Kabel für Brücken

Kabel für Brücken

Kabel für Brücken, d.h. Drahtseile oder Drahtbündel, finden bei den mit Versteifungsträgern ausgeführten Hängebrücken (s.d.) Anwendung; sie könnten aber auch bei andern Trägeranordnungen, welche nahezu konstant beanspruchte Zuggurte besitzen, von denen keine Steifigkeit verlangt wird, in Betracht kommen.

Die Anwendung des Drahtes zu Brückenkonstruktionen gründet sich auf die wesentlich höhere Fertigkeit, welche Eisen und Stahl durch Walzen und Ziehen in Drahtform erlangen. Eisendraht hat eine Zerreißfestigkeit von 6000–7000 kg pro Quadratzentimeter; der jetzt ausschließlich für Brückenkabel verwendete Gußstahldraht hat bei einer Stärke von 4–6 mm eine Zugfestigkeit von 12000–14000 kg pro Quadratzentimeter, eine Bruchdehnung auf 200 mm Länge von 4–5%; die Elastizitätsgrenze liegt zwischen 6000 bis 7000 kg/qcm.

Die Brückenkabel werden entweder aus spiralförmig zusammengeschlagenen Drähten (Spiralseilen) oder aus parallel liegenden Drähten, die stellenweise durch straffe Umwicklung zu einem Bündel vereinigt sind, hergestellt.

a) Bei den Drahtspiralseilen ist um einen geraden Draht als Seele zunächst eine Lage von 6 Drähten, um diese eine weitere Lage von 12, dann von 18 Drähten u.s.w. geschlagen. In jeder Lage nimmt die Zahl der Drähte um 6 (entsprechend 2π) zu. Die Drähte der aufeinander folgenden Lagen haben entweder gleiche Windungsrichtung (Albertschlag) oder entgegengesetzte (Kreuzschlag). Jetzt wird bei Spiralseilen allgemein der letzteren Herstellungsart der Vorzug gegeben. Dieselben sind biegsamer als solche mit Albertflechtung. Die einzelnen Umwicklungsschichten müssen gleichen Flechtwinkel erhalten, dann werden sämtliche Drähte mit Ausnahme des geraden Mitteldrahtes gleich lang und nehmen die gleiche Spannung auf. Der Flechtwinkel wird mit 9–25°, gewöhnlich aber mit dem Mittelwert von etwa 18° gewählt. Besteht das Seil aus n Runddrähten von der Dicke δ, so ist der Gesamtdrahtquerschnitt F = n π/4 δ2, der Durchmesser des Seiles angenähert d = 1,33 √F (d und F in Zentimetern). Die Spannung der Drähte ist aber etwas größer, als sich aus Kraft: Gesamtdrahtquerschnitt berechnet, und zwar ist die Spannung der Spiraldrähte um etwa 2–5% größer als P : F; die Spannung des Mitteldrahtes, falls dieser den gleichen Dehnungskoeffizienten wie die übrigen Drähte besitzt, ist sogar um 17–20% größer. Tetmajer fand die Abminderung der Drahtfestigkeit im Seil bei runddrähtigen Kreuzschlagseilen im Mittel zu rund 9%. Bei Seilen mit langer Flechtung und bei geschlossenen Seilen dürfte dieser Unterschied geringer sein. Das Seil gibt größere Dehnungen, als sie dem Dehnungskoeffizienten der einzelnen Drähte entsprechen würden. Wird die anfängliche Reckung, welche jedes Seil erfährt, ausgeschieden, so beträgt der Elastizitätskoeffizient eines vieldrähtigen Seiles bei einem Flechtwinkel von etwa 18° nur ca. 84% von jenem des verwendeten Stahldrahtes [1]. Berg [4] fand im Mittel den Elastizitätskoeffizienten von geschlossenen Seilen bei größerer dauernder Beanspruchung (so daß die Kraft nicht mehr auf Null sinkt) zu 88%, bei zweimal geschlagenen runddrähtigen Seilen zu 70% des Drahtmateriales. Mehr als 200–250 Drähte werden nicht in einem Seile zusammengeflochten. Werden für Brückenkabel stärkere Querschnitte notwendig, so ordnet man entweder mehrere parallel laufende einfache Seile an, oder es werden wieder mehrere schwächere Seile durch spiralförmige Windung zu einem stärkeren Seile vereinigt. In letzterem Falle wird dann meist ein siebenschenkliges Seil konstruiert mit sechs äußeren Strängen und einem siebenten geraden Strange als Seele. Bezüglich der Spannungen in den Seilschenkeln gilt dasselbe wie oben für die Drahtlitzen. Der mittlere gerade Strang hätte, wenn dessen Drähte aus dem gleichen Materiale wie jene der äußeren Stränge bestehen, eine größere Spannung für die Flächeneinheit aufzunehmen als diese. Durch Wahl eines weicheren, dehnbareren Materiales für die Drähte des Mittelstranges wird einigermaßen ein Ausgleich erzielt (s. Fig. 1, Kabel der Brücke zu Langenargen [5]).

In neuerer Zeit werden von der Firma Felten & Guilleaume in Mülheim a. Rh.; dann von französischen Firmen sogenannte »verschlossene« Seile fabriziert. Die Seile der erstgenannten Firma haben um einen aus Runddrähten gebildeten Kern eine oder mehrere Lagen von Drähten mit trapezförmigem Querschnitt im Kreuzschlag gewunden und als äußerste Schichte eine Lage von Drähten mit Z-förmig profiliertem Querschnitt, die einander übergreifen[250] und den Verschluß des Seiles bilden. Bei diesen verschlossenen Seilen sind die leeren Zwischenräume zwischen den Drähten außerordentlich gering, die Außenfläche des Seiles ist vollkommen glatt und durch das Uebergreifen der Drähte ist jedes Eindringen von Feuchtigkeit in das Seilinnere ausgeschlossen. Es genügt daher ein guter Anstrich, um diese Seile gegen Rotten zu schützen, was bei Seilen aus Runddrähten nicht in gleicher Weise gilt. Solche siebenschenklige verschlossene Seile sind bei dem Umbau der Franz-Josefs-Hängebrücke in Prag zur Anwendung gekommen [1] (Fig. 2).

Die zusammengeschlagenen Seile können nur fertig ausgehängt werden. Es kann sonach damit nicht über gewisse Gewichts- und Stärkemaße gegangen werden; überdies erleiden die mehrschenkligen Seile immer größere Streckungen als Einzelseile. Bei parallel gehängten Seilen macht aber wieder die Erzielung einer gleichmäßigen Lastaufnahme Schwierigkeiten, und eine gleiche Anspannung der parallelen Seile wird nur dann zu erwarten sein, wenn sie alle genau gleiche Länge haben und untereinander in so fester Verbindung sind, daß sie gleiche Längenänderungen durchmachen müssen. Hierzu dienen gußeiserne oder stählerne Klemmbüchsen oder Kabelhalsen, die gleichzeitig den Anschluß der Hängestangen vermitteln. Das Auswechseln eines etwa schadhaft gewordenen Seiles ist aber bei diesen zusammengepreßten Kabeln schwierig. Die französischen Drahtseilbrücken, auch jene neuerer Ausführung, haben daher nur einfach parallel gehängte Seile. Diese Anordnung ist auch in den Kabelbrückenprojekten einiger deutscher Firmen (Nürnberger Maschinenfabrik u.a.) (s. Hängebrüchen) vertreten (Fig. 3). Die vollständig unabhängig gelagerten Seile sind hier in senkrechten Reihen zu Gruppen vereinigt, wobei der gegenseitige Abstand der Seile durch entsprechend geformte Stahlkörper gewahrt wird. Die ganze Seilgruppe umschlingt eine Flacheisenschleife, und zwischen den Schleifenenden und dem untersten Seile wird ein Verschlußkörper eingesetzt, der mit entsprechender Kraft gegen die obere Schleifenbiegung zu pressen ist. Nachdem die Seile jeder senkrechten Reihe solcherart vereinigt sind, wird durch die in der Kabelachse liegenden Schleifenaugen der Tragbolzen eingeführt und daran der Hängestab mit Hilfe senkrechter Bänder befestigt [2].

b) Die Bildung großer Kabelquerschnitte aus fertigen Drahtseilen ist bisher nur in Entwürfen vertreten (Morisons Projekt für die North-River-Brücke [6]), dagegen haben die aus Paralleldrähten hergestellten Kabel schon ihre praktische Erprobung bei den großen amerikanischen Kabelbrücken gefunden. Solche Kabel wurden früher auch für kleinere Brücken angewendet und bei diesen in fertigem Zustande in die Brücke eingehängt. Bei der Herstellung wurden die Drähte wagerecht ausgelegt, dann durch Klammern in die zylindrische Kabelform zusammengepreßt und in Abständen von 0,3–0,5 m mit Drahtumwicklung gebunden. Es ergab sich aber der Nachteil, daß solche Kabel eine große Steifigkeit besaßen, und es wird daher jetzt bei der Anfertigung dieser Kabel das zuerst von Röbling eingeführte Verfahren befolgt. Die einzelnen Drähte werden frei ausgehängt, wobei ihre Länge nach einem ausgespannten Leitdraht mittels des Durchhanges möglichst genau bestimmt wird. Die Drahtstränge werden dann durch kräftige Schraubenzwingen in die zylindrische Form gepreßt und mit weichem Eisendraht dicht umwickelt. Durch diese straffe Umwicklung sowie durch das Warmaufziehen der eisernen Kabelbänder, an welchen die Hängestangen befestigt sind, wird eine genügend große Reibung zwischen den Kabeldrähten erzeugt, so daß alle Drähte möglichst gleichmäßig zum Tragen kommen. Als Beispiel möge die Legung des Kabels der Williamsburgbrücke kurz beschrieben[251] werden [7]. Nachdem zunächst vier Hilfsfeile über den Fluß gespannt und auf die Türme hochgewunden waren, wurde an ihnen für jedes Kabelpaar je eine Arbeitsrüstung angehängt. Diese trugen je zwei Arbeitsbühnen, eine obere etwa 1,2 m unterhalb der Kabellitzen während ihrer Herstellung und eine tiefere unterhalb des fertigen etwas herabgelassenen Kabels. Jedes Kabel besteht aus 37 Litzen zu je 208 Drähten. Die einzelnen Litzen wurden in etwas höherer Lage, als später das Kabel einnehmen sollte, hergestellt und zu diesem Zwecke die hufeisenförmigen Litzenschuhe etwas hinter und über den Bolzen der Ankerkette, an welche sie sich später zu legen hatten, festgemacht. Der Kabeldraht wurde auf Trommeln zur Brückenstelle geschafft. Die einzelnen Drähte waren durchschnittlich 1060 m lang; ihre Spleißung erfolgte mittels kleiner Schraubengewinde enthaltenden Muffen. Das Auslegen der Drähte geschah mit Hilfe eines Drahtseiles ohne Ende, welches von einer Verankerung zur andern und auf Rollen über die Türme geführt war. Die von einer Dampfmaschine angetriebenen Seilbahnen lagen genau über jedem Kabel und trugen Rollen, um welche der von der Trommel ablaufende Kabeldraht mit einer Schlinge gelegt wurde, nachdem dessen Ende mit dem Litzenschuh der Verankerung in Verbindung gebracht war. Wenn die Rolle das andre Ufer erreicht hatte, wurde die Drahtschlinge von ihr abgenommen und um den Litzenschuh gelegt. Auf diese Art wurden gleichzeitig jedem Kabel immer zwei Drähte zugefügt. War eine Litze fertig, so wurden die Drähte vorläufig durch Hilfsbänder alle 1,5 m zusammengeschnürt. Die fertige Litze wurde hiernach in die endgültige Lage gebracht, indem die vorläufige Befestigung des zum leichteren Auflegen der Drähte in wagerechter Lage befindlichen Hufes gelöst, dieser gegen die Türme hin nachgelassen und nach Drehung um 90° an den Bolzen der Endaugen der Ankerstäbe angelegt wurde. Gleichzeitig erfolgte auch das Abheben der Litzen von den Unterstützungsrollen auf den Türmen und das Ablassen auf den Kabelsattel. Waren alle Litzen eines Kabels in dieser Weise vorbereitet, so wurden die vorläufigen Litzenbänder nach und nach entfernt und das Kabel in seine zylindrische Form fest zusammengepreßt. Darauf brachte man die aus Stahlguß gefertigten Kabelschellen oder Hauptbänder, deren sattelförmige Ansätze später die Hängeseile aufzunehmen hatten, an und zwischen diesen noch weitere Drahtbänder. Schließlich wurde das Kabel mit einem Eisenblechmantel umhüllt. Nachstehende Zusammenstellung enthält Angaben über Zahl, Zusammensetzung und Stärke der Kabel der drei bedeutendsten amerikanischen Kabelbrücken.


Kabel für Brücken

Eine eigenartige Konstruktion ist für die Kabel der North-River-Brücke nach dem Lindenthalschen Projekte in Aussicht genommen [1], [8]. Sie werden hier aus einzelnen Gliedern gebildet, die wie eine Gelenkkette durch Bolzen verbunden sind (Fig. 4). Diese Kettenglieder bestehen aus parallelen Drahtlitzen, welche in gleicher Spannung um flanschierte Stahlschuhe gewunden sind und in der Brückenwerkstatt in genauer Länge hergestellt werden. Die Stahlschuhe umfassen hohle Stahlbolzen von 45 cm Durchmesser und 2,4 bezw. 3,6 m Länge, und es besteht jedes Kabel aus vier übereinander liegenden Ketten, die untereinander durch auf die Gelenkbolzen aufgeschobene Kupplungsplatten verbunden sind. Letztere dienen gleichzeitig zum Anschluß der Ausfachungsstäbe. Die vier Gliederketten eines Kabels werden schließlich mit einem 3 mm starken zylindrischen Stahlblechmantel umhüllt und dadurch gegen Regen und ungleichmäßige Erwärmung durch Sonnenstrahlen geschützt.

Die Inanspruchnahme der Brückenkabel wird mit einem Viertel der Zerreißfestigkeit des verwendeten Drahtes, bei sehr großen Spannweiten auch noch höher angenommen. Es erscheint dies mit Rücksicht auf die hochgelegene Elastizitätsgrenze des Stahldrahts und auf den Umstand, daß die größte Spannung im Kabel nur bei der bei sehr großen Spannweiten selten vorkommenden Vollbelastung der Brücke auftritt, zulässig.

Von großer Wichtigkeit ist eine wirksame Sicherung der Kabel gegen das Rosten. Das beste, aber wohl auch teuerste Schutzmittel gegen Oxydation ist Zweifellos eine Verzinkung der Drähte, doch kann leicht durch das Zinkbad und die nachfolgende Abkühlung eine Veränderung im Härtegrad der Drähte herbeigeführt werden. Man hat übrigens die Erfahrung gemacht, daß sich auch Kabel aus unverzinkten Drähten gut gegen Rost schützen lassen, wenn sie satt mit Leinöl getränkt und mit einer dichten Bewicklung versehen werden, deren Schutzanstrich gut unterhalten wird.

Zur Verankerung der Kabel ist bei solchen aus parallel liegenden Drähten bisher immer die bereits obenerwähnte schlingenförmige Endigung angewendet worden, bei der unter Weglassung der Bewicklung am Kabelende die frei liegenden Drähte um einen halbrunden, mit seitlichen Flanschen versehenen Schuh geschlungen sind. Die so gebildete Schlinge dient zur Aufnahme eines Bolzens, an den die Verankerung unmittelbar oder mittels einer Gliederkette angeschlossen ist. Starke Kabel aus vielen Drähten werden dabei in einzelne Litzen aufgelöst; ihre Verbindung mit der Verankerung wird durch mehrere Bolzen bewerkstelligt. Durch die Biegung der Drähte zur Schleife entsteht darin eine rechnungsmäßig weit über der Elastizitätsgrenze liegende Spannung, doch tritt durch Streckung der äußeren Drahtfasern ein Spannungsausgleich im Drahtquerschnitt ein, und bei entsprechend zähem Stahldraht wird die Festigkeit[252] in der Schleife keine nennenswerte Einbuße erleiden. Wollte man aber die Schleifenbildung vermeiden, so ist eine Endigung in einem Seilkopfe anzuwenden, wie eine solche auch immer bei Spiralseilen notgedrungen anzuordnen ist, falls nicht die Abbiegung nach einem sehr großen Krümmungsradius durchgeführt wird. In dem Seilkopfe endigen die aufgelösten Drähte des Seiles in der kegelförmigen oder absatzweise erweiterten Bohrung eines Gußstückes, in der sie mittels spitzer Eisenkeile auseinandergetrieben und mit einer leichtflüssigen Metallegierung vergossen werden. Für starke vieldrähtige Kabel gibt Kübler in seinen Entwürfen für die Brücken in Budapest und Bonn eine Konstruktion der Verankerung an [1], [9], bei der die einzelnen Seillitzen in der Verankerung durch einen sich erweiternden Konus der Ankerplatte geführt sind, gegen den sie sich zunächst der Eintrittsstelle mittels keilförmiger Zwischenlagen anlegen. Die Litzenenden sind durch eine kalottenförmige Platte gezogen und stützen sich an diese mittels Seilköpfen, während die Kalotte gegen den Konus durch Keile verspannt ist.


Literatur: [1] Handbuch d. Ing.-Wissensch., Brückenbau, 5. Abt., Kap. 13, 3. Aufl. 1905, woselbst auch weitere Literaturangaben. – [2] Mehrtens, Der deutsche Brückenbau im 19. Jahrhundert, Berlin 1904. – [3] Steiner, Ueber Brückenbauten in den Ver. Staaten, Wien 1878, S. 166. – [4] Bohny, Theorie u. Konstruktion versteifter Hängebrücken, Leipzig 1905. – [5] Brücke bei Langenargen, Centralbl. d. Bauverwalt. 1898, S. 71. – [6] Transactions of the American Soc. of Civ. Eng. 1896, Dezember. – [7] Die neue East-River-Brücke, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1904. – [8] Die North-River-Brücke, Zeitschr. d. österr. Ing.- u. Arch.-Ver. 1895 u.a. – [9] Wettbewerb für die Donaubrücke in Pest, bespr. von Zschetsche in Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1894, S. 983.

Melan.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3., Fig. 3a., Fig. 4., Fig. 4a.
Fig. 3., Fig. 3a., Fig. 4., Fig. 4a.

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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