Graphische Statik

Graphische Statik

Graphische Statik ist die von C. Culmann in Zürich († 1881) begründete Wissenschaft, nach der die Aufgaben der Statik, insbesondere der Baustatik, auf zeichnerischem Wege mittels Zirkel, Lineal und Mäßstab gelöst werden, im Gegensatz zur »analytischen« Statik, die sich zu diesem Zwecke algebraischer Formeln, der analytischen Geometrie und der Differentialrechnung bedient.

Eine Kraft wird in der graphischen Statik durch eine gerade Linie von bestimmter Lage, Richtung und Länge dargestellt (vgl. Kräftemaßstab). Die Zusammensetzung von Kräften erfolgt mittels Kräfte- und Seilpolygon (s.d.). Darauf gestützt, lassen sich auf einfache Weise die an Balkenträgern wirkenden Momente und Querkräfte finden (vgl. Balken, graphische Berechnung). Die Erweiterung des Verfahrens führt zur Berechnung von Trägheits- und Zentrifugalmomenten (s.d.). Ebenso einfach können Kräfte in Komponenten zerlegt werden. Eine nützliche Anwendung des Verfahrens der Zerlegung bildet die Ermittlung der Stabkräfte in einem ebenen, statisch bestimmten Fachwerke (vgl. Cremonascher Kräfteplan). Verwickelter sind die Methoden, nach denen durchlaufende Balken- und Bogenträger (s.d.) berechnet werden. Großen Vorteil bietet das graphische Verfahren bei der Ermittlung des Erddrucks auf Stützmauern, namentlich seiner großen Anpassungsfähigkeit wegen (vgl. Erddruck, graphische Berechnung). In neuerer Zeit erhielt die graphische Statik durch die Einführung der Einflußlinien (s.d.) eine wertvolle Bereicherung.

Die Vorteile des graphischen Verfahrens beim Lösen statischer Aufgaben sind größere Uebersichtlichkeit und Allgemeinheit; der Gang der Arbeiten schließt sich meistens unmittelbar der gestellten Aufgabe an und kann leichter als die Formelrechnung überblickt werden. Die erzielte Genauigkeit ist in den meisten Fällen eine genügende. Auf der andern Seite sind manche Fragen und Aufgaben der Baustatik der graphischen Behandlung unzugänglich und die Großzahl der alltäglichsten Aufgaben wird schneller mittels einfacher Formeln oder Zahlentabellen gelöst. Am fruchtbarsten ist für den Bautechniker eine zweckmäßige Verbindung der zeichnerischen und der analytischen Methoden; häufig ist es von Vorteil, die eine Methode durch die andre zu kontrollieren.


Literatur: Culmanns Hauptwerk »Die graphische Statik« erschien in Zürich 1866, die erste Hälfte desselben in 2. Auflage 1875. Zahlreiche andre Schriftsteller, auch außerdeutsche, haben die von Culmann entwickelten Theorien und Methoden vervollständigt und erweitert. Zurzeit besteht, abgesehen von Zeitschriftenartikeln, eine größere Anzahl von Werken über den Gegenstand, und er wird an fast allen technischen Schulen mit mehr oder weniger Ausführlichkeit gelehrt. Herrmann in Aachen verfaßte auch eine »Graphische Statik der Maschinengetriebe« (Braunschweig 1879). Vgl. auch Weyrauch, Ueber die graphische Statik, zur Orientierung, Leipzig 1874.

(W. Ritter) Mörsch.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Graphische Statik — (Graphostatik), die Lösung der Aufgaben der Statik, auf zeichnerischem Wege mittels Lineal, Zirkel und Maßstab anstatt durch Rechnung mit algebraischen Formeln. In einzelnen Fällen hatte man schon längst in der Mechanik von geometrischen… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Graphische Statik — Graphische Statik, s. Graphostatik …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Statik [2] — Statik, graphische, s. Graphische Statik …   Lexikon der gesamten Technik

  • Graphische Darstellung — Graphische Darstellung, die räumliche Darstellung ziffernmäßiger Beobachtungsergebnisse durch Linien oder Figuren als Ersatz der Tabellen, vor denen sie den großen Vorzug schneller und leichter Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit hat. Die g. D …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Stātik — (griech.), die Lehre vom Gleichgewicht der Körper, bildet einen Teil der Mechanik; man unterscheidet die S. der festen, flüssigen und gasförmigen Körper oder Geostatik, Hydrostatik und Aerostatik. Vgl. Poinsot, Elemente der S. (deutsch, Berl.… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Fachwerk [2] — Fachwerk. (Graphische Berechnung.) Hinsichtlich der Definition von Fachwerk wird auf die Art. Fachwerk, Fachwerkträger u.s.w. verwiesen. In nachfolgendem sind ausschließlich Balkenfachwerke mit einer Oeffnung in Betracht gezogen. Ueber Fachwerke …   Lexikon der gesamten Technik

  • Trägheitsmoment [2] — Trägheitsmoment, graphische Berechnung. Während das Trägheitsmoment bei einfachen oder rechtwinklig begrenzten Figuren mittels Formeln berechnet wird, empfiehlt sich bei unregelmäßigen Figuren das graphische Verfahren. Soll z.B. das… …   Lexikon der gesamten Technik

  • Schwerpunktsbestimmung — auf graphischem Wege. a) Kreisbogen (Fig. 1). Um S zu finden, streckt man den halben Bogen AB auf die Tangente AD und zieht die Linien C D, B E und E S. Das statische Element eines Bogenelements d s in bezug auf die Achse a ist nämlich gleich y · …   Lexikon der gesamten Technik

  • Graphisches Rechnen [1] — Graphisches Rechnen, der Inbegriff aller Methoden zur Lösung von Aufgaben der Analysis durch mit Lineal, Zirkel, Maßstab und andern Zeichenwerkzeugen auszuführende Konstruktionen. Man stellt hierbei die reellen Zahlgrößen in der Regel durch… …   Lexikon der gesamten Technik

  • Polonceaudachstuhl — (Polonceauträger), graphische Berechnung. Die Stabkräfte für lotrechte Belastung, also für Eigengewicht und Schneelast, findet man am einfachsten mittels eines Cremonaschen Kräfteplans (s.d.). Fig. 1 zeigt den Kräfteplan für einen einfachen, Fig …   Lexikon der gesamten Technik

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”