Hängewerke und armierte Balken

Hängewerke und armierte Balken

Hängewerke und armierte Balken. Der Ausdruck Hängewerk wird im Ingenieurwesen verschieden angewendet, da jede Konstruktion, bei welcher eine Fahrbahn oder andre wesentliche Teile an darüberliegenden Punkten aufgehängt sind, als Hängewerk bezeichnet werden kann, so daß mitunter auch die Hängebrücken (s.d.) zu den Hängewerken gerechnet wurden. Meist hat man jedoch speziell die in Fig. 13 angedeuteten Konstruktionen mit dem Namen Hängewerk belegt (einfaches, doppeltes, dreifaches Hängewerk u.s.w., auch Hängebock). Derartige Träger liefern unter der in der Ingenieurmechanik üblichen Voraussetzung, daß die Enden frei drehbar und eines derselben horizontal frei verschiebbar sind (Fig. 410), keinen Horizontalschub auf die Stützen, während die Wirkungsweise im übrigen von der sonstigen Anordnung abhängt. Vgl. Sprengwerke.

Wären in jedem Knotenpunkt (Verbindungsstelle von Stäben) sämtliche daselbst eintreffenden Stäbe gelenkartig verbunden und äußere Kräfte nur in Knotenpunkten angebracht, dann würden die gewöhnlichen Regeln für Fachwerke eintreten (s.d. u. [8]), alle Stäbe nur axialen Zug oder Druck erleiden und z.B. im Falle von Fig. 4 bei beliebiger Knotenpunktslast K die Stabkräfte ausgedrückt sein (Zug positiv):


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worin h, b, k die Längen der durch X, Y, Z beanspruchten Stäbe bedeuten. Die Grenzwerte dieser Stabkräfte würden also mit den Grenzwerten von K entstehen. Der Träger Fig. 5 ließe[733] sich unter den angeführten Voraussetzungen in ähnlicher einfacher Weise berechnen, [8], S. 72, während er alsdann ohne eine Diagonale im mittleren Felde auch andre als elastische Verschiebungen zuließe (d.h. labil wäre). Da dies praktisch unzulässig ist, so muß bei doppelten und mehrfachen Hängewerken der fehlenden Diagonalen wegen die Stabilität auf anderm Wege erreicht werden. Demgemäß sucht man den in Fig. 7, 8 skizzierten Anordnungen zu entsprechen, wonach zwar die nicht horizontalen Stäbe nur axial beansprucht werden, der horizontale Balken aber als durchlaufender Balken mit nachgiebigen Zwischenstützen wirkt (s. Balken, durchlaufende). Da man ohne die Kräfte X, Y, Z in Hängesäulen, Streben und Spannriegel einen gewöhnlichen einfachen Balken hätte (Fig. 6, s. Balken, einfache), für welchen bei beliebiger Belastung die Stützenreaktionen:


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und das Biegungsmoment und die vertikale Schubkraft im Querschnitt x:


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wenn x die Entfernung des Querschnitts und a1, a2, ... die Entfernungen der Lasten P1 P2, ... vom Auflager 0 bedeuten, die Summen Σ aber alle Lasten zwischen den beigesetzten Grenzen umfassen, so fragt es sich nur noch, welche Werte die hinzukommenden Stabkräfte annehmen und welchen Einfluß sie auf die Beanspruchungen des Balkens ausüben. Dabei ist zu beachten, daß durch Y auch der Balken eine überall gleiche Axialkraft N erhält, so daß sich die Normalspannung in Entfernung v von der Achsschicht (v nach unten positiv) und die Normalspannungen im obersten und untersten Querschnittselement (eo, eu deren absolute Entfernungen von der Achsschicht, s. Biegung) bei x ausdrücken:


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unter F, J, Mx Querschnittsfläche, Trägheitsmoment und wirkliches Biegungsmoment des Balkens bei x verstanden. Für eine beliebige, auf die ganze Spannweite l gleichmäßig verteilte Last von u pro Längeneinheit liefern 1., 2. (s. Belastung der Träger):


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Die Stützenreaktionen der in Fig. 7, 8 angedeuteten Hängewerke und der entsprechenden armierten Balken (s. unten) bleiben wie für den gewöhnlichen einfachen Balken durch 1., 4. bestimmt.

Im folgenden setzen wir die Querschnitte der einzelnen Stäbe konstant voraus, lassen aber verschiedene Materialien der letzteren zu, da die gezogenen Stäbe auch bei hölzernen Balken häufig aus Eisen hergestellt werden. Es mögen l, h, b, c die Längen, F, A, B, C die Querschnitte, E, Ex, Ey, Ez die Elastizitätsmoduln, α, αx, αy, αz die Ausdehnungskoeffizienten und τ, τx, τy, τz die Temperaturänderungen (gegen eine dem spannungslosen Zustande entsprechende Normaltemperatur) für die in ihren Achsen durch N, X, Y, Z beanspruchten Stäbe bezeichnen.

Einfaches Hängewerk (Fig. 7). Man hat bei beliebiger Belastung des Balkens und beliebigen Temperaturen aller Stäbe mit l = 2k:


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und wenn zur Abkürzung gesetzt wird:


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welcher Ausdruck von der Belastung unabhängig ist, von letzterer herrührend:


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wonach z.B. durch eine beliebige, auf die ganze Spannweite gleichmäßig verteilte Lau von u pro Längeneinheit (vgl. Belastung der Träger):


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durch verschiedene gleichmäßig verteilte Lasten von u, u' pro Längeneinheit auf der ersten und zweiten Hälfte der Spannweite:


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durch eine in der Mittte angreifende Last P:


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Gleiche Temperaturänderungen aller Stäbe erzeugen bei gleichem Material derselben keine Beanspruchungen während durch Temperaturänderungen im allgemeinen:


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[734] Für das Moment und die Vertikalkraft im Querschnitt x des Balkens gelten von x = 0 bis x = k:


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und von x = k bis x = l:


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Bei symmetrischer Belastung liegen gleiche Momente und numerisch gleiche Vertikalkräfte symmetrisch zur Mitte.

Doppeltes Hängewerk (Fig. 8). Bei beliebiger Belastung des Balkens und beliebigen Temperaturänderungen aller Stäbe hat man mit l = 2k + c:


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und wenn zur Abkürzung gesetzt wird:


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welcher Ausdruck, wie oben m, von der Belastung unabhängig ist, von letzterer herrührend:


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Hiernach wird durch eine beliebige auf die ganze Spannweite gleichmäßig verteilte Last von u pro Längeneinheit (vgl. Belastung der Träger):


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durch verschiedene gleichmäßig verteilte Lasten von u, u' pro Längeneinheit auf der ersten und zweiten Hälfte der Spannweite:


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durch verschiedene gleichmäßig verteilte Lasten von u, u', u'' pro Längeneinheit zwischen 0 und k bezw. k und k + c bezw. k + c und l:


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durch eine bei k oder k + c angreifende Last P und durch zwei bei k und k + c angreifende Lasten P1, P2:


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Gleiche Temperaturänderungen aller Stäbe erzeugen bei gleichem Material, derselben keine Beanspruchungen, während durch Temperaturänderungen im allgemeinen:


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Für das Moment und die Vertikalkraft im Querschnitt x des Balkens gelten von x = 0 bis x = k:


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von x = k bis x = k + c:


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und von x = k + c bis x = l:


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Bei symmetrischer Belastung liegen gleiche Momente und numerisch gleiche Vertikalkräfte symmetrisch zur Mitte. Für den häufig vorkommenden Fall k = c = l/3 treten wesentliche Vereinfachungen der Formeln 15. bis 19. ein.

Armierte Balken. Als solche bezeichnet man Träger der in Fig. 9, 10 angedeuteten Art, welche durch Drehung des Hängewerks um die Balkenachse entstanden gedacht werden können. Wie bei diesem soll durch die Unterstützung in k bezw. in k und k + c eine größere Tragfähigkeit als beim einfachen Balken erreicht werden. Für den armierten Balken Fig. 9 gelten neben den Beziehungen 1.–4. die Formeln 5.–13., mit dem alleinigen Unterschiede, daß in 7.–10. den ganzen rechten Seiten ein Minuszeichen vorzusetzen und in 12., 13. vor den X allein negative und positive Vorzeichen zu vertauschen sind. Für den armierten Balken Fig. 10 gelten neben 1.–4. die Gleichungen 14.–24., nur daß den ganzen rechten Seiten von 16.–20. ein Minuszeichen vorzusetzen und in 22.–24. vor den X allein negative und positive Vorzeichen zu vertauschen sind. Abgesehen von Einflüssen der Temperatur sind hiernach für Hängewerke und armierte Balken gleicher Dimensionen und Belastung die Mx, Vx entsprechender Querschnitte des Balkens gleich groß, die Stabkräfte N, X, Y, Z numerisch gleich und von verschiedenen Vorzeichen, nämlich für Hängewerke X, N Zug, Y und Z Druck, für armierte Balken X, N Druck, Y und Z Zug, während die Stützenreaktionen V, V' für gewöhnliche einfache Balken, Hängewerke und armierte Balken bei gleicher Spannweite und Belastung vollständig gleich sind.

Nach den gegebenen Beziehungen lassen sich die Beanspruchungen der am häufigsten vorkommenden Hängewerke und armierten Balken für beliebige Belastungen und Temperaturänderungen berechnen, sobald die Querschnitte bekannt sind. Zu vorläufiger Berechnung der letzteren und andern Näherungsrechnungen können die gegebenen Formeln mit μ = 1, m = l3[735] in den Fällen Fig. 7, 9, mit v = 1, n = 2k2 (2k + 3c) in den Fällen Fig. 8, 10 dienen. Die Grenzwerte der Beanspruchungen bei bewegter Lad wären nach einer der unter Grenzwerte angeführten Methoden zu berechnen. Je nachdem größere oder geringere Genauigkeit beansprucht ist, würde meist die dortige Methode b. bezw. e. zu empfehlen sein. Ableitung von Grenzwerten für Hängewerke s. [3].


Literatur: [1] Ritter, A., Elementare Theorie und Berechnung eiserner Dach- und Brückenkonstruktionen, Hannover 1873, S. 298. – [2] Fränkel, Theorie des einfachen Sprengwerks, Civilingenieur 1876, S. 22. – [3] Melan, Theorie d. Sprengwerks, Zeitschr. d. österr. Ing.- u. Arch.-Vereins 1876, S. 233. – [4] Steiner, Kontinuierliche Träger auf balancierten Stützen, ebend. 1876, S. 245 (s.a. Wochenschr. dieses Vereins 1887, S. 37, 42, 107, sowie Techn. Blätter 1885, S. 157, und 1890, S. 212). – [5] Castigliano, Theorie de l'equilibre des systemes élastiques et ses applications, Turin 1879, S. 315, 328 (deutsch von Hauff, Wien 1886, S. 316, 323). – [6] Winkler, Theorie der Brücken, I, Aeußere Kräfte der Balkenträger, Wien 1886, S. 223, 256. – [7] Hoch, Berechnung der doppelten Hänge- und Sprengwerke bei einseitiger Beladung, Zentralbl. d. Bauverwaltung 1888, S. 474. – [8] Weyrauch, Beispiele und Aufgaben zur Berechnung der statisch bestimmten Träger für Brücken und Dächer, Leipzig 1888 (Aufg. 17, 18, Beisp. 15, u.s.w.). – [9] Lang, Zur Entwicklungsgeschichte der Spannwerke des Bauwesens, Riga 1890, S. 32. – [10] Landsberg, Die Statik der Hochbaukonstruktionen, Stuttgart 1899, S. 198. – [11] Heyn, Das doppelte hölzerne Hängewerk im Dachbinder, Zeitschr. f. Architektur- u. Ingenieurwesen 1899, S. 373. – [12] Müller-Breslau, Die graphische Statik der Baukonstruktionen, II, Leipzig 1903, S. 243. – [13] Ders., Neuere Methoden der Festigkeitslehre, Leipzig 1904, S. 103,107.

Weyrauch.

Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3., Fig. 4., Fig. 5.
Fig. 1., Fig. 2., Fig. 3., Fig. 4., Fig. 5.
Fig. 6., Fig. 7., Fig. 8.
Fig. 6., Fig. 7., Fig. 8.
Fig. 9., Fig. 10.
Fig. 9., Fig. 10.

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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