die ständig eingeschalteten Morseapparate aufgenommen, Die durch diese Einrichtung übermittelten Signale bestehen aus zwei Begriffen, von denen der erstere den Ort der Aufgabe, also die Nummer der betreffenden Läutebude angibt, während der zweite die Art des Unfalls oder der zu sendenden Hilfe näher kennzeichnet; s.a. [2][4].
2. Dampfläutewerke. Um auf Nebenbahnen ohne Bahnbewachung, namentlich mit unbewachten Wegübergängen, Unglücksfälle zu vermeiden, sind die Lokomotiven solcher Bahnen mit Läutewerken auszurüsten [7], da der Ton der Dampfpfeife die Pferde häufig scheu macht. Die früher gebräuchlichen Handglocken sowie auch die Läutewerke, welche durch besondere kleine Hubdampfmaschinen betätigt wurden, sind auf deutschen Bahnen größtenteils durch die in Fig. 5 und 6 dargestellten Dampfläutewerke von Latowski in Breslau verdrängt worden. In die Kammer a wird beim Läuten durch ein Rohr von geringem Querschnitt ständig Dampf eingelassen, unter dessen Ueberdruck sich die die Kammer nach oben abschließende Klappe in Fig. 5 bezw. das Ventil in Fig. 6 mit dem darauf lastenden Hammer hebt, wodurch eine derartige Ausflußöffnung für den Dampf entsteht, daß der Druck in der Kammer rasch sinkt. Die Klappe bezw. das Ventil fällt infolgedessen mit dem Hammer herab und letzterer bringt die die Kammer umgebende Glocke zum Ertönen, worauf durch den ständig in die Kammer strömenden Dampf von neuem Ueberdruck hergestellt und ein neues Spiel des Hammers eingeleitet Wird. Bei der Anordnung in Fig. 5 entweicht der Dampf durch die Klappe in die freie Luft, wodurch unter Umständen die Aussicht des Lokomotivführers beschränkt wird. Dieser Uebelstand wird bei der Anordnung in Fig. 6 vermieden, indem der aus dem Ventil ausströmende Dampf durch den Kanal b und ein an denselben anschließendes Rohr in den Schornstein oder in die Wasserkästen der Lokomotive abgeleitet wird.
3. Läutewerke für Wegübergänge, Wegübergangssignale, dienen bei unbewachten Wegübergängen über Eisenbahnen dazu, dem Publikum Nachricht vom Herannahen eines Zuges zu geben. Sie kommen insbesondere auf eingleisigen Nebenbahnen zur Anwendung und bestehen gewöhnlich aus einem am Wegübergang aufgestellten elektromagnetischen Läutewerk, welches von dem die Strecke begehenden Wärter in regelmäßigen Zwischenräumen aufgezogen, wohl auch durch eine elektrische Batterie betätigt wird. Beim Ingangsetzen des Werkes wird[42] zuweilen auch durch dasselbe ein sichtbares Zeichen gegeben. Die Auslösung des Werkes erfolgt selbsttätig durch den sich dem Uebergang nähernden Zug, und zwar mit Hilfe von Schienenkontakten oder Radtastern. Das Läutewerk wird nach einer entsprechenden Anzahl von Schlägen mittels eines unmittelbar am Wegübergang befindlichen weiteren Radtasters durch den Zug gehemmt. Eine Läuteanlage dieser Art für eine eingleisige Bahn in der Ausführung von Siemens & Halske in Berlin zeigt Fig. 7. Das am Wegübergang aufgestellte Spindelläutewerk wird durch die Kontakte I und III, je nachdem der Zug von der einen oder andern Seite kommt, ausgelöst, und schlägt so lange, bis der Zug es durch den Kontakt II am Wegübergang stillstellt. Damit der Zug hinter sich durch den dritten in der Fahrtrichtung hinter dem Wegübergange liegenden Kontakt das Läutewerk nicht nochmals unnötigerweise auslöst, wird dieser Kontakt durch ein elektrisches Schaltwerk auf eine angemessene Zeit außer Wirkung gesetzt.
Das Schaltwerk ist auf einer der benachbarten Stationen aufgestellt und mit dem Läutewerk und den Streckenkontakten durch elektrische Leitungen verbunden. Wird der Kontakt I geschlossen, so gelangt der Batteriestrom über den Elektromagneten E, die Schleiffeder S1, die isoliert auf der Achse sitzende Kontaktscheibe K1, den Kontakt p1 und den Schienenkontakt I zur Erde und zurück zur Batterie. Der Elektromagnet hebt die Klinke des Sperrades R aus und das Werk kommt in Gang. Da hierbei der Kontakt p1 sofort unterbrochen wird, so wird der Elektromagnet unmagnetisch und das Sperrad beim nächsten Zahn gehemmt. In dieser Stellung des Schaltwerks gelangt der Strom von der Batterie unmittelbar zur Schleiffeder S2 und geht über die Kontaktscheibe K2 zum Kontakt l und das Läutewerk zur Erde. Das Läutewerk wird also ausgelöst. Gleichzeitig ist die Kontaktscheibe K1 mit dem Kontakt p2 und dem Schienenkontakt II am Wegübergang in Verbindung getreten. Wird letzterer überfahren, so findet der Strom über den Elektromagneten E, S1, K1, p1 und II einen Weg zur Erde. Die neue Auslösung des Schaltwerkes löst zunächst den Kontakt l und setzt sonach das Läutewerk durch Selbsthemmung Hill. Weiter tritt K1 mit dem Kontakt p3 und damit mit den Schienenkontakten I und III in Verbindung. Bei dieser Stellung des Schaltwerkes wird dieses letztere durch den dritten Zahn des Sperrades gehemmt. Ueberfährt der Zug jetzt den Kontakt III, so gelangt der Strom über E, S1, K1, p3, III zur Erde und es erfolgt die dritte Auslösung des Schaltwerkes, welches jetzt langsam (in etwa 11/4 Minuten) in die Ruhestellung zurückkehrt. In dieser Zeit hat auch der längste Zug unter gewöhnlichen Verhältnissen den Schienenkontakt verlassen, so daß bei eingetretener Hemmung das Werk nicht mehr von demselben Zuge ausgelöst werden kann; vgl. a. [3] und [6].
Literatur: [1] Schellen, Der elektromagnetische Telegraph, 6. Aufl., Braunschweig 1888. [2] Roll, Encyklopädie des gesamten Eisenbahnwesens, Wien 1891, Bd. 3. [3] Kohlfürst, Die elektrischen Telegraphen und Signalmittel auf der Frankfurter internationalen elektrotechnischen Ausstellung 1891, Stuttgart 1893. [4] Grahwinkel und Strecker, Hilfsbuch für die Elektrotechnik, 6. Aufl., Berlin 1900. [5] Schubert, Die Sicherungswerke im Eisenbahnbetrieb, Wiesbaden. [6] Der Eisenbahnbau der Gegenwart, 4. Abschn., Signal- und Sicherungsanlagen, Wiesbaden 1904. [7] Eisenbahnbau- u. Betriebsordnung vom 1. Mai 1905, Berlin, § 36 (8) u. 58.
Köchy.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.