Zug, exzentrischer

Zug, exzentrischer

Zug, exzentrischer. Bei Behandlung desselben hat man besonders die Verhältnisse eingespannter Füllungsglieder von Fachwerkträgern (Bd. 3, S. 533) und sonstiger prismatischer Stäbe im Auge, deren Biegung durch außerhalb der Stabachse wirkende Zugkräfte nicht vernachlässigt werden darf; vgl. Druck, exzentrischer, Bd. 3, S. 112, und Nebenspannungen, Bd. 6, S. 594.

Ein homogener, prismatischer Stab (oder Stababschnitt) vom anfänglichen Querschnitt F und der anfänglichen Länge l werde durch zwei Kräfte P parallel der anfänglichen Stabachse so gebogen, daß die Stabachse in einer Ebene bleibt. In dieser »Biegungsebene« nehmen wir ein rechtwinkliges Koordinatensystem an, dessen x-Achse in der ursprünglichen Stabachse liegt, während dies y-Achse sich auf die Punkte der schließlichen Stabachse (der elastichen Linie) beziehen (Fig. 1). x = 0 und x = l entsprechen den Enden des betrachteten Stabs (oder Stababschnitts). Wir setzen voraus, daß beide Stabenden in gleicher Weise angeordnet sind, so daß auch gleiche Biegungsmomente daselbst entstehen. Letztere seien durch M = P c bezeichnet, wobei c nicht allgemein einen unmittelbar angebbaren Hebelarm darstellt, sondern auch von der Anordnung der Stabenden abhängt und zunächst unbekannt ist. Die Biegungen sollen nur elastisch und so klein sein, daß cos φ = 1 gesetzt werden kann, unter φ den Neigungswinkel der Stabachse bei x mit der x-Achse verstanden. Dann hat man für ein Querschnittselement bei x in Entfernung v von der zur Biegungsebene senkrechten Achsschicht die Normalspannung (Zug positiv, Druck negativ) [6], S. 250:


Zug, exzentrischer

worin J das Trägheitsmoment des Querschnitts in Hinsicht der erwähnten Achsschicht (Bd. 1, S. 794) und die v in der Richtung positiver y als positiv gelten. Bei positivem c liefert diese Gleichung den größten Zugwerk von σ am ganzen Stab für x = 0 und l in den äußersten Querschnittselementen nach der Richtung der positiven y (den untersten in Fig. 1), wo y = 0, v = a,


Zug, exzentrischer

Der größte Druckwert oder kleinste Zugwerk von σ am ganzen Stab tritt bei positivem c im allgemeinen ebenfalls für x = 0 und l ein, jedoch in den äußersten Querschnittselementen nach der Richtung der negativen y (den obersten in Fig. 1), wo v = 0, v = –a',


Zug, exzentrischer

Für den bei Zugstäben am meisten vorkommenden Fall eines rechteckigen Querschnitts von beliebiger Breite und der Dicke d ergeben 2. und 3.:


Zug, exzentrischer

Bei negativem c würden in 2.–4. σ den größten Druckwert, σ' den größten Zugwerk von 1. bedeuten.

Für den Wert von c in vorstehenden Gleichungen erhält man mit den Bezeichnungen:


Zug, exzentrischer

auf Grund der Navierschen Biegungsgleichung (Bd. 1, S. 793, 800) die Beziehungen [6], S. 251:


Zug, exzentrischer

worin E der Elastizitätsmodul, e die Basis der natürlichen Logarithmen, ß die Tangente des Neigungswinkels der deformierten Stabachse bei 0 (tg φ bei x = 0), f die Ordinate der letzteren in der Mitte (y bei x = m). In praktischen Fällen pflegt jedoch n so groß zu sein (in dem Beispiel unten n = 18), daß en gegen en vernachlässigt und also gesetzt werden kann:


Zug, exzentrischer

[1026] Die Gleichung der deformierten Stabachse und die Tangente des Neigungswinkels derselben bei x sind:


Zug, exzentrischer

während das Biegungsmoment bei x ausgedrückt ist:

Mx = MP y = P (cy).

9.


I. Frei drehbare Stabenden (Fig. 2). In diesem Falle ist c in M = P c unmittelbar bekannt, womit alle obigen Gleichungen verwendbar werden. Doch interessieren die Formänderungen hier gewöhnlich nicht, da sich ohne Rück Geht auf sie die Beanspruchungen aus 1. bis 4. bestimmen lassen.

II. Festgespannte Stabenden (Fig. 1, 3–6). Für solche hängt alles von der Art der Festspannung ab. Wäre die Richtung der Stabachse bei x = 0 und. l vollkommen unveränderlich, so hätte man:

β = 0, c = 0, σ = σ' = P/F,

es fände überhaupt keine Biegung statt und die Kraft P wäre auf die Stabachse gleichmäßig verteilt. Dies träfe auch bei nicht vollkommen unveränderlicher, aber symmetrischer Festspannung zu (Fig. 3). Bei einseitiger Vernietung der Füllungsglieder von Fachwerkträgern mit Knotenblechen, Stehblechen u.s.w. hat β immer dann einen sehr kleinen Wert, wenn diese Bleche u.s.w. genügend kräftig sind und mehr als zwei Niete oder Nietreihen in der Kraftrichtung aufeinander folgen. Im Falle von Fig. 4 sind unter sonst gleichen Verhältnissen größere β denkbar als im Falle von Fig. 5, so daß ein allgemeiner Ausdruck von β nicht gegeben werden kann. Durch geeignete Anordnungen läßt sich β stets nahe an Null bringen, worauf bei einseitigen Vernietungen besondere Sorgfalt zu verwenden ist. Insbesondere soll die Befestigung nicht durch nur einen Niet oder nur eine Nietreihe (senkrecht zur Kraftrichtung) erfolgen. Sobald für einen Fall β durch Messung, Rechnung oder Schätzung bekannt wird, sind die obigen Formeln verwendbar.

Beispiel. Für eine Fachwerkdiagonale aus Schweißeisen von l = 600 cm Länge, 30/1 cm Querschnitt und E = 2000000 kg pro Quadratzentimeter Elastizitätsmodul, welche durch P = 18000 kg beansprucht ist, wäre bei gleichmäßiger Verteilung von P auf den Querschnitt σ = σ' = 600 kg, während obige Beziehungen liefern k = 3/50, n = 18 und beispielsweise für β = 1/500 (entsprechend einem Winkel von 7') : c = 1/30 cm, σ = 720 kg, σ' = 480 kg.

Irrtümliche Auffassungen. Für den Fall Fig. 6 kommt in der Literatur mehrfach die Angabe vor, bei rechteckigen Stabquerschnitten der Dicke d sei c = d und damit nach 4.:

σ = 7P/F, σ' = –5 P/F

so daß nicht nur siebenmal so große Zugbeanspruchungen als bei gleichmäßiger Verteilung von P auf den Querschnitt F entstünden, sondern auch noch ganz bedeutende Druckbeanspruchungen. Da früher allgemein nur σ = P/F in Rechnung gezogen wurde und die üblichen Sicherheitsgrade unter 7 blieben, so hätten die betreffenden Fachwerkbrücken hiernach alle einstürzen müssen. Die Annahme ist jedoch falsch und läuft darauf hinaus, die Stabkräfte P in den Mitten der Stabdicken d an reibungslosen Gelenken wirkend zu denken (Fig. 7, c = d). Mit dem gleichen Rechte wie bei längsbeanspruchten Stäben könnte man dann auch bei querbeanspruchten die Festspannung der Enden unberücksichtigt lassen, also beispielsweise an Stelle des Trägers mit festgespannten Enden Fig. 8 den frei aufliegenden Träger Fig. 9 behandeln. – Eine andre Auffassung läßt P in der Berührungsfläche der vernieteten Teile angreifen, womit c = d/2 und nach 4. wären:

σ = 4P/F, σ' = –2P/F

Die Annahme ist ebenfalls irrtümlich, der Fall Fig. 6 ist nach II. zu beurteilen.


Literatur: [1] Winkler, Die Lehre von der Elastizität und Fertigkeit, Prag 1867, S. 170, 173, 176 u.s.w. – [2] Grashof, Theorie der Elastizität und Festigkeit, Berlin 1878, S. 155. – [3] Barkhausen, Biegungsspannungen in Blechen und Bändern infolge von einseitiger Verlaschung oder von Ueberlappungsnietungen, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1892, S. 553. – [4] Engesser, Die Zusatzkräfte und Nebenspannungen eiserner Fachwerkbrücken, II, Die Nebenspannungen, Berlin 1893, S. 100. – [5] Dupuy, Mémoire sur la résistance des rivets, Annales des ponts et chaussées 1895, I, S. 5 (s. S. 58). – [6] Weyrauch, Ueber exzentrische Zugbeanspruchung von Fachwerkstäben, Zeitschr. f. Architektur u. Ingenieurwesen 1899, Wochenausgabe, S. 249. – [7] v. Tetmajer, Die angewandte Elastizitäts- und Festigkeitslehre, Wien und Leipzig 1904, S. 360. – [8] Foeppl, Die elastische Formänderung von Gußeisenstäben bei exzentrischer Zugbelastung, Mitteil. aus dem mech.-techn. Laboratorium d. Techn. Hochschule, München, 29. Heft, 1904, S. 1.

Weyrauch.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Fig. 4., Fig. 5.
Fig. 4., Fig. 5.
Fig. 6., Fig. 7., Fig. 8., Fig. 9.
Fig. 6., Fig. 7., Fig. 8., Fig. 9.

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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