- Sprengstoffe [1]
Sprengstoffe, Substanzen oder Gemische, welche durch äußere Einwirkung, Druck, Stoß u.s.w., plötzlich unter Freiwerden von viel Wärme große Mengen Gase entwickeln, die zum Sprengen praktisch ausgenutzt werden können. Die Herbeiführung der Explosion muß dabei immer in der menschlichen Willkür liegen. Sprengstoffe müssen wie Geschoßtreibmittel (s.d.) gewissen Mindestanforderungen hinsichtlich Handlichkeit, Unempfindlichkeit und Stabilität entsprechen, weshalb von der großen Zahl derselben sich nur relativ wenige für technische Zwecke eignen.
Die gebräuchlichen Sprengstoffe werden in zwei große Gruppen eingeteilt; die eine umfaßt einheitliche chemische Individuen, die andre Sprengstoffmischungen. Sprengstoffe von kurzer Explosionsdauer heißen brisante und gehören meist, der ersten, langsam wirkende fast allgemein der zweiten Gruppe an.
I. Gruppe. Einheitliche Sprengstoffe.
Knallquecksilber (s. Bd. 2, S. 218, und Bd. 5, S 518) wird meist als Initialzündung (s.d.) entweder für sich oder unter Zusatz von chlorsauerm Kali oder Salpeter u.s.w., gemischt verwendet.
Nitroglyzerin, Salpetersäuretriglyzerid, Glyzerinnitrat, ist ein Ester des Glyzerins eines dreiwertigen Alkohols, jedoch fälschlich Nitroverbindung genannt. Es wird, wie alle Salpetersäureester, durch alkoholische Aetzlauge leicht verseift; Eisenchlorür und Salzsäure spaltet, wie in der Salpetersäure, den Stickstoff quantitativ als Stickoxyd ab. Zur Herstellung des Nitroglyzerins verwendet man ein Gemisch von Salpetersäure, Schwefelsäure und Glyzerin, und zwar rechnet man im allgemeinen auf 100 kg Glyzerin von 1,27 spez. Gew. (31° Bé) 300 kg Salpetersäure von 1,5 spez. Gew. (48° Bé) und 500 kg Schwefelsäure von 1,84 spez. Gew. (66° Bé).[223] In das mit kaltem Wasser durch Kühlschlangen gekühlte und mit getrockneter Preßluft gerührte Säuregemisch fließt das Glyzerin in dünnem Strahle ein, so daß die Temperatur 2530° C. nicht übersteigt. Bei 30° C. beginnt die Entwicklung roter Dämpfe, welche dann meist zur Explosion führt. Die Flüssigkeit wird hierauf in ein Gefäß, den Scheidetrichter, abgelassen, wo sie sich in zwei Schichten trennt; das Nitroglyzerin schwimmt auf der schweren Säureschicht. Man läßt die Säure durch Oeffnen eines Hahnes zur Nachscheidung, das Nitroglyzerin zur Wäsche abfließen und wäscht es vermitteln Luftrührung zuerst mit kaltem, dann mit warmem Wasser, zuletzt mit Sodalösung und filtriert es meist noch durch kalzinierte Soda oder getrocknetes Kochsalz, um suspendiertes und gelöstes Wasser sowie Verunreinigungen, wie Schlamm, zu entfernen. Das abgetrennte Säuregemisch liefert in der Nachscheidung suspendiertes Nitroglyzerin, auch bildet sich noch Nitroglyzerin aus den im Säuregemisch vorhandenen niederen Nitrierungsstufen des Glyzerins. Die erhaltenen Abfallsäuren scheidet man im Denitrierturm und erhält Salpetersäure und Schwefelsäure. Man gewinnt 210220% Nitroglyzerin statt der berechneten 246,6%. Etwas Mononitroglyzerin bleibt in der Säure gelöst. Nitroglyzerin, ein saß farbloses, meist schwach gelb gefärbtes Oel (Sprengöl) von 1,6 spez. Gew. und süßlichem Geschmack, ist wenig flüchtig, in Wasser fast unlöslich und besitzt giftige Eigenschaften. Bei 8° C. kristallisiert es und ist in diesem Zustande sehr gefährlich. An offener Flamme entzündet, brennt es in kleineren Mengen in der Regel ruhig ab. Bei schneller Erhitzung auf 180° C, durch Stoß, Schlag oder durch Explosion einer Sprengkapsel explodiert es, zerfällt hierbei in Kohlensäure, Stickstoff, Sauerstoff und Wasser, enthält also mehr Sauerstoff, als zur vollständigen Verbrennung erforderlich ist, im Gegensatz zur Nitrocellulose. Man verwendet reines Nitroglyzerin meist nicht mehr als Sprengstoff, sondern läßt es entweder von inaktiven, festen Stoffen, wie Kieselgur, aufsaugen und bringt die so erhaltene plastische Masse in Patronenform Dynamite mit inaktiver Basis- oder mischt es mit andern Körpern, auch Sprengstoffen und erhält so Dynamite mit aktiver Basis. Von den ersteren ist der Kieselgurdynamit der wichtigste. Man stellt meist Mischungen dar von 75% Nitroglyzerin mit 241/223% Kieselgur, dazu 1/22% kohlensauern Kalk oder Soda zwecks Neutralisation etwa beim Lagern frei werdender Säure. Die Gurdynamite sind unempfindlicher gegen Stoß und Schlag als Sprengöl, auch ist ihre Wirkungsweise weniger brisant und kann ökonomischer ausgenutzt werden, da die Masse plastisch ist und sich daher an die Wände des Bohrloches anpressen läßt. Beim Liegen in Wasser scheiden Gurdynamite ihr Nitroglyzerin ab; sie sind deshalb zu Sprengungen unter Wasser ohne besondere Vorrichtungen wenig geeignet und werden meist durch andre Sprengstoffe ersetzt. Man bringt sie zur Zündung durch Explosion einer Knallquecksilbersprengkapsel. Gefrorener Dynamit explodiert unvollkommen und muß vor Gebrauch in Warmwasserbehältern aufgetaut werden. Um bei der Sprengarbeit in Kohlenbergwerken Entzündung von Kohlenstaub und schlagenden Wettern zu vermeiden, ist es erforderlich, daß die Temperatur bei den Explosionen der Dynamite durch geeignete Zusätze herabgesetzt wird. Man erreicht dies durch Herstellung sogenannter Wetterdynamite Kohlendynamite , indem man kristallwasserreiche Salze, wie Soda, Bittersalz u.s.w., zumengt, oder die Dynamitpatronen mit einem Wassermantel umhüllt: Wasser oder Kristallwasser verdampfen bei der Explosion und absorbieren so einen großen Teil der frei werdenden Wärme. Die Wetterdynamite, auch Grisoutite genannt, haben sich nicht allgemein einzuführen vermocht. Vgl. a. Bd. 2, S. 218.
Nitrocellulose, Schießbaumwolle, Schießwolle, Fulmicoton, Pyroxilin, Cellulose wird durch ein Gemisch von Salpetersäure und Schwefelsäure in Salpetersäureester verwandelt, nitriert. Je nach Zusammensetzung der Mischsäuren erhält man verschiedene Nitrierungsstufen. Die reine Hexanitrocellulose mit 14,14% Stickstoff ist noch nicht dargestellt. Die technischen Schießwollen sind Gemische der verschiedenen Nitrierungsstufen, von denen ein Teil in Aetheralkohol löslich ist. Alle bisher bekannten Nitrocellulosen lösen sich in Aceton und Essigäther. Als Rohstoff dient bisher immer noch gereinigte und entfettete Baumwolle. Man bringt dieselbe in ein Gemisch von Salpetersäure und Schwefelsäure, entfernt nach einer Zeit die überschüssige Säure von der gebildeten Nitrocellulose vermutetet Zentrifugierens und wäscht hierauf mit kaltem Wasser. Nitrieren der Cellulose und Ausschleudern erfolgt heute fast allgemein in den Nitrierzentrifugen von Selwig & Lange, Braunschweig. Die mit kaltem Wasser gewaschene Schießwolle wird im Holländer sein zerrissen, mit Wasser gewaschen und hierauf bei 3040° C. getrocknet. Die Schießbaumwolle gleicht äußerlich der Baumwolle, entzündet sich aber leicht und verbrennt an freier Luft ohne Rauch. Die chemische Behandlung derselben nach erfolgtem Mahlprozeß bedingt ihre Lagerbeständigkeit, ihre Stabilität. Man verwendet sie zur Herstellung der rauchschwachen Pulver (s. Geschoßtreibmittel); auch wurde sie bis vor kurzem durch Pressen in zylindrische oder prismatische Formen gebracht und diente zum Füllen von Granaten und zu Pionierarbeiten. Heute wird sie meist für submarine Sprengungen (Torpedos) verwendet. Nasse Schießwolle wird durch Detonation eines Knallquecksilberzündhütchens nicht zur Explosion gebracht; dagegen gelingt dies noch bei einem Wassergehalte von 15%, wenn man sich der Initialzündung einer trockenen Schießwollpatrone, durch ein Knallquecksilberzündhütchen detoniert, bedient. Die Zusammensetzung der bei der Explosion entstehenden Gase wechselt je nach dem beistehenden Druck. Bei schwachem Druck entstehen reichlich Stickoxyd und Untersalpetersäure, der Sauerstoff reicht zur vollständigen Verbrennung nicht aus. Zur Prüfung der Schießwolle auf Stabilität verwendet man die bei den Geschoßtreibmitteln angegebene Untersuchungsvorschrift. Bei der Prüfung bei 135° C. sollen sich, bevor die Erwärmung 25 Minuten gedauert, keine roten Dämpfe zeigen. Die Verpuffungstemperatur darf nicht unter 180° C. liegen. Vgl. a. Bd. 2, S. 218, Schießwolle.
Kollodiumwolle nennt man im allgemeinen Gemenge von Di-, Tri- und Tetra-Nitrocellulose. Sie ist in Alkoholäther löslich; doch gibt es auch unlösliche, niedrig nitrierte Cellulosen. Die Lösung in Aetheralkohol heißt Kollodium (s. Bd. 5, S. 566). Herstellung von[224] Kollodiumwolle s. ebend. Man benutzt die Kollodiumwolle zur Herstellung von Sprenggelatine, Gelatinedynamiten (s. Gruppe II), Celluloid und in der Photographie.
Pikrinsäure, Trinitrophenol, s. Bd. 7, S. 134. Die Pikrinsäure findet ausgedehnten Gebrauch als Sprengstoff zum Füllen von Sprenggeschossen (Brisanzgranaten); in Frankreich verwendete man sie unter Zusatz von Kollodiumwolle (Melinit), auch sind Mischungen von Pikrinsäure und Trinitrotoluol in Gebrauch. Trinitrokresol benutzt man in Frankreich unter dem Namen Crésilite, das Ammonsalz in Oesterreich (Ekrasit). Trinitrobenzol ist ebenfalls ein brisanter Sprengstoff, während Dinitrobenzol erst auf Zusatz von Salpeter explosiv wird. Pikrinsäure zeigt große Neigung, leicht explosive Salze zu bilden, und sind diese durch Stoß oder Wärme empfindlicher als die Säure selbst. Die gebräuchlichen Metalle, mit Ausnahme des Zinns, Silbers u.s.w. werden, namentlich bei Gegenwart von Feuchtigkeit, schnell von Pikrinsäure angegriffen, weshalb bei der Lagerung und beim Transport der Säure spezielle Vorsichtsmaßregeln erforderlich sind. Sie treibt die meisten organischen Säuren, auch Salpetersäure, bei Gegenwart von Wasser aus ihren Salzen aus, selbst Nitrocellulose wird von ihr zersetzt, weshalb der Melinit nicht lagerbeständig war. Bei der Explosion der Pikrinsäure entstehen Kohlenoxyd, Kohlensäure, Stickstoff, Wasser und Methan. Das spez. Gew. der Kristalle ist 1,7, ihr Schmelzpunkt 122,50 C. Die Säure explodiert beim schnellen Erhitzen auf. 300° C. An der Luft entzündet, brennt sie unter starker Rußbildung langsamer ab als Nitroglyzerin und Nitrocellulose.
II. Gruppe. Sprengstoffmischungen.
Zu dieser Gruppe gehören meist Mischungen von verbrennlichen Substanzen oder Explosivstoffen mit Sauerstoff abgebenden Körpern, und ihre Wirkung beruht daher im wesentlichen auf einem rapid verlaufenden Verbrennungsprozeß. Typus derartiger Mischungen ist das bereits besprochene Schwarzpulver, Sprengpulver, Pulver (s. Geschoßtreibmittel); Zusammensetzung s.a. Bd. 2, S. 217. Man verlangt beim Sprengpulver, daß es wenig koste und eine große Menge Gase entwickle, versuchte daher, den Gehalt an Salpeter zu verringern und den von Kohle und Schwefel oder den beider zu erhöhen. Kalisalpeter ersetzte man oft durch den billigeren Natronsalpeter. Infolge des geringen Salpetergehaltes vollzieht sich jedoch die Verbrennung langsam. Die Gase haben Zeit, durch Gesteinspalten zu entweichen, wodurch die beabsichtigte Wirkung eine schlechte wird; auch bildet sich reichlich Kohlenoxyd, weshalb man den Salpetergehalt wieder erhöhte.
Durch Ersatz der an und für sich nicht explosiven Bestandteile des Schwarzpulvers durch Sprengkörper gelangte man zu einer Zahl wichtiger neuer Sprengstoffe. Minenpulver besteht aus 65% Salpeter, 15% Schwefel, 10% Kohle und 10% Holzmehl. Tonit ist ein Gemenge von Schießwolle mit Kalium- oder Baryumsalpeter, oft erhält derselbe noch einen Zusatz von Binitrobenzol. Gelatinedynamit besteht aus Nitroglyzerin, Kollodiumwolle, Salpeter und Holzmehl unter Zusatz von etwas Soda und ist daher dem Kieselgurdynamit überlegen, bei welchem die Kieselgur nur einen unwirksamen Ballast bildet, der das Volumen vergrößert und die Arbeitsleistung vermindert. Nitroleum ist ein Gemisch von Nitroglyzerin mit chromsaurem Blei und Gips. Der Karbonit der Fabrik Schlebusch enthält 25% Nitroglyzerin, 30,5% Natronsalpeter, 39,5% Mehl und 5% doppeltchromsaures Kali. Der wichtigste aller Dynamite ist die Sprenggelatine, Nitrogelatine, geworden. Man stellt dieselbe dar, indem man 7% Kollodiumwolle mit 93% Nitroglyzerin durch Erwärmen auf ca. 50° C, gelatiniert, die gelbe plastische Masse, in welcher das Nitroglyzerin fest zurückgehalten wird, in Knetmaschinen innigst verarbeitet und hierauf zu Patronen formt. Die Sprenggelatine ist der wirksamste aller technischen Sprengstoffe und auch in der Wärme und unter Wasser haltbar.
Sprengel hat in den siebenziger Jahren eine große Zahl von Sprengstoffen angegeben. Die Bestandteile derselben, Benzol, Schwefelkohlenstoff, Tieröle oder aromatische Nitroverbindungen einerseits und konzentrierteste Salpetersäure anderseits, wurden erst kurz vor dem Gebrauche zusammengebracht oder gemischt und hierauf die Detonation mit Hilfe von Knallquecksilber eingeleitet. Die Erzeugung der Sprengstoffe wollte Sprengel erst am Versuchsorte selbst vornehmen, indem er an sich ungefährliche Stoffe gesondert transportierte und durch Vermischen derselben wirksame Sprengstoffe erzeugte. Die Sprengelschen Explosivstoffe haben sich jedoch wegen ihrer schlechten Handlichkeit nicht einzubürgern vermocht. Nichtsdestoweniger konstruierte Hellhoff seinen Hellhoffit analog den von Sprengel angegebenen Mischungen.
Ammoniumnitratgemische. Ammoniumnitrat zerfällt infolge starker Initialzündung in Stickstoff, Sauerstoff und Wasser. Vermischt man dasselbe mit verbrennlichen Stoffen, wie Naphthalin, Harz u.s.w., so explodiert das Gemenge schon durch mäßig starke Sprengkapseln. Unter Zuhilfenahme von Ammoniumnitrat hat man eine Reihe von Sprengstoffen gebildet. Sekurit besteht aus Ammonsalpeter, oxalsauerm Kali oder Ammon, Nitrobenzol oder Dinitrobenzol, Ammonit aus salpetersauerm Ammon, Paraffin, Harz und Nitronaphthalin. Man hat auch Sprengstoffgemische aus Ammonnitrat mit Nitroglyzerin oder Schießbaumwolle hergestellt. So besteht z.B. Grisoutine von Bender aus Ammonnitrat, Nitroglyzerin und einem mineralischen Aufsaugestoff. Alle Ammonsalpeter enthaltenden Sprengstoffe leiden infolge Hygroskopizität genannten Stoffes an Wasseranziehung.
Sicherheitssprengstoffe. Man fordert für Sprengungen in Steinkohlengruben Sicherheitssprengstoffe, Kohlendynamite, welche die schlagenden Wetter und den Kohlenstaub nicht entzünden, was man durch Erhöhung der Brisanz und Erniedrigung der Explosionstemperatur zu erreichen sucht. Die Explosionstemperatur brisanter Sprengstoffe setzt man herab durch Zusatz von kristallwasserhaltigen Salzen, besser noch durch Verwendung von Ammonsalpeter. Der Gebrauch von Schwarzpulver ist in weiterführenden Gruben untersagt. Sehr bekannte und geschätzte Sicherheitssprengstoffe sind der Dahmenit (Kastrop), 91,3% Ammonsalpeter,[225] 6,5% Naphthalin und 2,2% doppeltchromsaures Kali, der Roburit (Witten), 82% Ammonsalpeter und 18% Dinitrobenzol, der Sekurit (Köln-Rottweil), 37% Ammonsalpeter, 34% Kalisalpeter und 29% Nitrobenzol. Auch der Karbonit wird als Sicherheitssprengstoff allgemein geschätzt und verwendet. Literatur s. unter Bohr- und Sprengarbeit, Geschoßtreibmittel, Initialzündungen, Sprengtechnik.
Seyfferth.
http://www.zeno.org/Lueger-1904.