Kapillarität

Kapillarität

Kapillarität (Haarröhrchenanziehung) heißt die Eigenschaft der Flüssigkeiten, in Berührung mit festen Körpern, besonders in engen Röhren, ein andres Niveau anzunehmen, als ihrem hydrostatischen Gleichgewicht entspricht. Es sind zwei entgegengesetzte Fälle zu unterscheiden: 1. Die Kraft der Kohäsion der Oberflächenteilchen der Flüssigkeit ist größer als die der Adhäsion an der Körperfläche; 2. die letztere Kraft überwiegt die erstere.

Im ersteren Fall (Quecksilber und Glas, Wasser und befettete Flächen) bildet die Flüssigkeit auf dem festen Körper Tropfen, ohne ihn zu benetzen, sie erleidet an senkrechten Wänden und in Röhren eine Niveaudepression und zeigt in letzteren eine nach oben konvexe Kuppe (Meniskus mit stumpfem Randwinkel).

Im letzteren Fall zerfließt die Flüssigkeit auf dem Körper als Unterlage und adhäriert an demselben (Wasser auf reinem Glas, Quecksilber auf Zink), sie steigt an den Gefäßwänden, besonders in engen Röhren durch Kapillarattraktion in die Höhe, wobei die Steighöhe im umgekehrten Verhältnis des Röhrendurchmessers steht, und bildet eine konkave Oberfläche (Meniskus mit spitzem Randwinkel). Ist h die Steighöhe, r der Radius der Röhre, s das spezifische Gewicht der Flüssigkeit, so heißt die konstante Größe α = 0,5 h r s die Kapillaritätskonstante. Diese Gleichung kann man auch schreiben: α = π h r2 s : 2 π r; sie drückt dann das Gesetz aus: Eine Flüssigkeit, welche eine vertikale Wand berührt, erfährt eine Niveauerhebung derart, daß das pro Längeneinheit der Randlinie gehobene Flüssigkeitsgewicht konstant bleibt für beliebige Krümmung der zylindrischen Wand. Gewöhnlich bezieht sich α auf das Gewicht π h r2 s in Milligramm und die Länge 2 π r in Millimetern. (Mißt man aber Gewicht und Länge in Einheiten des absoluten Maßsystems, so bekommt a einen 9,81 mal größeren Wert.) Gibt man obiger Gleichung die Form α = 0,5 π h r3 s : π r2, so stellt sie eine Arbeit, dividiert durch eine Fläche, dar; α ist die Arbeit, welche der Oberflächenspannung entgegen geleistet werden muß, um die Flüssigkeitsoberfläche um die Flächeneinheit zu vergrößern. Der Wert α ist abhängig nicht bloß von der Natur der Flüssigkeit, sondern auch von der Natur der Gefäßsubstanz und von der Beschaffenheit der über der Flüssigkeit befindlichen Luft sowie von der Temperatur. Die Oberflächenspannung hat für die Flüssigkeit je nach der Natur der sie begrenzenden Körper ihre besonderen Werte; sie wird z.B. beim Wasser erheblich verkleinert durch eine wenn auch noch so dünne Oelschicht. Hierauf beruht die Beruhigung der Meereswellen durch Oel. In betreff der physikalischen und mathematischen Theorie der Kapillarität verweisen wir auf [1] und die dort enthaltenen Literaturangaben. Eine Zusammenstellung von Werten der Kapillaritätskonstanten s. bei [2], gleichfalls mit reichen Literaturnachweisen. Besonders sei noch verwiesen auf [3]–[8] und das populäre Schriftchen [9]. – Von besonderem Interesse für die Technik (vgl. z.B. den Art. Bodenphysik) ist die Kapillaritätskonstante des Wassers (gegen Luft), für deren Werte zwischen 0 und 100 o [2], S. 102, eine Tabelle gibt, die mit α = 7,923 beginnt und mit α = 6,042 schließt, und S. 23 a. Die Formel αt = α0 + ßt + γ t2 mit den Werten: α0 = 8,22 oder 7,633 oder 7,617, ß = 0,02052 oder 0,0136 oder 0,0136 und γ = 0,000035 nach den Bestimmungen von Timberg, Wolf oder Eötvös. Der Wert der Kapillaritätskonstante des Wassers hängt indessen auch von den gelösten Salzen ab, vgl. [1], S. 466.


Literatur: [1] Braun, F., in Winkelmann, Handbuch der Physik, I, Breslau 1891, S. 452–502. – [2] Landolt u. Boernstein, Physikal.-chem. Tabellen, 3. Aufl.. Berlin 1905, S. 102–116. – [3] Von der Waals, Thermodynamische Theorie der Kapillarität, Zeitschr. f. physik. Chemie 1894, 13, S. 657 ff. – [4] Drude, P., Ueber die Größe der Wirkungssphäre der Molekularkräfte u.s.w., Wied. Ann. 1891, 43, S. 158. – [5] Lord Rayleigh, Ueber die Theorie der Molekularkräfte und die Konstitution der Plateauschen Glyzerinseifenlösung, Philos. Mag. 1890, (5), 30, S. 285 u. 456. – [6] Cantor, M., Ueber Kapillaritätskonstante, Wied. Ann. 1892, 47, S. 399; hierzu [7] Lohnstein, M., Wied. Ann. 1893, 48, S. 207; ders., Wied. Ann. 1894, 53, S. 1062, u. 1895, 54, S. 713. – [8] Donnan, Die Theorie der Kapillarität und kolloidalen Lösungen, Zeitschr. f. physik. Chemie 1903, 46, S. 197 ff. – [9] Boys, C.V., Seifenblasen, Vorlesungen über Kapillarität, deutsch von G. Meyer, Leipzig 1893.

Aug. Schmidt.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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