Gleichgewichtszustand [2]

Gleichgewichtszustand [2]

Gleichgewichtszustand, chemischer, allgemein der Zustand eines Gemisches reaktionsfähiger Substanzen nach vollständigem Verlauf der möglichen Reaktionen. Je nachdem das reagierende System aus einer oder mehreren Phasen (s.d.) besteht, unterscheidet man homogenes und heterogenes Gleichgewicht.

Verfügt das System im Gleichgewichtszustande über einen Freiheitsgrad (s.d.), so heißt das Gleichgewicht vollständig. Ist die Zahl der Freiheitsgrade größer als eins, so nennt man das Gleichgewicht unvollständig.

Viele Reaktionen, streng genommen alle sich selbst überlassenen, verlaufen nicht vollständig, sondern nur bis zu einem bestimmten Gleichgewichtszustande. Wie unter Massenwirkungsgesetz gezeigt, hängt das homogene Gleichgewicht von den Konzentrationen der einzelnen Substanzen ab. In heterogenen Systemen ist das Gleichgewicht ganz unabhängig davon, mit welcher Gewichtsmenge jede einzelne Phase im Gleichgewicht vertreten ist. Beispiele für homogene Gleichgewichte sind die Eiterbildung aus Alkohol und Säure, die Hydrolyse, die elektrolytische Dissoziation und die weiter unten aufgeführten Gasgleichgewichte. Ein heterogenes Gleichgewicht stellt sich ein bei der Dissoziation fester Körper, z.B. von Calciumkarbonat

(CaCO3CaO + CO2)

(s. Massenwirkungsgesetz). – Besondere Wichtigkeit (auch für die Technik) hat die Kenntnis der Gleichgewichtszustande der Gasreaktionen. Zwei Eigenschaften, welche die Gasreaktionen fast durchweg bei gewöhnlichen Temperaturen kennzeichnen, zwingen den Experimentator, das Gebiet hoher Temperaturen aufzusuchen.

1. Die Reaktionsgeschwindigkeit ist meist noch derart klein, daß das System sich scheinbar im Gleichgewicht befindet, trotzdem es noch sehr weit davon entfernt ist (z.B. Knallgas, das seinem Gleichgewichtszustande nach bei gewöhnlichen Temperaturen fast vollkommen zu Wasser vereinigt sein müßte).

2. Das Gleichgewicht ist derart nach der einen Seite verschoben (wie z.B. bei Knallgas nach der Wasserseite: 2H2 + O2 ⇄ 2H2O), so daß es zuweilen gar nicht von einer vollständigen Reaktion zu unterscheiden ist.

Bei den Reaktionen, welche wie N2O4 ⇄ 2NO2 mit einer Aenderung der Molekülzahl verbunden sind, gibt eine Orientierung über das Gleichgewicht die Bestimmung der Dampfdichte. Diese geschieht bei hohen Temperaturen fast ausschließlich nach der Meyerschen Methode der Luftverdrängung. Es ist Nernst gelungen, mit Hilfe von Iridiumbirnen bis 2000° C. solche Messungen auszuführen. Qualitativ kann man mit Hilfe der kaltwarmen Röhren (s. Devilles kaltwarme Röhre, Bd. 2, S. 726) das Gleichgewicht bestimmen. Das Prinzip dieser Methode: Erwärmen des Gasgemisches auf hohe Temperatur und plötzliches Abkühlen auf eine Temperatur, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit schon so klein ist, daß sich das bei der hohen Temperatur eingestellte Gleichgewicht nicht mehr verschiebt (das Gleichgewicht ist, wie man sagt, »eingefroren«), dieses Prinzip findet sich bei einer Reihe von Methoden wieder, die namentlich von Nernst, Haber und ihren Schülern ausgearbeitet sind, und die eine genaue Messung des Gleichgewichts gestatten:

1. Durchströmungsmethode. Das Gasgemisch wird durch eine auf konstanter hoher Temperatur gehaltene längere Röhre geleitet und geht dann zur schnelleren Abkühlung durch eine verhältnismäßig kurze Kapillare.

2. Explosionsmethode. Bei einer Explosion bleibt das Gasgemisch nur ganz kurze Zeit auf der Maximaltemperatur (deshalb ist diese Methode nur anwendbar bei Temperaturen, bei denen die Reaktionsgeschwindigkeiten so außerordentlich groß sind, daß sich das Gleichgewicht in der kurzen Zeit auch wirklich einstellen kann). Nach stattgefundener Explosion kühlt sich das Gas rasch wieder ab.

3. Methode des erhitzten Katalysators. Durch Anwendung eines Katalysators wird die Reaktionsgeschwindigkeit stark erhöht. Infolgedessen genügt es, nur den Katalysator zu erhitzen. Bedingung ist, daß in dem übrigen (kalten) Gasraum die Reaktionsgeschwindigkeit noch so gering ist, daß sich in ihm das an dem erhitzten Katalysator entstandene Gleichgewicht nicht verschiebt. An einem glühenden Platindraht stellt sich in Wasserdampf nach kurzer Zeit diejenige Knallgaskonzentration ein, die der Temperatur des Drahtes entspricht.

4. Methode der halbdurchlässigen Wände. Gibt es für eine Komponente des Gleichwichts eine nur für diese durchlässige Membran, (wie z.B. für Wasserstoff Palladium, Platin und Iridium), so bringt man aus diesem Material gefertigte, evakuierte Birnen, die mit einem Manometer kommunizieren, in den Ofen und läßt das Gasgemisch an der Birne vorbeiströmen (vgl. die Figur). Es stellt sich dann z.B. bei Palladiumbirnen und vorbeiströmendem Wasserdampf in der Birne derjenige Wasserstoffdruck ein, welcher der Dissoziation des Wasserdampfes bei der Temperatur des Ofens entspricht. – Die wichtigsten, mittels dieser vier und ähnlicher Methoden bestimmten Gasgleichgewichte sind:


Gleichgewichtszustand [2]


[325] Literatur: [1] Nernst, Theoretische Chemie, 7. Aufl., Stuttgart 1913. – [2] J. Traube, Grundriß der physikalischen Chemie, Stuttgart 1904. – [3] F. Haber, Thermodynamik technischer Gasreaktionen, München 1905. – [4] F. Pollitzer. Die Berechnung chemischer Affinitäten nach dem Nernstschen Wärmetheorem, Stuttgart 1911. – [5] K. Jellinek, Physikalische Chemie der Gasreaktionen, Leipzig 1913.

Wietzel.

Gleichgewichtszustand [2]

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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