Verkehrslast

Verkehrslast

Verkehrslast bei Brücken, die bewegte und zeitweilig einwirkende Belastung einer Tragkonstruktion, welche durch den über die Brücke gehenden Verkehr hervorgerufen wird (vgl. a. Lastäquivalente).

Die Verkehrslasten beanspruchen das Tragwerk vor allem durch ihre lotrechten Schwerkräfte, doch können durch die bewegten Lasten auch wagerechte Kräfte (Seitenstöße der Fahrzeuge, Fliehkräfte, Bremskräfte) hervorgerufen werden. – Für die Annahme der Verkehrslasten, welche den statischen Rechnungen je nach Art der Brücke zugrunde zu legen sind, bestehen in den meisten Ländern behördliche Vorschriften [1].

Als Verkehrslast bei Straßenbrücken kommt Menschengedränge, ferner Belastung durch Wagen und Straßenwalzen in Betracht. Einem Gedränge von fünf bis sechs Menschen auf 1 qm entspricht eine Belastung von 340–460 kg für 1 qm. Es ist zwar noch ein dichteres Gedränge denkbar, mit acht bis neun Menschen auf 1 qm, doch ist bei einem solchen eine Fortbewegung des Menschenstromes kaum mehr möglich. Man begnügt sich daher mit Belastungsannahmen, die je nach der Frequenz der Brücke zwischen den obigen Ziffern gelegen sind und geht nur bei der Belastungsannahme für die Fußwege städtischer Brücken höher, auf 520–560 kg für 1 qm. Neben der Belastung durch Menschengedränge ist bei Straßenbrücken stets auch die Einwirkung einer Wagenbelastung zu untersuchen. Dies geschieht in der Weise, daß man die ganze Fahrbahnbreite mit Wagenzügen besetzt annimmt und den freibleibenden Raum mit Menschengedränge belastet. Für die Fahrbahnteile ist die Wagenbelastung oder die Belastung durch eine Straßenwalze stets ungünstiger als die Belastung durch Menschengedränge. Auch für die Hauptträger wirkt die Wagenbelastung bei Spannweiten bis zu 30–40 m in der Regel ungünstiger.[767] Die Vorschriften der einzelnen Länder normieren gewisse Typen von Wagen und Straßenwalzen, welche je nach der Frequenz der Brücke anzunehmen sind. So schreibt die in Oesterreich geltende Verordnung beispielsweise vor: für Straßen I. Klasse zweiachsige Wagen von je 6 t Achsdruck und eine 18 t schwere Dampfwalze, für Straßen II. Klasse zweiachsige Wagen von 4 t Achsdruck und eine 14 t schwere Dampfstraßenwalze, für Straßen III. Klasse zweiachsige Wagen von je 1,5 t Achsdruck. Für großstädtische Brücken ist aber auch noch schwereres Lastfuhrwerk, Wagen von 20–40 t Gewicht, in Berücksichtigung zu ziehen, und bei Ueberführung einer Straßenbahn sind deren schwerste Fahrbetriebsmittel in Rechnung zu bringen.

Die größte Verkehrsbelastung der Eisenbahnbrücken wird durch schwere Güterzüge hervorgerufen und zwar nimmt man einen Belastungszug an, der je nach der Bahnkategorie (Haupt-, Neben- und Schmalspurbahnen) aus den schwersten Fahrbetriebsmitteln zusammenzustellen ist. An der Spitze des Zuges sind mindestens zwei Lokomotiven mit angehängten Tendern, im übrigen so viel vollbeladene Güterwagen anzunehmen, als auf der Brückenlänge Platz haben. Was die Fahrbetriebsmittel der Hauptbahnen betrifft, so haben die Achslasten der Lokomotiven und Güterwagen in den letzten Dezennien eine stetige Zunahme erfahren. Die technischen Vereinbarungen des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen enthalten demgemäß die bindende Bestimmung, daß allen neu zu erbauenden Hauptbahnbrücken ein Belastungszug zugrunde zu legen ist, der aus zwei Lokomotiven samt Tendern und einer unbeschränkten Anzahl von Güterwagen besteht. Die fünfachsigen Lokomotiven sollen die erste Achse mit mindestens 14 t, die übrigen vier Achsen bei 1,4 m Radstand mit mindestens 16 t belastet haben. Diesen Bestimmungen entsprechen auch die in den einzelnen Ländern bestehenden behördlichen Vorschriften (Preußische Staatsbahnen: fünfachsige Lokomotive mit 17 t Achsdruck bei 1,5 m Radstand, dreiachsiger Tender mit 13 t Achsdruck, Güterwagen mit 13 t Achsdruck bei 3 m Radstand; Bayern: fünfachsige Lokomotive mit 16 t Achsdruck, 1,4 m Radstand, Güterwagen mit 16 t Achsdruck, 4,2 m Radstand; Oesterreich fünfachsige Lokomotive mit 161 Achsdruck, 1,4 m Radstand, Güterwagen mit 111 Achsdruck, 3,0 m Radstand u.s.w.). Für Nebenbahnen sind leichtere Lokomotiven (etwa dreiachsige mit je 14 t Achsdruck), für Schmalspurbahnen, aufweichen kein Rollschemelverkehr mit Ueberführung der Hauptbahnwagen stattfindet, auch leichtere Güterwagen (mit etwa 7,5 t Achsdruck) anzunehmen. – Die Berechnung der größten statischen Einwirkungen, welche von der aus einem Zuge von Einzellasten bestehenden Verkehrslast hervorgerufen werden, ist nach dem heutigen Stande der Theorie, zumal unter Anwendung des Verfahrens mit Hilfe von Einflußlinien, keine schwierige, aber immerhin zeitraubende Aufgabe. Man hat sich diese dadurch zu vereinfachen gesucht, daß an Stelle des Einzellastenzuges eine die gleiche Wirkung äußernde, gleichmäßig über die Zugslänge verteilte Ersatzlast (Belastungsgleichwert) eingeführt wurde. Diese Ersatzlasten müßten aber für denselben Belastungszug je nach der Spannweite und nach dem System des Tragwerkes, aber auch für verschiedene Stellen oder Teile desselben eine verschiedene Größe erhalten. Da solche Ersatzlasten sonach nur eine ganz beschränkte Gültigkeit haben, so ist man von deren Angabe in den neueren Brückenvorschriften abgegangen und hat für die häufigst vorkommende Berechnung des einfachen Balkenträgers Tabellen gegeben und die Vereinfachung zugestanden, daß die Linie der Maximalmomente durch zwei im Scheitel durch eine kurze Gerade verbundene Parabeläste ersetzt werden kann.

Die nach statischen Regeln für Ruhelast berechnete Beanspruchung einer Brückenkonstruktion erfährt in Wirklichkeit durch die Bewegung der Verkehrslasten eine mehr oder minder große Erhöhung. Diese dynamische Einwirkung wird in erster Linie durch die infolge der Unebenheiten der Bahn bei rollenden Lasten auftretenden Stoßwirkungen hervorgerufen; außerdem hat aber auch die Bewegungsgeschwindigkeit der Lasten an und für sich auf die Beanspruchung der Brückenträger einen Einfluß. Stoßwirkungen treten sowohl bei Straßenbrücken, und zwar je nach der Glätte der Fahrbahn in geringerem oder größerem Maße, als auch bei Eisenbahnbrücken auf; bei letzteren werden sie durch die Schienenstöße oder durch unrund gelaufene Räder hervorgerufen. Eine strenge theoretische Beurteilung dieses Einflusses unterliegt aber bedeutenden Schwierigkeiten, da hierbei die Fortpflanzung der Stoßwirkung in der Brückenkonstruktion in Frage kommt und sich schwer angeben läßt, wie weit sich dieser Einfluß erstreckt [6]. Auf Grund allgemeiner Betrachtungen [2]–[5] läßt sich nur behaupten, daß der Einfluß der Stöße auf die Beanspruchung der Brücke um so geringer ausfällt, je größere Maße die Brücke besitzt, also je schwerer die Fahrbahn und je größer die Spannweite ist; auch werden die zunächst vom Stoße getroffenen Teile, also die Fahrbahnträger und deren Anschlüsse an die Hauptträger größere Spannungsvermehrungen erfahren, als die weiter abgelegenen Teile der Hauptträger, und es wird durch das elastische Verhalten der Fahrbahnkonstruktion die Stoßwirkung auf die Hauptträger gemildert werden. Beobachtungen an Brücken und Versuche, um die Stoßwirkungen zu messen, wurden insbesondere von Considère [4] und von Deslandres [5] angestellt und zwar von ersterem bei mehreren Brücken der Orleansbahn, von letzterem bei den Straßenbrücken von Pontoise und Beaumont. Es wurden dabei die örtlichen Beanspruchungen bezw. die Verlängerungen oder Verkürzungen an der Deformation kleiner Bleikörper gemessen, und soll nach Deslandres sich diese örtliche Einwirkung bis auf das Vierfache der statischen Lastwirkung steigern können. Beobachtungen in dieser Richtung wurden auch von Fränkel mittels eines die Brückenschwingungen graphisch verzeichnenden Apparates gemacht [9]. Besonders ungünstig können solche Stöße werden, welche in regelmäßigen Zeiträumen wiederkehren und Sets mit Ausschwingungen eines Stabes oder des Gesamtsystems zusammentreffen; sie werden eine zunehmende Vergrößerung der Schwingungsweiten, sonach auch der Spannungen, bewirken, und es ist theoretisch die Möglichkeit denkbar, daß auf diesem Wege unter bestimmten Voraussetzungen jede Brücke zerstört werden kann. Für Eisenbahnbrücken hat man hiernach auch für jede Spannweite eine bestimmte kritische Zugsgeschwindigkeit[768] herausgerechnet [7], [8], bei welcher ein gefährliches Zusammentreffen der Brückenschwingungen mit den durch die Schienenlücken erzeugten Stoßimpulsen stattfindet. In Wirklichkeit ist aber dieser Einfluß der wiederholten Stöße im allgemeinen doch weit weniger bedenklich, weil die Lastimpulse nicht in der genügenden Zahl und Stärke und nicht in der Regelmäßigkeit auf die Brücke einwirken werden, um durch die Wiederholung eine namhafte Vergrößerung der Schwingungsweiten zu bewirken. – Was nun den bloß von der Bewegungsschnelligkeit der Verkehrslasten abhängenden dynamischen Einfluß anbelangt, so ist derselbe natürlich nur bei Eisenbahnbrücken von einer gewissen Bedeutung, und zwar wird sich dieser Einfluß aus folgenden Einzelwirkungen zusammensetzen [3]: 1. Erhöhung der Beanspruchung durch Schwingungen, die in den einzelnen Teilen der Brückenkonstruktion dadurch entstehen, daß die mit der Verschiebung der Lasten verbundene Formänderung mit einer gewissen Geschwindigkeit vor sich geht. Diese Spannungsvergrößerung in einem der Brückenkonstruktion angehörenden Stabe von der Länge l rechnet sich mit ∆ S = c Vl d S/d x, wenn V die Bewegungsgeschwindigkeit der Lasten (Meter pro Sekunde) und d S die Aenderung der Stabspannung bei einer Verschiebung des Lastenzuges um d x, ferner c eine zwischen 0,004 und 0,007 gelegene Konstante bezeichnet. Bei einem gegliederten System (Fachwerk) beeinflussen sich die Längsschwingungen der einzelnen Stäbe aber in sehr komplizierter Weise, so daß auch für die einfachsten Anordnungen die mathematische Behandlung des Problems mit außerordentlichen Schwierigkeiten verbunden ist [11]. 2. Infolge der Durchbiegung der Brücke unter einer darüber rollenden Last bewegt sich der Schwerpunkt der letzteren in einer krummen Bahn, was zum Entstehen von lotrecht gerichteten Fliehkräften Veranlassung gibt. – Wenn auch der Krümmungshalbmesser dieser Bahnkurve sehr groß ist, so zeigen darüber angestellte Untersuchungen [12], daß dieser Einfluß bei schnellbewegten Lasten nicht geringfügig ist. 3. Die Gegengewichte an den Trieb- und Kupplungsrädern der Lokomotiven verursachen bei ihrer Umdrehung eine aus. der Fliehkraft hervorgehende Vergrößerung der Achsdrücke, welche im Mittel bei vierachsigen Güterzugslokomotiven mit Außenzylindern für jede Kupplungsachse mit etwa 2,1 t, für die Triebachse mit 4,2 t angenommen werden kann.

Alle diese betrachteten dynamischen Einwirkungen haben das Gemeinsame, daß ihre Größe mit wachsender Spannweite der Brücke abnimmt. Ihre Berücksichtigung bei der Berechnung der Brücken könnte so erfolgen, daß man die Verkehrsbelastung mit einem gewissen Faktor μ > 1 multipliziert einführt und die Spannungen dann nach statischen Regeln ermittelt. Résal [10] findet auf Grund theoretischer Betrachtungen, daß man setzen könne μ = 1 + Vu : L, wenn u die statische Durchbiegung in der Brückenmitte bezeichnet, welche die ohne Geschwindigkeit zur permanenten Belastung hinzugefügte zufällige Last hervorbringt. Unter Einführung einer Zugsgeschwindigkeit V = 20 m transformiert er die obige Formel in μ = 1 + 0,5 : √L. Dieser Faktor μ erscheint aber, wenn auch die Stoßwirkungen berücksichtigt werden, viel zu gering, und es ist auch nicht anzunehmen, daß derselbe für sämtliche Teile einer Brückenkonstruktion die gleiche Größe haben wird. Eingehendere Untersuchungen [2] führen auf einen Wert μ = 1,14 + 8 : (x + 10) und zwar ist hierin bei Berechnung der Gurtspannungen für x die Spannweite L, bei Berechnung der Gitterstabspannungen für x die Länge der belasteten Strecke und bei Berechnung der Fahrbahnlängs- und -querträger für x die Knotenweite einzusetzen. Ist für einen Konstruktionsteil Sg die Spannung durch die permanente Last, Sp jene durch die ruhend angenommene Verkehrslast und ist s0 die als zulässig angenommene Inanspruchnahme bei ruhender Belastung, so folgt, wenn keine Knickbeanspruchung in Frage kommt, die Querschnittsfläche des Stabes aus F = 1 : s0 (Sg + μ Sp). Für s0 wird man aber nun eine höhere Ziffer (etwa s0 = 1000 kg für Flußeisen) einsetzen können als nach jener Berechnungsweise, bei welcher auf die dynamischen Einwirkungen der Verkehrslasten weiter gar keine Rücksicht genommen wird. Man bezeichnet μ als Stoßkoeffizient, und es werden dafür außer den obigen Angaben von einzelnen Konstrukteuren auch noch verschiedene andre, allerdings lediglich auf Schätzung beruhende Annahmen gemacht. So setzen unabhängig von der Spannweite für Eisenbahnbrücken: Gerber und Landsberg μ = 1,5, Winkler und Krohn 1,3, Clericetti 2, ferner Engesser für L > 20 m μ = 1,67 für L < 20 m μ = 1,67 + 0,001 (20 – L)2, Häseler μ = 1,2 + 1 : n (wo n gleich der Anzahl der für die fragliche Beanspruchung auf der Brücke befindlichen Achsen) u.s.w.

Die dynamische Einwirkung der Verkehrsbelastung auf Eisenbahnbrücken läßt sich durch geeignete Maßnahmen bis zu einem gewissen Grade herabmindern. In dieser Hinsicht ist insbesondere eine gute Erhaltung des Gleises auf der Brücke von Wichtigkeit sowie die Verwendung von gut erhaltenen Fahrbetriebsmitteln. Auch empfiehlt es sich, der Gleisnivellette eine der Durchbiegung durch die Verkehrslast entsprechende Ueberhöhung zu geben.


Literatur: [1] Vorschriften für das Entwerfen der Brücken mit eisernem Ueberbau auf den kgl. preußischen Staatsbahnen 1903; Vorschriften der kgl. bayerischen Staatseisenbahnen 1908; Vorschriften des k. k. österreichischen Eisenbahnministeriums von 1904, betreffend Eisenbahnbrücken, und des k. k. Ministeriums des Innern von 1905, betreffend Straßenbrücken; Verordnung des kgl. ungarischen Handelsministeriums von 1907. – [2] Engesser, Zusatzkräfte und Nebenspannungen eiserner Fachwerksbrücken, Berlin 1892, Bd. 3, S. 166. – [3] Melan, Ueber die dynamische Wirkung bewegter Lasten auf Brücken, Zeitschr. d. oesterr. Ingen.- u. Arch.-Ver. 1893, S. 293. – [4] Considère, Die Anwendung von Eisen und Stahl bei Konstruktionen, übersetzt von Hauff, Wien 1888, S. 180–256. – [5] Deslandres, Note sur les épreuves par Charge roulante et l'action des chocs, Annales des ponts et chaussées 1894, Bd. 1, S. 735. – [6] Weyrich, Ueber dynamische Spannungen in Eisenbahnbrücken, Deutsche Bauzeitung 1889, S. 348. – [7] Steiner, Ueber die Metallkonstruktionen der Zukunft, Zeitschr. d. Oesterr. Ingen.- u. Arch.-Ver.[769] 1892, S. 113. – [8] Robinson, Vibration of bridges, transactions of the Am. Society of Civil Eng. 1887, Febr. – [9] Fränkel, Der Horizontal- und Vertikalschwingungszeichner, Zivilingenieur, Bd. 40, Heft 3 und 8. – [10] Resal, Effets des charges comantes sur les ponts métalliques, Annales des ponts et chaussées 1883, Bd. 1, S. 277. – [11] Reißner, H., Die Schwingungserscheinungen an Fachwerken, Zeitschr. f. Bauwesen 1903, S. 135. – [12] Zimmermann, H., Die Schwingungen eines Trägers mit bewegter Last, Berlin 1896.

Melan.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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