Vorarbeiten

Vorarbeiten

Vorarbeiten für Eisenbahnen (und andre Verkehrswege), alle der Bauausführung vorausgehenden Untersuchungen und Entwurfarbeiten technischer und wirtschaftlicher Art.

Zu unterscheiden sind: allgemeine (generelle) und ausführliche (spezielle) Vorarbeiten. Die allgemeinen Vorarbeiten bezwecken die Aufstellung von Entwürfen mit Kostenanschlägen zur Beantwortung der Frage: ob und unter welchen technischen und finanziellen Bedingungen und Leistungen eine Linie ausführbar ist und, wenn die Linienführung auf mehrfache Weise möglich ist, welche dieser Linien am bauwürdigsten ist, d.h. die geringsten jährlichen Verkehrskosten ergibt, die sich aus der Verzinsung der Anlagekosten und den jährlichen Unterhaltungs- und Betriebskonten zusammensetzen. Durch die mit einer Ertragsberechnung abschließenden wirtschaftlichen Erwägungen ist nach Möglichkeit festzustellen, ob nach Deckung der Unterhaltungs- und Betriebskosten noch ein für die Verzinsung der Anlagekosten ausreichender Betrag der Einnahmen zu erwarten ist, oder wenn nicht, in welcher Weise die fehlenden Kosten aufzubringen sind.

Letzteres kann z.B. geschehen durch Kapitalbeiträge oder Zinsgewähr seitens des Staats, der Provinzen, Kreise, Gemeinden oder von Privaten durch unentgeltliche Abgabe der Grundfläche seitens der beteiligten Gemeinden oder Privaten oder auch durch Uebernahme des ganzen Baues auf Kosten des Staates oder einer der genannten Körperschaften. Die Herstellung einer Bahn kann auch ohne Aussicht auf baldige Verzinsung in volkswirtschaftlichem Sinne begründet sein, also im Staatsinteresse liegen, weil dadurch der Verkehr geweckt, die Wohlhabenheit und Steuerkraft der Bevölkerung gehoben wird und so dem Staate mittelbar doch erhebliche Vorteile erwachsen.

Ist die Entscheidung über die Ausführung einer Linie gefallen oder in Sicherer Aussicht, so sind die ausführlichen (speziellen) Vorarbeiten vorzunehmen. Sie bestehen in genauer Ausarbeitung des Bauentwurfs in allen Teilen nebst Aufstellung von eingehenden Kostenanschlägen und Verzeichnissen über die zu erwerbenden Grundflächen auf Grund genauer Längen- und Querprofile, des Erdverteilungs- oder Massenprofils, von Kunstbautenzeichnungen u.s.w., so daß eine sichere Grundlage für eine zweckmäßige und sparsame Bauausführung geschaffen wird. Diese Vorarbeiten sind besonders in schwierigem Gelände überaus vielseitig und greifen in die verschiedensten technischen Gebiete über.

Zu den allgemeinen Vorarbeiten ist zunächst ein gründliches Studium des Geländes erforderlich. In kultivierten Ländern kann dies an Hand vorhandener Karten geschehen. Als Uebersichtskarten dienen hier die Generalstabskarten (1 : 100000) oder sonstige topographische Karten. Je größer der Maßstab dieser Karten, desto besser, und wenn Karten mit Höhenkurven vorhanden sind, wie in Württemberg (1 : 25000) für einen großen Teil des Landes, so ist dies für die Vornahme der allgemeinen Vorarbeiten von größtem Wert. Sind Karten in noch größeren Maßstäben zu haben, wie z.B. in Württemberg die sogenannten Flurkarten in 1 : 2500 (zum großen Teil auch mit Höhenkurven), so können diese sogar als Arbeitskarten zur genauen Ausmittlung der Bahnachse verwendet und sonstige Vermessungsarbeiten ganz oder doch zum größten Teil erspart werden. Wo größere zusammenhängende Geländeaufnahmen fehlen, werden Aufnahmen in der Regel schon für die allgemeinen Vorarbeiten (jedenfalls aber für die ausführlichen) vorzunehmen sein. Bei diesen kommen Maßstäbe von 1 : 10000, besser aber 1 : 5000 und in gebirgiger Gegend 1 : 2000 zur Anwendung. Die Ausdehnung in die Breite muß um so größer sein, je unregelmäßiger und unübersichtlicher das Gelände ist, also je mehr Spielraum es für die Führung der Bahnlinie bietet; in engem Tal genügt deshalb oft schon eine geringe Breite. Die Aufnahmen beginnen mit Ausführung eines Längennivellements ohne Längenmessung, womöglich auf vorhandenen Wegen, in der Nahe der Linie, um auf der ganzen Strecke für die späteren Aufnahmen leicht erreichbare Höhenanschlußpunkte zu erhalten und in Einlegung eines Polygonzugs als Grundlage für die Vermessung. Zweckmäßig ist, einzelne Punkte des Polygonzugs durch Einlegung eines Dreiecknetzes zu kontrollieren, um Sich gegen Fehler in der Längenmessung zu Sichern. Hieran schließen sich die Aufnahmen im einzelnen, besonders die von zahlreichen Höhenpunkten, am besten mit solchen Methoden, bei denen ein Beschreiten und Messen der Entfernungen wegen des erforderlichen Zeitaufwands und der damit verbundenen Flurbeschädigungen vermieden wird, also mittels des Tachymeters oder des Meßtisches (mit Entfernungsmesser und Höhenkreis) oder – wenn der Lageplan vorhanden und nur Höhen aufzunehmen sind – auch mit dem Aneroidbarometer. Die Darstellung der Höhen geschieht durch Einzeichnung einzelner Punkte und Einschreibung ihrer Höhen über einem bestimmten Horizont (wenn möglich über Meereshöhe) oder durch Höhenkurven, die auf Grund der Höhenpunkte ermittelt werden. Die Höhenkurven erfordern zwar viel Arbeit, Sie sind aber bei ausgedehntem unregelmäßigem Gelände beinahe nicht zu entbehren, während bei gleichmäßigem Gelände oder in engem Tal meist die Höhenpunkte genügen und unter Umständen der größeren Genauigkeit halber vorzuziehen sind.

In den Höhenplänen erfolgt nun das Aufsuchen der zweckmäßigsten Linie unter Berücksichtigung aller praktischen Umstände, insbesondere auch der Wegkreuzungen, der Bahnhofslagen, der Vermeidung zu teurer Grundstücke oder gefährlicher Stellen (Moore, Bergrutsche u.s.w.) sowie unter Beachtung der geognostischen Verhältnisse. Auch wird namentlich die Ueberschreitung größerer Wasserläufe eingehendere Erwägungen und Berechnungen erfordern. Hierauf folgt die Aufstellung des Kostenüberschlags für Bau und Betrieb auf Grund der aufgestellten Längen- und Querprofile, Bauwerkskizzen u.s.w., und so die Entscheidung über die günstigste Lage der Linie in dem oben bezeichneten Sinne. Dabei liegt allerdings in der Aufstellung der Ertragsberechnung Stets eine gewisse Unsicherheit, weil die mutmaßlichen Betriebseinnahmen sich nur schätzen lassen, wozu statistische Angaben von andern möglichst gleich liegenden Bahnen herangezogen werden müssen.

[800] Die ausführlichen Vorarbeiten wiederholen zunächst die Geländeaufnahmen, jetzt jedoch beschränkt auf eine geringere Breite und innerhalb dieser genauer, z.B. in 1 : 2000, in gebirgigen Gegenden 1 : 1000. Nach genauer Ausmittlung der günstigsten Linie folgt die Uebertragung derselben auf das Gelände (Absteckung) und nunmehr auf Grund der ausgesteckten Bahnachse die Aufnahme ihres genauen Längenprofils und zahlreicher Querprofile von kurzer Länge, um in dieselben den Bahnkörper einzuzeichnen und alle andern Arbeiten auf dieser Grundlage zu erledigen (Durcharbeiten der Entwässerung mit allen Durchlässen und Brücken, Feststellung und Veranschlagung der Erdarbeiten, etwaiger Tunnel, der Stützmauern, Wegkreuzungen, Bahnhöfe u.s.w.). Nebenher geht die Vorbereitung zum Grunderwerb mit Anfertigung der Grunderwerbskarten, sofern nicht die ausführlichen Aufnahmen in hinreichendem Maßstabe (1 : 1000) schon vorhanden sind. Außerdem sollte für alle größeren Ausführungen, namentlich für mehrjährige Arbeiten (größere Flußübergänge, Tunnel u. dergl.), sowie für den Bahnbau im ganzen stets ein genau durchdachter Bauplan aufgestellt werden, um in gegebener Zeit einer sparsamen und sachgemäßen Ausführung sicher zu sein. Im übrigen s. Eisenbahnbau, Krümmungsverhältnisse und Neigungsverhältnisse.


Literatur: Rolls Encyklopädie des ges. Eisenbahnwesens, Bd. 7, Art. »Vorarbeiten« von Goering; Handbuch d. Ingenieurwissensch., Bd. 1, 4. Aufl., Kap. 1, Leipzig 1904 (mit eingehendem Literaturverzeichnis); Eisenbahntechnik der Gegenwart, Bd. 2, 1. Abschn., 2. Aufl., Wiesbaden 1906; Launhardt, Theorie des Trassierens, Hannover 1887 u. 1888; Goering, Massenermittlung, Massenverteilung und Transportkosten der Erdarbeiten, 5. Aufl., Berlin 1907; Jordan, Eisenbahnvorarbeiten, Zeitschr. f. Arch.- u. Ingenieurwesen 1898, Heft 4; Lindner, Virtuelle Länge, Zürich 1879; Heyne, Wochenbl. d. Oesterr. Arch.- u. Ingen.-Ver. 1890, Nr. 24 u. 25 (Berechnung der Betriebskosten); Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens 1908, S. 445 (Die Betriebslänge von Rühle v. Lilienstern).

H. Kübler.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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