Raumkurven

Raumkurven

Raumkurven (gewundene Kurven, Kurven doppelter Krümmung), krumme Linien, stetige Reihen von einfach unendlich vielen Punkten im Raum. Durch jede Raumkurve lallen sich unendlich viele Flächen legen. Je zwei derselben f(x, y, z) = 0 und φ(x, y, z) = 0 schneiden sich in der Raumkurve, doch kann die Schnittkurve beider außer der letzteren noch weitere Bestandteile haben. In diesem Fall muß man zur Bestimmung der Raumkurve noch weitere Gleichungen von Flächen durch dieselbe ψ(x, y, z) = 0, χ(x, y, z) = 0 u.s.w. hinzunehmen, derart, daß die allen Flächen gemeinsamen Punkte die Raumkurve darstellen. Durch Elimination einer der Veränderlichen aus den zwei Gleichungen einer Raumkurve erhält man Kegel, welche die Raumkurve aus einem Kardinalpunkt projizieren. Die Raumkurve kann dann auch dargestellt werden durch zwei solche Kegel oder besser noch durch einen Kegel und eine Fläche von möglichst niedriger Ordnung, die Monoid heißt. Die zweckmäßigste Darstellung einer Raumkurve ist jedoch diejenige, bei der die Koordinaten in Funktion eines Parameters t gegeben sind: x = φ(t); y = ψ(t); z = χ(t). Endlich kann man die Raumkurve auch durch eine Gleichung zwischen den sechs Linienkoordinaten im Raum geben; sie ist dann durch den speziellen Linienkomplex ihrer Treffgeraden, d.h. der sie schneidenden Geraden, bestimmt.

[365] A. Projektivische Eigenschaften der Raumkurven [1], [2], [22]. Eine Gerade, die eine Raumkurve in zwei Punkten trifft, heißt Sekante (Sehne) derselben. Fallen die Schnittpunkte der Sekante zusammen, so geht dieselbe in die Tangente, die Verbindungsgerade unendlich benachbarter Kurvenpunkte über. Drei aufeinander folgende Kurvenpunkte bestimmen eine Ebene, die Schmiegungsebene (Oskulationsebene). Alle Schmiegungsebenen der Raumkurve bilden eine abwickelbare Fläche, die zu der Raumkurve reziprok ist und mit ihr im engsten Zusammenhang steht. Ihre Erzeugenden sind die Tangenten der Raumkurve, ihre Rückkehrkante (Gratlinie) ist letztere selbst. Die Ordnung der Raumkurve ist die Zahl ihrer Schnittpunkte mit einer beliebigen Ebene, ihre Klasse ist die Klasse ihrer abwickelbaren Fläche, ihr Rang die Zahl der Tangenten, die eine beliebige Gerade schneiden. Ein Punkt P der Raumkurve heißt regulär, wenn eine durch ihn hindurchgehende Ebene im allgemeinen mit der Kurve einen in P fallenden Punkt gemein hat, unendlich viele Ebenen (diejenigen durch die Tangente) zwei solche Punkte und eine Ebene (die Schmiegungsebene) drei. Ist eine dieser Zahlen höher, so ist der Punkt ein singulärer. Liegt der Punkt im Ursprung und entwickelt man, nachdem man die Tangente zur x-Achse, die Schmiegungsebene zur xy-Ebene gemacht hat, x y z nach steigenden Potenzen von t : x = a tα + ..., y = b tβ + ..., z = c tγ + ..., wo also α < β < γ, so ist α die Zank der Schnittpunkte mit einer beliebigen Ebene, β Zahl der Schnittpunkte mit einer Ebene durch die Tangente, y Zahl der Schnittpunkte mit der Schmiegungsebene; (α β γ) heißt das Zeichen des singulären Punkts. Je nachdem die Zahlen α β γ gerade oder ungerade sind, ist das gestaltliche Verhalten der Raumkurve verschieden. Es gibt acht Fälle. Beispiele: a) [1, 2, 3] gewöhnlicher Punkt; b) [1, 3, 4] Wendepunkt; c) [2, 3, 4] Rückkehrpunkt; d) [2, 4, 5] Schnabelpunkt; hierzu kommen: e) [1, 2, 4]; f) [1, 3, 5]; g) [2, 3, 5]; h) [2, 4, 6], dieselben Punkte, aber mit stationärer Schmiegungsebene (sogenannte Wendeberührebene). Je nachdem die erste, zweite, dritte der Zahlen des Zeichens ungerade oder gerade sind, durchdringt die Kurve den Punkt (d.h. setzt sich, ohne umzukehren, fort), die Tangente, Schmiegungsebene oder nicht. Zu den Singularitäten der Raumkurven gehören ferner die wirklichen und die scheinbaren Doppelpunkte, d.h. die Sekanten durch einen gegebenen Punkt. Vgl. a. Flächen, abwickelbare.

B. Metrische Eigenschaften der Raumkurve [1], [3], [4], [6], [7]. Es seien


Raumkurven

z = χ(t) die Gleichungen der Raumkurve, so ist das Bogenelement


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wo die Striche Ableitungen nach t anzeigen, daher der Bogen


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Die Gleichungen der Tangente sind


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Die auf derselben im Kurvenpunkt x, y, z senkrecht stehende Ebene


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heißt Normalebene. Die Richtungskosinus der Tangente sind


Raumkurven

Die Gleichung der Schmiegungsebene ist


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Auf derselben senkrecht steht die Binormale (Nebennormale)


Raumkurven

Als Krümmungsradius wird der Radius


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des durch drei aufeinander folgende Kurvenpunkte bestimmten Kreises bezeichnet. Dieser Kreis liegt in der Schmiegungsebene und heißt Krümmungskreis. Das Lot auf der Schmiegungsebene im Mittelpunkt des Krümmungskreises heißt Krümmungsachse; letztere ist die Schnittlinie zweier aufeinander folgender Normalebenen. Die Krümmungsachsen umhüllen die abwickelbare Polarfläche. Die Richtungskosinus der Binormale (und der Krümmungsachse) sind


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Die Schnittlinie der Normal- und der Schmiegungsebene heißt Hauptnormale; diese steht auf der Tangente und der Binormale senkrecht. Die Richtungskosinus derselben sind


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oder, wenn wir für das folgende festsetzen, daß der Parameter t, der zur Bestimmung der Raumkurve dient, gerade die Bogenlänge s ist:

ρ d2 x/d s2, ρ d2 y/d s2, ρ d2 z/d s2.

daher die Gleichungen der Hauptnormale

(ξ – x)/x'' = y)/y'' = z)/z'',

wo jetzt die Striche Ableitungen nach s bedeuten. Damit wird der Krümmungsradius


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und die Koordinaten des Krümmungsmittelpunktes sind


Raumkurven

Als Torsionsradius r wird das Verhältnis des Bogenelements d s zum Winkel d η zweier aufeinander folgender Schmiegungsebenen (Torsionswinkel) bezeichnet. Mit


Raumkurven

[366] wird


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wenn cos λ, cos μ, cos ν die Richtungskosinus der Binormalen sind. Ein Kreiskegel, der drei aufeinander folgende Schmiegungsebenen berührt, heißt Schmiegungskegel. Auf der Hauptnormalen senkrecht steht die rektifizierende Ebene x) x'' + y) y'' + z) z'' = 0. Diese enthält die Tangente und die Binormale. Die rektifizierenden Ebenen umhüllen eine abwickelbare Fläche, die rektifizierende Abwicklungsfläche, von der die Raumkurve eine geodätische Linie ist. Die Schnittlinie je zweier aufeinander folgender rektifizierender Ebenen, die rektifizierende Kante, ist zugleich Achse des Schmiegungskegels. Die rektifizierende Fläche dagegen ist die Zentrafläche der zur Raumkurve gehörigen Abwickelbaren. Schmiegungskugel heißt die durch vier aufeinander folgende Punkte der Raumkurve hindurchgehende Kugel. Ihr Radius ist


Raumkurven

(Radius der sphärischen Krümmung). Die Mittelpunkte der Schmiegungskugeln bilden die Rückkehrkante der abwickelbaren Polarfläche. Der Krümmungskreis ist der Schnitt der Schmiegungsebene und der Schmiegungskugel. Die Evoluten der Raumkurve, d.h. die Kurven der Art, daß durch Abwicklung eines über dieselben gespannten Fadens die Raumkurve erzeugt wird, sind geodätische Linien der abwickelbaren Polarfläche. Der Ort der Krümmungszentra ist keine Evolute.

C. Besondere Raumkurven. Eine Raumkurve dritter Ordnung [8]–[11] entsteht als Schnittkurve zweier Flächen zweiter Ordnung, die außerdem noch eine Gerade gemein haben, oder als Erzeugnis von drei projektivischen Ebenenbüscheln. Sie wird auch als kubischer Kegelschnitt bezeichnet. Sie ist durch sechs Punkte bestimmt, ihre Klasse ist gleich vier. Die zugehörige Abwickelbare ist von der vierten Ordnung und von der dritten Klasse. Ihre Projektion auf irgend eine Ebene ist eine Kurve dritter Ordnung mit Doppelpunkt, so daß die Raumkurve einen scheinbaren Doppelpunkt besitzt. Je nach dem Verhalten im Unendlichen unterscheidet man: kubische Hyperbel mit drei reellen unendlich fernen Punkten; kubische Ellipse mit zwei komplexen und einem reellen unendlich fernen Punkt; kubisch-hyperbolische Parabel mit zwei zusammenfallenden und einem einzelnen unendlich fernen Punkt; kubische Parabel mit drei zusammenfallenden unendlich fernen Punkten. Unter den Kurven vierter Ordnung [12] unterscheidet man zwei Spezies. Die erste Spezies [13]–[15] ist der vollständige Schnitt zweier Flächen zweiter Ordnung. Sie haben zwei scheinbare Doppelpunkte und ihre Koordinaten können als elliptische Funktionen eines Parameters dargestellt werden. Die zweite Spezies [16], [27] ist der Schnitt einer Fläche zweiter mit einer solchen dritter Ordnung, wenn beide außerdem noch zwei windschiefe Gerade gemein haben. Diese Kurven haben drei scheinbare Doppelpunkte und ihre Koordinaten können (ebenso wie diejenigen der Raumkurven dritter Ordnung) als rationale Funktionen eines Parameters dargestellt werden. Sphärische Kurven sind die Schnittpunkte einer Kugel mit einer Fläche [17], [25], [26], Ist letztere eine konzentrische Fläche zweiter Ordnung, so entsteht ein sphärischer Kegelschnitt [18]–[21], [28], [29].


Literatur: [1] Salmon, G., Analyt. Geometrie des Raumes, deutsch von Fiedler, 3. Aufl., II, Leipzig 1880, 2. Kap. – [2] Hagen, G., Synopsis der höheren Mathematik, II, Berlin 1894, S. 310–320. – [3] Serret, Lehrbuch der Differentialrechnung, deutsch von Harnack, Leipzig 1884, 9. Kap. – [4] Schell, W., Allgemeine Theorie der Kurven doppelter Krümmung, 2. Aufl., Leipzig 1898. – [5] Autonne, Sur la représentation des courbes gauches algébraiques, Paris 1896. – [6] Bianchi, Vorlesungen über Differentialgeometrie, deutsch von Lukat, Leipzig 1896, 1. Kap. – [7] Joachimsthal, Anwendungen der Differential- und Integralrechnung auf die allgemeine Theorie der Flächen und der Linien doppelter Krümmung, 3. Aufl., Leipzig 1890. – [8] von Drach, Einleitung in die Theorie der kubischen Kegelschnitte, Leipzig 1867. – [9] Baur, M., Die Raumkurven dritter Ordnung und Klasse, Stuttgart 1874. – [10] Rolleder, Die Raumkurven dritter Ordnung als Schnittlinien zweier windschiefer Flächen zweiter Ordnung, Wien 1881. – [11] Schröter, H., Theorie der Oberflächen zweiter Ordnung und der Raumkurven dritter Ordnung als Erzeugnisse projektivischer Gebilde, Leipzig 1880. – [12] Eberhard, Die Raumkurven vierter Ordnung erster und zweiter Spezies im Zusammenhang mit den Steinerschen Schließungsproblemen, Leipzig 1887. – [13] Michael, Die Raumkurven vierter Ordnung erster Art, Marburg 1889. – [14] Schröter, H., Grundzüge einer rein geometrischen Theorie der Raumkurven vierter Ordnung erster Spezies, Leipzig 1890. – [15] Clebsch-Lindemann, Vorlesungen über Geometrie, Bd. 2, 1. Teil, Leipzig 1891, 2. Abt., 10. und 11. Kap. – [16] Jolles, Die Raumkurven vierter Ordnung zweiter Spezies, synthetisch behandelt, Straßburg 1883. – [17] Hoffmann, Ueber sphärische Kurven, Göttingen 1876. – [18] Geisenheimer, Ueber sphärische Kegelschnitte, Jena 1869. – [19] Vogt, Der sphärische Kegelschnitt, Breslau 1873. – [20] Ide, Zur analytischen Behandlung der sphärischen Kegelschnitte, Marburg 1876. – [21] Höchstetter, Ueber sphärische Kegelschnitte, Ulm 1880. – [22] Reye, Th., Die Geometrie der Lage, 2. Abt., 2. Aufl., Leipzig 1882, Vortr. 12 bis 14; 19. – [23] Hoppe, Lehrbuch der analytischen Kurventheorie, Leipzig 1880. – [24] Kommerell, V. und K., Allgemeine Theorie der Raumkurven und Flächen erster und zweiter Ordnung, Leipzig 1903. – [25] Forcke, Kurven auf der Kugeloberfläche, Hameln 1891. – [26] Krämer, Beitrag zur analytischen Untersuchung sphärischer Kurven, Marburg 1902. – [27] Rohn, Die Raumkurve vierter Ordnung zweiter Spezies, Leipzig 1890. – [28] Reisenhofer, Die sphärischen Kegelschnitte, Kremsier 1902. – [29] Schmidt, Ueber die sphärischen Kegelschnitte Prag 1905.

Wölffing.


http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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