- Küstenartillerie
Küstenartillerie hat die Aufgabe, Reeden und Hafeneinfahrten gegen feindliche Panzerschiffe zu verteidigen und das Vordringen einer feindlichen Landungsarmee zu verhindern. Sie besteht daher aus den eigentlichen Küstengeschützen, den Seefrontgeschützen, die auf den Seefronten der Küstenwerke stehen, und den Landfrontgeschützen auf den Landfronten derselben.
Die Seefrontgeschütze bestehen in der Hauptsache aus Geschützen schwersten Kalibers von großer Tragweite und großem Durchschlagsvermögen, um auf weite Entfernungen ein wirksames Feuer auf die gepanzerten Schiffswände und Geschützstände der feindlichen Panzerschiffe ausüben zu können, sowie ferner aus Schnelladekanonen kleinen Kalibers von großer Treffsicherheit zur Zerstörung der leichten Deckaufbauten und Außergefechtsetzung der feindlichen Artillerie sowie zum Schütze eines Minenfeldes für Hafeneinfahrten. Die Kaliber der Küstengeschütze halten sich zwischen den Grenzen von 1542 cm bei einem entsprechenden Rohrgewicht von 41/2120 t, während für die Schnelladekanonen die Kaliber bis zu 5 cm hinuntergehen. Die Anordnung der inneren und äußeren Rohrkonstruktion, der Verschlüsse u.s.w. ist die gleiche wie für Schiffsgeschütze (s.d.). Abweichend von diesen allein ist die Lafettenkonstruktion, da einerseits die Aufstellungsart der Küstengeschütze in Türmen oder hinter Erdwällen eine andre ist, anderseits das Gewicht von Lafette und Panzergeschütz für diese Zwecke nicht berücksichtigt zu werden braucht. Die Aufstellung der Küstengeschütze erfolgt ohne Stellungswechsel und möglichst derart, daß sie dem Gesichtsfeld des Feindes entzogen sind. Vor allem muß die Bedienungsmannschaft vor dem Feuer der Schnelladekanonen geschützt werden, denn es wird immer zunächst das Bestreben eines die Hafeneinfahrt erzwingenden Geschwaders sein, die Küstenbatterien oder Forts zum Schweigen zu bringen. Die Aufstellung der Küstengeschütze erfolgt daher entweder in gepanzerten Türmen oder hinter Brustwehren bezw. Erdwällen [5].
[738] Die Panzertürme finden im besonderen an denjenigen Punkten Anwendung (Molenköpfe, Seeforts), die dem Gesichtsfeld des Feindes nicht entzogen werden können, und hier sind die Kuppeltürme von Gruson aus Hartgußpanzerplatten bevorzugt. Die Panzerturmgeschütze sind meist auf Minimalschartenlafetten gelagert. Die äußere Umrißlinie der Kuppel hat im Querschnitt elliptische Form, so daß die feindlichen Geschosse die Panzerfläche nur unter spitzem Winkel treffen können. Die einzelnen Hartgußplatten von beträchtlicher Stärke sind durch Falze, die nach dem Zusammenhauen mit Weißmetall ausgegossen werden, miteinander verbunden, ohne Verwendung von Bolzen und bilden demnach eine kompakte Masse, so daß die lebendige Kraft des auftreffenden Geschosses von der ganzen Masse des Turmes aufgenommen und unwirksam gemacht wird. Da die Platten nach dem Guß an der Oberfläche nicht bearbeitet werden, so bildet die harte Kruste ein vorzügliches Schutzmittel; überdies ist die Herstellung der Hartgußplatten gegenüber gewalzten Panzerplatten verhältnismäßig billiger. Die Panzerplatten von Gruson haben in den Küstenbefestigungen von Spezia, Pola und Cuxhafen Verwendung gefunden. Ihr Gewicht beträgt bis zu 1400 t. Einen Nachteil dieser Panzerkuppeln bildet der Umstand, daß das Geschützrohr zum großen Teil aus der Kuppel herausragt und demnach dem feindlichen Feuer ausgesetzt ist. Fig. 1 zeigt einen Kuppelturm von, Gruson mit zwei 34cm-Geschützen von 681 mit hydraulischer Minimalschartenlafette von Armstrong. Die Lafetten sowie die Turmplatten ruhen auf einer Plattform, die auf einem Rollenkranz gelagert ist und durch eine hydraulische Maschine gedreht wird. Jedes Geschütz ruht in einem Schlitten, der unterhalb der Pforte um einen horizontalen Zapfen drehbar ist und am hinteren Ende durch den, Kolben eines hydraulischen Zylinders gestützt wird. Für den Munitionstransport dient ein hydraulischer Aufzug, zur Einführung der Munition ins Rohr ein hydraulisch bewegter Setzer. Das Richten der Geschütze geschieht von einer Plattform aus, zu der die Gestänge von den einzelnen hydraulischen Antrieben geführt sind.
Bei Aufstellung der Geschütze hinter Brustwehren oder Erdwällen, wobei die Geschütze alsdann über Bank feuern, finden Rahmen- und Verschwindelafetten Verwendung. Die Rahmenlafetten, nach denselben Prinzipien wie die Schiffsrahmenlafetten (s. Lafettierung) konstruiert, bieten die einfachste Handhabe. Das Geschütz ruht auf einer Oberlafette, die mit Bezug auf die Höhenrichtung der Schiffslafette ähnelt. Der Rahmen ist jedoch, um eine größere Feuerhöhe zu erlangen, durch Anordnung großer Laufräder höher gelagert. In der Regel ist der Rahmen in der Mitte pivotiert und das Fundament des Pivots bildet zugleich den Schienenkranz für die Laufräder. Die Seitenrichtung erfolgt durch[739] ein Kurbelgetriebe mit Zahnkranz, den Geschoßtransport besorgt ein am Rahmen gelagerter Drehdavit. Zum Schütze der Bedienungsmannschaft und des Rohres nebst Lafette gegen die feindlichen Geschosse der Schnelladegeschütze ist ein Schutzschild sehr erwünscht (Fig. 2).
Besseren Schutz gegen feindliches Feuer bieten die auf Verschwindelafetten montierten Küstengeschütze. Die Idee der Verschwindelafette stammt aus dem Jahre 1864 von dem russischen Oberst Moncrieff und dieselbe ist neuerdings von Armstrong und Canet weiter ausgebildet worden. Die Wirkungsweise dieser Lafette besteht darin, daß das Rohr durch die Kraft des Rückstoßes hinter eine gedeckte Stellung verschwindet. Die hierbei aufgespeicherte Kraft wird benutzt, um das Geschütz, nachdem dasselbe in geschützter Stellung geladen und gerichtet ist, in die Gefechtsstellung zurückzubringen. Das Geschütz ist dem Feinde nur kurze Zeit sichtbar und bietet daher keinen Zielpunkt. Nach Schießversuchen zu Portland 1885 hat sich die Verschwindelafette als unverwundbar erwiesen. Da auf diese Weise der Panzerschutz entbehrlich wird, so bietet die Verschwindelafette ein verhältnismäßig billiges Verteidigungsmittel, obgleich die Handhabung der Lafette ein geschultes Personal und sorgfältige Bedienung erfordert. Bei den für Geschütze bis zu 25 cm Kaliber gebauten Verschwindelafetten von Armstrong und Canet wird das Geschütz durch den Druck eines hydraulischen Zylinders in die Feuerstellung zurückgebracht. Beim Rücklauf wirkt die durch den hydraulischen Kolben entweichende Flüssigkeit auf bereits unter Druck stehende Luft und komprimiert dieselbe noch mehr. Ist die Kraft des Rücklaufs durch den hydraulischen Zylinder aufgenommen, so ist das Geschütz in die gedeckte [740] Stellung gesenkt, und da komprimierte Luft die Flüssigkeit nicht in den Zylinder zurückdrücken kann, so verbleibt das Geschütz in dieser Lage, bis durch Oeffnen eines Ventils die Luft die Flüssigkeit vom Luftbehälter in den Zylinder zu drängen vermag und demnach den hydraulischen Kolben und mit ihm das Geschütz nach oben treibt. Sobald das Geschütz die Feuerstellung erreicht hat, schließt das Ventil automatisch und das Geschütz kommt zur Ruhe, bis es nach dem Abfeuern wieder nach unten verschwindet. Fig. 3 zeigt eine Verschwindelafette von Canet. Da die Behälter und Rohrleitungen für die komprimierte Luft Unzuträglichkeiten mit sich bringen, hat man neuerdings die komprimierte Luft durch Federn ersetzt, den modernen Lafetten für Schnelladekanonen entsprechend; doch geht man alsdann mit dem Geschützkaliber nicht über 20 cm, da die Federn größere Kräfte nicht aufzuspeichern vermögen. Die Verschwindelafette mit Federn hat für die Schnelladekanone eine Zukunft. In neuerer Zeit finden zur Küstenverteidigung auch gezogene Mörser und Haubitzen mit Geschossen von großer Sprengwirkung Verwendung und man verspricht sich von denselben für die am wenigsten geschützten Teile der Schiffe Decks und Aufbauten eine verheerende Wirkung. Derartige Mörser und Haubitzen werden in Batterien zu 45 Stück aufgestellt und bilden im besonderen eine vorzügliche Waffe zum Schutz von Hafeneinfahrten und engen Fahrwassern, bei welchen die Entfernung der feindlichen Schiffe bekannt ist. Sind die Batterien auf Anhöhen und hinter Erdwällen erbaut, so können sie möglicherweise von den feindlichen Geschossen nicht erreicht werden, da Schiffe bis jetzt noch nicht mit Haubitzen armiert sind. Für das Richten und Abfeuern der Mörser sind besondere Zielstationen erforderlich. Die modernen Mörser und Haubitzen sind als Hinterlader konstruiert; die Lafetten besitzen zur Hemmung des Rücklaufs eine hydropneumatische Bremse, und die Höhen- und Seitenrichtung erfolgt durch Zahnradbogen bezw. Schneckenradgetriebe. Fig. 4 zeigt einen Mörser von Armstrong.
Literatur: [1] Lloyd, E.W. und Hadcock, A.G., Artillery, its progress and present position, Portsmouth 1893. [2] Galster, C., Die Schiffs- und Küstengeschütze der deutschen Marine, Berlin 1885. [3] Dredge, J., Modern French Artillery, London 1892. [4] Ueber Hartgußpanzer, Mitteilungen aus dem Gebiet des Seewesens, Wien 1883. [5] Leitfaden für den Unterricht in der Artillerie, Berlin 1902, Inspektion des Bildungswesens der Marine.
T. Schwarz.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.