Kreisel [1]

Kreisel [1]

Kreisel. Jeder rotierende Körper und jeder rotierende Teil eines Körpersystems zeigt ein eigentümliches Beharrungsvermögen und reagiert auf äußere Störungen vielfach in überraschender Weise. Bedingung hierfür ist, daß der Körper sich nach allen Seiten neigen und unbehindert einstellen kann. Bei beschränkter Bewegungsfreiheit hört die Widerstandsfähigkeit gegen äußere Störungen auf. – Im engeren Sinne bezeichnen wir einen Körper als Kreisel oder symmetrischen Kreisel, wenn seine Masse symmetrisch um eine Achse angeordnet und der Schwerpunkt auf derselben Achse liegt, oder etwas allgemeiner gesagt, wenn das Trägheitsellipsoid für den Schwerpunkt ein Umdrehungsellipsoid wird (bei gewöhnlicher Formgebung des Kreisels als Schwungring handelt es sich um ein abgeplattetes Umdrehungsellipsoid). Der Kreisel wird in der Regel so betätigt, daß er eine starke Rotation um eine Achse erhält, die anfangs nahezu mit der Symmetrieachse (Umdrehungsachse des Trägheitsellipsoids) zusammenfällt und die dann auch im Laufe der Bewegung nicht weit von ihr abweicht.

Typische Vorkommnisse der Kreiselbewegung sind:

a) Der im Raum frei bewegliche Körper. Hat man die Schwerpunktsbahn eines solchen Körpers unter der Einwirkung der vorhandenen Kräfte ermittelt (also z.B. Wurfparabel, wenn nur die Schwere wirkt und vom Luftwiderstand abgesehen werden kann), so kommt es weiter darauf an, die Drehungen des Körpers um den Schwerpunkt zu finden. Diese Bewegung[687] ist, wenn die vorhandenen Kräfte kein Moment um den Schwerpunkt geben, dieselbe wie die Bewegung des kräftefreien Kreisels um einen festen Unterstützungspunkt. Beispiele hierzu bietet die Ballistik in den Geschoßpendelungen und die Astronomie in der Präzession und Nutation der Erdachse sowie deren Polschwankungen.

b) Der Kreisel mit festem Stützpunkt in einer Pfanne. Wenn der Stützpunkt mit dem Schwerpunkt des Körpers zusammenfällt, ist der Kreisel kräftefrei, d.h. der Schwerewirkung entzogen; wenn der Schwerpunkt oberhalb der Horizontalebene durch den Stützpunkt liegt, ist der Kreisel von Haus aus instabil und bedarf einer hinreichend großen Rotation, um stabiliert zu werden; wenn der Schwerpunkt unter jener Horizontalebene liegt, ist er von Haus aus stabil. Einen derartigen Kreisel mit verstellbarem Schwerpunkt und regulierbaren Trägheitsmomenten hat Maxwell [6] bauen lassen. Durch Aufsetzen einer sektoriell geteilten farbigen Scheibe zeigte er zugleich, wie die Drehachse in seinem Kreisel bei der Bewegung wechselt.

c) Um die Reibung in der Pfanne durch die sicherer zu beherrschende Lagerreibung zu ersetzen, zieht man es meist vor, den Kreisel (Schwungring) in einen inneren Ring zu lagern, der seinerseits in Zapfen in einem äußeren Ringe läuft. Die Verbindungslinie der Zapfen steht senkrecht zur Drehachse des Schwungringes sowie zu derjenigen (festen) Achse, um die der äußere Ring drehbar ist. Diese drei Drehachsen verkörpern die drei Freiheitsgrade, die dem Kreisel zukommen. Die Vorrichtung heißt cardanische Aufhängung (s. Aufhängung). Man richtet es in der Regel so ein, daß der Schnittpunkt der Drehachsen des äußeren und inneren Ringes, der dem Unterstützungspunkt im vorigen Falle entspricht, mit dem Schwerpunkt des Schwungringes zusammenfällt – kräftefreier Kreisel. Durch ein verstellbares Uebergewicht kann der Schwerpunkt nachträglich verlagert werden. Diese Anordnung findet sich beim Bohnenbergerschen Maschinchen (zur Darstellung des Beharrungsvermögens eines rotierenden Körpers und des seitlichen Ausweichens seiner Achse bei äußeren Störungen), beim Fesselschen Apparat (zur qualitativen und quantitativen Darstellung der Präzession der Erdachse infolge der Sonnenanziehung) und in besonders sorgsamer Ausführung beim Foucaultschen Gyroskop [7]. Foucault beabsichtigte, seinem Pendelversuch als objektiven Beweis der Erddrehung entsprechende Kreiselversuche hinzuzufügen. Ferner zeigte er die Möglichkeit an, den Kompaß durch eine Kreiselvorrichtung zu ersetzen (s. unten). Erfolgreich durchgeführt wurde aber der Nachweis der Erdrotation durch Kreiselwirkungen erst in der abgeänderten Anordnung des Barogyroskops von Gilbert [8] und bei stärkeren Massenwirkungen durch Versuche von Föppl [9].

d) Der Kreisel auf horizontaler Unterlage, Kinderkreisel. Die Bahnkurve des Stützpunktes besteht nach Eintritt eines gewissen Gleichgewichtszustandes in Kreisen, deren Radius sich wegen der gleitenden Reibung an der Unterlage allmählich verengert. Bei geneigter Unterlage schreitet der Stützpunkt in Cykloidenbögen im Mittel in einer Richtung vor, die senkrecht steht zur Richtung größten Gefälles.

Das Verständnis der Kreiselbewegungen wird am bellen gefördert durch einen allgemeinen Begriff, den wir Drall-, Antriebs- oder Impulsmoment nennen. Beim einzelnen Massenpunkt bedeutet die sogenannte Bewegungsgröße m v bekanntlich denjenigen Antrieb, Stoß oder »Impuls«, der die Masse m von der Ruhe aus plötzlich in die jeweilige Geschwindigkeit v überzuführen imstande wäre. Beim starren rotierenden Körper tritt an Stelle hiervon das Moment der Bewegungsgröße (das Antriebs- oder Impulsmoment), kurz, der Drehstoß oder Drall um einen geeigneten »Bezugspunkt« (z.B. Schwerpunkt oder festen Unterstützungspunkt). Wir stellen diese Größe durch einen Pfeil dar und sprechen von diesem als dem Impulsvektor oder Impuls (vgl. [3], Kap. II). Legen wir durch den Bezugspunkt rechtwinklige Achsen x y z, die mit den Hauptträgheitsachsen des Körpers zusammenfallen, so werden die Komponenten des Impulses nach ihnen: Jx ωx, Jy ωy, Jz ωz, wo Jx Jy Jz die drei Hauptträgheitsmomente, ωx, ωy, ωz die Komponenten der augenblicklichen Drehgeschwindigkeit ω nach jenen Achsen sind. Von diesem Impuls gilt nun der folgende Doppelsatz (vgl. [3], Kap. II, §. 5):

I. Bei dem kräftefreien Kreisel (d.h. einem Körper, für den die etwa vorhandenen äußeren Kräfte kein Moment um den Bezugspunkt geben) bleibt der Impuls nach Richtung und Größe im Räume konstant.

II. Beim Vorhandensein beliebiger Kräfte, die um den Bezugspunkt ein Moment ergeben, das nach Größe und Achse durch einen Momentenpfeil M dargestellt werden möge, ist die Aenderung d J des Impulses in jedem Augenblicke gleich M d t.

Die konstanten Komponenten des Impulses im Falle I sind mit den drei Konstanten des Flächensatzes für drei Raumachsen identisch. Wenn es sich wie gewöhnlich im Falle II um die Schwere handelt, wird M horizontal und der Größe nach gleich G e sin δ, wo G das Gewicht, e den Abstand des Schwerpunkts vom Stützpunkt und δ den Winkel zwischen Schwerpunktsachse und Vertikale bedeutet. In beiden Fällen I und II sind die sogenannten Eulerschen Differentialgleichungen [1] der Drehung nichts andres als die analytische Umschreibung der vorstehenden geometrisch-dynamischen Tatsachen.

Im Falle I erzeugt man die allgemeinste Bewegung des Kreisels dadurch, daß man sein Trägheitsellipsoid auf einer Ebene abrollen läßt, die senkrecht zu der nach Satz 1 im Räume festen Impulsrichtung liegt [2].

Im Falle II unter der Wirkung der Schwere interessiert man sich vornehmlich für die regelmäßige Präzession und die präzessionsähnlichen Bewegungenpseudoreguläre Präzession«), wobei man den Fall des symmetrischen Kreisels und eine starke, ungefähr um die Symmetrieachse erfolgende Rotation voraussetzen darf. Hierbei hat man scharf zu unterscheiden zwischen 1. Symmetrie- oder Figurenachse des Kreisels, eine im Körper feste Gerade; 2. jeweilige Rotationsachse, im Körper und im Raum wechselnd; 3. jeweilige Achse des Impulses, im Räume nach Satz II wechselnd, im Körper ebenfalls variabel. –

[688] Beim symmetrischen Kreisel liegen alle drei Achsen beständig in einer Ebene und kann die Impuls- aus der Rotationsachse (oder umgekehrt) durch eine Konstruktion am Trägheitsellipsoid gefunden werden ([2] oder [3], Kap. II, § 4).

Die reguläre Präzession besteht darin, daß jede der drei Achsen um die Vertikale einen Umdrehungskegel mit konstanter Geschwindigkeit beschreibt. Ihre Möglichkeit setzt aber außer der Schwerewirkung noch die Einleitung einer geeigneten Anfangsbewegung voraus. Im allgemeinen tritt diese Präzession nicht rein auf, sondern ist von kleinen, vielfach unmerklich kleinen Schwankungen der Figurenachse oder Nutationen überlagert; es entsteht so die pseudoreguläre Präzession. Man erklärt sie nach Satz II folgendermaßen: Der Anfangsimpuls sei stark und habe annähernd die Richtung der Figurenachse; die Aenderung des Impulses ist gleich M d t; M liegt horizontal und steht senkrecht auf der Figurenachse, daher ursprünglich annähernd senkrecht auf dem Impuls. Man betrachte die Horizontalebene durch den Endpunkt des Impulsvektors; in ihr schreitet dieser Endpunkt mit der Geschwindigkeit äst fort, also zunächst ungefähr nach einem Kreise um die Vertikale. Die Figurenachse wird schnell um die augenblickliche Rotationsachse auf schmalem Kegel umgedreht. Daher erleidet auch M kleine Richtungsschwankungen und die genannte annähernd kreisförmige Bahn des Impulsendpunktes kleine Auszackungen. Im Mittel aber bleibt die ursprüngliche engbenachbarte Lage der drei Achsen und ihre Neigung gegen die Vertikale erhalten. Sie beschreiben jede ihren Präzessionskegel mit durchschnittlich gleichförmiger Geschwindigkeit ([3], Kap. V, § 2). Wir haben so das auffallende Ergebnis, daß unter dem Einfluß der nach unten wirkenden Schwere die Achse (z.B. die Figurenachse) seitlich ausweicht und ihre mittlere Neigung trotz der Schwere behauptet. Man bemerke aber, daß das Ausweichen senkrecht gegen die Schwererichtung nicht unter allen Umständen gilt; bei den besprochenen Nutationen gibt es auch Momente, wo die Achse nach unten, also in der Schwererichtung schwankt; nur kommt diese Schwankung im Mittel der Zeitbeobachtung nicht zum Ausdruck. Beiläufig sei bemerkt, daß das Aufrichten der Kreiselachse, welches man oft, z.B. bei dem Kinderkreisel (s. oben unter d), beobachtet, seinen Grund in der Reibung an der Unterlage oder Pfanne hat (vgl. [3], Kap. VII).

Für die technischen Anwendungen ist die folgende, an Satz II anknüpfende Betrachtung besonders wichtig: Ein Schwungring vom polaren Trägheitsmomente J drehe sich mit der Winkelgeschwindigkeit ω um seine Achse, die horizontal gedacht werde. Man versuche, dieselbe während der Zeit d t um die Vertikale durch einen Winkel d φ zu drehen. Alsdann tritt ein Gegenmoment, das wir kurz als Kreiselwirkung bezeichnen, auf um die horizontale zur Schwungringachse senkrechte Richtung vom Betrage J ω d φ/d t. Denkt man sich nämlich den Impuls J ω zunächst mitgedreht, so würde er eine Ablenkung J ω d φ erleiden; dazu ist nach Satz II ein äußeres Moment von der Größe

M = J ω d φ/d t

erforderlich; wird dieses nicht ausgeübt, so wirkt ein scheinbares Gegenmoment vermöge der Trägheitskräfte von dem gleichen Betrage. Der Sinn dieses Momentes wird am einfachsten durch die Foucaultsche Regel [7] bestimmt: Das Gegenmoment wirkt in solchem Sinne, daß es die ursprüngliche Drehachse (ω) mit der hinzukommenden Drehung (d φ/d t) gleichsinnig parallel zu stellen strebt.

Die vollständige mathematische Beschreibung der Kreiselbewegungen führt selbst in dem einfachen Falle des der Schwere unterworfenen symmetrischen Kreisels auf elliptische Integrale und Funktionen (vgl. [3], Cap. IV, VI); beim unsymmetrischen Kreisel ist die genaue mathematische Behandlung überhaupt noch nicht gelungen (vgl. [3], Kap. V, § 9). Das mechanische Verständnis der Bewegungen hängt aber natürlich nicht an der mathematischen Formel.

Unter den populären Erklärungen der Kreiseltheorie (vgl. a. [3], Kap. V, § 3) kann man zwei Gruppen unterscheiden; die eine, auf Poggendorff [10] zurückgehende, knüpft an die Vorstellungen der Punktmechanik an und operiert mit den gewöhnlichen und zusammengesetzten (Coriolisschen) Zentrifugalkräften der einzelnen Massenteilchen; die andre Gruppe geht auf Airy [11] zurück und arbeitet mit dem dem Körper als Ganzem zukommenden Begriff der Drehung und dem Parallelogramm der Drehungspfeile.

Von den Anwendungen können die ballistischen und astronomischen hier ausgeschlossen werden, da sie an andrer Stelle behandelt sind. Wir beschränken uns auf die eigentlichen technischen Anwendungen, deren Bedeutung in dauerndem Wachsen begriffen ist.

1. Kreiselwirkungen im Eisenbahnbetriebe. Der Zug durchfahre eine Kurve vom Krümmungsradius R mit der Geschwindigkeit v. Die Kreiselwirkung ist ein Moment um die Fahrtrichtung von dem gleichen Sinne wie das Moment der Zentrifugalwirkung, welches die äußere Schiene beladet, die innere entlastet. Man betrachte eine einzelne Achse; r sei der Radius der Räder. Ist Mr die reduzierte Masse des Radsatzes für den Radius r, so wird die Kreiselwirkung nach obigem M = J ω d φ/d t = Mr v2 (r/R). Das Moment der Zentrifugalwirkung ist gleichzeitig N = M v2 (r/R), wo M die auf die Achse entfallende Masse des Fahrzeuges, h die Höhe des Schwerpunktes über der Schienenoberkante. Wie man sieht, ist M nur ein kleiner Bruchteil von N und daher praktisch unwesentlich [12], [13].

Erheblicher wird eine Kreiselwirkung, die zu Beginn oder beim Verlassen einer Kurve entsteht. Wegen der Ueberhöhung der äußeren Schiene wird die Drehachse des Radsatzes hierbei um die Fahrtrichtung gedreht. Es entsteht dabei eine Kreiselwirkung um die zur Fahrtrichtung und Radachse gemeinsame Senkrechte, d.h. um die Vertikale. Diese Kreiselwirkung bedingt ein Schlingern des Fahrzeuges.

[689] Besonders stark können solche Kreiselwirkungen bei Gleisfehlern, Ausbiegungen nach der Seite oder nach oben (Frostbeulen) werden, da sie kurze und starke Ausdrehungen der Drehachse bedingen können. Bei den Probefahrten der Berliner Studiengesellschaft für Schnellbetrieb hat man solche Wirkungen in bedenklichem Maße zu erkennen geglaubt. Sie verschwanden bei einer Verstärkung und sorgsamen Ueberwachung des Oberbaues [14].

2. Kreiselwirkungen bei andern Fahrzeugen. Erhebliche Kreiselwirkungen müssen auch im Automobilbetrieb auftreten. Bei den Raddampfern beobachtet man ein seitliches Ueberlegen des Schiffes beim Steuern, das zum Teil auf die Kreiselwirkung der Schaufelräder zurückgeführt wird. In erhöhtem Maße können sie beim Steuern der mit Dampfturbinen betriebenen Schiffe auftreten, wenn diese mit hohen Umdrehungszahlen arbeiten [12], [15].

3. Vermeintliche Kreiselwirkungen beim Radfahren. Da man den Radkranz des Zweirades möglichst leicht baut, seine Trägheitswirkung also möglichst schwächt, so ist von vornherein zu übersehen, daß die Kreiselwirkung für die Stabilität des Radfahrers verhältnismäßig belanglos ist und jedenfalls erst in zweiter Linie in Betracht kommt. Der wesentliche Umstand für das Gleichgewicht des Radfahrers sind die Zentrifugalwirkungen, die durch die Betätigung der Lenkstange und durch unbewußte Schwerpunktsverlegungen des Fahrers ausgelöst werden und die bei leichten Krümmungen der Fahrtrichtung ins Spiel kommen [16].

4. Der Geradlaufapparat des Whithead-Torpedos, System Obry [17]. Im Hinterteil eines jeden Torpedogeschosses, wie es heutzutage von den meisten Marinen benutzt wird, befindet sich neben einem hydrostatischen Apparat zur Tiefensteuerung ein Kreiselapparat zur Seitensteuerung. Dieser besteht aus einem nach Art von c) cardanisch aufgehängten Schwungringe von etwa 500 g Gewicht. Wenn sich das Torpedo dreht, behält der Schwungring seine ursprüngliche Richtung bei, dreht sich also relativ gegen das Gehäuse des Torpedos. Ein an dem äußeren Kreiselringe beteiligter Stift öffnet dabei ein am Gehäuse des Torpedos angebrachtes Ventil, das Preßluft aus der Betriebskammer des Torpedos ausläßt und dadurch Seitenruder auslegt. Diese steuern der stattgehabten Seitenablenkung entgegen. Der Kreisel wird zugleich mit dem Abschießen des Torpedos in Drehung versetzt und macht angeblich 10000 Umläufe in der Minute. Es handelt sich hierbei um das Prinzip des indirekten Geradlaufes: Der Kreisel dient nur zur Wahrnehmung der Seitenablenkung und liefert nicht selbst die Energie zu ihrer Korrigierung. Das Prinzip des direkten Geradlaufes beim Howell-Torpedo, bei welchem ein schwerer Schwungring mit seiner Achse querschiffs im Torpedo angebracht ist und durch seine Gegenmomente das Torpedo ohne Vermittlung einer sonstigen Energiequelle zurücksteuern soll, hat sich nicht bewährt.

5. Die Idee von Foucault, den Kreisel vermöge seiner Orientierungsstabilität im Räume als Ersatz für den Kompaß einzuführen, ist durch die Bedürfnisse der Unterseeboote der Verwirklichung wieder nahegerückt worden. Die Versuche sind noch nicht abgeschlossen, sollen aber z.B. in den Modellen von A c h im allgemeinen günstig verlaufen. Scheinbar negativen Erfolg haben Versuche, die von Siemens & Halske veranlaßt wurden, gezeigt [18]. Ebenfalls auf der Kreiselwirkung beruht der sogenannte künstliche Horizont von Fleuriais [19].

6. Die großartigste technische Anwendung der Kreiseltheorie Stellt der von O. Schlick ersonnene und ausgeführte Schiffskreisel [20] dar. Ein schwerer Schwungring S, bei der vorläufigen Versuchseinrichtung von Im Durchmesser und 502 kg Gewicht, liegt mit seiner Achse in der mittleren Lage aufrecht und ist in einem Ringe R gelagert, der sich um eine Achse querschiffs drehen kann. Der Schwungring wird durch Dampfturbinen angetrieben. Wenn das Schiff rollt, d.h. sich um seine Längsachse dreht, dreht sich der Ring R vermöge der auftretenden Kreiselwirkung und schlägt die Schwungringachse in der Mittelebene des Schiffes aus. Dadurch wird bei 1600 Uml./Min. des Schwungringes die Amplitude des Rollens auf ein Fünfzehntel desjenigen Betrages verkleinert, den das Schiff unter gleichen Umständen bei festgestelltem Kreisel hätte. Ein Uebergewicht an R sorgt dafür, daß die mittlere vertikale Lage der Schwungringachse erhalten bleibt. Wichtig ist die Anbringung einer Bremse an R, durch welche die Energie der Rollbewegung direkt in Wärme umgesetzt und für das Schiff unschädlich gemacht wird. Die Vorversuche an einem Torpedoboote vom Jahre 1906 scheinen vielversprechend zu sein.


Literatur: [1] Die älteren Arbeiten von D'Alembert, Euler, Poisson zielen auf die allgemeine Grundlegung des mechanischen Problems der Rotation und spezieller auf die astronomischen Fragen der Präzession der Erdachse; sie können daher hier übergangen werden. Die Ableitung der Eulerschen Differentialgleichungen des Kreiselproblems findet sich in allen Lehrbüchern der analytischen Mechanik, z.B.: Kirchhoff, Mechanik, 6. Vorlesung, ferner bei Ritter, A. Analytische Mechanik, § 104; Föppl, A., Vorlesungen über technische Mechanik, Bd. 4, § 21; vgl. a. [3], Kap. III. – [2] Der Klassiker des Kreiselproblems ist L. Poinsot: Théorie des cônes circulaires roulantes, 1853; Théorie des équinoxes, Paris 1857; namentlich aber Théorie nouvelle de la rotation des corps, Paris 1834, deutsch von Schellbach, Berlin 1851; die Methode Poinsots ist vorbildlich für das anschaulich-geometrische Erfassen der Mechanik. – [3] Ausführlichste Einzeldarstellung: Klein, F., und Sommerfeld, A., Theorie des Kreisels, Leipzig 1897, 1898, 1903; im Sinne Poinsots geschrieben, aber vielfach über ihn hinausgehend in den analytischen Hilfsmitteln und in Rücksicht auf die Anwendungen; die technischen Anwendungen in dem noch nicht erschienenen 4. Teile. – [4] Greenhill, A.G., The mathematical theory of the top considered historically; Verhandl. des III. Internat, mathemat. Kongresses, Leipzig 1905, S. 100, liefert eine sorgfältige Darstellung der mathematischen Geschichte des Kreiselproblems von Segner bis auf die Jetztzeit. – [5] Perry, John, Spinning Top, Drehkreisel, deutsch von Walzel, Leipzig 1904, volkstümlicher Vortrag mit Beschreibung vieler anregender Versuche und Andeutung ihrer Erklärung. – [6] Maxwell, J. Clerk, On a mechanical top, Transactions of the R. Scott. Soc. of Arts, 1856; abgedruckt in Scientific Papers, Bd. 1, S. 246. – [7] Foucault, Léon, Sur une nouvelle démonstration expérimentale du mouvement de la terre; Sur les phénomènes d'orientation des corps[690] tournants entraînés par une axe fixe à la surface de la terre; Nouveaux signes sensibles du mouvement diurne, Compt. rend., Paris 1852, Bd. 35, S. 421 und 524; Sur la tendance des rotations an parallélisme, ebend., S. 602; Instructions sur les expériences du gyroscope, in dem Buche: Recueil des travaux scientifiques de L. Foucault, Paris 1878. – [8] Gilbert, Mémoire sur l'application de la méthode de Lagrange à divers problèmes du mouvement relatif, Annales de la Soc. scientifique de Bruxelles, Bd. 6 und 7, 1881–83; der Apparat ist beschrieben in dem Katalog mathematischer Modelle u.s.w., im Auftrage der Deutschen Math. Vereinigung herausg. von Dyck, Nachtrag, München 1893. – [9] Föppl, A., Ueber einen Kreiselversuch zur Messung der Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde, Sitzungsber. d. Bayr. Akad. d. Wiss., 1904, Bd. 34. – [10] »Noch ein Wort über die Fesselsche Rotationsmaschine«, Poggendorffs Ann. d. Phys., Bd. 90, S. 348; anschließend z.B.: Koppe, M., Ueber die Bewegung des Kreisels, Zeitschr. f. d. phys.u. ehem. Unterricht von Poske, 1890; Zur Kreiselbewegung, ebend. 1896. – [11] Airy, Mathematical Tracts, Cambridge 1831 (vgl. das Kapitel: Precession of the equinoxe, Nr. 1–15); anschließend: Schmidt, A., Die elementare Behandlung des Kreiselproblems, Math.-naturwiss. Mitteilungen von Böklen, 1886, Heft 3; v. Lang, Lehrbuch d. theoret. Physik, 55. – [12] Worthington, Dynamics of rotation, an elementary introduction to rigid dynamics, 5. Aufl., London 1905, S. 157, Beisp. 1. – [13] Kötter, F., Die Kreiselwirkung der Räderpaare bei regelmäßiger Bewegung des Wagens in kreisförmigen Bahnen, Sitzungsber. d. Berliner Mathem. Gesellschaft, 3. Jahrg., 1904, S. 36. – [14] Wittfeld, Ueber Schnellbahnen und elektrische Zugförderung auf Hauptbahnen, Glasers Ann. für Gewerbe und Bauwesen 1902, Bd. 50, S. 86 H – [15] Föppl, A., Vorlesungen über technische Mechanik, IV, § 25, S. 204. – [16] Encyklop. d. mathem. Wissensch., Bd. 4, Mechanik, Artikel 9, »Spiel und Sport«, von G.T. Walker. – [17] Diegel, Selbsttätige Steuerung der Torpedos durch den Geradlaufapparat, Marinerundschau 1899, Heft 5. – [18] Marthienssen, Die Verwendbarkeit des Rotationskompasses als Ersatz des magnetischen Kompasses, Physikal. Zeitschr., 7. Jahrg., 1906, S. 535. – [19] Caspari, Ed., Horizon gyroscopique dans le vide du Contre-amiral Fleuriais, Journ. de phys., Mai 1897. – [20] Schlick, O., Der gyroskopische Einfluß rotierender Schwungräder an Bord von Schiffen; Versuche mit dem Schiffskreisel, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1906, Bd. 50, S. 1466 und 1929; Föppl, A., Die Theorie des Schlickschen Schiffskreisels, ebend., 1904, Bd. 48, S. 478. Bei dem berühmten »Bessemer-Schiff« war um die Mitte des vorigen Jahrhunderts der Versuch gemacht worden, eine seefeste Kajüte durch Kreiselwirkung herzustellen; dabei war aber die Bemerkung am Anfange dieses Artikels nicht berücksichtigt, daß der Kreisel nur dann stabilieren könne, wenn er selbst mit der nötigen Beweglichkeit ausgestattet ist, d.h. mit seiner Achse frei ausschlagen können müsse. Das »Bessemer-Schiff« hatte daher auch in dieser Hinsicht, wie es nicht anders sein konnte, einen vollen Mißerfolg.

A. Sommerfeld.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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