- Lagerstuhl [2]
Lagerstuhl (Glockenstuhl). Lagerstühle, die dazu bestimmt sind, Kirchenglocken zu tragen, heißen Glockenstühle. Ein Glockenstuhl muß die freie Schwingung der Glocke ermöglichen, dabei aber so seit gebaut sein, daß er nicht nur das Glockengewicht, sondern auch die beim Schwingen auftretenden dynamischen Wirkungen mit Sicherheit aushalten kann.
Auch das Mauerwerk des Turmes, der den Stuhl trägt, muß in manchen Fällen auf seine Fertigkeit untersucht werden. Um die Beanspruchung des Mauerwerks abzuschwächen, verlegt man den Stuhl häufig in den unteren Teil des Turmes und verbindet ihn nur lose oder gar nicht mit dem Mauerwerk. Hölzerne Stühle erhalten vielfach einen aus zwei bis drei Balkenlagen bestehenden Roll. Für große Glocken werden in der Regel eiserne Stühle verwendet, die leichter sind und weniger Raum einnehmen als Holzkonstruktionen. Die Fig. 1 und 2 stellen einen hölzernen Glockenstuhl für zwei kleinere Glocken dar. Fig. 3 und 4 veranschaulichen einen eisernen Stuhl für fünf Glocken von 440, 700, 990, 1720 und 3400 kg Gewicht. Wird die Glocke in Schwingung versetzt, so ändert sich der Zapfendruck beständig nach Größe und Richtung. Meistens genügt es, den größten lotrechten und den größten wagerechten Zapfendruck zu bestimmen und damit die Dimensionen des Stuhles und die im Mauerwerk auftretenden Spannungen zu berechnen. Es sei G das Gewicht der schwingenden Glocke, m ihre Masse, r der Abstand ihres Schwerpunktes vom Drehpunkte und α ihr größter Ausschlagswinkel (Fig. 5),[61] dann ist für den Ausschlagswinkel φ das Antriebsmoment M = G r sin φ. Bezeichnet l den Abstand des Schwingungsmittelpunktes vom Drehpunkte, so ist das Massenträgheitsmoment J = m r l und die Winkelbeschleunigung β = M : J = G sin φ : m l. Ist ω die Winkelgeschwindigkeit, so ist bekanntlich nach der Theorie rotierender Körper ω = d φ/d t und β = d ω/ d t, folglich ω · d ω = β · d φ, woraus folgt
Um die Reaktionen H und V am Aufhängezapfen zu bestimmen, muß nach dem d'Alembertschen Prinzip die Fliehkraft C = ω2 m r und die Beschleunigungskraft B = β m r, die durch den Schwingungsmittelpunkt T geht, angebracht werden. Aus dem zwischen den Kräften G, C, B, V und H
bestehenden Gleichgewichte ergibt sich nun der lotrechte Zapfendruck V = G (l r)/l + G r/l cos φ (3 cos φ 2 cos α) und der wagerechte Zapfendruck H= G r/l sin φ (3 cos φ 2 cos α). V erlangt seinen größten Wert stets für φ = 0, also wenn die Glocke durch die Senkrechte geht, und zwar ist dann Vmax = G + 2 G r/l (1 cos α). Das Maximum von H ist schwieriger zu bestimmen. Bei kleinen α (bis 30°) wird der wagerechte Zapfendruck am größten, wenn die Glocke am weitesten ausschwingt, und zwar ist dann Hmax = G r/l sin α cos α, bei α = 30° beispielsweise gleich 0,433 G r/l. Bei größeren α dagegen erreicht H schon vorher seinen größten Wert. Beträgt der größte Ausschlagswinkel beispielsweise 90°, so wird H am größten bei φ = 45° und zwar gleich 1,5 G r/l.
Um die Kräfte V und H und damit die Beanspruchung des Stuhles sowie des Mauerwerks abzuschwächen, hängt man große Glocken zuweilen derart auf, daß der Drehpunkt in der Nähe des Schwerpunkts liegt (System Pozdech); dann wird r und damit auch das Maximum von V und H bedeutend kleiner.
Literatur: Deutsches Bauhandbuch, Berlin 1903, Bd. 1, 1. Teil, S. 559; Berechnung der schmiedeeisernen Glockenstühle, Zeitschr. d. Hannov. Arch.- u. Ingen.-Ver. 1872, S. 635; Diagramm der Achsendrücke schwingender Glocken, Deutsche Bauztg. 1875, S. 426; Schweizer. Bauztg. 1897, Bd. 29, S. 44; Süddeutsche Bauztg. 1904, S. 89.
(W. Ritter) Mörsch.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.