Spinnerei [1]

Spinnerei [1]

Spinnerei [1], Inbegriff der Arbeiten, mittels welcher durch Zusammendrehen mehr oder weniger kurzer Rohfasern (als Baumwolle, Flachs, Schafwolle, Seidenabfälle u.s.w.) ein beliebig langer Faden (Garn) gebildet wird.

Hiervon unterscheidet sich das Zwirnen dadurch, daß es in dem Zusammendrehen zweier oder mehrerer nebeneinander gelegter Fäden zu einem einzigen dickeren Faden besteht. Im technologischen Sinne ist deshalb die sogenannte Seidenspinnerei, insofern es sich bei ihr um die Vereinigung von mehreren Rohseidenfäden zu einem Faden handelt, und die sogenannte Glasspinnerei nicht als »Spinnerei« zu bezeichnen, doch ist auch für sie diese Bezeichnung im allgemeinen Sprachgebrauch gang und gäbe, während z.B. die Florettseidenspinnerei als Spinnerei auch im technologischen Sinne zu bezeichnen wäre.

Der Vorgang beim Spinnen zerfällt in drei Teile: das Ausziehen oder die Anordnung der spinnbaren Fasern zu einem Bändchen; das Zusammendrehen, Drehen, Drellieren, wodurch die neben- und aneinander gereihten Fasern vereinigt werden und der Faden Rundung und Festigkeit erhält; das Aufwickeln oder Aufwinden des Gesponnenen, damit es sich nicht verwirrt und bei der Fortsetzung der Arbeit nicht hinderlich wird. Das Ausziehen kann mit der Hand oder mit mechanischen Vorrichtungen geschehen; zum Drehen und Aufwickeln dient eine Spindel.

Das älteste und einfachste Spinngerät ist die Handspindel, welche aus einem rund gedrehten Stück Holzes besteht, das mit einem schwereren ringförmigen Schwungkörper (Wirtel) versehen ist. Der entsprechend vorbereitete Spinnstoff wird an einen hölzernen Stock (Rocken, Wocken, Kunkel) gebunden. Die linke Hand zieht die Fasern aus und ordnet sie zur Bildung eines gleichförmigen Fadens nebeneinander; die Rechte wird zur Bewegung der Spindel gebraucht. Das erste Ende des Fadens wird an die Spindel geknüpft, die von oben gesehen in Rechtsdrehung versetzt wird und dadurch das über ihr befindliche Fadenende nach Art des rechtsgängigen Schraubenganges (Rechtsdraht, Rechtsdrall) zusammendreht. Hat man so weit gesponnen, daß die Spindel den Fußboden berührt, wird das Spinnen unterbrochen, und man wickelt das gesponnene Stück Faden auf die Spindel oberhalb des Wirtels auf, befestigt es wieder an der oberen Spitze mittels einer einfachen Schlinge und setzt das Spinnen fort, bis von neuem das Aufwickeln nötig wird; es geschieht dies nach Lösen der Schleife und dem Abwinden der oberen steilen Schraubenwindungen, dem sogenannten Abschlagen. So geht Spinnen, Abschlagen, Aufwinden, Aufschlagen periodisch weiter. Genau nach demselben Prinzip arbeitet heutzutage noch die moderne Mulespinnmaschine, der Selbstspinner (Selfactor), mit seinen regelmäßig wiederkehrenden vier Perioden, aber unter Benutzung von aufrechtstehenden, etwas nach hinten geneigten Spindeln. Die Spindel kann weiter wagerecht mit langem freitragendem Ende für die Garnmasse, den Garnkötzer, drehbar gelagert sein, wobei dann die Spindel durch einen besonderen Schnurwirtel mittels eines Handrades in Umdrehung gesetzt wird (Handrad, Handspinnrad). Auch dabei wird abwechselnd gesponnen und aufgewickelt. Je nachdem eine Person arbeitet oder mehrere wird der Faden während des Spinnens entweder geneigt zur Spindel gehalten oder axial zur Spindel.

Das Spinnen kann ferner auf dem sogenannten Seilerrad erfolgen. Bei ihm wird das eine Fadenende an einen wagerecht gelagerten Haken (Dreheisen) befestigt und durch diesen in rasche Umdrehung versetzt, während der Seiler, rückwärts schreitend, die Anordnung der durch das Spinnen zu vereinigenden Fasern bewirkt; hierbei werden sehr lange Fäden horizontal ausgespannt erhalten, welche in analoger Weise zu Seilen weitervereinigt werden können (vgl. Seilfabrikation).

Die Bestrebungen, Spinnen und Aufwickeln fortlaufend, gleichzeitig, also nicht absetzend auszuführen, haben zur Erfindung des bekannten Tretrades, der Urahne der Flügel- und der Ringspinnmaschine, geführt. Bei ihm wird das eigentliche Rad (die Trift) mittels eines an die Radkurbel eingehängten Knechtes durch einen Tritt in Umdrehung gesetzt. Neben dem Rade (bei den sogenannten Bockrädern) oder über demselben (bei den Galgenrädern) befindet sich die Spindel (s. die Figur), an der wieder die eiserne Spindel selbst, der hölzerne Flügel f und die Spule (Rolle) g unterschieden werden müssen. Die Spindel bildet an einem ihrer Enden ein kurzes Rohr l, das nach innen zwei einander gegenüberstehende schräge Ausgänge hat. Der gesponnene Faden tritt durch die Oeffnung am Ende der Spindel ein, kommt durch einen der Seitenausgänge wieder hervor und geht über den Flügel nach der Spule, die ihn aufwickelt. Der Flügel, die Gabel f, ist ein auf der Spindel befestigtes gabelförmiges Holzstück, dessen beide Schenkel mit einer Reihe Drahthäkchen besetzt sind, damit man über letztere den Faden auf eine beliebige Stelle der Spule einlaufen lassen kann. Die Spule g (bobine französisch; pirn englisch) steckt lose auf der Spindel und ist insofern von deren Drehung unabhängig. – In der Einrichtung des Tretrades kommen mehrere Abweichungen vor, entweder wird nur die Flügelspindel angetrieben und die Spule gebremst (Urahne der Flügel- oder Waterspinnmaschine), oder es wird die Spule angetrieben und der Flügel gebremst (Urahne der Ringspinnmaschine), oder endlich werden beide mit verschiedener Geschwindigkeit angetrieben (Vorfahre der Flügelvorspinnmaschine, des Flyers); im letzteren Falle kommt wieder voraneilender Flügel oder voraneilende Spule (Fig. 1) in Betracht. Die Relativbewegung zwischen Flügel und Spule ist jedoch immer abhängig von der Geschwindigkeit, mit der der Faden von der Spinnerin[188] zugeführt wird und mit der er sich auf die Spule aufwickelt, während er durch die Umdrehung des Flügels seine Drehung, seinen Drall, seinen Draht erhält. – Die Konstruktion des Tretrades wird dem Bürgermeister Johann Jürgen in Watenbüttel bei Braunschweig im Jahre 1530 zugeschrieben. Doch sind ähnliche Vorrichtungen, die gleichfalls ein fortgesetztes gleichzeitiges Spinnen und Aufwickeln ermöglichen, schon vorher bekannt gewesen (vgl. z.B. hinterlassene Skizze Leonardo da Vincis einer zweispindligen Flügelspinnmaschine). Neuere eiserne Trittspinnräder der Firma Oskar Schimmel & Co., vgl. [2].

Beim Spinnen des Garnes auf der Mulespinnmaschine ist das Garn der geringsten Inanspruchnahme ausgesetzt, da es einfach während des Zusammendrehens zwischen der Spindelspitze und dem Liefer- bezw. Streckwerke frei hängt, bei der Flügel- und der Ringspindel muß dagegen der Faden entweder die gebremste Spule oder die gebremste Fliege (Fadenöse, Traveller) bewegen. Die Mulespinnmaschine wird deshalb trotz der infolge der absetzenden Spinnweise verringerten Leistung besonders für weichgedrehte Garne (Mulegarne) verwendet, die Waterspinnmaschine (Flügel- und Ringspinnmaschine) dagegen besonders für die hartgedrehten, die Watergarne.

Die Arbeiten, welche in der Maschinenspinnerei mit den Rohstoffen vorgenommen werden, sind in der Regel die folgenden: Reinigung und Auflockerung, Bildung eines Bandes, Ausscheiden kurzer Fasern, Doppeln und Strecken, Vorspinnen, Feinspinnen, Vollendungsarbeiten.

Die Bildung eines Bandes, eines fortlaufend lockeren Körpers aus lose aneinander liegenden Fasern, stellt den ersten Schritt zur Bildung eines Fadens dar; es wird hauptsächlich durch das Krempeln oder Kratzen erzielt, durch welches die büschel- oder flockenweise Anordnung der Fasern aufgehoben wird und dieselben innerhalb eines fortlaufenden Vließes oder Bandes gleichförmig angeordnet werden.

Die Faserstoffe stellen immer ein Gemenge von mehr oder weniger langen Einzelfasern dar. Die gleichmäßigsten Garne wird man aber aus tunlichst gleichlangen Elementen erzielen, für feinere Gespinste folgt deshalb ein Ausscheiden kurzer Fasern durch das Hecheln (bei Flachs, Hanf u. dergl.), durch das Kämmen (bei Baumwolle, Schafwolle, Werg), durch das Dressieren (bei der Florettseide).

Doppeln (Doublieren, Duplieren) und Strecken werden meist miteinander verbunden; durch das Doppeln (Aufeinanderlegen der Bänder) wird eine Vergleichmäßigung der Bänder erzielt, durch das Strecken (gleichmäßiges Auseinanderziehen der Länge nach) aber ein Parallellegen der Fasern.

Bei dem Vorspinnen werden die Bänder (gebotenenfalls schrittweise) verdünnt zu einem sehr lockeren und groben Faden (Vorgespinst, Lunte), entweder ohne Zuhilfenahme der Drehung oder mit Zuhilfenahme einer schwachen oder auch einer vorübergehenden (sogenannten falschen) Drehung. Das Verfeinern der Bänder kann dabei entweder wieder durch Strecken der Länge nach erfolgen (bei Baumwolle, Flachs, Hanf, Jute, Florettseide, in der Kammgarnspinnerei u.s.w.) oder aber auch durch Teilen der Breite nach (Florteiler der Streichgarnspinnerei, Vigogne, Imitatgarne, Asbest, Abfälle der Flachs- und Hedespinnerei u.s.w.).

Durch das Feinspinnen werden die Vorgespinstfäden in noch höherem Grade ausgezogen oder gestreckt und verfeinert, wobei sie gleichzeitig die vollständige Drehung (Drall, Draht) empfangen, so daß nun fertiges Garn dargestellt ist. In den Spinnereien folgt schließlich noch die Zurichtung der Garne für den Handel, das Haspeln, Sortieren und Verpacken. Näheres vgl. die Art. Baumwollspinnerei, Flachs-, Hanf-, Jute-, Kammgarn-, Seiden-, Streichgarnspinnerei, Papiergarne.

Die Festigkeit der Gespinste ist in bestimmter Weise von ihrer Drahtgebung abhängig, und zwar steigt am Anfange die Fertigkeit mit der Drehung sehr langsam, dann rascher und schließlich wieder langsamer, bis plötzlich von einem bestimmten Punkte an (kritischer Torsionsgrad) die Fertigkeit wieder abnimmt (vgl. E. Müllers Gesetz in [3]). Meist bleibt man in der Praxis ziemlich weit unter dem kritischen Drehungsgrade.

Für gleiche Verwendungszwecke dienende Garne werden im allgemeinen als geometrisch ähnliche Körper, also mit gleichem Schraubensteigungswinkel außen hergestellt. Es entspricht das dem bekannten Gesetz, daß man die Drehung auf die Längeneinheit proportional der Wurzel aus der Garneinheitsnummer nimmt (vgl. z.B. Baumwollspinnerei, Bd. 1, S. 612). Ueber die beim Zusammendrehen bezw. Aufdrehen der Gespinste eintretende Längenänderung, die namentlich bei dem Zwirnen derselben zu berücksichtigen ist, vgl. [4].

Die Bestimmung der Feinheit der Garne, der Garnnummer, erfolgt in der Regel so, daß angegeben wird, welches Längenausmaß (z.B. Anzahl der Kilometer, oder Anzahl der 840 Yards, Anzahl der 300 Yards u.s.w.) zur Erfüllung eines bestimmten Gewichtes (z.B. 1 kg, 1 Pfund engl. u.s.w.) nötig ist; der umgekehrte Fall, daß die Nummer angibt, welches Gewicht nötig ist, um ein bestimmtes Längenmaß zu bilden, kommt bei den Gespinsten aus kurzen Fasern wohl nur bei der Jutenumerierung nach dem schottischen System vor (Nr. = N. 1 Pfund engl. auf 14400 Yards). Angestrebt wird als internationale Numerierung diejenige, welche angibt, welche Anzahl von Kilometern des Gespinstes auf 1 kg gehen. Da die meisten Faserstoffe hygroskopisch sind, ist es üblich, das Gewicht auf einen bestimmten normalen Feuchtigkeitsgehalt zu reduzieren (vgl. Konditionieranstalten, Bd. 5, S. 595).

Um bei den Festigkeitsuntersuchungen der Garne beim Vergleich den Materialaufwand zu berücksichtigen, drückt man die Fertigkeit derselben aus in sogenannter Reißlänge. Diese stellt diejenige Fadenlänge dar, welche durch ihr Eigengewicht den Bruch des Fadens bewirken würde. Ueber die Beziehungen, welche zwischen der Reißlänge, dem Einheitsgewicht und der bei den homogenen Materialien üblichen Festigkeitswertziffer (Kilogramm/Quadratmillimeter) bestehen, vgl. [5].

Spezielle Lehrinstitute für Spinnerei besitzen Reutlingen (Württ.), Mülhausen i. E., M.-Gladbach.


[189] Literatur: [1] Allgemeine Werke über Spinnerei: Brüggemann, H., Die Spinnerei, ihre Rohstoffe, Entwicklung und heutige Bedeutung (im Erscheinen begriffen) Stuttgart 1897; Haußner, H., Mech. Technologie der Faserstoffe, I. Teil, Wien-Leipzig 1906; Müller, E., Handbuch der Spinnerei, 6. Aufl., Leipzig 1892; Reiser und Spennrath, Handbuch der Weberei (Bd. 1, 1. Abt., Die Herstellung der Garne), München 1894; Zipser, J., Die textilen Rohmaterialien und ihre Verarbeitung zu Gespinsten, 2. Aufl., Wien-Leipzig 1909; Spezialwerke vgl. die betreffenden Artikel. – [2] Kirchhoffs techn. Blätter 1901, S. 8. – [3] Civilingenieur 1880, S. 137. – [4] Ebend. 1883, S. 369, und Leipz. Monatschr. s. Textilindustrie 1904, S. 302. – [5] Müller, E., Handbuch der Spinnerei, 6. Aufl., Leipzig 1892, S. 28.

E. Müller.

Spinnerei [1]

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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