Zirkularpolarisation

Zirkularpolarisation

Zirkularpolarisation (Rotationspolarisation).

Geht ein Bündel polarisierter Lichtstrahlen (s. Licht und Polarisation) durch eine dünne Platte einer doppelbrechenden Substanz, so daß es in zwei zueinander senkrecht polarisierte gleiche Komponenten zerfällt von ungleicher Fortpflanzungsgeschwindigkeit in der doppelbrechenden Platte, so zeigt das austretende Licht nur in den besonderen Fällen wieder die Eigenschaft gewöhnlichen »linear« polarisierten Lichts, wo die beiden Komponenten einen Gangunterschied von einer halben oder einer ganzen Anzahl halber Wellenlängen erfahren haben. In allen andern Fällen hat es das Merkmal einer besonderen Polarisationsebene verloren, ohne deshalb die Beschaffenheit gewöhnlichen unpolarisierten Lichtes zu besitzen, denn beim Durchgang durch eine zweite doppelbrechende Platte kann der erzeugte Gangunterschied der beiden Komponenten entweder aufgehoben oder so ergänzt werden, daß wieder gewöhnliches linear polarisiertes Licht entsteht. Diese besondere Art polarisierten Lichts ohne deutliche Polarisationsebene nennt man elliptisch polarisiert, und im Falle eines Gangunterschieds der beiden gleichen Komponenten von ein Viertel Wellenlänge oder von einer ungeraden Anzahl von Viertelswellenlängen zirkularpolarisiert. – Zum Verständnis der Erscheinungen der Zirkularpolarisation mögen zwei phoronomische Sätze über Zusammensetzung und Zerlegung schwingender Bewegungen eines Punktes vorangeschickt werden: 1. Jede geradlinige Schwingung kann ebensogut als Resultante zweier geradliniger Komponenten angesehen werden, in welche sie sich nach dem Parallelogrammgesetz zerlegen läßt, als auch als Uebereinanderlagerung zweier entgegengesetzt rotierender Bewegungen im Kreise. 2. Jede kreisförmige Bewegung kann angesehen werden als Uebereinanderlagerung zweier senkrechter geradliniger Oszillationen, die beide gleiche Schwingungszeit, aber eine um eine Viertelsoszillation verschobene Phase besitzen. – Um den Phasenunterschied der zwei geradlinigen Komponenten des elliptisch bezw. zirkulär polarisierten Lichtes zu messen, dient der Kompensator von Babinet. Zwei schwach keilförmig geschliffene Platten aus Bergkristall, die, aufeinander gelegt, eine planparallele Platte bilden, sind so geschliffen, daß die optischen Achsen den Platten parallel, und zwar in der einen parallel der Keilschneide, in der andern senkrecht zur Keilschneide gerichtet sind. Ein durch den Kompensator geführter Strahl polarisierten Lichtes zerfällt in zwei Komponenten, deren eine in dem ersten Keile eine Verzögerung, in dem zweiten eine Beschleunigung gegen die andre Komponente erfährt und umgekehrt. Diese Verzögerung hat je nach der verhältnismäßigen Dicke der übereinander liegenden Keilteile ein verschiedenes Maß, so daß ein polarisiertes Lichtbündel nur an bestimmten Stellen der Platte die für die Entstehung linearer Polarisation des austretenden Lichtes günstige Phasenverschiebung erfährt. Bei der Prüfung im Polarisationsapparat zeigen sich daher abwechselnd helle und dunkle Streifen, aus deren Lage der Betrag der Phasendifferenz der in den Kompensator eintretenden Komponenten elliptisch polarisierten Lichtes erkannt wird. – Nicht bloß die Doppelbrechung in dünnen Kristallplatten, sondern auch die Totalreflexion im Innern lichtbrechender Substanzen sowie die Reflexion an Metallflächen verwandelt linear polarisiertes Licht in elliptisch polarisiertes. – Eine größere Anzahl teils kristallisierter, teils flüssiger, auch gasförmiger Substanzen zeigt die Besonderheit, daß sie das zirkulär polarisierte Licht mit verschiedener Geschwindigkeit durchlassen, je nachdem der Sinn der Rotation ein links- oder rechtsdrehender ist. Wenn daher linear polarisiertes Licht in solche Substanzen eintritt, so eilt von den zwei entgegengesetzten rotatorischen Komponenten die eine der andern vor. Infolge davon erfährt die Richtung der Schwingungsebene der linearen Resultante eine stetige Drehung im Sinne der rascher fortgepflanzten Komponente. Solche Substanzen drehen die Polarisationsebene des durchgehenden polarisierten Lichtes. Die einen dieser optisch aktiven Substanzen[1007] erweisen sich als rechtsdrehend, die andern als linksdrehend. Die große Mehrzahl der durchsichtigen Substanzen ist optisch inaktiv, nimmt aber im Magnetfelde entlang den Kraftlinien ebenfalls optische Aktivität an. Für verschiedene Wellenlängen ist die Drehung der Polarisationsebene verschieden groß, im allgemeinen, wie bei der Brechung, für lange Wellenlängen (rot) schwächer als für kurze (violett), so daß bei weißem Lichte die verschiedenen prismatischen Farben durch aktive Substanzen verschiedene Lagen der Polarisationsebenen erhalten, eine Rotationsdispersion erfahren. – Unter den Kristallen zeigt der Quarz schon in seiner äußeren Gestalt eine Unsymmetrie, die sogenannten Trapezflächen, welche neben den abwechselnden Ecken seiner sechsseitigen Säule und Pyramide auftreten und die rechts- von den linksdrehenden Kristallindividuen unterscheiden lassen. Eine senkrecht zur optischen Achse geschnittene Platte dreht die Polarisationsebene des parallel der Achse durchgehenden Lichtstrahls nach links oder rechts um einen Winkel, der der Plattendicke proportional ist und für gelbes Licht bei 1 mm Dicke 21,7° beträgt. – Im Polarisationsapparat, bei Anwendung weißen Lichtes, zeigt eine solche Quarzplatte Farben, die sich bei Drehung des Analysators für rechts- und für linksdrehende Kristalle in entgegengesetzter Ordnung verändern. Sehr starke Drehung erleidet die Polarisationsebene im Zinnober, der auf 1 mm Plattendicke der Ebene des roten Lichtes schon eine Ablenkung von gegen 300° erteilt. Es gibt auch hier rechts- und linksdrehende Kristalle. Nicht so bei andern Körpern, wie z.B. dem Natriumchlorat, das nur rechtsdrehende Individuen liefert, und dem Strychninsulfat, welches nur links dreht. Nach Van't Hoff [1] sind diejenigen Kohlenstoffverbindungen optisch aktiv, welche in ihrer Molekularstruktur asymmetrisch gebundene Kohlenstoffatome haben. Als Maß des Drehungsvermögens dient die sogenannte spezifische Drehung, d.h. diejenige Zahl Grade der Drehung, welche eine Säule von 1 dm Länge der Polarisationsebene des gelben Natriumlichtes (D-Linie des Spektrums) erteilt, wobei für Lösungen aktiver Körper in inaktiven Lösungsmitteln als spezifische Drehung derjenige Winkel angesehen wird, den man erhält, wenn die für die Lösung und für 1 dm Länge ermittelte Zahl mit dem Prozentgehalt dividiert und mit 100 multipliziert. Eine vollständige Zusammenstellung der bis 1878 bekannt gewordenen Werte des Drehungsvermögens verschiedener organischer Substanzen gibt [2] und einen bis 1904 ergänzten Auszug [3]. Bei der teilweise bedeutenden Abhängigkeit des Drehungsvermögens von der Temperatur wird den Angaben meist die Temperatur 20° C. zugrunde gelegt. – Beispiele rechtsdrehender Körper sind: Rohrzucker (spezifische Drehung bei der Temperatur 20° C. von 70° bis 64°, je nach Konzentration), Milchzucker (52,53°), Traubenzucker oder Dextrose (Anhydrid 52,50° bis 59,55°), Dextrin (138,68°), Weinsäure (18,6° bis 14,9°) Kampher, Saccharin u.a. Linksdrehend sind Fruchtzucker oder Lävulose, arabisches Gummi, Chinin und seine Salze, Morphin, Asparagin, Nikotin, Strychnin, Salizin, Eiweißstoffe, Kirschlorbeerwasser u.a. Weinsäure ist rechtsdrehend und isomer mit der linksdrehenden Traubensäure, Terpentinöl ist je nach seinem Herkommen rechts- oder linksdrehend. Sind zwei entgegengesetzt drehende Modifikationen desselben Körpers gemischt, so kann der Körper inaktiv erscheinen, z.B. die inaktiven Apfelsäuren erweisen sich als Gemische rechts- und linksdrehender Apfelsäure zu gleichen Teilen. Der Invertzucker besteht aus gleichen Teilen von Dextrose und Lävulose, ist aber linksdrehend, weil das Drehungsvermögen der letzteren größer ist als das der ersteren. Rohrzuckerlösungen, welche mit andern aktiven Substanzen gemischt sind, z.B. mit Invertzucker, liefern nicht die ihrem Prozentgehalt entsprechende Drehung, zur Ermittlung des Prozentgehaltes werden sie einer zweiten Prüfung unterworfen, nachdem man mittels Mineralsäuren sie invertiert, d.h. ihren Zucker ganz in Invertzucker umgewandelt hat; vgl. [4] und Saccharimetrie in [5].

Die zur Warenprüfung verwendeten Polarisationsapparate, über deren Gebrauch wir auf [2] verweisen, bedienen sich sowohl als Polarisatoren wie als Analysatoren Nikolscher Prismen (s. Polarisation), zwischen beide Teile kann die zu prüfende Flüssigkeit in einem 0,2 m langen, an beiden Enden durch Glasplatten geschlossenen Rohr eingeschaltet werden. Die Figur zeigt eine schematische Ansicht des Weinpolarimeters von Steeg, das die Vermischung des Traubensaftes mit Dextrose- und mit Weinsteinsäurelösungen erkennen läßt. Gallisierter Wein ist rechtsdrehend, Naturwein unvergoren linksdrehend, vergoren neutral oder linksdrehend. A und P sind die Nikolschen Prismen, R das abnehmbare Rohr, F ein Fernrohr, das auf die Trennungslinie des Doppelquarzes Q (die eine Hälfte aus rechts-, die andre aus linksdrehender Quarzplatte bestehend) eingestellt wird, Z eine Kreisteilung (Halbkreis), welche den Winkel abzulesen gestattet, um welchen nach Einschalten des zu prüfenden Körpers in Q der Analysator gedreht werden muß, um den Biquarz in derselben möglichst gleichen Färbung seiner beiden Teile zu zeigen, wie vor der Einschaltung. Bei dem Saccharimeter von Soleil tritt an Stelle der Drehung des Analysators die Verschiebung eines Kompensators, der mit einer Quarzplatte so verbunden ist, daß ohne Einschaltung des Rohrs der Kompensator die Drehung der Platte genau kompensiert, wenn eine die Verschiebung der Keile messende Teilung mit Nonius auf Null eingestellt ist. Größere Genauigkeit der Einstellung erhält man, wenn man nicht auf gleiche Färbung der beiden Hälften einer Quarzplatte einstellt, sondern auf gleiche Helligkeit zweier Hälften des Gesichtsfeldes, wie beim Halbschattenpolarimeter von Laurent, wo das Licht der einen Hälfte durch eine doppelbrechende Platte geführt wird, die eine Phasenverschiebung um eine halbe Wellenlänge erzeugt. – Ueber neueste weitere Verbesserungen des Halbschattenapparats vgl. [6] und [7]. Bezugsquellen sind Steeg & Reuter in Homburg v. d.h. und Schmidt & Hänsch, Berlin, letztere besonders für Lippichsche Halbschattenapparate. Ein drittes, sehr empfindliches Erkennnungsmittel der Einstellung bieten die Interferenzstreifen[1008] eines Savartschen Polariskops, das bei dem Polaristrobometer von Wild Verwendung findet. Zwei unter 45° gegen die Achse geschliffene Quarzplatten mit gekreuzten Hauptschnitten aufeinander gekittet, lassen beim Drehen die Lage der Polarisationsebene an dem Auftreten und Verschwinden seiner Interferenzstreifen mit einer bis 0,1° reichenden Genauigkeit ermitteln.


Literatur: [1] Van't Hoff, Dix années dans l'histoire d'une théorie, Rotterdam 1887. – [2] Landolt, H., Das molekulare Drehungsvermögen organischer Substanzen, 2. Aufl., Braunschweig 1898. – [3] Landolt u. Börnstein, Physikalisch-chem. Tabellen, Berlin 1905, S. 692 s. – [4] Clerget, Annales de chimie et de physique (3), Bd. 26, S. 175, 1849. – [5] Fehling-Hell, Neues Handwörterbuch der Chemie, Bd. 6, S. 11, Braunschweig 1898. – [6] Lippich, F., Dreiteiliger Halbschattenpolarisator, Zeitschr. f. Instrumentenkunde, Bd. 14, S. 326–327, 1894, und Sitzungsbericht Wiener Akad. mathem.-physik. KL, Bd. 105, S. 317 s., 1896. – [7] Landolt, H., Ueber eine veränderte Form des Polarisationsapparats für chemische Zwecke, Berichte der deutschen ehem. Gesellschaft, Bd. 28, S. 3102 s., 1896. – Weitere reiche Literaturangaben s. bei [2], [3], [5], sowie in Winkelmanns Handbuch der Physik, 6, 2, S. 1334–1387, Leipzig 1906.

Aug. Schmidt.

Zirkularpolarisation

http://www.zeno.org/Lueger-1904.

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