- Geschiebeführung
Geschiebeführung, die auf bestimmten Strecken eines Wasserlaufes mit dem Wasser sich vollziehende Fortbewegung von Schlamm, Sand, Geröllen, Geschieben und eventuell großen Steinen. Das Material (die Sinkstoffe) geht einer solchen Strecke teils von oben zu, teils wird es der Strecke selbst entnommen, sofern auf derselben das Bett des Wasserlaufes aus Sinkstoffablagerungen oder sonst angreifbarem Boden besteht.
Die Ablösung und Abschiebung des in einem Wasserlaufe gelagerten Materials beginnt, je nach der Beschaffenheit des letzteren, bei einer gewissen Grenzgeschwindigkeit der Strömung an einer bestimmten Stelle. Dabei kommt hinsichtlich des Vorganges selbst und der Folgen in Betracht: 1. die Größe, die Form, die Rauhigkeit und das spezifische Gewicht des Materials; 2. die Art der Einbettung dieses Materials (ob lose oder mit Gefüge); 3. die mit der Sohlenzerstörung Hand in Hand gehende Aenderung des Sohlengefälles. Theoretische Untersuchungen über den Vorgang sind in [1] und [3] nachzusehen; sie bedürfen noch der Vervollständigung durch weitere Versuche. Bei den mit Hilfe von bekannten Versuchen festgestellten obengedachten Grenzgeschwindigkeiten hat man zu unterscheiden, ob jene beobachtet sind, bei welchen das Material sich an der Sohle löst, oder jene, bei welchen diese Lösung aufhört. Die erste Wirkung der mit steigendem Wasserstande zunehmenden Strömung besteht in der Lösung und Fortbewegung von Schlick und Sand; damit beginnt die Trübung des Wassers. Steigt die Geschwindigkeit der Strömung, so nehmen auch Kieselsteine, Geschiebe und größere Steine an der Bewegung teil.
Unter Geschwindigkeit der Wasserbewegung (s. S. 431) sind die Resultate der Versuche von Telford mitgeteilt; es sind dort die Geschwindigkeiten bekannt gegeben, bei welchen das Wasser beginnt, die Sohle anzugreifen. Du Buat hat dagegen die Grenzgeschwindigkeiten v (an der Sohle) bestimmt, bei welchen das Wasser aufhört, die Materialien fortzubewegen; es sind die folgenden:
Wie selbstverständlich sind die Werte von Telford durchweg größer als jene von Du Buat. In Rücksicht auf 2. ist zu beachten, daß die Sohlenerosion um so schwieriger wird, je länger es dauert, bis sich in bestimmtem Wasserlaufe die zur Lösung des Materials erforderliche Geschwindigkeit einstellt, je länger also das Material in der zwischen den Hochwasserständen liegenden Ruheperiode Zeit hat, sich festzulegen bezw. innig zu verbinden. Bei 3. kommt in Erwägung, daß erfahrungsgemäß in Flüssen mit beweglicher Sohle die letztere größeren Geschwindigkeiten als 56 m/sec überhaupt nicht widerstehen kann. Entstehen ursächlich von Hochwasser größere Geschwindigkeiten, so hat die starke Erosion eine Verringerung des Sohlengefälles durch Anhäufung von Geschieben zur Folge und damit weiterhin eine Verminderung der Wassergeschwindigkeit; eventuell entstehen andre zerstörende Verwendungen des Arbeitsvermögens vom Wasser. Bei Feststellung des letzteren [2] (s.a. Schleppkraft) ist auch zu erwägen, daß trübes Wasser bei bestimmtem Gefälle ein größeres Arbeitsvermögen hat als reines Wasser.
Die Schwimmfähigkeit des Materials [3] ist dadurch gegeben, daß: 1. in einem bestimmten Wasserquerprofil von der Sohle bis in die Nähe des Spiegels eine Geschwindigkeitszunahme stattfindet, ebenso ein gewisser Auftrieb, Wirbelbewegungen u.s.w.; 2. jede Strömung die in ihr schwimmenden Gegenstände in die Zone des Geschwindigkeitsmaximums hineinzudrängen sucht; 3. ein Gleichgewichtszustand denkbar ist, bei welchem die Kraft des vertikalen Auftriebs der Schwere eines suspendierten Teilchens das Gleichgewicht hält.
Bei jedem großen Wasserlaufe, dessen Bett aus beweglichem Material besteht, wird bei größerer Strömungsgeschwindigkeit nicht bloß die obere Sohlenschicht abgerissen, sondern auch[413] die Sohle selbst bis zu einer gewissen Tiefe aufgewühlt. Die so angetriebenen Sinkstoffe werden dabei nicht nur in Translation, sondern ursächlich der von unten nach oben zunehmenden Geschwindigkeit auch in Rotation versetzt und gelangen auf diese Weise in die höheren Strömungsschichten. Die Zunahme der Geschwindigkeit von unten nach oben ist aber nicht gleichmäßig, sondern unten stärker als in den oberen Schichten; mithin ist die Kraft, welche die von der Sohle abgelösten Sinkstoffe in die Höhe treibt und die dieser Zunahme proportional sein muß, in Nähe der Sohle ein Maximum und nimmt nach oben ab. Das ist die Ursache, daß im allgemeinen während der Geschiebeführung die Korngröße der schwebenden Sinkstoffe von unten nach oben abnimmt, abgesehen natürlich von den durch Wirbelbildungen bewirkten Abweichungen. Das gleiche gilt hinsichtlich der Bewegung von den Ufern gegen den Stromstrich. Die Geschwindigkeit, welche notwendig ist, damit ein senkrecht nach oben gerichteter Wasserstrom einen festen Körper (von größerem spezifischen Gewicht als Wasser) schwebend (im Gleichgewicht) erhält, ist nach Versuchen von Thoulet [4] u.a. eine ganz minimale. Man pflegt dementsprechend bei der Geschiebebewegung anzunehmen, daß zu diesem Zwecke eine Vertikalkomponente (nach oben gerichtete Auftriebsgeschwindigkeit) genügt, welche etwa einem Zehntel bis einem Dreißigstel der mittleren Abflußgeschwindigkeit im Wasserquerprofile gleichkommt.
Die Ablagerung der Sinkstoffe erfolgt bei Abnahme der Geschwindigkeit auf das für einzelne Materialien obenangegebene Maß. Diese Geschwindigkeitsabnahme wird aber nicht allein durch das Zurückgehen des Wasserstandes, sondern auch durch Strömungshindernisse im Flusse selbst, besonders durch Krümmungen, Einbauten u.s.w. hervorgerufen. Letztere werden in vielen Fällen direkt zur Bewirkung von Ablagerungen benutzt (vgl. z.B. Gebirgsflußregulierung, Gehänge u.s.w.). Die Ungleichheit der Wassertiefe in einem Flußquerprofil läßt im übrigen an den seichteren Stellen die Ablagerung früher zustande kommen als an den tiefen (im Talweg). Die Krümmungen in den Wasserläufen sind für die Wassertiefen bestimmend und damit auch für die Erosion des Bettes und die Ablagerungen von größter Bedeutung; vgl. hierüber [5]; die zeitliche Reihenfolge der Ablagerungen entspricht der Größe bezw. dem Gewichte der mit dem Strome transportierten Materialien: in der Regel zuerst die groben, dann allmählich die feineren Sinkstoffe. Von einer gewissen Grenze ab bleiben überhaupt in dem Wasserlaufe die feinsten Suspensionen erhalten und als Trübung des Wassers sichtbar.
Der Nutzen der Geschiebeführung ist unter Umständen ein ganz hervorragender. Die in den oberen Wasserschichten enthaltenen seinen Trübungen werden landwirtschaftlich zur düngenden Bewässerung (s.d.) verwendet, im größten Maßstabe z.B. in Aegypten die Trübungen des Nils. Für Kolmationen (s.d.) ist das Vorhandensein geschiebeführender Gewässer Bedingung. Soweit zulässig ist auch die Benutzung der abgelagerten Sande und gröberen Gerölle (Kies, Kiesel, Steine) für Zwecke des Straßenbaues, als Baumaterial zur Mörtel- und Betonbereitung u.s.w. von großer Bedeutung. Bei Flußkorrektionen bezw. Regulierungen erfolgen die Verlandungen der abgeschnittenen Flußarme meist unter Benutzung der Geschiebeführung. Auch der hygienische Nutzen, welchen die Geschiebeführung hinsichtlich Säuberung des Flußbettes gewährt, sei erwähnt.
Die Menge des in den Wasserläufen transportierten Materials ist vielfach eine sehr bedeutende. Relativ gering sind bei der größten Zahl aller Wasserlaufe die Mengen der feineren Suspensionen, der tonigen und schlammigen Substanzen (vgl. Kolmation); die größten Mengen bestehen aus Sanden und Geröllen (Geschieben). Nach Untersuchungen im Mississippi [6] führt dieser Fluß jährlich 180000000 cbm Sinkstoffe in den mexikanischen Golf; der Oberrhein soll dem Bodensee jährlich ca. 50000 cbm Sinkstoffe zuführen. Genaue Beobachtungen der geführten Wassermengen sind übrigens selten.
Die Nachteile der Geschiebeablösung und der Geschiebeführung bestehen in der Hauptsache in unerwünschten Uferzerstörungen und Sohlenerosionen sowie Sohlenerhöhungen an den Flüssen. Die Sohlenerhöhungen besonders erwähnt seien die sogenannten wandernden Kiesbänke (s. Sinkstoffbänke) bilden in den größeren Flüssen ein wesentliches Hindernis für die Schiffahrt; außerdem aber sind sie häufig Veranlassung zur Versumpfung des an den Fluß angrenzenden Geländes, während größere Sohlenvertiefungen das letztere trockenlegen, also zu kostspieligen Bewässerungsanlagen zwingen. Im höchsten Maße nachteilig werden die Geschiebeführungen dort, wo das Hochwasser über die Ufer tritt und große Geländeflächen mit gröberen Sinkstoffen überlagert (Vermuhrung). Auch für Werkkanäle, Schiffahrtskanäle u.s.w. ist das Eintreten von Geschieben mit dem Wasser sehr nachteilig und sind deshalb besondere Einrichtungen zum Abhalten der Geschiebe vorzusehen (vgl. Geschiebefänge, Kiesschleuse, Kiesschwelle).
Man ist in der neueren Zeit bestrebt, durch Regulierungen an den Oberläufen der Flüsse (s. Wildbäche) die Geschiebezufuhr zu vermindern bezw. auf das nützliche Maß einzuschränken. Erhalten die Flüsse auf bestimmter Strecke von oben her stets so viel Geschiebezufuhr, als sie auf dieser Strecke durch Erosion und Abtrieb verlieren, und ändert die Zufuhr ihre Beschaffenheit nicht, so bildet sich der bei allen Regulierungen angestrebte Normalzustand aus, vgl. a. [7]. Daß im Laufe der Bewegung das Geschiebe »abgerieben« und verkleinert wird, daß im Unterlauf der Flüsse infolgedessen nur Gerölle kleineren Durchmessers vorkommen, während die größeren im Oberlaufe verbleiben, und anderes ist bekannt. Vgl. a. Geröll, Geschiebelehm, Sand, Sinkstoffe, Längenprofil und Querprofil der Flüsse, Hydraulik.
Literatur: [1] Kurz zusammengestellt findet man die sogenannte Theorie der Geschiebeführung in der Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften, Hydraulik, von Ph. Forchheimer, Leipzig 1906, Anhang, S. 462 ff.; längere Ausführungen in andern Werken sind dort erwähnt (umfangreiche Literaturangaben). [2] Kreuter, F., im Handbuch der Ingenieurwissenschaften, 3, Wasserbau, 2. Abt., 1. Hälfte, Leipzig 1899; Du Boys, Ann. d. ponts et chauss. 1879, S. 149;[414] vgl. a. die Richtigstellung in [1], S. 465. [3] Flamant, A., Hydraulique, Paris 1900. [4] Thoulet, Annales des mines 1884; vgl. a. Hookes, E.H., The Suspension of solids in flowing water, Americ. Soc. of Civil Engineers, Bd. 36, 1896, S. 239 ff. [5] Fargue, O., Ann. d. ponts et chauss. 1868 und [1], S. 467 ff. [6] »La Nature« 1879. [7] Siedeck, R., Normalprofil geschiebeführender Flüsse, Wien 1905. Vgl. a. Christen, Th., Die Geschiebeführung der Flußläufe, Zeitschr. f. prakt. Geologie 1906, ferner die Werke über Geophysik und Geologie.
Lueger.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.